Katharina Winkler stellt sich in diesem unter die Haut gehenden Roman mit den Mitteln der Literatur gegen die Gewalt und schildert das zu einer Erzählung verdichtete Erlebnis eines Missbrauchs und das lange beschädigte Leben danach. So wie das Mädchen, aus dessen Innenperspektive Katharina Winkler erzählt, ihrem Vater ausgeliefert ist, liefert die Autorin uns der Geschichte aus, die von der Kinderstube aus auf alle weiteren Aspekte eines Lebens übergreift – denn weder eine neue Stadt, neue Freunde noch eine Liebesbeziehung bringen Linderung für ein traumatisches Geschehen, das sich dem Körper, Denken und der Wahrnehmung eingeschrieben hat und oft aus Scham verborgen bleibt. Siebenmeilenherz erzählt von einer Tat, die tagtäglich tausendfach in den Familien unserer Gesellschaft begangen wird, und rüttelt damit am Tabu, darüber zu sprechen.
Wie schon in ihrem Debütroman Blauschmuck geht es Katharina Winkler auch in Siebenmeilenherz darum, das Schweigen zu brechen, mit dem Gewalterfahrungen von Frauen in Familien und in der Liebe belegt sind. Aus tiefer Überzeugung, dass Literatur Empathie ermöglichen und Veränderungen auslösen kann, findet die preisgekrönte Autorin eine beeindruckende Sprache, einen adäquaten ästhetischen Ausdruck für das, worüber keiner spricht.
Alles liegen und stehen gelassen, die ersten Sätze gelesen und nichts anderes ist noch von Bedeutung, weiterlesen, kein Vergnügen, aber es geht nicht anders, weiter immer weiter, ein hypnotischer Sog zieht mich voll rein, hier ist nichts zu lachen, nicht einmal zu weinen, gefühlt wird hier nur noch völlig diffus, es gibt nur handeln und denken und Gedanken vertreiben, Geschehnisse verschlüsseln, und nach rasanten 2,5 Stunden bin ich beim letzten Satz angelangt, fertig in doppeltem Sinne.
Literarisch/sprachlich/rhythmisch ist dieser Roman absolut radikal, teils in Kinderversen geschrieben und auch optisch wie ein Langgedicht gedruckt, schwärzeste Poesie. In jedem Fall so eindringlich wie ich es noch selten gelesen habe.
Erzählt wird die Geschichte von einem namenlosen Mädchen, später als Jugendliche, als Studentin und als erwachsene Frau. Anfangs ist es eine toxische Familienaufstellung, ein dunkelschwarzes Drama-Dreieck.
Der missbrauchende Vater: „Ich öffne die Augen. Papa sitzt auf meinem Bett und hat ein Glas Marmelade in der Hand. Willst du? Ich habe schon Zähne geputzt. Wir sagen es niemandem. Er öffnet das Marmeladenglas und seine Hose.“
die missbrauchte Tochter: „Wenn ich Mama erzähle, wie lieb Papa mich hat, wird Mama auf der Stelle sterben. Ihr Herz wird aufhören zu schlagen.“
und die untätige Mutter: „Mama steht im Türrahmen. Die Falten ihres Rocks sind gefroren. Mama ist Eis und Schnee.“
Später als Erwachsene probiert sie sich promiskuitiv aus, auf der Suche nach irgendeiner Art von Gefühl: „Irgendwann beschließe ich, zumindest fürs Frühstück zu bleiben. Ich erhebe mich vom fremden Tisch und verlasse den fremden Mann. In fast allen Vierteln der Stadt hab ich gefrühstückt. Ich weiß, von wo mich welche Bahn zurückbringt. Fahrplan und Stadtplan im Kopf. Ich bekomme Einblicke in fremde Wohnungen wie ein Stromableser.“
Sie verliebt sich: „Nachtfaltergeflatter. Sehnsucht nach dem Prinzen. Wie die heiße Stadt im Sommer sich nachts nach dem Gewitter sehnt.“
Im letzten Abschnitt spitzt sich alles auf den dramatischen Höhepunkt zu.
Mir fehlen die Worte, es ist so niederschmetternd, zumal das Beschriebene permanent irgendwo passiert. Und eigentlich wollen wir mit so entsetzlichen Dingen nichts zu tun haben, hier ist das Wegschauen nicht möglich und mein Kopf sagt mir das ist gut so.
Gleichzeitig ist es sprachlich so überzeugend verknappt, dass es bisweilen fast märchenhaft schön und lyrisch wirkt. Das löst eine ungeheure Diskrepanz aus, die fast schon körperlich schmerzt.
Ich muss das erstmal verdauen, aber eines ist klar, es ist ganz außergewöhnliche Literatur, sprachlich ganz groß, inhaltlich peinigend, insgesamt ein wichtiges Buch.
In einem Radio Feature wurde darüber berichtet, dass der Verlag von Winklers Debutroman Blauschmuck (Suhrkamp) den neuen Roman angeblich deshalb abgelehnt habe, weil man so nicht über das Thema Kindesmissbrauch schreiben könne. Irgendwie kann ich das ein Stück weit verstehen, aber ich frage mich, wie denn dann darüber geschrieben werden darf? Die Tabuisierung bildet doch lediglich einen Schutzraum für alle Täter. Der Matthes & Seitz Verlag war zum Glück anderer Meinung.
Kindesmissbrauch in großartiger lyrischer Verpackung.
Ohne Schnörkel und unmissverständlich wird von Katharina Winkler dieses schwierige Thema aufgegriffen. Unerbittlich und temporeich schildert sie den sexuellen Missbrauch des Vaters an der Tochter. Und nur diese wunderschöne und ästhetisch-poetische Schreibweise macht es möglich, dieses Buch überhaupt auszuhalten.
In Papas Augen bin ich schön. An Papas Brust bin ich Prinzessin. In Papas Arm bin ich ein Stern. Papas Liebe kennt keine Grenzen.
Eine unbedingte Leseempfehlung! Detaillierte Rezension folgt.
Eines der Bücher, das mich begeistern kann, weil es unglaublich stimmig ist in Inhalt und Stil. Wie Katharina Winkler hier das Unheimliche des väterlichen Missbrauchs an der Tochter aus dem unschuldigen Kinderton, Kinderreimton herauswachsen lässt, wie der Text mich ab der ersten Zeile in seinen Bann zieht und bis zuletzt schmerzend nicht mehr loslässt zeugt von unglaublicher dichterischer Kraft. Und das Erlkönigende ist die Krönung des Textes. Hab ich da bereits den Siegertext des heutigen (2024) österreichischen Buchpreises gelesen? Katharina hat mich schon mit ihrem Vorgängerromam „Blauschmuck“ begeistert. Ich bin gespannt, was von der Autorin noch folgt.
Eins vorweg, dieses Buch ist bestimmt nicht für jeden etwas, denn es ist alles andere als eine leichte, mal-eben-so Lektüre. Siebenmeilenherz wird aus der Sicht eines Mädchens erzählt, das jahrelang von ihrem Vater se3uell missbraucht wird. Das Mädchen wird älter, wird eine junge Erwachsene und dann eine Frau, doch der Missbrauch klebt immer noch an ihr, ein Schatten, den sie nie mehr loswird.
Es ist eine ergreifende Geschichte, schon auf den ersten Seiten wird man sehr betroffen von diesem Schicksal. Erzählt wird in Form eines Langgedichts, die Protagonistin nutzt Kinderreime, gerade zu Anfang, um sich ihre „schiefe“ Welt zu erklären. Diese unschuldige Kindersicht ist das, was mich emotional sehr mitgenommen hat. Es blutet einem das Herz und es dreht sich der Magen um, dass es auf dieser Welt Kinder gibt, die solche traumatischen Ereignisse erleben müssen.
Auf das Buch aufmerksam geworden bin ich, weil Katharina Winkler und „Siebenmeilenherz“ für den Österreichischen Buchpreis nominiert sind und ich drücke fest die Daumen! Die Autorin zeigt ihr eigenes Siebenmeilenherz, indem sie etwas so Schreckliches auf eine so poetische Art und Weise aufgreift und auf sexuellen Missbrauch aufmerksam macht.
TW Sexueller Missbrauch Ein schmerzhaftes Buch, das einen richtig fesselt, konnte es kaum weglegen. Keine leichte Lektüre, definitiv keine happy peppy-Urlaubslektüre, darüber sollte man sich im Klaren sein. Wahnsinnig toll geschrieben.
“Je tiefer ich in die Erinnerung hinabsteige, desto unwegsamer wird sie. Ich suche Stücke, belastbare Stücke. Stücke, die ich bin.” Siebenmeilenherz ist in Form eines Langgedichts geschrieben. Poetisch, kindlich, düster, manchmal schwer zu ertragen. Die Ich-Erzählerin erzählt von ihrer Kindheit mit ihrem Papa und wie das, was geschehen ist, sie noch als Studentin und erwachsene Frau beeinflusst und prägt. Es geht um Kindesmissbrauch - man hat hier also keine einfache Lektüre vor sich liegen. Es fehlen einem die Worte, wird man doch nachdenklich gestimmt, dass das, was so lyrisch erzählt wird, da draußen wirklich passiert. Ein Roman, den man zwar schnell gelesen hat, aber für den man einige Zeit braucht, um ihn auch wirklich zu verdauen.
Ein Buch, das einen nicht mehr loslässt. Der Inhalt wird durch die märchenhafte Erzählung umrahmt, Fakten und Fiktion verschwimmen ineinander wie die Wahrnehmung der Protagonistin. Der Roman ist zwar belastend und nichts für schwache Nerven, weil er direkt und unverblümt in die Thematik einsteigt, aber dennoch sehr empfehlenswert für jede*n.
Wow, einfach nur wow. Dieses Buch hat mich schockiert wie schon lange keines mehr! Ganz wichtig: Dieses Buch erzählt vom Missbrauch eines kleinen Mädchens. Daher ist es so ziemlich unmöglich, dieses Thema in meiner Rezension auszusparen. Solltet ihr euch also nicht mit diesem Thema beschäftigen können, solltet ihr die Rezension jetzt wegklicken.
Wie ihr nach dem Klappentext und diesem ersten Absatz schon erahnen könnt: Hier erzählt ein kleines Mädchen von der Liebe zu ihrem Vater und seiner zu ihr. Er liebt sie sogar so sehr, dass das Herz ihrer Mutter einfach stehen bleiben würde, wenn sie wüsste, wie sehr er sie liebt - zumindest erzählt er ihr das. Und das Mädchen glaubt das, denn du zu Beginn der Handlung ist sie sicher nicht älter als sechs Jahre, wahrscheinlich sogar jünger. In Lyrikform erzählt sie vom Missbrauch durch ihren Vater. Die verwendete Sprache ist vor allem zu Beginn sehr kindlich, was das Beschriebene noch schockierender macht. Es ist zur Rede von der "Mäusehöhle" des Mädchens, vom "Horn" und vom "Wundersaft" des Vaters. Der Missbrauch wird auf der Seite geschildert und dadurch ist der Text sehr nahe an der Schmerzensgrenze. Wie gesagt: Wer davon getriggert werden könnte, sollte sich vom Text fernhalten. Der Rest muss dieses Buch lesen, auch wenn es unangenehm ist und schmerzt. Setzt euch diesem Schmerz aus, denn das ist so ein unglaublich wichtiges Thema!
Wir verfolgen hier das Mädchen auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben und auch die langfristigen Probleme durch den Missbrauch werden sichtbar. Das Mädchen, das namenlos bleibt, bekommt schlechte Noten, leidet unter Gedächtnislücken, hat Ängste und Probleme, anderen zu vertrauen.
Mein Fazit? Das hier ist eines der stärksten Bücher, die ich 2024 lesen durfte. Am liebsten würde ich euch alle dazu zwingen, dieses Buch zu lesen.