Eine Familiensaga in Zeiten des Zweiten Weltkrieges Nach dem Tod seines Vaters entdeckt Tobi Dahmen eine Sammlung alter Familienbriefe. Ausgehend von den bewegenden Zeitzeugnissen rekonstruiert er eine Chronik der deutschen Kriegsjahre im Spiegel seiner eigenen Familiengeschichte.
Minutiös recherchiert und gefühlvoll erzählt In seiner mitreißenden Graphic Novel erzählt Tobi Dahmen nicht nur die Geschichte seiner Familie, sondern reflektiert eindrücklich die deutsche Vergangenheit und die Fragen nach politischer und persönlicher Verantwortung.
In Form einer 530 Seiten starken Graphic Novel erzählt Tobi Dahmen die Geschichte seiner Eltern und deren Familien in den Jahren zwischen 1935 und 1945. Hierfür hat er auf dem Vor- und Nachsatzblatt die jeweiligen Stammbäume der Familien Dahmen und Funcke eingefügt, was mir persönlich sehr geholfen hat und wo ich auch häufig nachschlagen musste. Die Rahmenhandlung bildet die Reise des Autors von Utrecht nach Düsseldorf zu seinem sterbenden Vater im April 2015. Die chronologische, episodenhafte Erzählform wird – bis auf zwei Einschübe (Zugfahrt nach Dresden, Januar 2005 und Utrecht, Mai 2013) – strikt eingehalten. Die Schauplätze wechseln allerdings stetig, je nach der aktuell fokussierten Person. Zur besseren Orientierung erfolgt bei jedem Ortswechsel oben links die Angabe von Ort und Zeit. Tobi Dahmen orientierte sich bei der Erstellung dieser Chronik an (Feld-)Briefen, Einberufungsbescheiden, Zeitungsartikeln, Fotos, Radiodurchsagen, Reden und vor allen Dingen an Erzählungen und Erinnerungen seiner Eltern und weist dabei einen hohen Grad an intensiver und umfangreicher Recherchetätigkeit auf. Die Authentizität dieses Werkes ist also gegeben und stellt somit ein mikrogeschichtlich relevantes Werk für die Nachwelt dar. Nicht nur geschichtswissenschaftlich betrachtet handelt es sich hier um einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der Kriegsgeschichte, sondern auch künstlerisch ist „Columbusstraße“ ein Meisterwerk. Tobi Dahmen trifft mit seinem Zeichenstil genau meinen Geschmack: Passend zur düsteren Thematik sind die Illustrationen ausschließlich schwarz-weiß gehalten. Der Detailreichtum der Panels ist teilweise atemberaubend, die Darstellung von Mimik und Gestik ist sehr facettenreich und realistisch. Emotionen werden auf einfache Weise so plastisch dargestellt, dass es oft keiner Worte bedarf. Haltung, Gesten und Blicke sprechen für sich. Er ist dabei schonungslos, brutal und ungeschönt ehrlich, aber genau das macht es so nachvollziehbar, ergreifend und emotional. Denn eines waren die Jahre zwischen 1935 und 1945 nicht: schön und unbeschwert. Ergänzt wird das Ganze durch einen umfangreichen Appendix: Das Glossar erklärt Wissenswertes zu einzelnen Seiten, Ereignissen, Personen, Begriffen und Regionen, das Bild- und Textquellenverzeichnis gibt die Herkunft der verarbeiteten Informationen an, und eine Quellen- und Literaturliste runden die Beweislage ab. Eines steht fest: Diese Geschichte ist nichts für Zwischendurch und auch nichts für Zartbesaitete! Zum einen, weil man in Bezug auf die Personen und ihre jeweiligen Aufenthaltsorte am Ball bleiben muss, da ansonsten der rote Faden sehr schnell verloren geht, und zum anderen, weil es wirklich harte Kost ist, auf die man sich einlassen wollen muss und die – so zumindest bei mir – immer stark nachhallt, teilweise über Tage. Für mich hat Tobi Dahmen hier ein Jahreshighlight geschaffen, das mich unfassbar stark berührt hat. Ich war schockiert, zu Tränen gerührt, ich habe den Atmen angehalten, vor Ungerechtigkeit aufgeschrien und war jeder Person dankbar, die den Familien in diesen grauenhaften Zeiten einen Hoffnungsschimmer bescherte. Dieses illustrierte Stück Erinnerungskultur werde ich weiterempfehlen und in meinem Bücherregal in Ehren halten! Ich bin so gespannt, wie es nach 1945 mit der Familie weiterging, besonders in Hinblick auf die Brüder Eberhard und Peter. Danke, Herr Dahmen, dass Sie uns auf so wunderbare Weise Einblicke in Ihre ganz persönliche Familiengeschichte gewährt haben!
Als Tobi Dahmen in Utrecht 2015 einen Anruf aus Düsseldorf erhält, eilt er überstürzt in sein Elternhaus; denn sein Vater Karl-Leo (*1932) liegt im Sterben. Rückblicke führen in Karl-Leos Kindheit im Stadtteil Oberkassel, wo der 1923 Geborene mit zwei älteren Brüdern und einer Schwester in bürgerlich-katholischem Umfeld aufwächst. Sein Vater Karl arbeitet als Rechtsanwalt hauptsächlich für katholische Klienten, so dass er zu Beginn des Nationalsozialismus verwundert reagiert, dass er – ohne sein Wissen – auch jüdische Klienten vertritt. Der 1888 geborene Karl war Teilnehmer des 1. Weltkriegs; die Vorfahren seiner Frau Lissy geb. Brand waren Fabrikbesitzer u. a. in Breslau. Ein Familienstammbaum mit Vätern, die im 1. Weltkrieg „dienten“ und Söhnen als Wehrmachtssoldaten des 2. Weltkriegs kann beispielhaft für viele deutsche Familien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stehen.
Auf der Basis von Briefen, Tagebucheintragungen seiner Großmutter und Erinnerungen von Karl-Leo Dahmen hat der Autor die Chronik seiner Familie in den Jahren 1935-1945 recherchiert. So treffen wir seinen Großvater Karl, stets mit Fliege, Hut und Nickelbrille unterwegs, in seinem Herrenclub und erfahren, dass er aus religiösen Gründen dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstand. Die 1921 und 23 geborenen Söhne sollten als Nachfolger der Kanzlei aufgebaut werden, auch um den Preis traumatisierender Internatserfahrungen. In Breslau folgen wir parallel dazu der mütterlichen Linie mit Heinz und Lore Funcke und ihren 1936 und 1940 geborenen Kindern. Ab 1940 werden Eberhard und Peter zur Wehrmacht eingezogen, Marlies arbeitet als 16-Jährige im Kriegshilfsdienst und wird ihre Familie erst Jahre später wiedersehen. Das Nesthäkchen wird, ungewöhnlich privilegiert, zunächst zu Bekannten in den Westerwald evakuiert. Eindringlich wirken, neben bedrückenden Kriegserlebnissen der älteren Brüder und Bombenangriffen auf Düsseldorf 1943, bereits Karl-Leos Beobachtungen auf seinem Schulweg als 10-Jähriger; er beobachtet Zwangsarbeiter bei Aufräumarbeiten, Flüchtende und Warteschlangen vor Lebensmittelgeschäften.
Tobie Dahmen schont seiner Leser:innen weder vor den Kriegserlebnissen seiner Onkel noch vor dem Todesurteil wegen Wehrkraftzersetzung gegen Nennonkel Ewald Huth, in dessen Familie Karl-Leo Schutz vor den Bombenangriffen auf Düsseldorf erhielt. Beeindruckt haben mich neben doppelseitigen Panoramen besonders die leidgeprägten Gesichter. Dahmens Figuren altern durch die Kriegsereignisse und magern im Laufe der Handlung sichtlich ab. „Columbusstraße“ erzählt (typisch für die Epoche) die Geschichte junger und alter Männer, in der Frauen Nebenrollen spielen und durch ihr Schweigen weniger gut wegkommen. Überdeutlich zeigt die Gegenüberstellung von Zeichnungen und Dokumenten die Widersprüche damaliger Ideologie auf, wenn z. B. auf dem Russland-Feldzug Peters Kamerad auf Wache zu Eis erfriert, er in - zensierten - Briefen in die Heimat jedoch die Fassade von Propagandafloskeln aufrecht hält. Ein sehr ausführliches Glossar ergänzt den Bild-Teil des Buches und weist auf eine mögliche Fortsetzung der Chronik hin.
Fazit Durch die Reduktion auf Schwarzweiß-Zeichnungen und Wiedergabe von Originalbriefen und -dokumenten wirkt Dahmens vorbildlich recherchierte 500-Seiten-Chronik absolut authentisch.
Tobi Dahmen hat hier eine absolut eindrucksvolle Erinnerung geschaffen. Die Leseprobe hat mir bereits neugierig gemacht und grafisch absolut überzeugt. Als das Buch bei mir ankam, war ich von der Größe und dem Gewicht erst einmal ordentlich überrascht. Die Gestaltung ist wirklich toll und das Buch wirkt sehr hochwertig. Als gelernte Grafikerin hat mich die grafische Seite wirklich sehr beeindruckt. Jedes einzelne Panel ist detailreich ausgearbeitet und die schiere Arbeitsleistung, über 500 Seiten mit dieser Liebe zum Detail zu füllen ist beeindruckend. Die Farbgebung unterstützt die Wirkung des Inhalts zusätzlich. Also auch erstmal völlig unabhängig von der inhaltlichen Seite ist die grafische Seite eine Meisterleistung und ich hoffe, bald auch noch die zweite (eigentlich erste) Graphic Novel „Fahrradmod“ in die Hände zu bekommen. Zum Inhalt zu kommen ist hier wirklich der schwierigere Part. Die Vor- und auch die Kriegszeit unter der NS-Regierung darzustellen ist meines Erachtens nicht einfach. So viele sensible Themen, die nicht leicht anzugehen sind und die ganz schnell verharmlost wirken können, wenn man es falsch macht. Tobi Dahmen hat allerdings auch das mit Bravour gemeistert. Zusätzlich erschwert auch noch dadurch, dass es nicht einfach „irgendeine“ Geschichte ist, sondern die seiner eigenen Familie. Ich glaube, viele Autoren würden so etwas als ihr Lebenswerk bezeichnen und dass er das schon in so jungen Jahren bewerkstelligen konnte, hat meinen absoluten Respekt verdient. Das Buch war bedrückend. Man weiß natürlich bereits, dass es nicht gut ausgeht. Nicht gut ausgehen kann. Dazu muss ich wohl nicht vier erklären. Und trotzdem gibt es die Hoffnung darauf, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Ich glaube, gerade jetzt, nach den aktuellsten Wahlergebnissen, täte die Lektüre vielen Menschen gut, so dass die NS-Zeit, der Krieg und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht einfach nur eine Fußnote in einem Geschichtsbuch sind, sondern dank Tobi Dahmen auch Gesichter bekommen. Ich werde das Buch bestimmt viele Male lesen. Und zu gegebener Zeit auch meine aktuell noch zu jungen Kinder lesen lassen. Ich verbleibe mit gemischten Gefühlen. Ich habe häufig schlucken müssen. Und gleichzeitig habe ich die grafische Ausarbeitung bewundert. Ich vermag nicht mir vorzustellen, wie es Tobi Dahmen während der Entstehung des Buchs erging. Ich kann nur meinen umfangreichen Respekt erklären. Vielen Dank für dieses besondere Buch!
In seinem Werk Columbusstraße berichtet der Autor und Illustrator Tobi Dahmen eindrucksvoll vom Schicksal seiner Eltern, Karl-Leo Dahmen und Andrea Funcke, und ihren Familien zwischen den Jahren 1935 bis 1945.
Über die Geschichte seines Vaters lernen wir das Leben einer sechsköpfigen Familie aus Düsseldorf näher kennen. Karl-Leo „Kleo“ Dahmen der Jüngste, erlebt den Krieg aus verschiedenen Perspektiven: städtisch, auf dem Land und im Internat. Dadurch lernen wir nicht nur viele imposante Figuren kennen, wie etwa Kleos Nennonkel Ewald Huth, sondern ebenso den Unterschied in der Wahrnehmung des Kriegs zwischen städtischen und ländlichen Gebieten.
Kleos ältere Brüder werden beide an die Front gerufen. Über handgeschriebene Briefe der Brüder, die wir wortgetreu überliefert bekommen, werden uns ihre Erlebnisse, Gefühle und Träume übermittelt.
Dahmens Mutter Andrea „Binka“ Funcke wächst in einer vierköpfigen Familie auf, zusammen mit ihrem jüngeren Bruder und ihren Eltern, zieht sie häufig um, der Fokus liegt jedoch auf Breslau. Durch ihre Perspektive erfahren wir mehr über das Leben eines jungen Mädchens zu dieser Zeit.
Columbusstraße ist eine eindrucksvolle Graphic Novel über eine Zeit, die niemals vergessen werden darf! Dem Autor und Illustrator gelingt es eindrucksvoll die Sammlung alter Familienbriefe in eine stringente Reihenfolge zu bringen und die Gefühle seiner Vorfahren zu übermitteln. Die Zeichnungen sind durchweg schwarz-weiß gehalten, dennoch schafft Dahmen es, dass sie sowohl positiv als auch negative Gefühle transportieren.
Ein besonders wertvolles Werk, das ich mit Sicherheit auch in Zukunft noch häufig aus dem Regal holen werde, um darin zu lesen. Eine Familiengeschichte, wie keine andere und doch eine Geschichte, die den Nerv der Zeit trifft. Ich bin dankbar, dass Tobi Dahmen seine Familiengeschichte auf diese Weise offenlegt, damit die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät.
Tobi Dahmen findet nach dem Tod seines Vaters eine Sammlung alter Familienbriefe und nimmt dies zum Anlass, ein gutes Stück Erinnerungsgeschichte in Form einer Graphic Novel auf 528 Seiten niederzuschreiben. Ja, das Buch hat tatsächlich so viele Seiten, was für eine Graphic Novel sehr ungewöhnlich ist und ich bin sehr froh, dass der Carlsen Verlag sich nicht entschieden hat, das Buch in mehrere Teile zu trennen.
Das in meinen Augen sehr Besondere an dieser Geschichte liegt in der Perspektive. Der Autor schildert nämlich die Vorkriegszeit wie auch die Kriegszeit währen des Zweiten Weltkriegs aus Sicht einer »normalen« gutbürgerlichen Familie. Ich denke, dass sich schon viele Menschen Gedanken dazu gemacht haben, wie wohl sie sich selbst während des Naziregimes verhalten hätten. Nachempfinden kann ich das glücklicherweise nicht, wie es sich anfühlt, wenn ein Krieg sich ankündigt und dann auch kommt. Weil es einfach unvorstellbar ist.
Der Autor packt in seine Familiensaga sehr viel historisches Wissen und verbindet dieses mit den Erlebnissen, die er anhand der Briefe rekonstruiert hat. Und wenn Lücken auftraten, so hat er seine Fantasie bemüht, um diese zu schließen, so dass für den Leser am Ende eine zusammenhängende Geschichte erzählt wird. Klar, ich als Leser weiß es besser und kenne den Ausgang dieses unrühmlichen Kapitels in der Geschichte Deutschlands. Die Menschen, die damals auf dem deutschen Staatsgebiet lebten, hatten diesen Wissensvorsprung nicht, weshalb ich es mir nicht herausnehme, irgendwen zu verurteilen.
Diese Graphic Novel ist angesichts ihres Umfangs und ihres Inhalts eine schwere Kost. Solch eine Geschichte kann vor allem zum Ende hin den Leser nur niederdrücken. Dennoch ist sie sehr lehrreich und sollte als ein Stück Erinnerungskultur wahrgenommen werden.