In seiner Ideengeschichte in acht Porträts erschließt Onur Erdur eine neue Geografie des französischen Denkens, das die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prä Die Theorien von Intellektuellen wie Michel Foucault, Jean-François Lyotard und Hélène Cixous wurden maßgeblich in Nordafrika oder in der Auseinandersetzung mit den französischen Kolonien geformt. Erdurs Spurensuche führt ihn nach Algier, wo der junge Soldat Pierre Bourdieu mitten im Algerienkrieg seinen Wehrdienst ableistet; ins Küstendörfchen Sidi Bou Saïd nördlich von Tunis, wo Michel Foucault zwischen Sonnenbaden, Strandspaziergängen und ritualisierter Körperkultur zu einer Haltung des philosophischen Hedonismus gelangt; oder nach Casablanca, wo sich Roland Barthes in einer Art Erleuchtung zu einem Romancier fantasiert – und zu Jacques Derrida, Hélène Cixous oder Jacques Rancière, die ihre algerische Herkunft philosophisch reflektieren.
Onur Erdurs kenntnisreiche Perspektive taucht die französisch geprägte Postmoderne ins Licht der Sonne Nordafrikas. Ein halbes Jahrhundert nach der Veröffentlichung der Hauptwerke des Poststrukturalismus blickt Schule des Südens unter das Pflaster der französischen Akademie – darunter glänzt der Strand von Tunis.
Erdur verschiebt den Blick auf die Französische Theorie weg von Paris und fragt wie das Trauma des Algerienkrieges sowie verschiedene Erweckungserlebnisse der Protagonisten dieser Denkschule in (ehemaligen) französischen Kolonien zum Startpunkt ihres Denkens wurde. In acht Miniaturen nähert er sich unterschiedlichen Denkerinnen und Denkern, analysiert deren biographische Erfahrungen und deren (Nicht-)Niederschlag in ihren Theorien. Der (koloniale) Raum bildet hierbei einen Zugang zum Denken. Manchmal hätte man sich die Miniaturen etwas länger gewünscht oder auch mehr zur Breitenwirkung spezieller Denkfiguren erfahren.
Pierre Bourdieu, Jean-François Lyotard, Roland Barthes, Michel Foucault, Jacques Derrida, Hélène Cixous, Étienne Balibar, Jacques Rancière - alle hatten Bezug zu den nordafrikanischen Ländern, die unter französischem Einfluss standen und dieser Bezug - so Onur Erdur - prägte auch ihr Denken. Interessanter Ansatz, gute Literaturhinweise für vertiefende Lektüre, ein wenig Lehre der französischen Theorie, ein nettes Bändchen.