Großartiges historisches Sachbuch: Bei Werken dieses Umfangs neigen viele Historiker dazu, sich im Detail zu verzetteln, so dass man am Ende den Wald vor Bäumen nicht mehr sieht. Marina Münkler aber verliert nie die drei großen Linien ihrer Darstellung aus den Augen, die "Entdeckung" und Kolonisierung der "neuen Welt", die Expansion des Osmanischen Reiches und die Reformation. Besonders die Bedeutung der sogenannten "Türkenkriege" war mir in diesem Zusammenhang bisher nicht präsent, war es doch nicht zuletzt der Abwehkampf gegen die vermeintlichen "Barbaren" aus dem Osten, der den Ablasshandel befeuerte, der wiederum Luther zu seinem Protest gegen die katholische Kirche motivierte. Auch die Überlegenheit der "Barbaren" in Bezug auf Militär und Verwaltung lässt Vermutungen zu, dass der europäische Absolutismus des 17. Jahrhunderts letztlich Produkt eines Kulturtransfers ist. Mit dieser Brennweite lenkt Münkler den Blick weg vom Eurozentrismus traditioneller Geschichtsschreibung, insbesondere in der sehr gründlichen Analyse der Wahrnehmung des Fremden, sei es der indigenen Bevölkerung Amerikas, sei es der "Türken" oder der Anhänger der neuen bzw. alten Konfession (etwa im Hinblick auf die Identifikation der von Spanien unterdrückten Niederlande mit den indigenen Völkern). Bemerkenswert ist die Gründlichkeit ihrer Quellenarbeit, die sie, hier schlägt die Literaturwissenschaftlerin durch, mit großer Sensibilität für die sprachliche Gestaltung betrachtet. So ist die Debatte um die Markierung des Fremden nicht zuletzt eine um Begrifflichkeiten, so ist Luthers Polemik gegen die katholische Kirche nicht nur publizistisches Instrument, sondern bedeutet die Popularisierung theologischer Debatten, die er damit aus dem Elfenbeinturm des Leteinischen befreit (und das nicht erst mit seiner Bibelübersetzung). Gefühlte Wahrheit: Derzeit scheint jedes zweite historische Sachbuch für sich in Anspruch zu nehmen, sein Sujet markiere den "Beginn der Morderne". Auch wenn Münkler auf einen derartigen Titel verzichtet, auf ihr Buch trifft er zu.
Ein ausgezeichnetes gut lesbares Geschichtsbuch mit 4 Hauptteilen, nämlich die Eroberung der Neuen Welt, die Verteidigung der Christenheit gegen die Osmanen, Luther und Religionskriege in der Alten und Neuen Welt. Ich habe dazu sehr viel Parallellektüre gelesen.
Leserinnen und Leser werden feststellen, dass Marina Münkler mit "Anbruch der neuen Zeit: Das dramatische 16. Jahrhundert" ein fulminantes Porträt gewisser epochalen Ereignissen des 16. Jahrhundert gelungen ist. Leider geht es aber auch nicht darüber hinaus. Denn Münkler abhandelt dieses Jahrhundert nur anhand dieser Ereignisse: die Entdeckung der neuen Welt, die "Türkenkriege" und die Reformation. In diesen Themen geht sie auch sehr detailliert auf die Entstehungsgründe, Rezeption, Aspekte etc. ein. M. E. lässt sie aber darüber hinaus weitere wissenswerte Themen komplett aus. Weder erfährt die Leserschaft etwas zur (globalen) Entwicklung von Gemeinschaften/Gesellschaften, gesamteuropäischen-politischen Lage, noch geht sie detaillierter auf kulturelle, soziale oder wirtschaftliche Errungenschaften ein. Entsprechend ist man in diesen von ihr gesetzten Themen als Leser gefangen.
Dies ist gerade deshalb erwähnenswert, da Marina Münkler darauf verweist, dass sie eine globalgeschichtliche Studie liefern möchte und impliziert, dass sie weg von den eurozentrisch geprägten Sichtweisen auf die Geschichte gehen möchte. Dies ist an sich lobenswert; bleibt aber in der Praxis häufig schwammig und entspricht m. E. auch nicht immer den Tatsachen.
Als Beispiel erfährt man immer wieder (und das auf knapp 70 Seiten!, S. 229-293) wie doch die Europäer die von ihnen bezeichneten "Türken" (Osmanen) Unheil über den Kontinent gebracht hätten. Gleichzeitig erfährt die Leserschaft nichts über die Sicht der Osmanen auf die Europäer - grundsätzlich wird die Geschichte auch aus europäischer Sicht geschrieben. Dies wäre gerade aus dem Ziel eine Verflechtungsgeschichte anzustreben, eigentlich offensichtlich und notwendig. Leider wird diese Prämisse m. E. trotz dem exzellenten Erzählstil Münklers nicht erfüllt. Entsprechend ist die Monografie für Menschen lesenswert, die gerne die genannten Themen näher beleuchten möchten und dabei kein Problem mit der Unausgewogenheit dieser hat.
Quelle: Münkler, Marina: Anbruch der neuen Zeit: Das dramatische 16. Jahrhundert, Berlin 2024.