»Wolfgang Engler hat die ostdeutsche Seelenverfassung wie kein Zweiter erforscht.« FAZ
Nun erscheint das persönlichste Buch des großen ostdeutschen Soziologen, unverwechselbar im Ton, spielerisch, ohne an analytischer Schärfe zu verlieren.
Mit Blick auf die gegenwärtigen Erosionen der deutschen Gesellschaft und nach einer eigenen tiefen inneren Krise schreibt der Soziologe Wolfgang Engler sein persönlichstes Buch. Mit großer Offenheit und Radikalität legt er Zeugnis ab, wie es kaum jemand seiner Generation und Herkunft bislang in Deutschland getan hat. Orientierung sind dabei vor allem die Bücher französischer Autoren der letzten Jahre. Édouard Louis, Didier Eribon und Annie Ernaux – ihre Schilderungen über Klassen- und Lagerwechsel, soziale Verwerfungen und politische Einschnitte sind Engler Wegmarken, anhand derer er seinen eigenen Lebensweg und den der Gesellschaft, aus der er kam und in die er ging, erzählt.
»Was Didier Eribon für Édouard Louis war, war Wolfgang Engler für mich.« Thomas Ostermeier
In der Biographie ,,Brüche – ein ostdeutsches Leben“, das von Wolfgang Engler geschrieben und im März 2025 im aufbau Verlag veröffentlicht wurde, reflektiert Engler seine Sozialisation in der DDR und nach der Wende und verbindet diese mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich habe das Buch gelesen, um mehr über ostdeutsche Lebensrealitäten zu erfahren und um meine westdeutsch geprägte Perspektive zu hinterfragen.
In „Brüche – ein ostdeutsches Leben“ setzt sich Wolfgang Engler mit seinem Leben in der DDR, der Zeit der Wende und der gesellschaftlichen Entwicklung danach auseinander. Dabei verbindet er persönliche Erlebnisse mit soziologischen und politischen Analysen und stellt immer wieder Bezüge zur Gegenwart her. Engler schreibt über seine Kindheit, seine Studienzeit und seine Arbeit als Rektor, aber auch über das Misstrauen gegenüber dem Staat, die Rolle der Bildung, das Scheitern politischer Utopien und seine Auseinandersetzung mit Themen wie Krieg, Verantwortung und Erinnerungskultur. Im Mittelpunkt steht immer die Frage: Was bleibt, wenn das System, das einen geprägt hat, nicht mehr existiert? Und wie lässt sich damit weiterleben?
Engler versucht durch eine differenzierte Analyse seine Selbstreflexion öffentlich machen, indem er seine Sozialisation und seine Biographie transparent aufarbeitet. Zudem möchte er das Verständnis zwischen Ost- und Westdeutschland fördern, verständlich machen, warum viele Ostdeutsche sich heute noch abkapseln und Skepsis zeigen. Um diese differenzierte Analyse zu erreichen, benutzt er verschiedene Mittel. Erstens verwendet er autobiographisches Erzählen – persönliche Anekdoten und Lebensstationen sorgen für Authentizität und Nähe. Zweitens nutzt Engler viele Vergleiche und Kontraste zwischen Ost- und Westdeutschland und äußert Kritik in einem sachlichen und ruhigen Ton. Dies steht für eine differenzierte Analyse, denn er beleuchtet beide Seiten und urteilt fragend und achtsam. Drittens bezieht er sich auf heutige gesellschaftliche Debatten, welche sich z.B. mit der Grenz- und Asylpolitik, mit dem Nah-Ost-Konflikt oder dem Ukraine-Krieg beschäftigen.
Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, vor allem die ersten Kapitel über Englers Leben in der DDR haben mich interessiert. Besonders spannend fand ich ,,Der Bruch“ und ,,Selbstgespräch“, da sie aktuelle Entwicklungen aufgreifen. Trotzdem hätte ich mir hier noch mehr Tiefe gewünscht.
Der Schreibstil war meist gut verständlich, auch wenn einige Fremdwörter den Lesefluss gestört haben. Besonders überzeugt hat mich die Authentizität: Engler schreibt ehrlich, reflektiert und ohne zu verurteilen.
Etwas irritiert war ich über seine Aussagen zu AfD und Trump, die nicht ganz zu seinem sonstigen Bild passen. Insgesamt vergebe ich dreieinhalb von fünf Sternen. Es ist ein ehrliches, anregendes Buch mit kleineren Schwächen.
,,Brüche“ ist ein kluger Versuch, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verknüpfen. Vor allem interessant für Menschen, die selbst keine Berührungspunkte mit der DDR hatten. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und von dem man viel lernen kann.
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