Die faszinierende Biografie einer Vorreiterin queerer Lebensentwürfe Catharina Linck war die letzte Frau, die in Europa wegen der 'Unzucht mit einem Weybe' hingerichtet wurde. Aufgewachsen im Waisenhaus in Halle, legte sie schon als Fünfzehnjährige Männerkleider an, nannte sich Anastasius Rosenstengel und 'caressierte' mit einem 'von Leder gemachten ausgestopfften Männlichen Glied' zahlreiche 'schöne Weibspersonen'. Nach unsteten Wanderjahren als Prophet einer pietistischen Sekte kämpfte er als Musketier im Spanischen Erbfolgekrieg, desertierte und arbeitete als Handwerker, ehe er 1717 in Halberstadt eine andere Frau heiratete. Von der argwöhnischen Schwiegermutter enttarnt und verraten, wurde Catharina Linck der Inquisitionsprozess gemacht, und der preußische König Friedrich Wilhelm I. verurteilte sie persönlich zum Tode. Kenntnisreich und voller Sympathie erzählt Angela Steidele die verblüffende Lebensgeschichte einer furchtlosen Frau aus ärmlichen Verhältnissen, die mit Witz und Abenteuerlust alle Grenzen sprengte, die ihr durch Geschlecht und Stand gesetzt waren. Ergänzt um die - aus heutiger Sicht - skurrilen Gerichtsakten verändert In Männerkleidern unseren Blick auf die Frühe Neuzeit und gleicht dabei einem Schelmenroman voll tragischer Komik.
Ein historisches Buch, keine Belletristik - aber das macht auch den Charme aus, die Beschreibung der damaligen Lebensverhältnisse aus erster Hand aus den Aufzeichnungen zeitgenössischer Beschreibungen, eine fast unfassbare Armut und Kleinheit der Welt, aus der Catharina Linck ausbrechen will, wobei es nie ganz klar ist, ob es ihr darum geht, der Armut zu entfliehen oder dem weiblichen Geschlecht, also ob sie ein Mann sein will, ob sie einfach nur sie selbst sein will, ob sie einfach nicht mehr so arm und machtlos sein will. Das problematisiert auch die Autorin in einem extra Kapitel, ebenso die Frage, wie man Catharina Linck/Anastasius Rosenstengel aus heutiger Sicht nennen sollte: Lesbe? Butch? Crossdresser? Drag King? Transgender? Ein gutes Beispiel, wie heutige Kategorien eben doch konstruiert sind, und dass das für Linck/Rosenstengel vielleicht gar keine Rolle spielt, und dass unterdrückerische Systeme ineinander greifen bzw dass sie verschränkt sind, damals krasser und für uns offensichtlicher, aber heute sicher auch.
Eine homosexuelle Ehe im 18. Jahrhundert? Allerdings: Als Mann und Frau getarnt heirateten einige lesbische Paare – offiziell in der Kirche. So auch Catharina Margaretha Linck, die ein wildes Leben als Mann führte. Sie war Prophet, Soldat, Handwerker, entkam in letzter Sekunde dem Galgen, hatte Liebschaften mit verschiedenen Frauen und heiratete sogar. Als Mann zu leben, bedeutete für Frauen der meist niederen Schicht einen sozialen Aufstieg und viel mehr Möglichkeiten, was Linck nutzte. Mit 34 Jahren wurde sie für die „Unzucht mit einem Weybe“ hingerichtet. Sehr gut recherchierte, lesenswerte Biografie, gesellschaftlich und historisch eingeordnet und um die Gerichtsakten ergänzt.
Anfang des 18. Jahrhunderts macht sich ein junger Mann auf in sein abenteuerliches Leben. Er nennt sich Anastasius Lagrantinus Rosenstengel. Zunächst schließt er sich als "Prophet" einer Täufergruppe an, verdingt sich dann als Schweinehirt, bevor er als Musketier in wechselnden Truppen dient. Nachdem er vom Soldatenleben genug hat, lässt er sich als Strumpfmacher in Halberstadt nieder, verliebt sich und heiratet die Angebetete. Erst durch eine Reihe unglücklicher Umstände kommt die Wahrheit ans Licht: Anastasius Rosenstengel ist in Wirklichkeit eine Frau. Catharina Margaretha Linck. Die Entdeckung führt zu einer Anklage und schließlich zu ihrer Hinrichtung.
Es ist ein tragisches Ende, doch hätte es die Anklage nicht gegeben, dann hätte es keinen Prozess gegeben und somit keine Dokumente, welche das Leben einer mutigen Frau belegen, die selbstbestimmt ihren Weg gegangen ist - als Mann, namens Anastasius Lagrantinus Rosenstengel.
Anhand der ausführlichen Gerichtsdokumente, rekonstruiert Angela Steidele den ungewöhnlichen Lebensweg Catharinas und erzählt ihn uns als spannende, gut recherchierte Biographie. Im letzten Kapitel geht die Autorin der Frage nach: War Catharina Linck lesbisch, trans, queer? Sie kommt zu dem Schluss, Label sagen nichts über den Menschen aus. Letztendlich genügt zu wissen: diese Frau war einfach er selbst.
Ich glaube, ich hätte mehr Sterne gegeben, wenn ich gewusst hätte, dass die Hälfte des Buches nur aus Quellen und Anhang besteht. Dennoch war und bin ich fasziniert von dieser Biografie und ein wenig schockiert, dass es keine Verfilmung über sie gibt.
Den autobiographischen Teil fand ich nicht so spannend wie erwartet, dafür aber den kurzen Teil, der sich auf unsere aktuellen Gender-Debatten bezieht, umso mehr. Wenn man sich für Gender-Politik auch im historischen Zusammenhang interessiert, kann ich das Buch sehr empfehlen. Welche Begriffe benutzen wir heute und wie definieren wir sie? In welchen Zusammenhängen sind sie entstanden? Wie hat sich das Verständnis von Geschlecht in den letzten Jahrhunderten geändert und was sagt das über unsere heutige Gesellschaft aus?
Keine Rezension, nur mein liebstes Zitat: "Dennoch war sie auch beim zweiten Handwerksbetrieb in Halle nicht zufrieden - oder mit sich, ihrem Leben und ihren Aussichten."