Getrieben sind sie alle, die Figuren in Sibylle Bergs neuem Buch, einem Reiseroman. Ruhelos fahren die einen an exotische Orte, auf der Suche nach einem kleinen bisschen Glück. Oder Sinn oder Abwechslung. Hauptsache, etwas passiert. Die anderen haben keine Wahl und müssen bleiben, wo sie sind. Wo auf der Welt kann der Mensch glücklich sein?
Heimat gibt’s nicht mehr. Heimat ist für Menschen, die in Bergdörfern aufgewachsen sind, dort wo man alle kennt, auch die Tiere und wo man statt ins Kino Sonnenuntergang schauen geht. Für alle anderen, also für die meisten, stellt sich die Frage immer wieder neu: gehen oder bleiben? Bleibe ich in meinem blöden Berliner Leben hocken oder suche ich das Glück in Sri Lanka, Rio de Janeiro, Shanghai oder Tel Aviv?
Die Figuren in Sibylle Bergs Roman machen sich auf die Reise. Glückssucher sind sie alle. Nur was sie zu ihrem Glück brauchen, ist höchst unterschiedlich.
Noch nie hat Sibylle Berg in ihrem literarischen Werk eine solche Vielzahl und Vielfalt von Menschenschicksalen in den Blick genommen. Bekannt als Meisterin in der Schilderung der Abgründe im mitteleuropäischen Wohlstandsmenschen, besticht sie in Die Fahrt durch ihre messerscharfe Beobachtung der sozialen Realitäten an verschiedenen Orten der Welt. Wir treffen auf Peter, einen alten Hippie, der als Hotelbesitzer fast im Tsunami ertrinkt, auf Miki, die als Glücksritterin in der Filmindustrie landet oder auf Parul aus Bangladesh, die den ganzen Tag Steine klopft, um ihrer Familie die Slumhütte zu finanzieren.
Sibylle Berg ist zur Recherche für ihren großen neuen Roman selbst in viele Winkel der Welt gereist. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Lebensverhältnisse stellt sie die Frage: Wie entstand die aberwitzige Idee des Individuums, ein Individuum sein zu wollen? Mit allen dazugehörigen Individuumsansprüchen? Glücklich sein zu wollen, zum Beispiel.
Sibylle Berg was born at and spent her childhood in Weimar where she also worked as a puppeteer until moving to the West in 1984. She studied briefly at the Dimitri theatre school in Ticino and then had various jobs. She began to write, published her first articles and reportage, and was a columnist for the "Zeit-Magazin". Her first book appeared in 1997, and other novels and stories followed. "Helges Leben" was her first play. Sibylle Berg lives in Zurich.
Kann man kaum weglegen beim Lesen. Das Buch ist wahnsinnig ehrlich und bietet einen ungeschönten, schonungslosen Blick auf die Banalität des Lebens auf unserer Welt. Irgendwie bewegt sich das Werk zwischen Wahrheit und Anmaßung, weniger gefestigte Leser müssen aufpassen, dass sie nicht beginnen das eigene Leben zu hinterfragen. Weltschmerz in jeder Zeile. Und Misanthropie. Eigentlich gemein, aber da steckt halt auch ein erheblicher Teil an Wirklichkeit drin und dem kann man sich nicht entziehen. Unfassbar interessant, unglaublich gut recherchiert, kurzweilig und augenöffnend. So eine Art Thriller ohne dieses ausgelutschte Genre in irgendeiner Art nachzuahmen. Mich macht das Buch, auch nach der Lektüre von GRM, zum Fan von Sybille Berg. Und zugegebenermaßen unheimlich traurig.
Wenn mir nach diesem Buch nochmal jemand sagt, sie*r reise nicht gern, kann ich das absolut verstehen.
"Die Fahrt" handelt von verschiedensten Protagonist*innen (ca. 10-20?), die alle mehr oder weniger ihr Glück beim Reisen suchen, um zu schauen, ob das Gras auf der anderen Seite des Flusses denn nun wirklich grüner ist.
In gewohnter Bylle-Manier finden sich hier wieder kurzgeschichten-artige Handlungsabschnitte, hier und da gibt es auch Parallelen und Überschneidungen. An sich fein und hin und wieder auch mal ein bisschen Gehirnjogging ("Den Namen hab ich doch irgendwo hier schonmal gelesen", "Ah, diese Handlung x kommt mir von wem anders bekannt vor!" etc.), nur hantiert die Autorin - für meinen Geschmack - hier mit zu vielen verschiedenen Personen. Ich bin zwar gut mit Namen auseinanderhalten und so, aber das war für mich anfangs extrem unübersichtlich. Ab ca. dem zweiten Drittel des Buchs verbesserte sich das jedoch und ich hab die Matrix etwas besser lesen können.
Was ich mir außerdem mitnehme, ist die Erkenntnis, dass ich Frau Bergs Bücher echt nicht lesen darf, wenn es mir sonst eigentlich gut geht. "Die Fahrt" ist geprägt von Bylles typischem Zynismus und Lebensverneinung, die mich an schlechteren Tagen oft kichern und "haha, same" denken lässt - nur jetzt gerade zieht mich das schier endlose Gejammer und Genörgel der Personen im Buch eher runter als alles andere.
Zu guter Letzt noch Punktabzug meinerseits, was den Sprachstil angeht. Ich weiß nicht, ob das ein regionales Ding ist (bin weder aus Weimar noch aus der Schweiz), aber die vielen Stellen, an denen "es gibt" hätte stehen müssen, dann jedoch "es hat" geschrieben wurde, haben mich ziemlich verwirrt. Kein Weltuntergang, aber ich musste dann doch mehrmals drüber lesen, um den Satz besser zu verstehen.
"Miki beobachtete, wie die Sonne unter- und die Freaks nach Hause gingen. Das war ihr Lieblingsmoment. Bleiben zu können, wo andere weg mussten."
"Die Fahrt" erzählt fragmentartig aus dem Leben vieler verschiedener Personen, die überall in der Welt herumtingeln – Tel Aviv, Hongkong, Nauru, Bombay, Berlin. Fast alle Personen sind rastlos und mehr oder weniger ernüchtert vom Leben, sodass es sie von A nach B zieht. Alle suchen sie etwas oder jemanden oder beides, alle haben sie die Hoffnung, offenbar, noch nicht aufgegeben. Und einige wenige stecken fest und sind verdammt zu einem Leben, aus dem sie niemals fliehen können.
Das war jetzt für mich das zweite Buch von Sibylle Berg und ich hatte mich schon auf sehr viel Negatives, Deprimierendes, Befremdliches und eine gute Prise Zynismus eingestellt. So ging es auch los, ich hatte relativ schnell wieder genug vom ewigen Gejammer und dem Fokussieren auf allem, was schlecht und eklig ist, allerdings wurde es dann doch im Laufe des Buches besser.
Wie ich es aus dem vorherigen Roman gewohnt war, sind die Charaktere im Buch allesamt durchschnittliche Menschen, die ein durchschnittliches Leben leben – zumindest auf den ersten Blick. Doch ihre Verschrobenheiten befremden, ihre Traurigkeit macht betroffen, ihre Entscheidungen verwirren und frustrieren. Nähe zu den Personen kam bei mir nicht auf; ich fand das auch ganz gut so mit dem Abstand, aber das hat der Lektüre keinen Abbruch getan.
Ein bisschen herausfordernd wird es, bei den ganzen Personen im Kopf zu behalten, wer jetzt nochmal wer war, vor allem weil sie nicht an einem Ort bleiben, sondern reisen und sich die Wege ab und zu kreuzen – so ist X dann ebenfalls in Hongkong oder Y ebenfalls in Bellagio. Es war aber für meinen Geschmack genau die richtige Balance, sodass es beim Lesen doch auch Spaß gemacht hat, die Puzzleteile zusammenzusetzen.
Sibylle Berg scheint eine Faszination dafür zu haben, die kleineren und größeren Miseren alltäglicher Menschen ungeschönt aufs Papier zu bringen. Erst hat mich genervt, dass alle Orte hässlich und deprimierend waren, später hat mich interessanterweise die Reiselust gepackt. Ich glaube, was das Buch wirklich sehr gut darstellt, ist, wie viele Leben es auf der Welt gibt und wie viel eines Schicksals einzig und allein von den Lebensumständen abhängt, in die man hineingeboren wird. Das ist deprimierend, aber nun mal die Realität. Am meisten mitgenommen hat mich Paruls Geschichte, sie hallt noch nach, macht mich traurig, wütend und hilflos. Man muss für diese Lektüre auf jeden Fall in der richtigen Verfassung sein, aber hier fand ich die Gratwanderung zwischen "noch aushaltbar" und "zu viel/zu gewollt" gelungen.
Was nicht hätte sein müssen sind die das/dass-Fehler; da gab es doch einige und ich frage mich, ob das Lektorat zur Mitte des Buches irgendwie geschlafen hat? Außerdem sehr verwirrend: In einem Kapitel geht es um Ruth, sie ist in Paris, läuft nach 3 Seiten zu einem Mann und heißt plötzlich Pia – so wie ein anderer Charakter im Buch, der aber zuvor in Bayreuth und dann in London, aber nie in Paris ist. Auch das wohl ein Fehler?
Zwischendurch gab es wirklich viele gute, schön geschriebene Stellen. Gedanklich habe ich mir so viele Passagen markiert und das war tatsächlich für mich auch eins der Highlights des Buches. Auch der Humor, der doch immer wieder durchkommt, hat mir gut gefallen, besonders in Kombination mit schlauen (und nicht nur durchweg negativen, zynischen) Beobachtungen.
"Wie gerne wäre Helena so gewesen. So lebenslustig und neugierig. Wie gerne hätte sie auf Tischen getanzt und weinend Lieder gesungen, wie man es aus griechischen Filmen kannte. Aber sie stand immer nur befremdet neben allem. Und jetzt wurde der Himmel rot, und ein Vogel begann zu singen, und es wurde noch kälter, und Helena hatte das Gefühl, den Gipfel der Einsamkeitspyramide erklommen zu haben."
"In der Nacht dachte Parul an Allah. Und dass er ihr nicht helfen würde, weil er doch ein Mann war."
Was für ein tolles Buch! Niemand schreibt so direkt, spitzzüngig und ungeschönt wie Sibylle Berg. Ich musste oft wegen ihrer wahnwitzigen Vergleiche lachen, sie schafft es auf eine grandiose Art und Weise Charaktere zu zeichnen und man gerät in eine komische Mischung aus Depression und sadistischer, guter Laune beim Lesen. Wäre da nicht dieser übersteigerte Feminismus gegen Ende hätte ich wirklich nichts einzuwenden.
Sibylle Berg hat mich - mal wieder - begeistert und weggefegt. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist ihr Stil schon, aber zumindest mir geht es so, dass ich mich nach dem Einlesen in der Stimmung ihrer Bücher gut zurechtfinde. Das Buch ernüchtert und befreit. Einfach schön.
In 'Die Fahrt' geht es um mehrere Personen, deren Schicksale alle miteinander verstrickt sind. Parallel werden also die Reisen, oder vielmehr ein Lebensabschnitt der Protagonisten erzählt, welche alle auf der Suche nach ihrem persönlichen Glück sind. Dabei sind fast alle Charaktere ja irgendwie lost und sehnen sich nach Liebe oder Heimat.
Das Buch konnte mich aber leider nicht abholen. Oft wusste ich einfach nicht was mir die Autorin sagen wollte, wenn einer der Protagonisten über das Leben philosophierte. Auch fand ich Schilderungen und Szenen oft auch einfach zu übertrieben zynisch oder unwirklich.
Dennoch gab es auch gute Szenen, mit auch wirklich schönen und wahren Passagen über das Leben.
Wer kennt sie nicht: Reisende, die zwecks Selbstfindung um die halbe Welt fliegen; Reisende in Batikhosen, die die Genügsamkeit der einfachen Leute in kaputten Ländern total schön finden; Reisende, die sich alle drei Tage einheimisch verlieben und gedanklich schon ausgewandert sind; Reisende, die einfach nicht wissen, wohin es sie zieht. Mit grossem Zynismus schreibt Sibylle Berg über ihre Figuren, die sich in Island und Nauru, in Bombay und den Hamptons auf Sinnsuche befinden. Mal kreuzen sich ihre Wege, mal nur fast, und dann und wann ergreifen sie die Flucht voreinander. Ein höchst unterhaltsamer Episodenroman und die perfekte Ferienlektüre.
Ich finde, die Motive wiederholten sich, ähneln sich zu sehr, und außerdem bleibt vieles plakativ. Ich hätte lieber einen Roman mit den vielversprechendsten Charakteren gelesen.
vielleicht mache ich später 3 Sterne daraus. Ich denke, Berg hat wesentlich bessere Bücher geschrieben.