Ihre Eltern waren Kinder im Zweiten Weltkrieg. Bombenhagel, Zerstörung und Flucht haben viele erlebt. Fast alle hatten sie Hunger und vor allem Angst, große Angst. Das wirkt nach - auch auf ihre eigenen Kinder, die heute zwischen 30 und 50-jährigen. Anne-Ev Ustorf, geboren 1974, ist selbst das Kind von Kriegskindern. Sie hat Gespräche geführt, Parallelen gefunden und festgestellt: Vieles, was ihre Generation umtreibt, hat sie von ihren Eltern »geerbt« - der Bericht über das Lebensgefühl einer ganzen Generation, die im langen Schatten des Krieges aufwuchs.
Das Buch wendet sich eher hauptsächlich an 30- oder 40somethings dessen Eltern hier in Deutschland kurz vor, während oder kurz nach dem 2. Weltkrieg geboren wurden. Wobei ich denke das dies Buch auch durchaus für die dritte Generation von Geborenen nach dem Krieg interessant sein kann.
Seit ein paar Jahren, so hatte ich bisher das Gefühl, war es Mode geworden über das Thema "Mein Opa war ein Nazi" ein Buch zu schreiben. Nachdem ich dies Buch hier nun gelesen habe, merke ich wie naiv ich mit dem Thema umgegangen bin. Das das Thema in der breiten Masse noch lange kein Fuß gefasst hat. Das viele bloß denken, herje das haben wir doch alles schon durch, und in Wirklichkeit haben wir das Thema nur extrem einseitig betrachtet. Auf der einen Seite haben wir Deutschen den Krieg verloren, der war dann aus und all die schrecklichen Dinge kamen heraus die wir Deutschen den anderen angetan hatten. Zum den Opfern unter den Deutschen und besonders der Zivilbevölkerung sagte man besser nichts, denn wir waren ja selbst schuld. Und die andere Seite: Die Nazis waren's, nicht die Deutschen. Die sind nur von den Nazis verführt worden. Wenn man es jetzt so einfach und naiv betrachtet klingt es vielleicht ein wenig zu simpel. Aber, hey, genauso wurde es doch bisher gehandhabt! Das hat aber Niemanden geholfen. Nicht den deutschen Opfern nach dem Krieg und nicht Tätern, die mit ihrer Schuld mehr oder weniger weitergelebt haben. Ja, es war doch Krieg und alle haben ja nur Befehlen gehorcht! Ja, so hat man schon immer Kriege entschuldigt. Aber auch Kriege und Soldaten haben ihre Regeln. Zum Beispiel die der Menschlichkeit. Diese Regel wurde im 2. Weltkrieg von uns Deutsche oft und auf grausame Art und Weise gebrochen. Ja, schon vor dem Krieg. Und es waren nicht nur die "hohen Tiere". Die Drecksarbeit wurden von den "Kleinen" getan. Sie nur Profan Täter zu nennen geht natürlich auch nicht. Aber aus deren Fehlern zu lernen wäre die Aufgabe. Dazu muss man aber auch deren Fehler kennen um daraus zu lernen. Und da beginnt oft die Mauer des Schweigens.
Wobei ich hier schon beim zweiten Teil des Buches. Im ersten Teil geht es weniger um unsere Großeltern, sondern direkt, und wie der Titel des Buchs eben schon sagt, um unsere Eltern, die Kriegskinder. Um eine Kindheit im Bombenhagel. Um Flucht, Vertreibung und Hungersnöte nach den Krieg. Viele Kriegskinder verdrängen die Zeit bewußt oder unbewußt. Oder beschönigen sie. Aber arbeiten die Erfahrungen nie auf und geben die Bürde an ihre Kinder weiter. Das Buch hat mich viel über meine Eltern und Großeltern nachdenken lassen. Aber auch über meine Schwiegereltern. Meine beiden Eltern sind 1935 geboren. Hatten also das Ende des Krieges als 10 jährige erlebt. Mein Großvater väterlicherseits war schon zu alt für den Einsatz im zweiten Weltkrieg gewesen. Aber war im ersten Weltkrieg gewesen, wenn auch als Koch und Sanitäter, hatte er auch in den letzten Tagen des ersten Weltkriegs zur Waffe greifen müssen. Für den zweiten Weltkrieg war er dann, zum Glück, nicht nur zu alt, sondern auch noch Sozialist gewesen. Die Roten wollte man ja, zunächst, gar nicht im Heer haben. Somit war er kein Soldat gewesen. Aber auch kein Widerstandskämpfer. Die Familie väterlicherseits hat sich nicht evakuieren lassen. Sie waren bis zum Schluss in Berlin geblieben und somit zwei Mal ausgebombt worden. Am Tage bombardierten die Britten Berlin und Nachts die Amis. Als ich Kind war hatte mein Vater wenig über die Zeit geredet. Meist nur über die schlechten Zeiten nach dem Krieg. Erst als Jugendlicher hatte er mir von den Bombenangriffen, die ständige Angst und Begebenheiten erzählt. Davon bekam ich Alpträume. Aber es war gut das er die Geschichten erzählt hat. Und auch wie er sie erzählt hat. Wenn ich so das Buch gelesen habe, dann hatte ich so manches mal gedacht, gut das es in unserer Familie nicht ganz so war und ist.
Die Familie meiner Mutter wurde nach Schlesien evakuiert. Und als die russische Armee vorrückte hatten sie sich rechtzeitig wieder auf den Weg nach Berlin gemacht. Trotzdem haben sie das Ende des Krieges auf der Flucht erlebt. Davon hat meine Mutter auch erst so richtig erzahlt als ich schon 13 oder 14 war. Vorher hatte sie so wie mein Vater mehr von der Zeit nach dem Krieg erzählt. Die Flucht war nicht einfach gewesen. Aber auch sie hatten Glück gehabt. Sie wurden nicht getrennt und sie sind körperlich versehrt ohne Übergriffe wieder nach Berlin gekommen. Mein Opa mütterlicherseits war Nazi gewesen. Er war in der Partei und hatte dadurch einen Job als kleiner angestellter Schreiberling bei der Partei bekommen. Briefe, die er auf seiner Büroschreibmaschine geschrieben hat, belegen das er geglaubt hatte auf die Art und Weise nicht an die Front geschickt werden würde. Und er hat wohl auch fest an den großen deutschen Endsieg geglaubt. 1943 wurde er dann doch an die Front geschickt. Einmal kam er noch auf Heimaturlaub wieder. Dann nie wieder. Ob er gefallen ist wissen wir nicht. Vielleicht ist er in Kriegsgefangenschaft gestorben. Oder ist einfach nicht mehr zurückgekommen, wie nachweislich einige deutsche Soldaten von der Ostfront und Gefangenschaft nicht mehr zurück nach Deutschland gehen wollten. Manchmal wünsche ich mir fast das er doch noch lange gelebt hat, aber aus Scham nicht wieder zurückgekommen ist. Aber wahrscheinlich ist es nicht so. Er war ein Nazi. Ob er schlimme Dinge im Krieg getan hat, wissen wir nicht. Ob er vielleicht auch schon vorher als "Angestellter der Partei" fragwürdige oder schlimme Dinge getan hat, wissen wir auch nicht.
Und manchmal denke ich, wie hätte ich wohl in der Situation meines Opas gehandelt? ich meine, ich bin zwar heute auch eher politisch links orientiert, aber wäre ich es Damals auch gewesen? Ich weiß es nicht. Darum ist es ja so wichtig das wir alle aus den Fehlern unserer Vorväter wirklich lernen müssen. Es aufarbeiten müssen. Damit das eben nie wieder passieren kann.
Anne-Ev Ustorf ist selbst ein Kind der Kriegskinder (grob Jahrgänge '55-'75) und hat in ihrem Buch ihre und Geschichten anderer Kriegsenkel zusammengefasst. Unter anderem durch eigene Therapieerfahrungen auf die Zusammenhänge zwischen den Erlebnissen und Traumata der Eltern und späteren Depressionen der Kinder, die sogar mehr als ein halbes Jahrhundert nach Ende des zweiten Weltkrieges auftreten, aufmerksam geworden, bearbeitet Ustorf in jedem Kapitel des Buches andere Teilaspekte eventueller Traumata.
In jedem Kapitel wird den Fallbeispielen eine theoretischere Begründung und Analyse der Ursachen-Folgen-Entwicklung vorangestellt. Diese dann in den Beispielen aufgegriffen und verdeutlicht.
Insgesamt war die Lektüre des Buches sehr interessant und eröffnete mir einen neuen Blickwinkel auf die Kriegskinder-Generation, sowie auf ihr Handeln und ihr Verhältnis untereinander, sowie zu ihren Kindern und Eltern.
Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade bei diffusen Ängsten und Depressionen ohne erkennbare Auslöser bei zwischen ~'55 und '75 geborenen, dieses Buch einen neuen Ansatz bringen könnte. Allgemein kann zudem das Verständnis zwischen den unterschiedlichen Genrationen füreinander gestärkt werden. Und selbst wenn nicht bietet es sich an als Grundlage für eine Diskussion in der Familie.
Es setzt sich ein gegen Familiengeheimnisse, für Offenheit - damit schreckliche Erlebnisse und bedrückende Ereignisse verarbeitet werden können und Raum geschaffen wird für die Zukunft, möglichst ohne belastende Ängste und Zwangsgedanken...
Gute Aufbereitung des Materials anhand beispielhafter Lebensverläufe, in denen sich viele Menschen der Kriegsenkelgeneration wiederfinden werden. Und das letzte Kapitel, dass das Buch aus der Rückschau auf den zweiten Weltkrieg in die aktuelle Zeit holt, hat nochmal richtig umpf.
Das Buch behandelt ein wichtiges, heikles und schmerzhaftes Thema. Mir ist immer wieder mal die Frage unter gekommen, wieso wir in den letzten Jahren so sehr verstärkt Menschen mit seelischen Schwierigkeiten haben, die Therapie benötigen.
Einen Grund dafür lässt sich tatsächlich in diesem Buch finden. Wer in der Generation 1955 - 1974 geboren ist, zählt zu den Kindern der Kriegskinder. Hat also Eltern die den Krieg als Kinder miterlebt haben. Dies hat in den meisten Fällen traumatische Spuren hinterlassen.
Flucht, Hungersnot, Elend, ausgebombt werden, Überlebensangst prägt sich in frühem Alter umso mehr ein und bestimmt über den Rest des Lebens. Viele Defizite ergeben sich daraus. Wer ständig Angst hatte, tut sich schwer Sicherheit zu vermitteln. Wer auf der Flucht war, Gewalt, Tod und Vergewaltigung erlebt hat oder mitansehen musste, tut sich schwer Stabilität zu schaffen.
Das sind nur ein paar der Punkte, die Anne-Ev Ustorf in ihrem ungemein wichtigen Buch aufgreift. Es ist der Versuch, sich diesem schwierigen und nicht wirklich präsentem Thema zu nähern. Die Eltern die als Kind den Krieg erlebt und erlitten haben, bringen große Defizite mit, die sie zwangsläufig an ihre Kinder weitergeben.
Wer zu dieser Generation gehört und für sich feststellt, dass es sich wiederholende Situationen des Scheiterns im Leben gibt, Beziehungen einfach nicht halten wollen, psychische Probleme sich Bahn brechen, sollte dieses Buch zu Hand nehmen.
Die Kapitel greifen verschiedene Bereiche dieser schrecklichen Zeit auf. Durch Interviews wird greifbar, was für Auswirkungen der Krieg auf die Kinder der Kriegskinder hat. Wer wie ich ebenfalls zu dieser Generation gehört, wird sich in verschiedenen Schilderungen wiederfinden.
Mich hat das Buch sehr berührt, nachdenklich gemacht und Tore für Gespräche geöffnet. Diese Gelegenheiten sollte man nicht ungenutzt verstreichen lassen.