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Geschlecht. Wider die Natürlichkeit

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Jahrhunderte lang wandten sich engagierte Frauen – und einige Männer – gegen die Annahme, dass Unwissenheit von Frauen und ihr Ausschluss aus Machtpositionen auf 'natürliche' – vorgegebene und unabänderliche – geschlechtliche Unterschiede zurückzuführen sei. Sie kennzeichneten geschlechtliche Unterschiede als Produkt gesellschaftlicher Ungleichbehandlungen. Noch Simone de Beauvoir betonte: 'Kein biologisches […] Schicksal bestimmt die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen im Schoß der Gesellschaft annimmt.'
Hinter diese Forderungen wichen Feminismen der letzten Jahrzehnte zurück. Mit der Aufspaltung in biologisches Geschlecht (engl. 'sex') und gesellschaftliches Geschlecht (engl. 'gender') setzten sie biologische Geschlechterdifferenzen als gegeben voraus. Aus der unterschiedlichen Biologie von 'Frau' und 'Mann' dürften aber keine gesellschaftlichen Ungleichbehandlungen abgeleitet werden. Das Ziel der Gleichstellung wurde so nicht erreicht.
Ein Strategiewechsel ist nötig! Die Vorlage hierfür lieferte Judith Butler. Sie bezweifelte wieder 'Natürlichkeit' und stellte klar, dass auch Körperlichkeit erst durch eine 'Brille' gelesen wird, die durch individuelle Erfahrungen und Lernen in Gesellschaft bestimmt ist. Organe werden erst durch die Interpretation als 'geschlechtlich' und durch ihre unentwegte Betonung und Wiederholung in dieser Rolle hergestellt und bestätigt.
Hier lohnt es sich weiterzuarbeiten. Mit Butlers Ansatz erscheinen 'Penis', 'Hodensack', 'Hoden' etc. noch als gesellschaftlich formulierte Bezeichnungen für tatsächlich vorhandene Organe. Als ob, wenn man 'natürliche Vorgegebenheiten' liest, sich die Notwendigkeit der Bezeichnung dieser Organe und ihre weitgehend binäre Einordnung zwingend ergibt. Hier widerspricht Heinz-Jürgen Voß. Er bereitet aktuelle Ergebnisse der Biologie anschaulich auf und zeigt wie selbst sie in Richtung vieler Geschlechter weisen. Indem er an Gedanken der Entwicklung anknüpft, rückt er den Menschen selbst in den Mittelpunkt, wo bisher die Kategorie und Institution 'Geschlecht' fetischisiert wurden. Von hier aus ergeben sich gesellschaftskritische Forderungen im Anschluss an Karl Marx.

180 pages, Paperback

First published January 1, 2011

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Heinz-Jürgen Voß

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Displaying 1 - 4 of 4 reviews
Profile Image for Benedikt Weiß.
8 reviews
July 1, 2025
Wirklich interessant. Man lernt bei der Lektüre viel Neues. Es ist nur leider recht trocken und stellenweise zäh zu lesen und leider nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe.

Voß zeigt auf, dass die Einteilung des Geschlechts in zwei starre Kategorien keineswegs schon immer selbstverständlich war; da gab es selbst im Mittelalter schon recht fortschrittliche Ansätze. Es wird letztlich dafür plädoyiert, sich auch im biologischen Diskurs von zwei, hin zu vielen möglichen Geschlechtern zu öffnen.
Untermauert wird das durch die Explikation der Tatsache, dass sich „Geschlecht“ schlicht nicht auf einen Faktor, ein Gen, einen Prozess, usw. festlegen lässt, sondern dass unzählig viele Prozesse zusammenkommen (die man bis heute noch nicht im Ansatz versteht, lol), um dann nicht einmal *eindeutig* weibliche/männliche Menschen zu schaffen. Auch wird der gesellschaftliche Aspekt von Geschlecht und seinem Einfluss auf Biologie/Medizin deutlich herausgearbeitet (mit Rückgriff auf v.a. Marx, Beavouir u. Butler)

Ein empfehlenswertes Buch, vor allem für biologisch/medizinisch Interessierte!
Profile Image for Daniel.
641 reviews52 followers
June 17, 2011
Was Heinz-Jürgen Voß in "Geschlecht" unternimmt, ist der höchst sportliche Versuch das etablierte Bild von einer möglichen Einteilung der Menschen in Geschlechter zu zerstören. Und gelegentlich schafft er es sogar tatsächlich mit gewissen Argumentationsmethoden die Saat rudimentärer Zweifel zu sähen.

Es ist beherzt geschrieben und aufwendig recherchiert - verfehlt jedoch sein Ziel leider deutlich. Zumindest bei mir. Dennoch würde ich es nicht als lesensUNwert bezeichnen. Erstens finde ich immer Gefallen an Versuchen Etabliertes anzuzweifeln (für mich ein notwendiger Akt der Selbstreflexion) und zweitens mag ich es, wenn sich jemand für seine Ziele einsetzt. Und das tut Voß mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mittel.
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