Die wissenschaftliche (oder auch weniger wissenschaftliche) Aktivität, die als „Literaturinterpretation“ bezeichnet wird, hat eine schwierige Phase in ihrer Entwicklung erreicht. Der Hauptgrund liegt darin, dass sie in letzter Zeit vielleicht bis an die Grenzen des Möglichen gegangen „Neuerdings hat die Theorie der Kritik zu Unrecht betont, der Interpretation seien keine Grenzen gesetzt; da jedes Verstehen ein Mißverstehen sei, könne keine Auslegung besser sein als irgendeine andere, und folglich seien alle Auslegungen – potentiell unendlich viele – letztlich gleichermaßen Fehlinterpretationen.“ (Said 1983: 39 / 1997: 58). Somit stellt sich die Frage, ob es in diesem „gigantischen Wettrennen“ (McCanles 1981: 271), zu dem sich die Interpretation gewandelt hat, überhaupt noch irgendwelche Regeln gibt oder ob eine Interpretation tatsächlich „nicht immer richtig oder gerechtfertigt sein muss, um interessant zu erscheinen. Mitunter ist ein Leser so stark, dass alles, was er über einen Text zu sagen hat, interessant ist.“ (Stout 1982: 7 / 2008: 240–241).