Die Geschichte des Anarchismus ist keine Geschichte von Parteien und Organisationen, sondern von Personen. Ihrer Leitidee von der herrschaftslosen Gesellschaft folgend, haben sich die Anarchisten nur selten zu größeren Vereinigungen zusammengefunden, deren Verbindlichkeit und Zwang sie glaubten fürchten zu müssen. Trotzdem gab es immer geistige und auch persönliche Bande zwischen den führenden Persönlichkeiten der anarchistischen Bewegung. In seiner historischen Darstellung hat Wittkop diese geistigen und persönlichen Bezüge nachgezeichnet.
Wichtig für mich, dieses Buch gelesen zu haben. Eines der Bücher, die einen in Anbetracht der unbegreiflichen Absurdität der existierenden Dinge und des Universums den Kopf schütteln lassen. Wittkop lässt diese Kuriositäten mit scheinbarer Beiläufigkeit nur umso witziger erscheinen. Viele der dargestellten Personen fand ich mir ein wenig ähnlich (haha) und ich bin froh jetzt zu wissen, dass sie existiert haben. Auch war es höchst erfrischend mal von der Entwicklung anderer politischen Strömungen als des Faschismus in Europa zu lernen. Vielleicht waren deine Ururgroßeltern ja auch Anarchisten? Nicht so unwahrscheinlich, wie man denkt.
Für mich stellt sich nun hauptsächlich die Frage, ob der Mensch eine Instanz braucht, die ihn davon abhält, andere dominieren zu wollen? Und warum ist es immer, in allen Fällen, exakt diese Instanz, welche, um die Dominanz anderer zu verhindern, selbst zu jenem wird, das sie anfänglich zu verhindern suchte?
Weder mein rechtsnationalistischer Großvater, noch mein möchtegern-ancap-liberalo-Bruder, konnten mich von den Grauen des autoritären Kommunismus so sehr überzeugen wie Wittkop's Erläuterungen zum anarchistischen Matrosenaufstand in Kronstadt gegen die Sowjet-Diktatur. Macht perforiert die Gemüter der Menschen und kann jeden noch so liebsamen Wert in sein Gegenteil kehren. Das kapitalistische System mag über keine zentrale Autorität verfügen, aber das verschleiert nur die Wege in denen jene, welche weltliche Resourcen um sich konzentrieren, alles in die Wege leiten um bestehende Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten und zu vertiefen (in dem Sinn nicht besser als Autoritarismus - besonders wenn man die Perversion der menschlichen Kultur unter dem Kapitalismus miteinbezieht). Auch hat mir dieses Buch den Grundunterschied zwischen Anarchisten und Kommunisten vor Augen geführt: resultiert Herrschaft notwendigerweise in Unterdrückung? Ja. Aber ich glaube, dass der Mensch durch entsprechende Erziehung und, ja, auch Bildung, dazu in der Lage ist, aus den primitiven und tristen Gedankenmustern des reinen Überlebenskampfes ausbrechen, und dass der pathologischen Angst vor den Anderen etwas Besseres folgen kann. Ich weiß aber noch nicht so recht wie ich Zweck und Wert der Freiheit definieren würde. Aber das war ja jetzt auch erst die Geschichte des Anarchismus, ich werde wohl die Theorie lesen müssen.