Ein Tagebuch der Zukunft – Skurril, poetisch, tragisch, voller Liebe Nur wenig braucht es, damit alles ganz anders Stürme sind über das Land gefegt, danach kamen Überschwemmungen, es ist seit Monaten unerträglich heiß, der Alltag ist aus den Fugen geraten. Zwei Frauen suchen Halt in einer haltlosen Welt. Ihr letztes Mittel ist die rückhaltlose Vergewisserung Kunst. Nüchterne Zahlen markieren die »Sonntag, 10. 21.40, 37°, 360, Zustand des klar.« Das 18. Stockwerk eines Hochhauses ist zum Refugium für eine Frau und ihre Tochter geworden. Während draußen noch immer Fassadenkletterer und Bungeespringer ihre absurden Akte vollziehen, versucht die Mutter, sich Klarheit zu verschaffen, Rechenschaft abzulegen und dem Leben eine letzte Form zu geben. Sie schreibt Tagebuch, während ihre halbwüchsige Tochter durch die Stadt streift und sie weiß: Wenn das letzte Blatt gefüllt ist, werden sie die Stadt verlassen müssen. Die anderen gehen nämlich schon, formieren sich schon wieder zu stammesähnlichen Gruppen, schnell passen sie sich an die neuen Bedingungen an. Zurück bleiben die, die auf ihre Individualität pochen, Eigensinnige und Wunderliche wie der Puppenspieler Donati, der Rimbaud zitiert und sein krankes Kind mit wildem Trotz am Leben hält, der Interviewer, der immer weiter dieselben Fragen stellt, und die Aktionskünstlerin, die ihre nächste Performance plant, auch wenn es kein Publikum mehr gibt. In ihrem eindringlichen Roman zeigt Liane Dirks den Vorgang einer poetischen Inventur, grotesk bisweilen und voll schwarzem Humor. Getragen von einer tiefen Liebe zur Welt und einer innigen Beziehung zu ihrer Tochter, gelangt die unermüdliche Archivarin zu überraschenden »Liebe kann so schnell bedrohlich sein und trotzdem ist Bedrohung niemals Liebe.« Atemlos folgt man zwei Heldinnen auf einem unausweichlichen Weg.
Eher 3,5 Will ganz viel hierzu sagen und gleichzeitig auch gar nichts. Beziehungsweise habe ich das Gefühl, kaum aber doch so viel etwas über diesen Roman sagen zu können und wollen.
Der Roman hat einfach super dieses Verloren-Sein der Mutter transportiert und ich konnte mich da schon gut hineinversetzen. Diese von Innen gebrochene und instabile Frau versucht durch die Struktur und Ordnung des Äußeren genau das (Wieder-)Herzustellen, was ihr im Inneren so sehr fehlt. Dieses unzuverlässige Erzählen hat mich auch sehr gecatcht. Sie verrät immer nur so viel wie sie will, eben typisch Tagebuch. Dadurch klammerte man sich wirklich extrem an alles, was sie dann in den einzelnen "Einträgen" schrieb und mir ging es oft so, dass ich Angst hatte, irgendwas zu verpassen. Muss sagen, dass es sich extrem intim und teils übergriffig angefühlt hat, so sehr das ungeschützte und verletzliche Innenleben einer anderen Person aufzusaugen. Habe früher schon einige Tagebuch-Romane gelesen, aber da war es irgendwie anders. Da waren die Personen ähnlicher zur eigenen Person (vielleicht auch durch ein anderes Setting etc.) und man konnte mehr sich selbst dort sehen und nicht eine fremde Person. Obwohl ich trotzdem viele Gedankengänge der Mutter einleuchtend fand und definitiv mit ihr mitfühlen konnte. Die Distanz zu ihr verging für mich aber nie komplett. Und genau das fand ich eigentlich auch super. Sie wirkte total nicht-greifbar und so gab sie sich ja eigentlich auch im Roman zur Außenwelt
Die Sprache war wirklich krass und gerade diese eine Passage, in der sie sich ständig mit der Uhrzeit und Gradzahl korrigiert schwirrt mir auch immer noch im Kopf rum. Gerade die Sprache hier schafft es, dass man den Roman so deutlich erleben kann.
Der Roman regt auf jeden Fall zum Nachdenken an und ich halte es für gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Zustände und die Gefühlslagen der Mutter nicht doch mal Realität werden könnten. Sind sie es an einem anderen Ort der Welt vielleicht in gewisser Weise schon? Will man es wirklich mal so weit kommen lassen, dass man nur noch stumpf aneinander vorbei, statt miteinander lebt? Super spannende Thematik.
Habe aber ehrlich gesagt immer so meine Schwierigkeiten mit deutscher Gegenwartsliteratur und fühle mich oft einfach zu blöd dafür. Ich fand den Roman gut und er hat mir gefallen, manchmal war ich aber sehr verloren (ähnlich wie die Mutter. War das vielleicht das Ziel??).