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Nochmal von vorne

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Was hält eine Familie zusammen, in der es nur Fliehkräfte zu geben scheint und alles darauf hinausläuft, dass etwas zu Bruch geht? Am Ende nur die eigene Geschichte. Dana von Suffrin hat einen virtuosen Roman über modernes jüdisches Leben zwischen München und Tel Aviv geschrieben.

Der Tod ihres Vaters und die Auflösung seiner Wohnung bringt für Rosa vieles in Bewegung, bei dem sie eigentlich froh war, dass es geruht hatte. Denn die Geschichte der Familie Jeruscher ist ein einziges Durcheinander aus Streitereien, versuchten oder gelungenen Fluchten, aus Sehnsüchten und enttäuschten Hoffnungen und dem vergeblichen Wunsch, irgendwo heimisch zu werden. Nun ist alles wieder da: die Erinnerungen an ihre irrwitzige Kindheit in den 90ern, an das Scheitern der Ehe der Eltern und die Verwandtschaft in Israel, aber auch ihre verschwundene ältere Schwester, mit der sie aus gutem Grund gebrochen hatte.

Kraftvoll und mit großartigem schwarzen Humor erzählt Dana von Suffrin von einer deutsch-jüdischen Familie, in der ein ganzes Jahrhundert voller Gewalt und Vertreibung nachwirkt – und von zwei Schwestern, die sich entzweien und wieder versöhnen, weil es etwas gibt, das nur sie aneinander verstehen.

240 pages, Hardcover

Published March 7, 2024

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Dana von Suffrin

7 books6 followers

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5 stars
45 (12%)
4 stars
127 (34%)
3 stars
153 (41%)
2 stars
44 (11%)
1 star
2 (<1%)
Displaying 1 - 30 of 49 reviews
Profile Image for Alexander Carmele.
475 reviews430 followers
September 3, 2024
Bewegendes, subjektiviertes Zeit- und Geschichtsbild einer Nachgeborenen (Deutscher Buchpreis-Longlist)

Inhalt: 4/5 Sterne (erlebte Familientragik)
Form: 4/5 Sterne (lange, wohlgeschmiedete Sätze)
Erzählstimme: 5/5 Sterne (reflektierte Ich-Position)
Komposition: 5/5 Sterne (ineinandergreifendes Erinnern)
Leseerlebnis: 5/5 Sterne (bewegendes Zeit- und Geschichtsbild)

Suffrin erzählt in Nochmal von vorne die Geschichte ihrer Familie väterlicherseits, eines Israelis namens Mordechai, der in den 1980ern eines Nachkriegsdeutschland umsiedelt, um in Chemie zu promovieren, Veronika kennenlernt, die ebenfalls promovieren will, sich verliebt und zwei Töchter bekommt, Nadja und Rosa. Die Verschlungenheit der Familiengeschichte erinnert an Tomer Dotan-Dreyfus‘ Birobidschan , hier aber konsequent aus einer Ich-Erzählung und Ich-Bezogenheit verdichtet, die Dotan-Dreyfus in seinem Roman gerade fehlt. Sie erinnert aber auch an Yasmina Reza Serge nur ohne die etwas aufgesetzte Komik. Rosa, Suffrins Ich-Erzählerin, reflektiert sich durchweg selbst:

[…] so saßen wir nebeneinander, ich keuchend, sie lachend, und Nadja ging mein Gehuste bald so auf die Nerven, dass sie MTV lauter stellte, und zwischen meinen Anfällen betrachtete ich das Soundgarden - Video, in dem Barbiepuppen gegrillt werden und das aus irgendeinem Grund fast den ganzen Tag lief. Obwohl mir, wie gesagt, die meiste Zeit übel war, waren die Abende, an denen wir fernsahen, Süßigkeiten aßen, heimlich rauchten und dann eine halbe Stunde lang lüfteten und eine halbe Flasche chemischen Lufterfrischer versprühten, sobald wir die Rückkehr unseres Vaters aus seinem Labor erwarteten, vielleicht die schönsten meiner Jugend.

Die sehr Ich-bezogene Erzählweise bricht sich objektiv an den historischen Einbrüche, die Erinnerungen und Rekonstruktion dessen, was Rosa von ihren Vorfahren, Großeltern und Verwandten zu wissen meint. Sie weiß nicht viel, aber was sie weiß, wird mit Verve, mit ausholenden Gesten, mit der ganzen subjektiven Verzweiflung berichtet, die ein Individuum befällt, das verstehen möchte, aber nicht verstehen kann:

Als unser [Hund] Dovid starb, an Geschwüren, an Verfettung oder an Überdruss, legte mein Vater ihn auf den Esstisch (auf den gleichen, an dem wir jetzt im Traum sitzen und spielen), dann sah er ihn lange an, und dann begann er zu schluchzen, vergrub sein hageres Gesicht in den knochigen Händen und setzte sich. Er machte den Eindruck, als wolle er den Hund sofort sezieren, aber er hob nur in einer kurzen Geste eines der kleinen schwarzen Ohren an, um es dann sofort wieder fallen zu lassen, und dieses Fallen gefiel mir, auch wenn das Ohr nur ein paar Millimeter nach unten fiel, entdeckte ich in diesem Ereignis einen ewigen Sturz, ein Verderbnis, ein Unglück, das weiß ich noch ganz genau.

Suffrins Erzählweise touchiert Kitsch hier und da, überschreitet aber nie die Grenze des Glaubwürdigen. Ihre Rosa erlebt die Welt gesättigt, voller Emotion, Zorn, Enttäuschung, erfüllt von einer unsäglichen Hoffnung, die sie antreibt, Satz an Satz, atemlos aneinanderzureihen, als gäbe es eine Welt zu retten. Diese Verve und Intensität gibt ihr den Gehalt eines Zeitzeugen, überschreitet das autofiktionale Genre und erreicht Höhen und Szenenverdichtungen, die über die Authentizitätsversuche einer Annie Ernaux hinausgehen. Suffrins Erzählweise schöpft aus dem Übervollen:

An dieser Stelle löst mein Traum sich auf wie ein Sardinenschwarm, der sich plötzlich zerstreut, weil ein Raubfisch durch die Gewässer prescht.

Die erzählerische Welt ist weit und groß, und klein, aber voller Abenteuerlust stellt sich die Erzählerin und lässt die Lebensgeschichten Revue passieren. Auf diese Weise verknüpft sie die volle, selbstbewusste Erzählhaltung einer Slata Roschal aus Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten , in welchem es aber einfach an Inhalt und Substanz des Erzählten, nicht der Erzählweise mangelt, mit der ergreifenden Verbindlichkeit eines Wolf Haas aus Eigentum , in welchem die Mutter, nicht der Vater stirbt, das aber also privatim und kurz ausfällt. In den unruhigen Gewässern modernen Erzählens hat Dana von Suffrin in Nochmal von vorne ein seltenes, scheherazadisches Gleichgewicht gefunden.

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Details – ab hier Spoilergefahr (zur Erinnerung für mich):
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Inhalt: Historische Rahmung, Aufteilung der rumänischen Gebiete 1940, Großvater der Ich-Erzählerin aus Nordsiebenbürgen, nun Ungarn, Großeltern Zsazsa und Tibor. Sprung in die Gegenwart. Rosa, die Ich-Erzählerin, erhält Nachricht vom Tode ihres Vaters, während sie in der Münchener Uni, in einem Großraumbüro sitzt. Sie versucht ihre notorisch unzuverlässige Schwester anzurufen, Najda Jeruscher. Es wird nun die Lebensgeschichte von Rosa und Nadja, und ihren Eltern Veronika und Mordechai, sowie die von seinen Großeltern, besagte Zsazsa und Tibor, und seinem Bruder Arie erzählt. Erzählgegenwart: Rosa fährt zum Krankenhaus, um alle Formalitäten durchzuführen; fährt zum Apartment; organisiert dort, nachdem sie nach verstecktem Geld sucht, die Wohnungsräumung durch einen gewissen Ründiger; fährt dann zu ihrer Schwester in ein Vorort namens Schäftlarn, die bei einer Medienprofessorin Nathalie, nach einer mehr oder weniger gescheiterten Künstlerkarriere als Hausfrau lebt. Die einzelnen Geschichten der Figuren: Tibor, der Großvater stirbt früh. Mordi und Arie gehen zum Militär; Mordi geht nach seinem Militärdienst in Israel seinen Doktor in Deutschland machen, was die Mutter Zsazsa frühzeitig in ein Altersheim bringt, da Arie zu eigensinnig als Lebenskünstler lebt und keine Verantwortung übernehmen will. In Deutschland lernt Mordi Veronika kennen, die ebenfalls in Soziologie promovieren wollte. Sie wird schwanger. Sie bekommen Nadja und Rosa, verbringen ein mehr oder weniger unglückliches Leben, in welchem Veronika stets von mehr als ihrem Hausfrauendasein träumt. Als Arie die Familie besucht, verunglückt er Fürstenfeldbrück. Am Ende lässt sich Veronika scheiden, krempelt ihr Leben um, wird Trophy-Wife eines Möchtegern-Gurus, Achim, und ertrinkt, verschwindet bei einem Thailandurlaub im Meer. Mordi bekommt Krebs, von seiner ältesten Tochter Nadja alleingelassen, isoliert, stirbt. Nadja, unglücklich, unternimmt einen Selbstmordversuch, der scheitert. Rosa besucht sie am Grab. Der Roman endet von der Beschreibung zweier Gelehrte aus Rumänien, die eine Liste von allen Menschen aufstellen, die in der Shoa ums Leben kamen, wie von allen Gegenständen, die konfisziert wurden ... glaubhafte, intensive Familiengeschichte in der Verzahnung durch die Zeit, hier vergleichbar Birobidschan in Thematik, aber nicht Durchführung. Plot erhält Spannung durch das hintergründige Verschwinden der Mutter, ihrer Hintergrundfamilie, die intensiven Szenen mit der Großmutter, die nicht ausgetragenen Konflikte. Es bleibt aber dennoch individualisiert, restringiert in einem sehr emotionalen Thomas Bernhardschen Raum. --> 4 Sterne

Form: Einfallsreiche, lange Sätze, die sich rhythmisch, anschließend, ineinander übergehend lesen lassen. Keine Wortschludereien. Keine falschen Wortfeldverwendungen, Abstraktionsniveau wird gehalten, keine Ausrutscher ins Unreflektiert-Banale. Schöne Verben, passend, wenig Hilfsverben, wegen Passivkonstruktionen, direkt, klar. Keine äußerst einfallsreichen Wörter aber. Wortschatz groß, wird aber nicht dynamisiert. Das Symbolische erweitert sich nicht. Es bebt nur. --> 4 Sterne

Erzählstimme: Klar komponierte Zeitverdichtungen aus Ich-Perspektive, nur gebrochen durch Anfang und Ende als Ende des Individuums, markiert durch die geschichtlichen einschneidenden Prozesse. Der Rest aber in Erzählgegenwart, motivierte Erinnerungen, klare Erinnerungsstruktur und Reflexion von Rosa, die sich als harmoniesüchtig begreift, reflektiert, in dieser Reflexivität dynamisiert und glaubhaft, authentisch wird. Proustsche Erzählweise. Vergleichbar in Konsequenz mit Der Fänger im Roggen --> 5 Sterne

Komposition: Gelungene Verschränkung von Ich-Bezogenheit, Ich-Begrenztheit, Wille zum Verständnis, aber auch Wille zur Durchschreitung und Durchdringung der Horizonte. Alle Erinnerungen besitzen Anschlusspunkte in der Erzählgegenwart, Exkurse nie lang, nie zu kurz, genau richtig in der Rhythmik und Verarbeitung des Todes des Vaters. Die Einzelheiten ergeben ein fragloses Ganzes. Es fehlt nichts. --> 5 Sterne
Profile Image for Alexandra .
936 reviews364 followers
May 12, 2024
Eine sehr interessante Geschichte einer dysfunktionalen jüdischen Familie Jeruscher über mehrere Generationen hinweg.

Leider ist der Buchtitel Programm aber weniger des Inhalts, sondern des Plots wegen, das heißt „Nochmal von vorne“ bedeutet mit unzähligen Zeitsprüngen vor, zurück, dazwischen, ohne stringente Handlungsstränge, das ist leider sehr anstrengend und man muss sich die komplette Familienchronik schrittweise und mühsam zusammenpuzzeln. Wenigstens habe ich nicht komplett den Faden im Gewirr der Zeiten verloren so wie beim letzten Buch, denn die Familie bleibt sehr stabil von den Figuren her. Irgendwann, wenn sich die Schnipsel verdichten und ein paar Teile chronologisch und logisch bereits zusammenpassen und einrasten wird es etwas leichter, das Gesamtbild zu rezipieren und einzuordnen. Aber das dauert eben. Viele Leute sind von einer solchen Schreibmethode sehr angetan, ich als literarische Realistin habe es lieber weniger durcheinander. Andererseits geht es in der Familie tatsächlich drunter und drüber, was der Stil eben auch unterstreichen möchte.

Ansonsten ist die Familiengeschichte sehr gut, die Figuren sind zwar gut gezeichnet, aber das erkennt man lange nicht durch den dekonstruierten Schreibstil.

Worum geht es? Um Streitbare, Zerstrittene über Generationen, die sich hin und wieder auch arrangieren, jüdische Identität, Großeltern aus Rumänien ausgewandert ins gelobte Land, Vater und Onkel aus Israel, irgendwann zog der Vater wegen der Liebe nach Deutschland und gründete dort eine Familie. Leider ist er nicht ganz so erfolgreich, wie er und seine linke deutsche Frau sich das erträumt haben, deshalb ist die Ehe auch eine einzige Katastrophe. Ihre Kinder, die beiden Schwestern Nadja und Rosa sind sehr unterschiedlich und dennoch manchmal sehr ähnlich, aber über die Jahre hinweg meist spinnefeind. Erst als der Vater stirbt, nähern sie sich als Erwachsene nach Ewigkeiten wieder an. Die ganze Mischpoche ist ein wirres Durcheinander, was durch die Schreibweise auch noch verstärkt wird. Sehr oft blitzen auch dieser jüdische Fatalismus und der Humor durch.

[…] sofort fällt mir ein, dass das nicht der richtige Zeitpunkt ist, an so etwas zu denken, und ich fühle mich gleich ein bisschen schuldig, denn immer, wenn etwas Schreckliches passiert, muss ich sofort an etwas lustiges denken, ich lüfte jedem Gespenst das Leintuch und entdecke darunter etwas unendlich Witziges, und es ist fast so wie bei meiner Mutter, die auch nie den Schrecken für sich stehen lassen konnte.

Fazit: Ich mochte den Roman in der Endabrechnung, wenngleich ich einen etwas mühsamen Gewöhnungsprozess durchlaufen musste. 3,5 Sterne aufgerundet auf 4
Profile Image for Anna Carina.
682 reviews340 followers
September 8, 2024
Rosa, Icherzählerin, über ihre verkorkste Familie.
Assoziativ, in einer Art Gedankenstrom verfasst und wechselnden Zeitebenen, frisch, nach vorn strebend, leicht melancholisch, reflexiv, analytisch, beobachtend.
Mit einer professionellen Beiläufigkeit erzählt, die mich beeindruckt. Nah an der Lebenswelt, Sprachliche Ambivalenz zwischen Ironie und Traurigkeit, Unsicherheiten bezüglich der Wahrnehmung der eigenen Familiengeschichte und Beziehungen.
Keine Opferhaltung, lässt sich von der Schwere der Probleme nie vollständig vereinnahmen, Familiäre Probleme und Historie als Hintergrundrauschen,widerstandsfähig, pragmatisch.
All das mit eigenem Sound und Wiedererkennungswert verfasst.
Das geht immersiv tief in die Szenen hinein und zieht insbesondere im ersten Drittel, um den sterbenden Vater, die Schuhe aus.
Sprachlich ruckelt da nichts. In einem Guss, trotz der Zeitwechsel fügt sich das Erzählen dicht und harmonisch ineinander.

Mir sind im letzten Drittel ein paar Kleinigkeiten auf den Keks gegangen. Sie hebt für meinen Geschmack zu oft Äußerlichkeiten wie Haare, Brüste, Körperbeleibung etc. ins Bild, ohne dass ich den Zweck erkennen könnte. Die Zankereien der Eltern bekommen kein neues Gesicht und erleiden gegen Ende nur noch Redundanzen. Das letzte Drittel hätte um 20 Seiten gekürzt werden können.
Dh. für mich hätte das Buch noch dichter und knackiger geschrieben werden können.

Ich muss aber sagen, dass ich ihre Stimme so außergewöhnlich gut finde,dass ich ungern hierfür einen Stern Abzug geben möchte.
Also, wacklige 5 Sterne und neuer Favorit für den deutschen Buchpreis 2024.

Eine meiner Lieblingsstellen:

viele Jahre später, weiß ich, dass wir nur zärtlich sind, wenn uns auf einmal bewusst wird, dass die Tage vergehen und jeder Moment endet, und in Aries schwarzen Augen lag also schon diese Schwermut, und außerdem hatte er ebendiese Falten, die mich als Kind schon an die Zeit erinnerten und an all das, was ihr Verrinnen mit uns macht, wie es uns erst einzelne Sandkörnchen auf den Kopf wirft, die wir einfach abschütteln, wie die Zeit dann aber beginnt, uns unter einem ganzen Berg aus Sand zu verschütten, und jeder von uns sitzt irgendwann unter einer Sanduhr, die aber nach unten offen ist, wir hocken in solchen Haufen aus Sand, und wir alle blicken bange nach oben und sind gelähmt vor Angst und tun folglich nichts, als den rieselnden Sandkörnern und damit dem Verrinnen der Zeit zuzusehen, und als ich viele Jahre später mit David in einem oberbayrischen Museum eine geschnitzte Uhr aus einem Kloster gesehen habe, die so groß war wie ich und aus einem Skelett bestand, das den Tod symbolisierte und auf einem Löwen ritt und alle Stunden mit einem Knochen auf die Rippen des Löwens eindrosch, damit jeder, der die Uhr sah, sich daran erinnerte, wie kurz unser Leben ist, fiel mir der Strand von Tel Aviv wieder ein: Zigarettenkippen, zerbrochene Muschelschalen, Algen, aber vor allem Sandkörner, und ich erzählte David von diesem Vormittag, aber er hörte nicht richtig zu, und am Schluss beschwerte er sich nur über die irre Nadja.
Profile Image for Literatursprechstunde .
196 reviews93 followers
September 15, 2024
Kann man eine die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie in der die Nachwirkungen eines ganzen Jahrhunderts voller Gewalt und Vertreibung zu spüren sind, humoristisch erzählen?! Dana von Suffrin beweist uns mit „Nochmal von vorne“: Man kann!

Mordechai Jeruscher hatte ein ereignisreiches Leben. Geboren als Sohn rumänischer Juden in Israel, ist er Überlebender des Holocaust und wurde doch durch den Securitate-Terror aus seiner Heimat vertrieben. Nahezu sein ganzes Erwachsenenleben hat er in München gelebt und dort eine Familie gegründet mit einer bayrischen Frau christlichen Glaubens, eine Ehe aus der zwei Töchter entstanden sind: Nadja und Rosa.

Eine Familie in der der jeder allein vor sich hin lebt. Die Mutter sitzt gerne vorm Fernseher und schaut Reportagen über den Holocaust, die die deutsche Schuldfrage erörtern. Vater Mordechai möchte davon nichts wissen, macht Dinge am liebsten mit sich selbst aus, auch seine seelischen Narben, die wahrscheinlich eher auf den Jom-Kippur-Krieg zurückzuführen sind, als auf den Nationalsozialismus.
Die im Pflegeheim lebende Großmutter hält nicht viel von der Ignoranz der transgenerationellen Traumata des Holocausts und versucht sich an einer Konfrontation:

„Ich beginne noch einmal von Anfang, nochmal von vorne, sagte sie, und dann trug sie Nadja, die an der Kommode saß, auf, in der Schublade nach Bildern zu suchen. Wisst Ihr, wie meine Eltern ausgesehen haben?“

Leider macht ihr ihre Demenz einen Strich durch die Rechnung, bzw. durch die Erzählung. Was Dana von Suffrin gekonnt durch Situationskomik aufgreift.

Der Vater Mordechai ist verstorben und Mamakind Nadja hat sich von der Familie abgewandt, mimt die Unerreichbare. Somit ist die jüngere Rosa, Papakind, nun auf sich allein gestellt. ist nun ganz allein. Rosa versucht sich an einer gedanklichen Neuordnung der Geschehnisse um zu Verstehen und dadurch für sich selbst Versöhnen, „Nochmal von vorne“ wie der Romantitel schon so schön sagt.
Sie sitzt in der Wohnung des verstorbenen Vaters, wartet auf die Entrümpler, und ergibt sich den sie einholenden Erinnerungen, die sie in Form von konzentrischen Kreisen heimsuchen. Rotatorisch ringt sie um Nähe und ist doch in ihrer gedanklichen Gegenwart gefangen.
Stets bewunderte Rosa ihre Schwester und so ungleich wie sie auch waren, hielt der Humor sie zusammen:

„Viel öfter aber als diese Momente, in denen uns unser Spott für die Welt und die Menschen zusammenhielt, waren andere, in denen ein schmerzhaftes Ungleichgewicht herrschte und ich immer um Nadjas Aufmerksamkeit und Gunst werben musste, denn nichts war mir kostbarer, und am liebsten wollte ich so sein wie sie (während sie selbst ganz anders sein wollte).“

Ich bewundere die Figur Rosa für ihre unglaubliche Empathie, trotz ihres schimpfenden Vaters, ihrer peinlichen Mutter und ihrer abtrünnigen Schwester, begegnet sie ihnen mit einem überbordenden Verständnis, das ich selbst wahrscheinlich in der Form nicht aufbringen könnte. Was für eine außerordentlich authentische Familiengeschichte!

Der Romantitel „Nochmal von vorne“ deutet schon auf die ambivalenten Vorhaben Dana von Suffrins’ hin. Denn in ihm stecken widersprüchliche Intentionen, zum einen ein Korrekturwunsch und zum anderen das Versprechen einer Neuordnung.
Dana von Suffrin ist es auf eine humoristische Art gelungen, aus vehementen Lücken und melancholischen Erinnerungen eine kohärente deutsch-jüdische Familiengeschichte zu stricken, trotz des omnipräsenten Schweigens innerhalb des Familienkonstrukts.
Sie ist mit dieser Geschichte zu meinem absoluten Favoriten für den Deutschen Buchpreis geworden und ich drücke ihr alle Daumen dafür, sie hätte es mehr als verdient. Wenn ihr nur ein Buch der Longlist lesen wollt, lest dieses hier, ich verspreche: Es lohnt sich!
Profile Image for Elena.
1,031 reviews409 followers
September 19, 2024
Rosa Jeruscher ist gerade bei der Arbeit, als sie den Anruf erhält, dass ihr Vater gestorben ist. Sie macht sich auf zu seiner Wohnung und während sie auf den Entrümpler wartet, lässt sie die Geschichte ihrer Familie Revue passieren: Die Geschichte ihres Vaters Mordechai, Sohn rumänischer Juden, die erst den Holocaust überlebt und dann unter dem Securitate-Terror ihre Heimat verlassen hatten, seiner bayrische Frau christlichen Glaubens Veronika und ihrer beider Töchter. In der Familie Jeruscher herrscht viel Streit, es gibt ununterbrochen Reibungen, auch zwischen den so ungleichen Schwestern Rosa und Nadja. Um die Angelegenheiten der Beerdigung zu regeln, versucht Rosa auch wieder Kontakt zu ihrer Schwester aufzunehmen - wird es ihr gelingen?

In "Nochmal von vorne" verpackt Dana von Suffrin eine eigentlich eher traurige Geschichte mit viel Humor in einen unterhaltsamen Familienroman, der für meinen Geschmack etwas zu durcheinander erzählt wird. Wie der Titel des Buchs schon vermuten lässt, mäandert die Erzählung, die Autorin lässt Rosas Gedanken oft nochmal von vorne beginnen. Dabei webt sie in die familiären Ereignisse immer wieder reale historische Hintergründe ein, die mir oft gar nicht bekannt waren. Ich habe das Buch größtenteils als Hörbuch gehört, toll eingelesen von Xenia Tilling und kostenfrei in der ARD-Audiothek verfügbar, allerdings konnte ich den Erzählsträngen so nicht immer folgen, häufig musste ich beim Wiedereinstieg überlegen, an welchem Punkt das Hörbuch zuvor endete. "Nochmal von vorne" ist ein Roman über Einsamkeit in der eigenen Familie, über jüngere jüdische Geschichte abseits des Holocaust und trotz eher bedrückender Themen humoristisch erzählt. Ich bin nicht ganz warm geworden mit dem Buch, würde es aber trotzdem empfehlen!
Profile Image for Ernst.
645 reviews29 followers
December 11, 2024
Es war ein richtig schönes Leseerlebnis, mit hat die frische Erzählstimme sehr gut gefallen und ich bin immer dafür zu gewinnen, wenn unter der Oberfläche so viel Liebe und Wertschätzung durchschimmern, obwohl es auf den ersten Blick ein permanentes Ablästern zu sein scheint.
Eigentlich habe ich gar nichts auszusetzen, nur 2 Kleinigkeiten, die aber doch bedeutsam für mich waren: gegen Ende hin wird die Geschichte nicht runder für mich, obwohl sie vorher recht gut durchkomponiert wirkt - mir haben die assoziativen Schnitte Gegenwart/Vergangenheit sehr gut gefallen. Aber der anekdotische Stil begeistert mich nicht so vollends, ich hätte mir noch mehr Einbettung in ein größeres Ganzes und einfach einen kompakteren Abschluss gewünscht. Mit den letzten beiden Seiten konnte ich ehrlich gesagt nichts anfangen.
Und der zweite Punkt ist reine Geschmackssache. Ich fühle mich wie in einem Hotel, dem ich in allen Kriterien die Höchstbewertung geben kann, bloß nicht der Umgebung. Soll heißen, mich interessiert die Geschichte an sich nur mäßig.
Die Autorin und ihre literarischen Fähigkeiten finde ich toll, ich werde gerne wieder etwas von ihr lesen, aber eher dann, wenn mich auch die Geschichte interessiert.
Profile Image for Klara.
134 reviews40 followers
August 19, 2024
Also noch aggressiver hätte mir Instagram einen Roman ja kaum aufdrücken können - dieser Werbecampagne war nicht zu entkommen. "Gut" hab ich mir da während einer ruhigen, abendlichen Kassenschicht im Buchladen gedacht, "lesen wir doch mal rein."

Auf den ersten Blick war alles schick. Ich fand, das habe doch Potenzial - deutsch-israelische Familiengeschichte, jüdisches Leben in Deutschland, das sind ja nun beides Themen, mit denen ich durchaus was anfangen kann.
Also habe ich durchgezogen. Und mich am Ende leider gefragt, wofür eigentlich.

Ich wollte das Buch so gerne mögen. Leider haben mich die überlangen Sätze irgendwann wirklich angestrengt, und auch der Inhalt hat mich mit mehr Fragen als Antworten zurückgelassen. Vielleicht ist das einfach einer dieser Romane, die ich nicht verstehe. Ich bin mir sicher, dass man in einem Gespräch mit der Autorin viel darüber herausfinden kann, was wie gemeint war; dass das Buch voller Anspielungen steckt, die man aber - leider - als Otto Normalleser*in einfach nicht schnallt. Für mich wirkte der Roman halbgar - wie eine Geschichte, die nicht weiß, wo sie hinwill und sich ihrer eigenen Aussage nicht ganz bewusst ist.
Was ja auf der Metaebene auch schon wieder spannend ist…

Aber egal. Nicht mein Buch Freunde, nicht mein Buch!
Wer hat's noch gelesen? Gibt's hier Fans? Ich würd's gern wissen 🫶🏻

Vielen Dank an den KiWi-Verlag und Netgalley für das Rezensionsexemplar
Profile Image for SusanneH.
512 reviews39 followers
September 27, 2024
Sprachlich sehr schön, zwischendurch richtig lustig, kommt meiner Meinung nach aber nicht an "Gewässer im Ziplock" ran.
Profile Image for Wandaviolett.
468 reviews68 followers
March 18, 2024
Rezenstionstitel: NACHWIRKUNGEN
Kurzmeinung: Kein großer Roman - aber ein wichtiger.
„Noch mal von vorne, aber bitte ganz anders“, so könnte Rosa denken, die Erzählerin dieses Romans von Dana von Suffrin. Sie kommt gerade aus dem Krankenhaus, ihr Vater ist vor einigen Stunden verstorben. In dessen Wohnung überkommen sie die Erinnerungen an ihre dysfunktionale Familie. Oder ist ihre Familie gar nicht dysfunktional gewesen, sondern einfach nur „normal unglücklich?“

Der Kommentar und das Leseerlebnis
Um den Roman „Nochmal von vorne“ entweder zu entschlüsseln oder ihm einen Sinn zuzuschreiben, muss man zwischen den Zeilen lesen und ihn interpretieren. Macht man das nicht, bleibt er verschlossen und leider auch langweilig.
Vordergründig erinnert sich Rosa wahllos in einem endlosen breiförmigen Bewusstseinsstrom an ihre unfrohe Kindheit. Es reiht sich Erinnerung an Erinnerung, bzw. ihre Erinnerungen reihen sich nicht, sie purzeln durcheinander. Das allerbanalste Geschehen ist für Rosa erinnerungswürdig. Oder war es gar nicht so banal, letztendlich?
Hintergründig ist die Familie Jeruscher nämlich durch die wie ein Nebel über der Familie hängende Depression des Vaters eine beschädigte Familie. Der Vater ist Jude, zweite Generation nach der Shoah, Mutter und Großvater wurden aus Rumänien vertrieben; haben unter dem dortigen Regime gelitten und der Großvater wurde gefoltert. Die Familie wanderte nach Israel aus. Der Vater, Mordechai Jeruscher, also der gerade verstorbene Vater Rosas, kam zum Studium nach Deutschland und blieb dort hängen, heiratete eine Nichtjüdin, nämlich die lebensfrohe Bayerin Veronika, bekam 2 Töchter, eine davon ist die Erzählerin Rosa. Die Familie reist von München aus in größeren Abständen nach Israel, um die Großmutter und den Vaterbruder zu besuchen. So weit. So gut.

Der unreflektierte Bewusstseinsstrom Rosas ist anstrengend, das soll nicht verhehlt werden. Die Einzelheiten, die sie erzählt, sind an sich unbedeutend, Ausflüge, gemeinsames Fernsehen, Abende mit der Familie, der Vater bringt sie zur Schule und ist peinlich, die Schwester ist unnahbar schon von Kind an. In einem ständigen larmoyanten Gedankenfluss gehen wichtige Informationen unter: Rosa arbeitet sich an dem Benehmen ihrer älteren Schwester ab, die sich der Familie frühzeitig entzog, und Rosa im Stich ließ, der Vater hat nie gelernt, Gefühle auszudrücken, daran scheitert die Ehe, obwohl Rosa die Schuld der Mutter gibt. Die Mutter argwöhnt, dass ihre eigenen Eltern NaziSympathisanten waren und hält ihre Ehe für eine Fehlentscheidung, sie ist eine unbeholfene Israelsympathisantin, kann sich aber mit niemandem adäquat austauschen über die Shoah, die sie nicht loslässt. Manchmal verhält sich die Mutter inadäquat. Da hat Rosa ganz recht, trotzdem ist sie noch die sympathischste in der Familie.
Die Autorin macht es der Leserschaft mit ihrer larmoyanten Protagonistin Rosa schwer, Sympathie für die Familie Jeruscher, für Rosa, für die Story selbst aufzubringen. Ganz willkürlich werden da und dort Unterkapitel eingeschoben, was im Zweiten Weltkrieg so passiert ist, Geschehnisse, die auf den ersten Blick gar nichts mit den Jeruschers zu tun haben, aber es ist immer ungerechtfertigtes Leid, das Juden zugefügt wurde. Nur dadurch wird es klar, dass wir es mit dem Trauma der Shoah zu tun haben. Ihren Nachwirkungen. Weder Rosa noch die Familie thematisieren, dass sie die dritte Generation der Überlebenden sind. Oder realisieren die Schatten der Shoah. Aber wir wissen es. Und die Autorin weiß es.

Fazit: Die Auswirkungen der Shoah sind nicht zu unterschätzen. Sie wirken bis heute nach. Meistens unbewusst.
Niemals vergessen, das ist unsere Aufgabe. Dass sich die Autorin in Andeutungen erschöpft und niemals ganz deutlich sagt, was Sache ist, ist ein guten Kniff. Mir hat er gefallen.

Kategorie: anspruchsvolle Literatur
Verlag: Kiwi, 2024
Profile Image for Schlimme Helena.
111 reviews116 followers
September 20, 2024
Keine Frage kann die Autorin schreiben. Aber die Geschichte fand ich unrund und das Ende enttäuscht mich
Profile Image for laleliest.
430 reviews66 followers
September 5, 2024
Über einen Zeitraum von 1,5 Wochen als Hörbuch gehört, hat mir gut gefallen aber nicht vom Hocker gehauen
Profile Image for Mia.
268 reviews1 follower
December 29, 2024
„Und wir? Wir glaubten an gar nichts mehr, wir mussten auch nicht mehr richtig arbeiten, wir mussten nicht heiraten, und wir konnten als Teenager den ganzen Tag auf der Couch liegen, heimlich rauchen und fressen, vor uns ein voller Aschenbecher, den wir schnell verschwinden lassen würden, bevor unser Vater aus dem Labor nach Hause kam, Chips, Ritter Sport und getrocknete Feigen aus Palmyra. Doch auch das war schon lange her.“

An einem Tag verschlungen, obwohl es komplett Stream of Consciousness ist, ich weiß auch nicht, was bei mir falsch läuft.
Ne eigentlich weiß ich’s schon: Ich war einfach komplett von dieser Erzählung gefesselt, von den Charakteren, die mir super echt vorkamen und dem Gedankenstrom der Protagonistin, der so komplett anders und dann manchmal wieder so ähnlich war wie mein eigenes Gedankenkarussel.
Hat mich trotz kleiner Irritationen zwischendrin irgendwo komplett abgeholt.
Profile Image for Jana C.
55 reviews1 follower
March 6, 2025
3.5/5
Irgendwas hat für mich nicht richtig klick gemacht und obwohl ich die fragmentierte narrative Struktur und die extrem langen Sätze toll fand, ist der Roman doch in die Aspekte, die ich spannend fand, nicht so richtig reingegangen (jaja, man soll Literatur nicht daran messen, was sie nicht macht) und ich bin mir relativ sicher, dass er nicht lange bei mir bleiben wird.
Profile Image for Teresa.
168 reviews10 followers
July 3, 2024
Rosas Vater stirbt und sie versucht ihre Schwester ausfindig zu machen, zu der sie mehrere Jahre keinen Kontakt mehr hatte. Im Zuge dessen kommen viele, zusammenhanglose und teilweise bruchstückhafte Erinnerungen hoch.
Ein sehr ambitionierter Roman, mit sehr viel Tiefgang und Emotionen. Über eine deutsch-jüdische Familie, auf der das schwierige Verhältnis genauso lastet wie auf jedweder deutsch-jüdischen Beziehung. Hier wird eine Familiengeschichte erzählt, von der ich glauben kann, dass sie genau so irgendwo existiert. Die Protagonistin versucht, die Vergangenheit ihrer Familie aufzuarbeiten, unklares zu verstehen und Antworten auf Fragen zu bekommen. Vieles bleibt unbeantwortet. Die Fragmente werden mit geschickt und fast beiläufig eingesetzten historischen Anekdoten begleitet.
Mir persönlich ist das Buch stellenweise „zu“ ambitioniert und teilweise sprachlich herausfordernd, bei wirklich wirklich (unnötig) langen Sätzen über mehrere Seiten. Auf mich wirkte dies protzig, was der Roman nicht nötig hätte.
Profile Image for Charlystante.
167 reviews
August 18, 2024
Nochmal von vorne
lieber nicht.
Wirrer Gedankenstrom, langweilig, ohne erkennbare Aussage.
Zusammenhanglose Erinnerungen einer Tochter an die unglückliche Ehe der deutschen Mutter mit einem israelischen Vater, dazu Schwestern-Probleme.
Ein Jahrhundert Familiengeschichte wird in drei Tagen erzählt, dabei verschwimmen die Zeitebenen unübersichtlich, und für keine der Personen kann ich Sympathie aufbringen.
Ich fand es zu anstrengend zwischen den Zeilen nach einer Aussage zu suchen, die es geben mag.
Gestört hat mich auch die indirekte Rede mit den vielen verschachtelten Sätzen.
Es ist mir zu anspruchsvoll.
Profile Image for Sven.
64 reviews8 followers
May 20, 2025
Hier wird erzählt, wie man über Wurzeln stolpern und am Ende doch was Gutes daraus werden kann. Ich habe das gern gelesen. Wer stolpert nicht über seine Wurzeln? Außerdem hat mir die Szene mit den 5 DM Münzen in der Telefonzelle gefallen.
Profile Image for Alina_liest07.
132 reviews6 followers
March 9, 2024
Als ihr Vater nach an Krebs stirbt, versucht Rosa Jerucher ihre ältere Schwester Nadja, mit der sie seit Jahren nicht mehr gesprochen hat, ausfindig zu machen. Dabei kommen immer mehr Erinnerungen hoch – Erinnerungen an Streitigkeiten, an ihre vom Leben enttäuschte Eltern und ihre Kindheit zwischen München und Israel. Vor allem aber an ihre Schwester, um deren Zuneigung Rosa lange vergeblich gekämpft hat und die die Familie so schnell es ging verlassen hat.

Genauso fließend und flüchtig, wie Rosa durch ihre Familienerinnerungen streift, wirkt auch der einzigartige Stil der Autorin. Dana von Suffrin erzählt die Geschichte der Familie Jerucher und springt dabei zwischen Ort und Zeit und reiht Erinnerungen an Erinnerungen. So spiegelt ihre Sprache auch die Zerrissenheit einer ganzen Familie auf eindringlich Art und Weise wieder. Vor allem die besondere Beziehung zwischen den Schwestern zwischen Rosa und Nadja, und das Spiel zwischen „gut“ und „böse“ hat mich fasziniert und berührt. Die Autorin zeigt sowohl Rosas tiefen Wunsch nach Harmonie und Verbundenheit mit ihrer „rebellischen“ Schwester als auch die tiefen Verletzungen und das Misstrauen, die Jahre der Vernachlässigung und Funkstille hinterlassen haben.

„Nochmal von vorne“ ist keine leichte Kost für nebenbei, der Roman steigt tief hinein in komplexe Familienbeziehungen, die von unterschiedlichen Erwartungen und Wünschen genauso geprägt sind wie von über Generationen vererbte Traumata. Neben dem immer allgegenwärtigen Schmerz, den Hoffnungen und der Zerrissenheit dieser deutsch-jüdischen Familie schwingt immer auch eine besondere Prise Humor durch die Zeilen

Fazit: Ein toll geschriebener Familienroman, bei dem es sich lohnt zwischen den Zeilen zu lesen und der neben all der Tragik auch ganz viel schwarzen Humor, Komik und Hoffnung mitbringt.
Profile Image for Rosa.
80 reviews23 followers
August 25, 2024
#longlistlesen — (8/20)

Ich glaube, eine konkludente Bewertung für dieses Buch abzugeben, wird mir wieder schwerfallen. Im Grunde muss man sagen, dass es mir wahrscheinlich gefallen hat.

Ich habe eine unglaubliche Schwäche für Geschichten von Jüd*innen; insbesondere für welche, die Jahre nach der Shoah spielen und sich mit dem Jüdischsein im späten 20. und 21. Jahrhunderts auseinandersetzen.

Man kann mir sicherlich keine große Originalität zusprechen, wenn ich den Humor lobend hervorkehre, der sich durch diesen Roman zieht – ein ganz feinsinniger, scharfer Humor, der mich beizeiten hat hell auflachen lassen, und das, obwohl die Geschichte im Grunde traurig ist.

Es ist die Geschichte einer kleinen, dysfunktionalen deutsch-israelischen Familie, in der Mutter und Vater sich verabscheuen, ihre zwei Töchter für jeweils ein Elternteil Partei ergreifen und einen Stellvertreterkrieg ausfechten.

Ich muss sagen, ich hab eine unerklärlich starke Trauer verspürt, während ich das Buch gelesen habe, am meisten für Mordechai, den Vater, der in Israel geboren ist und im Jom-Kippur-Krieg mitgekämpft hat, eher er nach Deutschland ausgewandert ist. Die Art, in der seine Tochter, die Erzählerin, ihn beschreibt, hat mich tiefes Mitleid für ihn empfinden lassen. Mir macht wenig so Angst, wie Menschen, die in ihrem Leben gefangen sind und an ihrem Lebenszweck vorbeileben.

Der Protagonistin, Rosa, ging es im Grunde nicht anders — selbst ihre chaotische Mutter, die irgendwo in Thailand im Meer verschwunden ist, oder ihre kleptomanische Schwester Nadja haben irgendetwas aus ihrem Leben gemacht - aber Rosa ist bis zum Ende bei ihrem Vater geblieben; vielleicht, weil sie doch irgendwie dieselbe Person waren.

Das Buch hat mich wirklich betrübt, auf eine Art, die mich bis nach dem Beenden noch eine gewisse Version von bekümmerter Schwermut fühlen lässt. Ich glaube aber, das war gewollt. Und insofern kann ich mich nicht beschweren.

Fazit: Wieder eine einzigartige Familiengeschichte, die ich dankbar gelesen habe. Shortlist? Ich weiß es echt nicht.
Profile Image for Esther.
Author 3 books49 followers
April 8, 2025
Schade, so richtig rein bin ich einfach nicht in dieses Buch gekommen.

Zwar ist die Rahmenhandlung, eben diese Familiengeschichte mit etwas Geheimnistuerei, mit elterlichem Zwist, entfremdeten Schwestern, sozusagen verhunzter Start ins Leben der Hauptperson, genau mein Ding, und Dana von Suffrin hat auch eine Art, all dies trotz der Schwere und Traurigkeit mit einer solchen Prise von schwarzem Humor und kühler Distanz zu präsentieren, dass das Lesen schon Spass machte.
Vielleicht ist es aber auch genau diese Distanz, die es mir nicht erlaubte, mich weder in die Hauptperson Rosa noch in irgendein anderes Familienmitglied auch nur im Entferntesten hineinzuversetzen. Die Mutter, die die Familie verlässt, nur um später etwas mysteriös ihren Tod zu finden, der Vater, der zwar in der ganzen Geschichte immer wieder erwähnt wird, mir aber nicht mehr als ein grauer Schatten erscheint, die Schwester Nadja, die vielleicht rebellisch vielleicht aber auch psychisch krank ist… all das plätschert im gleichen locker-amüsanten Ton und ohne jemals in die Tiefe oder ins Detail zu gehen von Seite zu Seite – und lässt mich am Ende auch dank der ein oder anderen für mich kontext- und sinnfrei eingesponnenen historischen Episode (Joseph Trumpeldor?!) ratlos und eher unbefriedigt zurück.

Was habe ich nicht verstanden?
Profile Image for Otto.
750 reviews49 followers
September 4, 2024
Dana von Suffrin: Nochmal von vorne
Dana von Suffrin plaudert sozusagen aus dem Nähkästchen, die jüdisch-deutsch-rumänisch-israelische Geschichte hat einige Inspirationen aus ihrer Familienbiografie. Witzig und auch hintergründig schreibt sie über das Elternpaar, die komplett verschiedenen Studienabbrecher, er jetzt Laborarbeiter aus israelisch rumänischer Auswandererfamilie, sie deutsche arische Geisteswissenschaftlerin ohne Studienabschluss. Er sparsam, eher zwänglich, introvertiert, sie extrovertiert freigeistig. Da haben es die beiden Töchter Rosa und Nadja nicht leicht. Nadja, die ältere flüchtet früh aus der Familie, kapselt sich ab, entschwindet, Rosa die Ich-Erzählerin hält den Kontakt zum dann doch geschiedenen vereinsamenden Vater.
Wichtige Personen dürften auch die in Israel verbliebenen väterlichen Großeltern sein. Sie sind nach vielen gewaltsamen Securitate-Übergriffen auf Tibor, den Großvater, ausgewandert.
Da haben wir auch noch Arie, den Bruder des Vaters, ein Frauenheld, der bei einem Deutschlandurlaub verunglückt.
Eine gut erzählte Familienstory, scheinbar eine Fortsetzung des Debutromans „Otto“, auf den ich jetzt Lust bekomme, ihn zu lesen.
Profile Image for Lisa ..
54 reviews
Read
October 12, 2024
Teilweise wirklich stark. Sprachlich auch schön, aber manchmal nerven die Metaphern oder Vergleiche.
Profile Image for Ena.
202 reviews
October 16, 2024
I´m so sorry that the book is not convincing to me, I really wanted it to, found the beginning funny and tragic and thought it would be a really good read, and then it wasn´t.
For me it just does not come together too well - there are some scenes that made me think about immigration, jewish families, families, sisters, divorces, life plans, loneliness etc. but in this short book things just don´t create a big picture for me. I wasn´t really touched, maybe because I couldn´t see too much hope or even development, every person is so stuck and the book is describing this but not offering any way out.
Maybe just not for me.
Profile Image for Agnieszka Hofmann.
Author 24 books56 followers
September 12, 2024
Historia... właściwie nie, monolog o epizodach z życia pewnej dysfunkcjonalnej rodziny: ojca Izraelczyka, matki Niemki, dwóch córek. To współczesna rzecz, ale echa pokoleniowych traum wybrzmiewają nadal i, kto wie, są być może źródłem deficytów każdego z nich, niemożności do harmonijnego współistnienia. Mamy więc tu ciągłe, trwające po wiele godzin kłótnie, eskapizm, wieczną walkę na słowa niczym cięcia nożem, mamy niegojące się rany i blizny. O tym wszystkim opowiada jedna z córek, snuje swe dywagacje nielinearnie, chaotycznie, językiem potocznym, niewymuszonym i niemal bez kropek. Te wężowe zdania, ta pływająca narracja nawet mi się początkowo podobały: fajny, świeży, autentyczny sound. Jednak gdzieś w połowie wszystko to się rozmywa, traci ostrość, a infantylny ton tych piętrowych "a ona na to" "i wtedy", "a potem" staje się nieporadny i zaczyna drażnić. Nie brzmi to jak opowieść dorosłej kobiety, lecz nerwowy słowotok rozchwianej nastolatki. Jeśli taki był zamiar autorki, to trochę przestrzeliła.
Profile Image for Isa ◡̈ .
232 reviews40 followers
April 3, 2024
» […], dass es für mich vielleicht entsetzlich war, für sie aber unerträglich, und ich schreie zurück, dass wir in keinem Wettbewerb stehen, aus dem als Sieger hervorgeht, wer mehr unter unseren Eltern gelitten hat, […] « 👯‍♀️💔 (S. 228)

In ihrem neuen Roman »NOCHMAL VON VORNE« schreibt die Autorin Dana von Suffrin — ähnlich wie bereits in ihrem Debütroman »OTTO« — erneut über modernes jüdisches Familienleben zwischen München und Tel Aviv. Der Tod ihres jüdischen Vaters ,Mordechai Jeruscher, die damit verbundene Wohnungsauflösung und Organisation lösen bei Rosa viel aus: Sie durchlebt viele verdrängte Kindheitserinnerungen noch einmal - quasi n o c h m a l v o n v o r n e : Wie bspw. Familienstreits, Verwandschaftsbesuche in Israel, Familiengeschichte, dem Ringen um elterliche Liebe, gemeinsame Abendessen, das Scheitern der elterlichen Ehe, die Depression des Vaters, die frühe Flucht & Entzug der Schwester verbunden mit Schwestern-Liebe. Parallel dazu werden Ereignisse aus der Shoah, dem 2. Weltkrieg, der Vertreibung / Ermordung von Menschen aus Rumänien sowie dem Weiterleben nach der Shoah dargestellt. Grandios gelingt es der Autorin mit diesem Kniff zu zeigen, wie unterschwellig Vergangenheit und transgenerationale Traumata wirken.

»Meine Mutter hat uns früh zu erklären versucht, dass die eigentliche Antriebskraft im Leben unseres Vaters die Angst sei, eine Angst, die ihn von den behaarten Zehen bis zu seiner Schädeldecke ausfülle.« (S. 196)

Auch der zweite Roman von Dana von Suffrin lebt von ihrem schwarzen Humor & Sarkasmus 🖤, vom alltäglichen Familiendrama (Wie dysfunktional ist diese Familie?), der Auseinandersetzung mit transgenerationalen Traumata sowie dem Einfluss von Migration auf Familien. Die Autorin schreibt sehr verdichtet, teilweise in wahnsinnig langen Sätzen (diese erstrecken sich z. T. über mehr als eine Seite) und gleichzeitig schreibt sie so vage, dass Lesende zwischen den Zeilen interpretieren sollten, um aus dem vordergründigen unreflektierten Gedankenchaos der Protagonistin Rosa und der vermeintlichen Aneinanderreihung von larmoyanten Kindheitserinnerungen die Tragik und Ernsthaftigkeit herauszulesen. Tbh: Ich hätte mir sehr eine reflektierte Auseinandersetzung der Protagonistin mit ihren Erinnerungen gewünscht, aber verstehe den oben beschrieben Kniff der Autorin sehr gut.

Fazit: Beim Lesen muss mensch sich auf den Roman und eine larmoyante Rosa einlassen, viel zwischen den Zeilen herauslesen, und akzeptieren, wie unbewusst der Familie die Auswirkungen der Shoah auf ihre eigene Situation ist.

N E V E R F O R G E T 🕊️ Diese eindrückliche und wichtige Messsage wird auch in diesem Roman der Autorin mehr als deutlich. Und ganz nebenbei wird deutlich, was für eine großartige Erzählerin Dana von Sufferin ist. 🖤🩷

[2.5/5 ★ ]
Profile Image for Peggy.
118 reviews
March 6, 2025
Die Art und Weise wie erzählt wurde, mit all den Zeitsprüngen war mal was Anderes und hat Spannung erzeugt. Es bleiben noch Leerstellen, die hätten mich schon interessiert. Ein paar Lichtblicke wären schön gewesen...es sind ja irgendwie alle unglücklich oder früh gestorben.
Profile Image for Olivia.
755 reviews142 followers
August 24, 2024
Ein schönes Buch, teilweise zu langatmig, aber immer interessant.
1,366 reviews6 followers
June 7, 2024
Deutsch-jüdische Familie, die Schwestern haben sich nichts mehr zu sagen,sehen sich selten.die Mutter gestorben,jetzt der Vater. Ziemliches Durcheinander. Mögen sich die Schwestern oder doch nicht.
Profile Image for Johanna Berger.
123 reviews5 followers
August 14, 2025
Leider enttäuschend.
Im Dezember 2024 bekam Dana von Suffrin den Tukan-Preis der Stadt München verliehen (Bild 2 und 3). Sie hielt damals statt einer Lesung eine Rede voll frechem Witz, „Entmutigungen“ genannt, in der sie einige Zeitgenossen und Wegbegleiter mit bösem Spott bedachte. Sehr lustig! Vor Kurzem habe ich ihren Erstling „Otto“ gelesen (vgl. Feed), die Geschichte eines Siebenbürger Juden (wohl angelehnt an die Geschichte ihres Vaters), der von Israel nach München zieht: traumatisiert und seine Familie traumatisierend. Mit viel traurigem Humor erzählt. Jetzt also mein zweites Buch der Autorin. Und eigentlich erzählt sie wirklich die ganze Geschichte „nochmal von vorne“, mit anderen Schwerpunkten und mit leicht verändertem Personal. Aber im selben Stil: mit unendlich langen Parataxen, wieder und wieder angeschlossen durch „und“. Was im Debütroman noch originell erschien und zu der Diktion des scheinbar mündlichen Erzählens durchaus passte, passt hier noch immer, aber es ermüdet. Wenn man „Otto“ gelesen hat, kennt man die mäandernde Erzählweise und die lakonische Haltung der Ich-Erzählerin bereits. Durch die wiederholende Syntax geraten die Sätze ins Schwimmen. Immer wieder musste ich neu ansetzen, um den Faden nicht zu verlieren. Schade!
Denn die Geschichte, die Dana von Suffrin hier erzählt, ist voll mit skurrilen, lustigen und traurigen Anekdoten. Es geht um die dysfunktionale Familie Jeruscher, ihren toxischen Alltag in München-Moosach und die Vergangenheit, die die Gegenwart durchsetzt. Die Ich-Erzählerin Rosa ist die jüngere der beiden Töchter. Sie muss nach dem Tod des Vaters die Wohnung ausräumen und mit ihrer früh aus der Familie verschwundenen Schwester in Kontakt treten. In ihrer Kindheit und Jugend leidet sie wie ihre Schwester unter den ewigen Streitereien der Eltern. Sie hätte so gerne ein harmonisches Familienleben. Der Vater war in Israel Chemiker, in Deutschland nur mehr Laborant. Ein Geizhals, der sich von Supermarktbrot mit Margarine ernährt und seine Teebeutel mehrfach benutzt. Die Mutter wollte eigentlich Geisteswissenschaftlerin werden, landet schließlich zwar an der Uni, aber im Sekretariat, und wird entlassen, als sie einen Angestellten als Eichmann beschimpft. Geld ist knapp. Die Mutter gibt es trotzdem gern aus, was unweigerlich zu Zwist führt. Schließlich verschwindet sie. Die Schwester (die im Roman blass bleibt) will sich dem Familienchaos entziehen, schafft es aber auch nicht.
Eingerahmt wird die eigentlich traurige Geschichte der Familie von beinahe absurden historischen Begebenheiten, die den Ton des Romans setzen. Viel Münchner Lokalkolorit.
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