Laura Lichtblaus namenlose Icherzählerin entschließt sich spontan zur Überfahrt auf die fiktive dänische Insel Lykke. Ihr Text richtet sich an eine ferne Geliebte, von Beruf Küstengeologin, die die Erzählerin offenbar versetzt hat. „Ich beschreibe dir alles. … Du beschreibst mir alles.“
Zur Hagebuttenzeit am Saisonende wirkt die Insel eigenartig farblos. Nicht näher beschrieben wird eine alternative Gruppe/Kommune/Sekte. Kaum zu übersehen sind Bunkerreste aus dem Zweiten Weltkrieg, die vermutlich Touristenattraktion der Insel sind. Ein ehemaliges Klinikgebäude konfrontiert die Besucherin schließlich mit ihrem Recherchethema, dem sie offenbar mit dem Ausflug aus dem Weg gehen wollte. Ihr Urgroßvater war während des Nationalsozialismus als Orthopäde beruflich mit Karl Brandt verknüpft, über den es umfangreiches Archivmaterial gibt, und hat selbst ein Buch veröffentlicht. Die Klinik auf der Insel diente der Zwangssterilisierung Körperbehinderter; dazu finden die Besucherinnen Beweismittel. Gestört hat mich hier der vereinfachte Begriff Sterilisationsklinik in der ersten Hälfte des Romans, der die Geschehnisse m. A. verharmlost.
„Sund“ ist in eigenartiger Sprache verfasst, u. a. in Möglichkeitsform (Die Insel, auf die ich vielleicht führe …). Stilmittel sind Paarungen aus Ich/Sie, die Alte/die Neue (Frau?), Draußen (Bunker)/Drinnen (Archivrecherche), Fakten/Fantasie. Der Sinn der Recherche nach der NS-Vergangenheit des Urgroßvaters bleibt für mich offen; die stilistischen Volten empfinde ich für den extrem kurzen Text übertrieben.
Der Anfang des Romans war für mich sehr verwirrend. Ich konnte nicht entscheiden, was Traum,was Realität war. Lar war, dass die Hauptperson lesbisch war. Erst im3.Teil, der Biographie des Urgroßvaters, entwirft sich alles. Diesen Teil fand ich sehr gut. Ich habe viel über Schuld, Täter und Verdrängung erfahren und über Lasten, die über Generationen reichen
»Die Luft draußen ist weich. Auf einmal rennen wir, bis an den Strand! Unter dem graublauen Himmel liegt ein orangefarbener Streifen, es ist das allerletzte Licht des Tages. Die Dünen sind dunkelgrau, die Sträucher und der Meerkohl ragen schwarz auf. Aus dem Sand strömt es kühl, und ich rieche das Strandgras, als hätte es einen Geruch.« Vielen Dank für das Leseexemplar und die angenehme Abendveranstaltung am mediacampus im Frühjahr an C. H. Beck!