Die Gebärmutter‹ erzählt das Schicksal der Frauen einer Familie, die während des 20. und 21. Jahrhunderts in einem Dorf in der chinesischen Provinz Hunan aufwachsen. Großmutter Qi ist in der Qing-Dynastie groß geworden. Als Mädchen hat man ihr die Füße gebunden, nun kann sie sich nur trippelnd fortbewegen. Schon in jungen Jahren verliert sie ihren Ehemann, unterdrückt fortan all ihre eigenen Bedürfnisse und wird darüber zu einer harten, kalten Frau. Ihre Tochter Wu Aixiang wird ebenfalls jung Witwe und kümmert sich allein um ihren Sohn und die fünf Töchter. Zu ihrem schweren, entbehrungsreichen Leben treten gesundheitliche Probleme, deren Ursache eine nach der Geburt ihrer letzten Tochter zwangsweise eingesetzte Spirale ist. Und auch das Leben von Wu Aixiangs Töchtern wird durch die Familienpolitik der Regierung und die Frage der Fortpflanzung bestimmt. Als die Tochter des einzigen Sohnes von Wu Aixiang – die vierte Generation der Familie – ungeplant schwanger wird, diskutiert ein Familienrat, ob sie das Kind bekommen soll.
Born in the 1970s in Hunan province, Sheng Keyi now lives in Shenyang, Guangdong province, and is usually considered one of the group of "female writers from Guangdong" that includes Wei Hui. Sheng is one of the newer generations of writers who deal primarily with modern China (as opposed to rural themes), but displays none of the immaturity or naivete that often plagues China's younger writers. She tends to begin with female characters and themes, but is a ferocious experimenter with style and voice, and her works cover a wide range of emotional and social territory.
Sheng Keyi ist für ihren kritischen Blick auf die chinesische Gesellschaft bekannt. Einige ihrer Bücher sind in China sogar verboten. Auch in ihrem Roman »Die Gebärmutter« ziehen sich Gesellschaftskonflikte wie ein roter Faden durch die Seiten – Konflikte, die am Körper der Frau ausgetragen werden.
»Dies war ein Krieg, und darin ging es um Gebärmütter.« S. 294
Der Roman erzählt das Schicksal der Frauen aus der Familie Chu im ländlichen China. Acht Schicksale, die wir über vier Generationen und zwei Jahrhunderte hinweg begleiten. Was sie alle eint: Ein fremdbestimmtes Leben. Unter der streng kontrollierten Familienpolitik Chinas besitzen Frauen nicht das Recht, ihre Familienplanung frei zu gestalten. Die Gebärmutter wird kontrolliert und damit der weibliche Körper. Keyi skizziert den Kampf der acht Frauen um weibliche Selbstbestimmung und ihren Traum von Freiheit mit brutaler Direktheit. Ihre Schilderungen machen fassungslos und wütend. Internalisierte Misogynie und das Patriarchat at it‘s best – leider.
Der Erzählstil ist sehr nüchtern gehalten, sodass eine sprachliche Distanz zu den Figuren entsteht. In der Theorie ein durchaus passendes Stilmittel – so repräsentieren diese acht porträtierten Schicksale unzählige Frauen in China und auf der Welt. Doch so sehr ich mir ein Eintauchen in diesen starken Plot gewünscht habe - ich muss leider gestehen, dass Keyi es mir nicht leicht gemacht hat. Die einzelnen Figuren und deren Vielzahl waren für mich nur schwer greifbar. Durch die Zeitsprünge hatte ich Schwierigkeiten, sie auseinanderzuhalten und musste häufig den Familienstammbaum heranziehen. Der über 400 Seiten dicke Roman forderte daher so einige Nerven. Wer sich davon nicht abschrecken lässt und Lust auf eine anspruchsvolle Lektüre hat, wird mit einem starken gesellschaftskritischen und feministischen Familienroman belohnt.
Großmutter Qi Nianci, geboren um 1900, hatte noch gebundene Füße. Ihr wurden als Kind die Fußknochen gebrochen und seitdem unter der Fußsohle festgebunden, weil chinesische Männer zu ihrer Zeit hilflose Frauen erotisch fanden. Ihre Nachkommen werden sich später fragen, wie eine Frau, die das Haus nur humpelnd am Stock verlassen kann, in ihrer Familie so große Macht ausüben konnte wie Qi. Ihr Clan lebte in Hunan auf dem Land, in einer in den 70ern noch sauberen Gegend, umgeben von Lotos- und Fischteichen.
Auf die früh verwitwete Qi folgt Tochter Chu Anyun, die in der Ehe mit dem gut aussehenden Wu Aixing fünf Töchter und einen Sohn zur Welt bringt und mit 30 Jahren bereits verwitwet ist. Großmutter Qi wird bis ins hohe Alter Familienoberhaupt sein. Ihre Nachfolge muss sich Chu Anyun erst durch ein langes, moralisch vorbildliches Leben verdienen.
Chu Yun, Chu Yue, Chu Bing, Chu Xue, Chu Yu, die Namen der Töchter sind für westliche Leser:innen leicht zu verwechseln. Da man zur Zeit der Handlung Familienmitglieder auch als Erste Tante oder Vierte Schwester ansprach, habe ich Generation und Position in der Geschwisterreihe beim Lesen meist mitgedacht. Mit der Politik der Ein-Kind-Familie während der Mao-Zeit im Hinterkopf stelle ich mir die ungewöhnliche Zahl an Geschwistern als Fluch und Segen zugleich vor.
Tochter 1, die rundliche Chu Yun, wird in den 80ern sehr jung mit Yan Zhenqing verlobt, der als ambulanter Hähne-Kastrierer über die Dörfer zieht. Tochter 2, Chu Yue, kann damit verblüffen, dass sie mit 17 mit dem Beerdigungsunternehmer verheiratet und mit ihm eine lange zufriedene Ehe führen wird. Tochter 3, Chu Bing, die nie Bäuerin werden wollte, legt eine erstaunliche Karriere als Geschäftsfrau hin. Tochter 4 wird leicht übersehen, immerhin ist 4 eine Unglückszahl, während Tochter 5, Chu Yu, 1990 ein Medizinstudium beginnt. Als ihre älteste Schwester aus Hunan nach Peking anreist, kommt das gemeinsame Thema von Mutter und Töchtern Chu auf den Tisch: der weibliche Körper, über den sie so gut wie nichts wissen. Ein Leben, das davon bestimmt wird, dass sie Kinder gebären können und sollen, von Abtreibungen und verpfuschten gynäkologischen Operationen. Chu Yun war unmittelbar nach der Geburt ihres zweiten Kinds zu einer laienhaften Sterilisation gezwungen worden, die ihr Leben bis heute überschattet; für eine neue Partnerschaft will sie nun die Operation rückgängig machen lassen. Schwangerschaft und Verhütung mit allen Risiken sind allein Sache der Frauen. Ledig oder verheiratet, Kinder oder keine, Frauen können es nur falsch machen – und ihre vernichtendsten Kritikerinnen sind andere Frauen. Deren Normen, wie eine Frau sich fortzupflanzen hat, erweisen sich als wenig verlässlich. Wenn Kinder rar sind, wird Moral zur Nebensache und eine sichtbar fruchtbare Frau zum begehrten Gut. Als Bruder Laibaos Tochter allerdings ungeplant schwanger wird, darf sie unverheiratet kein Kind zur Welt bringen, auch wenn es erwünscht und geliebt ist.
Die Handlung reicht von Ende der 70er Jahre bis circa 2015, kurz bevor die Ein-Kind-Politik in China offiziell beendet wird, und umfasst das Schicksal von vier Generationen. Der Roman konzentriert sich jedoch nicht auf Probleme sehr junger Frauen in der Provinz. Er zeigt Chinas Wandel von einer Kultur, in der die Gemeinschaft stets Vorrang vor persönlichen Wünschen hatte, zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht, in der - für die Geschwister Chu nicht vorhersehbar - Phantasie und Geschäftstüchtigkeit gefragt war. Wie sie sich mit Fleiß und Mut durchschlagen, komponiert Sheng Keyi zu einem komplexen Familienroman. Vorkenntnisse über chinesische Sitten können den Lesegenuss erheblich steigern.
Rezension zu "Die Gebärmutter" von Sheng Keyi, übersetzt von Frank Meinshausen.
Mir fällt es schwer, meine Gedanken in eine Rezension zu verfassen. Die Geschichte fand ich keinesfalls schlecht, aber es ist auch nicht besonders viel passiert. Ich habe lange auf DIESEN Moment gewartet, aber für mich kam er leider nicht.
"Eine Frau hat zu ihrer Gebärmutter ein Leben lang eine enge Verbindung, sie ist das Barometer der weiblichen Gesundheit." - S. 317.
Mir persönlich waren es zu viele Namen und trotz des Stammbaums zu Beginn des Buchs kam ich regelrecht durcheinander. Teilweise dachte ich wieder, es wären Schreibfehler vorhanden (Yu, Yun und Yue sind Namen von 3 Schwestern). Die Geschichte wurde mir auch etwas zu wirr erzählt. Oftmals haben mir Zeitangaben gefehlt. Im Laufe des Buchs wurde das für mich aber deutlich klarer, zu welcher Zeit die Geschichte nun spielt.
Mich konnte die Geschichte leider nicht vom Hocker hauen, ich fand sie aber auch überhaupt nicht schlecht. Macht euch ein eigenes Bild und lest das Buch, wenn es euch vom Klappentext anspricht.
Buchdetails: erschienen am 10.10.2023 im DuMont-Buchverlag - gelesen als Hardcover - 432 Seiten - 25,00 €
Qi Nianci ist die Matriarchin der Familie Chu, eine kleine Frau mit gebundenen Füßen und einem starken Willen, alle(s) um sie herum zusammenzuhalten. Dinge, die für sie selbstverständlich waren, wie die Rolle der Frau und die Ein-Kind-Politik, entwickeln sich in der Generation ihrer Tochter Wu Aixiang und vor allem der ihrer Enkelkinder ganz anders. Fünf Mädchen sind es und ein Junge, deren Leben sich in völlig unterschiedliche Richtungen entwickelt: mal hin zur traditionellen Familie auf dem Land, mal zum Großstadtleben ohne Kinder.
„Die Gebärmutter“ ist der neuste Roman der chinesischen Schriftstellerin Sheng Keyi. Sie verfügt international über ein sehr anerkanntes Werk, im Deutschen liegt bisher nur diese Übersetzung von Frank Meinshausen vor. Erzählt wird hier auf eine sehr komplexe Weise über mehrere Jahrzehnte hinweg. Die Handlung folgt dabei keinem strikten Ablauf, sondern springt zwischen Figuren und Zeitebenen hin und her, so als würde jemand unmittelbar die Lebensgeschichte der Familie schildern und dabei immer wieder abschweifen. Zum Glück hilft ein Familienstammbaum bei der Orientierung.
Die Handlung beginnt mit der Kastration eines Hahns – einer der späteren Ehemänner der Enkelinnen Qi Niancis tut dies beruflich – damit ist auch das grundlegende Thema das Romans gesetzt: Ehe, Fruchtbarkeit, Reproduktion. Und natürlich haben die Frauen dabei nicht allzu viel mitzureden. Ihre Körper sind fremdbestimmt. Von ihren Müttern oder Schwiegermüttern, ihren Männern oder dem Staat, der sie wahlweise zur Abtreibung oder Sterilisationen zwingt. Manche von ihnen fügen sich, finden Erfüllung in der Rolle als (Gebär-)Mutter, manche kämpfen für ein anderes, selbstbestimmtes Leben.
Es ist eine großartige, geradezu epische Familiengeschichte, die Sheng Keyi hier erzählt und mit der sie einen kritischen Blick auf die chinesische, aber durchaus auch unsere Gesellschaft wirft. Männer kommen hier, bis auf einige Ausnahmen, nicht gut weg, aber ich bin der Meinung, dass diese Geschichte genau so erzählt werden muss. Na gut, vielleicht etwas weniger verwirrend und dafür stringenter.
Hier bei uns ist sie noch gänzlich unbekannt: Die chinesische Autorin Sheng Keyi. Mit ihrem Roman „Die Gebärmutter“, der bereits 2019 im Original erschien und nun bei Dumont endlich auch auf Deutsch verlegt ist, dürfte sich das ändern. Mit diesem Werk wirft sie einen kritischen Blick auf die chinesische Gesellschaft. Beim Lesen wird klar, warum einige ihrer Bücher in China verboten sind… Sheng Keyi wurde 1982 in der Provinz Hunan geboren und zog in den Neunzigerjahren nach Peking. „Die Gebärmutter“ ist ein starkes Buch, es ist eine sehr starke Geschichte, mit denen die Autorin Tabus bricht. Im Mittelpunkt steht quasi ein weibliches Organ – „Die Gebärmutter“. Ein Satz dieses Romans bringt es für mich dann auch auf den Punkt: „Eine Frau hat zu ihrer Gebärmutter ein Leben lang eine enge Verbindung, sie ist das Barometer der weiblichen Gesundheit.“ (Seite 317). Und so dreht sich dann auch vieles – nicht alles – in diesem lesenswerten Roman um Fragen der vom Staat geregelten Fortpflanzung, um Abtreibung, um Verhütung und vielen daraus resultierenden Fragestellungen. Es braucht eine gewisse Zeit (trotz Stammbaum der Familie am Anfang des Buches) bis man sich bei den vielen ähnlich klingenden Namen zurechtfindet und sich die Konstellationen merken kann. Es ist interessant zu sehen, wie sich Fragen, Probleme und deren Lösungen von Generation zu Generation verändern. Und man erhält einen guten Einblick in die chinesische Gesellschaft, deren Konflikte, die eben häufig am Körper der Frau ausgetragen werden. Es geht aber auch um selbstbestimmtes Leben, neue Beziehungsmodelle und Lebensentwürfe und die persönliche Freiheit an sich. Es würde unserer Gesellschaft helfen, wenn möglichst viele Männer dieses Buch lesen.
Ich hab mich sehr darauf gefreut dieses Buch zu lesen. Leider hat es mich nicht wirklich überzeugt. Ich hoffte, dass es weitaus gesellschaftskritischer sein würde. Dazu kam, dass innerhalb eines Kapitels in Situationen gewechselt wurde, was manchmal nicht direkt klar war. Die Metaphorik und Schreibart war sehr gut und hat das Buch besser gemacht. Leider war es ein Buch, bei welchem ich mich sehr zum Lesen zwingen musste, was sehr schade ist. Kein “Must read” für mich.
„Großmutter Qi ist in der Qing-Dynastie groß geworden. Als Mädchen hat man ihr die Füße gebunden, nun kann sie sich nur trippelnd fortbewegen. Schon in jungen Jahren verliert sie ihren Ehemann, unterdrückt fortan all ihre eigenen Bedürfnisse und wird darüber zu einer harten, kalten Frau. Ihre Tochter Wu Aixiang wird ebenfalls jung Witwe und kümmert sich allein um ihren Sohn und die fünf Töchter. Zu ihrem schweren, entbehrungsreichen Leben treten gesundheitliche Probleme, deren Ursache eine nach der Geburt ihrer letzten Tochter zwangsweise eingesetzte Spirale ist. Und auch das Leben von Wu Aixiangs Töchtern wird durch die Familienpolitik der Regierung und die Frage der Fortpflanzung bestimmt. Als die Tochter des einzigen Sohnes von Wu Aixiang – die vierte Generation der Familie – ungeplant schwanger wird, diskutiert ein Familienrat, ob sie das Kind bekommen soll.“
Wow! Was für ein Buch, was für eine Geschichten und was für eine kranke Welt in der wir leben. Sheng Keyi beleuchtet Gesellschhaftskonflikte in China und ganz explizit das Kinder-kriegen. China hat eine strenge Politik und ändert diese je nach Entwicklung. Ein Kind zu viel und schon wird man nicht nur abgestempelt, dass wäre ja noch das einfachste, man wird gezwungen sich gegen das Kind zu entscheiden weil der Staat es so will. Dass das Wort Demokratie und das Wort Freiheit in China eine eigene Definition hat als im Rest der Welt, wird wohl allen bekannt sein. Die Autorin geht mit diesem Thema mehr als hart ins Gericht aber wie solle man es auch sonst verpacken? Wir erlesen hier eine Art Familiengeschichte, in denen die Männer leider nicht mehr als Schutzschirm herhalten. Selbst wenn, hätten diese aber auch keinen Einfluss auf die Entwicklung der Politik aber es wäre eine Art Lastenverteilung in der Familie an sich dadurch möglich gewesen. So müssen hier die Frauen mit all den Themen allein klarkommen. Als Oberhaupt lernen wir Qi kennen. Eine kalte und empathielose Person im hohen Alter. Nur kommt niemand so auf die Welt! Diese Gefühlskälte hat einen Ursprung und den dürfen wir erlesen. Es scheint fast völlig frei unserer Vorstellungskraft was Qi alles angetan wurde. Stellt sich schnell die Frage ob sich ihr Verhalten irgendwie auf ihre Schwiegertochter projiziert hat. Das müssen Sie aber dann doch selbst erlesen! Dennoch kann ich sagen, die Zeit in der Wu Aixiang Chu lebt, ist bereits wieder anders geprägt als die ihrer Schwiegermutter! Wu Aixiang hat ihren Seelenrucksack zu tragen und sie trägt schwer daran. Denn ihre Kinder bedeuten ihr alles! Dennoch ist der Staat aus keiner Lebenssituation wegzudenken, selbst im Bett nicht. Und dann passiert das, was keiner wohl gewollt hat, ihre Enkelin wird unverhofft schwanger. Wie damit umgehen? Wie wird der Staat reagieren? Ist diese Obrigkeitshörigkeit richtig oder falsch? Wer hat die Macht über ein ungeborenes Leben zu entscheiden? Wer hat die Macht über den eigenen Körper zu entscheiden? Viele viele Fragen tauchen hier auf und die Autorin bringt alles wirklich gekonnt in dieser wahrlich emotional intensiven Geschichte unverfälscht aufs Tablett. Einerseits werden Frauen als Gebärmaschinen, als Gebärmutter im wahrsten Sinne, angesehen aber bitte nur so viele Kinder wie der Staat es will! Von Selbstbestimmung ist hier für keine Partei Platz und Raum. Diese Zustände sind wahrlich erdrückend und es tut bereits beim lesen schon weh aber wir dürfen vor solchen Gräueltaten nicht die Augen verschließen! Der Autorin ist hiermit ein wirklich mehr als bemerkenswertes Buch gelungen, in dem sie den Frauen eine besondere Stimme gibt. Diese ist stets ruhig und unparteiisch. Sie benutzt einen ruhigen Ton um diese Geschichte zu erzählen und gibt dem Leser somit genügend Raum für eigene Gedankengänge (die auch unweigerlich kommen!).
Nach der letzten Volkszählung beschloss im Mai 2021 die Kommunistische Partei, dass es aktuell den verheirateten Paaren gestattet sei bis zu drei Kinder zu bekommen - nun denken Sie sich ihren Teil bei diesen Worten. Achten Sie auf „verheiratet“ und „gestattet“ ganz besonders. Es sei für die Zukunft erlaubt, hieß es in dem damaligen Bericht der Partei. Auch hier quält das Wort „gestattet“ mehr als eindringlich bis ins Mark. Wir lesen hier also keine fiktive Geschichte sondern pure Realität. Wenn Sie mich fragen, ist das eine völlig andere und absurde Welt und Sheng Keyi hat hier größten Mut bewiesen dieses Buch zu schreiben! 5 Sterne für dieses Werk!
»Die eine Seite, die eine Gebärmutter in sich trug, musste die gesamte moralische, reproduktive und schmerzhafte Verantwortung übernehmen. Männer und Frauen kamen gleichzeitig in den Genuss der Sinnesfreuden, aber nur aufgrund der Gebärmutter befanden sich die Männer danach auf freiem Fuß, während die Frauen in einem Netz gefangen waren.«
Ein kleiner Ort in der chinesischen Provinz Hunan, irgendwie aus der Zeit gefallen, irgendwie stehen geblieben. Im 20. und 21. Jahrhundert begleiten wir die Frauen einer Familie durch vier Generationen hinweg auf ihrem Lebensweg. Da wäre Qi Nianci, aufgewachsen unter der Qing-Dynastie wurden ihr der chinesischen Tradition folgend als Mädchen die Füße abgebunden, weswegen sie kaum laufen kann. Qi, die nach dem frühen Tod ihres Ehemannes zur Matriarchin werden und für das Überleben ihres Sohnes und dessen Familie kämpfen musste. Eine Frau, die jedes eigene Bedürfnis, jede Regung abgetötet hat und über die Jahre zu einer kalten, harten Frau wurde. Da wäre Wu Aixing, ebenfalls jung verwitwet, die unter den alles sehenden, immer kalten Augen ihrer Schwiegermutter ihren Sohn und ihre fünf Töchter groß ziehen muss. Dabei immer kämpfend mit den eigenen Bedürfnissen und körperlichen Problemen, ausgelöst durch die Spirale, die ihr nach der Geburt ihres jüngsten Kindes zwangsweise eingesetzt wurde und inzwischen verwachsen ist mit ihrem Fleisch. Wu Aixings Töchter Chu Yun, Chu Yue, Chu Bing, Chu Xue und Chue Yu werden zwischen der Jahrtausendwende groß. Kennen das unbeugsame, durch Verzicht und harte körperliche Arbeit geprägte bäuerliche Leben in der chinesischen Provinz ebenso wie Fortschritt, Technik und Großstädte. Manche von ihnen sind geblieben, manche gegangen. Manche gehen den Weg der Frauen vergangener Generationen, andere beschreiten neue Wege mit nie gekannten Möglichkeiten. Manche werden schwanger, andere nicht. Manche werden Mütter, andere nicht. Manche wollen Mutter sein und können nicht, andere könnten Mutter sein und wollen nicht. Manche führen glückliche Ehen, manche finden sich ab. Denn auch im 21. Jahrhundert ist das Leben der Frauen geprägt von diesem einen Körperteil, der, unsichtbar unter der Haut, doch alles bestimmt: die Gebärmutter. Die Frage der Fortpflanzung bestimmt ihre Leben, egal in welcher Generation. Als Chu Xiu, die einzige Tochter von Chu Laibao, Wu Aixings einzigem Sohn, schwanger wird, kommt schließlich der Familienrat zusammen, um zu entscheiden, ob dieses Kind geboren werden soll.
»Dies war ein Krieg der Gebärmütter.«
Ich denke, kein Satz könnte dieses Buch besser beschreiben. Denn zwischen den Zeilen, zwischen den leisen Erzählungen der Frauen und auch der Männer der Familie, tobt ein Krieg. Frauen, reduziert auf ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung, begehren auf oder unterwerfen sich unter die gesellschaftlich aufgezwungene Rollenerwartung, die mit dem Frausein einhergeht. Begehren auf oder unterwerfen sich unter die Familienpolitik Chinas, in der die Einstellung zu Abtreibungen eine ganz andere ist als hier. Denn Abtreibungen gehören dort zur Tagesordnung, sind vielleicht sogar normaler als Geburten. Denn Geburten, der zeitliche Abstand dazwischen, der Körper einer Frau ist streng reguliert und politischem Denken unterworfen. Und doch, so irrsinnig und widerlich es ist, in einer Welt, in der sich aufgrund ihrer Geschlechtsorgane alles um Frauen dreht, geht es doch nur darum, männliche Nachkommen zu zeugen. Dieses Buch zu lesen war stellenweise nicht leicht. Das lag zum einen daran, dass ich mit den doch sehr ähnlich klingenden und aussehenden Namen der Töchter und den Zeitsprüngen zwischen Personen und Generationen mehr als einmal durcheinander kam. Zum anderen lag es daran, dass mir die beschriebenen Geschehnisse teilweise einfach nahe gingen. Oft musste ich mich daran erinnern, dass das, was ich gerade lese, heute spielt; es wirkte so fern und rückständig in seiner Misogynie. Ohne all zu sehr in die Tiefe zu gehen zeichnet »Die Gebärmutter« ein starkes, bedrückendes Bild eines langanhaltenden, andauernden Gesellschaftskonfliktes, ausgetragen auf den Körpern von Frauen. Leise, manchmal nur andeutend, erfahren wir von kleinen Ausbrüchen, vom Versuch einer Selbstbestimmung, die viel zu oft in auferlegten Grenzen kleine Spielräume findet, vom leisen weiblichen Begehren, von Lust und Weiblichkeit, von Unterdrückung, gesellschaftlichen Zwängen und einem Druck, dem man sich egal ob Land oder Stadt, heute oder gestern, gebildet oder nicht, nicht entziehen kann. Ein teilweise schwierig zu lesendes, manchmal verwirrendes, aber wichtiges und eindrückliches Buch über das Leben als Frau in China.
»Du musst wissen, die Menschen sind jetzt zwar scheinbar aufgeschlossen, aber ihr tief verwurzelter Hass gegenüber Frauen, die aus dem Gleis geraten, ist [...] gar nicht weit entfernt.«
Eine Familiengeschichte getrieben durch Traditionen und Politik
**** Worum geht es? **** In der Familie Chu dreht sich alles um die Gebärmutter. Die Geschichte spielt im 20. und 21. Jahrhundert, die Politik restriktiert die Anzahl an Kinder pro Ehe. Als Folge werden medizinische Eingriffe getätigt um diese zu bewahren. Die Familie Chu leidet unter diesen und verbittert zunehmend. Als sich Möglichkeiten auftun und der Gedanke einer Liebesheirat auch in der Provinz der Familie einzieht, bekommen die Chu Frauen eine neue Chance im Leben, einem Leben das eventuell nicht mehr von der Gebärmutter diktiert wird.
**** Mein Eindruck **** Die Jahreszahlen zu Beginn der Geschichte waren selbst mit Hintergrundwissen zu dem ganzen Thema äußerst schockierend. Ich bin somit mit großes Interesse in das Buch gestartet. Der Schreibstil ist flüssig und der Thematik angemessen. Die dörfische chinesische Atmosphäre stetig präsent. Die unterschiedlichen Chu Generationen spürte ich durchweg und die Folgen der Politik für die Gebärdung von Kindern ebenso. Dennoch wurde das Buch nie direkt politisch, die Familie lebte schlichtweg mit den Gesetzen. Auch Themen wie das Füße abbinden bestimmen bis zu einem bestimmten Punkt das Leben der Chu Frauen. Alte Praktiken und Traditionen bestimmen ihr Leben bis ins 21. Jahrhundert und das einem da auch mal der Mund offen stehen bleibt ist wohl mehr als verständlich. Dennoch verlor mich das Buch zunehmend. Jemanden lieben lernen und Kinder kriegen wurde immer präsenter und fühlte sich auch äußerst konstruiert an. Als müsste der Titel unbedingt bis zur letzten Seite „ausgemolken“ werden. Auch mit den Personen konnte ich mich nicht identifizieren, ich bekam schlichtweg aufgrund der Namensähnlichkeit (realitätsgetreu) nichts miteinander verbunden. Ich musste pro Seite zig mal auf den Stammbaum schauen und habe dies irgendwann aufgegeben. Für jemanden mit Problemen mit Namen ist das hier nichts.
**** Empfehlung? **** Eine Erzählung mit faszinierenden Momenten. Namensähnlichkeiten und der Fokus auf ein und dasselbe, wieder und wieder, können für den ein oder anderen Leser ein Problem sein. Ich rate dazu die ersten 3 Kapitel zu lesen. Wer da noch voll dabei ist wird das Buch genießen können.
„Die Gebärmutter“ von Sheng Keyi zusammenzufassen, ist gar nicht so leicht. Im Zentrum des Romans steht eine Familie. Großmutter Qi Nianci hat noch traditionell die Füße gebunden bekommen und ist das Oberhaupt der Familie, wozu Schwiegertochter Chu Anyun und ihren fünf Töchtern und ihr Sohn gehören. Anhand dieser Frauen entfaltet sich ein komplexes Bild über die Rolle der Frau in China und welchen Wandel es innerhalb der Generationen durchlaufen hat. Fast alle haben geheiratet, glückliche und weniger glückliche Ehen geführt. Sie haben studiert und Geschäfte aufgebaut, den Haushalt geführt und natürlich Kinder bekommen, was fast immer von der Regierung reglementiert wurde. Sie sind alle unterschiedlich und kämpfen doch mit ähnlichen Problemen. Genauso schwer wie den Inhalt von „Die Gebärmutter“ zusammenzufassen, ist es, das Buch zu bewerten. Ich fand es einerseits sehr interessant; diesen fokussierten Blick auf die Frau, gerade im ländlichen China, was ich so noch nicht gelesen habe. Allein die Anzahl und Komplexität der verschiedenen Lebensentwürfe ist beeindruckend. Andererseits war es verwirrend, weil die Namen der Figuren sich ähneln und für mich schwer auseinanderzuhalten waren. Auch die vielen nicht gleich erkennbaren Perspektivwechsel haben mich manchmal orientierungslos gemacht. Hinzu kommt, dass es stellenweise etwas langatmig ist und manches mehrfach erzählt wird. Sprachlich war es grandios, die Metaphern waren messerscharf und gleichzeitig poetisch. Allerdings muss man am Ball bleiben, die durchaus schmerzhaften Themen ertragen und auch so manche Durststrecke. Wahrscheinlich ist es kein Buch für Jeden, trotzdem hat es mir gefallen und ich hoffe, dass noch weitere Bücher von Sheng Keyi übersetzt werden. Sie hat mir mal wieder verdeutlicht, dass ich öfter zu japanischen Autorinnen greifen sollte. Nur eine Frage bleibt: wieso musste ein Mann es übersetzen, auch wenn er einen guten Job gemacht hat?
Ein spannendes und wichtiges Thema. Das Buch ist anspruchsvoll zu lesen. Die Vielzahl an Charakteren hat mir das Lesen ebenso erschwert wie die Zeitspünge, phasenweise musste ich mich sehr anstrengen, folgen zu können. Das Buch bietet dadurch aber auch vielfältige Einblicke und Perspektiven.