Ein Junge, der sich eine Gewalt herbeisehnt, die eine Kuhle hinterlässt mit den Umrissen Deutschlands. Er lebt in einer Siedlung, wo die Küchen keine Abzüge haben, und in deren Fluren es nach Armut, Majoran und Etagenbetten riecht. Es sind die 1990er und er ist mit seiner Familie aus dem Iran ins Ruhrgebiet geflohen. Die Mutter ist Soziologen, der Vater ein Schriftsteller, in dessen Sprache es fünfzehn verschiedene Begriffe für Stolz gibt. Deutschland erlebt er als Kränkung und wird zum Beobachter. Erschöpft sich dabei, das Land zu begreifen, während die Mutter an das An- und Weiterkommen glaubt und die Wut des Sohnes immer ungehemmter wird. Denn auf den Straßen seines Viertels herrscht eine Gewalt, von der die Eltern wenig mitbekommen.
Ein Roman über ein tristes Land. Über die Diaspora als Heimat. Über die Freiheit im Fremdsein. Über kaputte Aufzüge und die Wahrheit der Schwäne.
》Wir sind ein Alptraum. Ich weiß nur noch nicht, wessen.《
Mit sieben Jahren kommt der Ich - Erzähler mit seinen Eltern, der Vater ist Schriftsteller und die Mutter Soziologin, als Flüchtling aus dem Iran. Mit einem " vielleicht geeignet" kann er später auf das Gymnasium.
In den Fluren des Wohnkomplexes riecht es "nach Armut, Majoran und Bockshornklee. Nach Kinderzimmern mit Etagenbetten und Arbeitslosigkeit". Die Eltern glauben dem Fernseher nicht, Brot wird als Ziegelstein bezeichnet und weggeworfen, dafür schmecken die giftigen Kornelkirschen einfach lecker. Freunde werden Drogendealer, sterben, kommen ins Gefängnis oder aber auch zu Reichtum. Es gibt zwischen 10 und 15 Begriffe für Stolz und es gibt die erste Liebe.
Behzad Karim Khani erzählt diese (persönliche?) Coming of Age Geschichte bedacht, poetisch, amüsant, ohne Aggression und sehr klug. Nachdenklich aber auch schmunzelnd bin ich förmlich durch dieses Buch geflogen. Für alle, die das Genre Coming of Age lieben, ist diese Geschichte auf jeden Fall lesenswert!
»Ich kenne meine Einzelteile nicht. Habe sie verlegt. Weiß nicht, wo oder wann. Auf der Flucht. Im Iran. In meinen Träumen, die mir vertrauter sind als mein Wachzustand. Ich träume nicht vom Iran. Ich träume im Iran.« (S.69)
Der 10-Jährige Reza landet mit seinen persischen Eltern nach der Flucht aus dem Iran ausgerechnet im Ruhrgebiet. Am Bochumer Stadtrand ist die Armut Realität. Dazwischen gibt es die kleinen süßen Momente des Glücks, wie der Fund von Kornelkirschen 🍒. In diesem Ballungsraum treffen nicht nur die verschiedensten Personen, Kulturen, Ansichten aufeinander, sondern die Gewalt ist allgegenwärtig.
»Völkerball ist so grausam, dass es aus unserem Viertel kommen könnte.« (S.78) 🏐
Während seine Eltern darüber hinwegsehen, als studierte Soziologin und Schriftsteller über Linguistik diskutieren, sich mit Arbeit über Wasser halten und dabei das bestandene Soziologie-Studium wiederholen, um in Deutschland auch anerkannt zu werden, gelangt er immer tiefer in die Gewalt und nimmt die Karriereleiter abwärts: Von einer gescheiterten Ninja-Clique über ‚Pakt schlägt sich, Pakt verträgt sich‘ bis zum Dealer und Gangster, um kein Opfer zu sein. Hier muss er seine Gefühle ausblenden, um nicht zu zerbrechen. 💔
»Alle sieben Jahre sind wir neu, sagt man. Alle Zellen erneuert. Aber die Narbenzelle erneuert sich wieder in eine Narbenzelle. Vererbt die Wunde. Vergisst nicht. Das Gedächtnis des Traumas liegt in der Wunde selbst.« (S. 175)
Tiefgründig, poetisch, ehrlich, in prägnanten Szenen und im fragmentarischen Erzählstil erzählt der Autor Behzad Karim Khani auch in seinem zweiten Roman »Als wir Schwäne waren 🦢« über das Leben nach einer Flucht aus Kriegsgebiet, das Aufwachsen in Deutschland der 90er Jahre, die eigenen Konflikte und Kriege. Er schreibt über Angst, Zorn, Wut, Zerrissenheit, Schmerz, Verlust, Leere, Zugehörigkeit, Familie, Freundschaft, Erwartungen, Enttäuschungen, Gesellschaftskritik, Verwunderung, Ankommen — oder doch eher (Weiter-)Gehen?
»[…] und dann werde ich mir sagen, dass meine Eltern mir nicht die Fremdheit vererbt, sondern die Welt geschenkt haben.« (S. 186) ❤️🩹
He did it again: Nach seinem erfolgreichen Debüt »Hund, Wolf, Schakal« gelingt es dem Autor auch mit seinem neuen Roman die grausame, gewaltvolle Realität, die existiert, zu transportieren, ohne diese zu verurteilen.
Wer "Wolf, Hund, Schakal" gemocht hat, dürfte auch dieses Buch lieben. Ein sehr poetischer, etwas fragmentarischer Text. Am ehesten eine Art Coming-of-Age Roman und eine Milieustudie einer Einwandererfamilie aus dem Iran.
Die Eltern sind aus dem Iran ausgereist und irgendwie sind sie in Deutschland gelandet. Es hätte auch irgendein anderes Land sein können. Die Mutter war Soziologin und der Vater Schriftsteller. Ihre Abschlüsse werden in Deutschland nicht anerkannt, das Abitur wenigstens schon. Etwas eigenartig finden sie, dass fremde Kinder an der Tür für eine Mark nach etwas zu essen fragen. Der Junge sorgt dafür, dass das nicht mehr vorkommt. Es ist das erste Mal, dass er einen anderen verprügelt. Wie es mit Kindern manchmal so ist, gründen sie eine Art Bande, die sich aber schnell wieder auflöst.
Wahrscheinlich haben die Eltern es sich nicht leicht gemacht mit ihrem Entschluss, die Heimat zu verlassen. Doch was hatten sie in der Fremde erwartet? Möglicherweise nicht, dass der Vater Taxi fahren muss, damit die Mutter wieder ein Studium aufnehmen kann. Ob sie es abschließt? Sie werden nicht richtig heimisch. Und der Junge bleibt ein Fremder unter Fremden. Immerhin ist geht er aufs Gymnasium. Allerdings ist er auch mit denen aus der Siedlung der Ruhrgebietsstadt in Kontakt, die auf die schiefe Bahn geraten. Auch er gerät in Gefahr, nur etwas Glück und eine Bewährungsstrafe verhindern den gänzlichen Absturz.
Angetan von den guten Rezensionen begibt man sich an das Buch, vielleicht um ein Verständnis dafür zu bekommen, wieso andere sich hier nicht willkommen fühlen. Möglicherweise ist es unausweichlich, dass man da enttäuscht wird. Man erfährt weder von den Erwartungen, noch zum Beispiel, ob etwas getan wurde, um anzukommen. Man erfährt nicht, ob der Junge die Schule abschließt. Man erfährt, dass er als Erwachsener in irgendeiner Art zu sich selbst findet. Er hat mehrfach den Mut zu gehen, aber irgendwie nicht den Mut anzukommen. Doch das ist sein Ziel, zu gehen und anzukommen. Man hofft, dass er es schafft. Man ist selbst aber genauso schlau wie vorher. Immerhin ist der Roman in geschliffener Sprache geschrieben und spannend zu lesen.
ICH BEISSE IN DIE HAND, DIE MICH FÜTTERT Kurzmeinung: Zu sehr auf Aphorismen gebürstet - es hätte ein wenig mehr sein dürfen. Reza hasst Deutsche und deutsche Kinder gleichermaßen, denn er ist selber noch ein Kind, ein heranwachsender Jugendlicher, der glaubt, sich in seiner billigen Wohnsiedlung beweisen zu müssen. Er bewundert diejenigen ausländischen Jugendlichen, die einen auf dicke Hosen machen, die keine Autorität gelten lassen, alle Regeln brechen und sich ihre eigenen machen: so will er auch sein. Gewalt ist Macht. Deshalb bejaht er sie. Er begreift nicht, dass Gewalt die größte Hilflosigkeit überhaupt ist.
Der Kommentar und das Leseerlebnis: Der Autor ist wie in seinem ersten Roman, Hund, Wolf, Schakal, überaus sprachmächtig. Seine Bilder beeindrucken und erzeugen Emotionen, meistens stoßen sie ab, aber sie zeigen Wirkung beim Leser. Das ist großes literarisches Können. Trotz allem ist er zu sehr auf Aphorismen fixiert, also auf Effekt, und weniger auf Zusammenhänge. Das ist ein Manko. Freilich sein einziges.
Der Botschaft jedoch, die sein Protagonist Reza übermittelt, zeige ich die kalte Schulter: Deutschland sei sch****, gemein, ein Volk voller Mörder und Neonazis und Rassisten, ein Staat, der Flüchtlinge mit dem Lebensnotwendigsten versorge, aber ansonsten im Regen stehen lässt, kurzum: ein Land, das an allem schuld ist, an inneren und äußeren Nöten, ein bescheuertes überhebliches Land, das Heimat sein will, niemals, für ihn nicht. Er wird niemals ankommen. Und anderseits können sich seine Menschen nicht wehren, sie sind Luschen oder Lesetreter und versinken im Drogenrausch. Oder sie bauen sich spießige Reihenhäuser und halten sich Gartenzwerge. Dafür hat er nur Verachtung übrig. Diese Haltung spiegelt schlecht verborgenen Sozialneid. Reza dealt selbst und erlebt wie die Jungs, mit denen er gespielt hat und deren Denke er versteht, nicht immer teilt, reihenweise abgleiten in die harte Kriminalität, im Gefängnis landen oder dumme Tode sterben. Es ist erstaunlich, dass ein Autor, der als 10jähriger mit seinen Eltern aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet ist, einen solchen Roman schreibt, einen, der so voller Wut und Hass ist. Der Autor ist natürlich nicht identisch mit Reza, aber es fällt einem schwer, Reza und Behzad immer auseinander zu halten, da der Roman durchaus einen autofiktionalen Anteil hat. Ja, es ist schwer, in einem fremden Land anzudocken. Aber den meisten gelingt es irgendwie. Die erste und die zweite Generation zahlt drauf. Aber das ist niemandes Schuld! Das ist die Konsequenz einer Flucht! Wenn überhaupt, ist das Herkunftsland verantwortlich, dafür nämlich, dass eine Flucht überhaupt erforderlich gewesen ist. Diese Realität wird in der Migrantenliteratur überwiegend verweigert. Frust und Enttäuschung kann ich durchaus nachvollziehen, aber wer sagt, dass es im Herkunftsland besser war? Es gab doch einen Grund, herzukommen. Niemand hat gerufen. In diesem Roman jedenfalls, wird kein Wort hinsichtlich solcher Dinge wie Mitverantwortung, Mitgefühl für die Drogenopfer, Mitgefühl für die Opfer ausgeübter Gewalt, verloren. Verantwortlich sind alle, nur man selber nicht! Nun ist Reza natürlich nicht Behzad. Das darf man nie vergessen, wenn man diesen Roman liest. Und trotzdem: alle Möglichkeiten hat Deutschland gegeben. Nicht so viele, wie man erwartet hat, aber durchaus nicht „gar keine“. Wut und Hass bricht aus diesem Roman, beides kann ich nicht tolerieren, und nur bedingt nachvollziehen. Immerhin räumt der Autor in seinem Vorwort an seinen Sohn wenigstens die Möglichkeit einer Heimat ein, was darauf hindeutet, dass er über die Unversöhnlichkeit Rezas hinausgewachsen ist und mir hilft, mich rein auf das Literarische zu konzentrieren:
Fazit: ein Roman, der in Kafkas Sinne Nachhall hat. Dessen Botschaft ich jedoch energisch widerspreche! Deutschland ist nicht schuld an der Migrantenmisere. Es ist überaus schlechter Stil, in die Hand dessen zu beißen, der einen füttert.
"Hund, Wolf, Schakal" hat mir leider nicht gefallen. Aber ich wollte dem Autor auf jeden Fall eine zweite Chance geben. Zu Beginn von "Als wir Schwäne waren" hat mich die sehr einfache Sprache, die fast naive Erzählweise etwas gelangweilt. Im Verlaufe des Textes hat mich aber der Inhalt trotzdem gepackt, so dass ich froh war, den Roman gelesen zu haben.
Nicht ganz so narrativ und Plot-haltig wieder Vorgänger, dafür aber sprachlich-metaphorisch reichhaltiger! Hat mich kurz vorm dritten Teil kurz ein bisschen verloren aber dann wieder gut zurückgeholt, obwohl ich mir etwas mehr vom letzten Teil gewünscht hätte.
Dieser Roman ist definitiv das Highlight meiner Augustbücher. Khani beschreibt das Aufwachsen eines Jungen, der mit seinen Eltern aus dem Iran ins Ruhrgebiet geflohen ist. Er lernt schnell, dass „Du bist hier Gast“ in Deutschland nicht herzlich und freundlich gemeint ist, dass er nie „dazu“ gehören wird, immer Beobachter bleiben wird. Außerdem lernt er, wie er sich in seinem Viertel, in dem es zwar viele Arten von Armut, aber nicht viele Chancen gibt, mit Gewalt Respekt verschaffen kann. Trotzdem spürt er, dass er mit seiner Wut seine eigentlichen Gefühle von Angst und fehlendem Selbstwertgefühl nur überdeckt. Seine Eltern, im Iran Akademiker, in Deutschland plötzlich ohne Abschluss, gehen mit der Fremdheit anders um, nichts davon taugt als Vorbild für die eigene Identität. Viele Absätze habe ich zweimal gelesen, weil ich sie so dicht, schonungslos und ausdrucksstark fand. Der Roman ist geschrieben wie ein Gedicht - da ist kein Wort zu viel, alles ist präzise beobachtet, jedes Bild ist treffend. Selbst für die Beschreibung von Gewalt findet der Autor immer wieder poetische Bilder, die hinter die harten Fassaden des Jungen und seiner Freunde schauen lassen. Die Stimmung wechselt dabei mühelos von Nachdenklichkeit zu Kälte zu Witz zu Warmherzigkeit und zurück. Insgesamt gefällt mir „Als wir Schwäne waren“ daher sogar noch besser als Khanis Debütroman „Hund Wolf Schakal“.
Mit neun Jahren kommt Reza aus dem Iran nach Deutschland. Er gehört einer persischen Familie an: der Vater ein Poet, die Mutter Soziologin. Ihre akademischen Abschlüsse werden jedoch nicht anerkannt, was den Vater zu einem Job als Taxifahrer zwingt. In einer Wohnung im Plattenbau in Bochum leben sie als drei Ausländer unter vielen.
„Als wir Schwäne waren“ ist ein Roman von Behzad Karim Khani.
Der Roman setzt sich - nach dem Prolog - aus drei Teilen zusammen. Sie bestehen jeweils aus kurzen, teils sehr knappen Kapiteln.
Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Reza. Geschildert werden seine Kindheit, seine Jugend und die Zeit als junger Erwachsener. Trotz der chronologischen Erzählweise wirkt der Roman in den ersten beiden Teilen auf mich wie eine Aneinanderreihung von Anekdoten. Das liegt möglicherweise an den thematischen und zeitlichen großen Sprüngen zwischen den Kapiteln.
In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman dennoch überzeugt. Der Stil ist geprägt von kurzen Sätzen, einer reduzierten Sprache und treffenden Bildern. Dabei wird viel Atmosphäre und Zeitgeist vermittelt, etliche Assoziationen werden geweckt. Kein Wort ist dabei zu viel, keins zu wenig.
Im Mittelpunkt des Romans steht die dreiköpfige Familie. Nicht nur Rezas Innenleben wird anschaulich dargestellt, sondern auch die Ansichten und Gefühlslage der Eltern werden deutlich. Diese und weitere Figuren wirken lebensnah. Dem Roman ist anzumerken, dass der Autor autobiografische Elemente verarbeitet hat.
An der Lektüre hat mich gereizt herausfinden, wie Migranten Deutschland empfinden und welche Schwierigkeiten das Ankommen bereitet. Zwar begegnet Reza hin und wieder Alltagsrassismus. Dieser wird jedoch nur am Rande thematisiert. Das mag auch damit zu tun haben, dass seine Familie im Ghetto lebt und der Junge viel mehr Zeit mit anderen Ausländern als mit Deutschen verbringt, obwohl er es aufs Gymnasium schafft. Wieso er eine riesige Wut auf Deutschland entwickelt, warum er trotz des höheren Bildungswegs zwischenzeitlich abrutscht und weshalb er der Ansicht ist, im Ausland mehr Glück zu haben, all das wird leider nur in Ansätzen erklärt. Zwar mag dies damit begründet sein, dass der Lebenslauf exemplarisch für so viele Migrantenbiografien stehen soll. Diese und sonstige Leerstellen auf den nur knapp 190 Seiten machten es für mich allerdings schwierig, alles nachzuvollziehen und zu verstehen.
Auf inhaltlicher Ebene geht es stattdessen zumeist um Gewalt und Kriminalität. Dennoch hat die Geschichte auch ihre witzigen Momente, wobei ich nicht sicher bin, ob die Komik an all diesen Stellen beabsichtigt ist.
Gut gefallen hat mir, wie toll das ungewöhnliche Cover und der Titel miteinander harmonieren. Der Schwäne-Vergleich klingt nicht nur poetisch, sondern passt auch hervorragend zur Geschichte.
Mein Fazit: Mit „Als wir Schwäne waren“ hat Behzad Karim Khani einen sprachlich beeindruckenden Roman geschrieben, der zwar einige Fragen offen lässt, aber durchaus lesenswert ist.
Khani setzt den Erfahrungen seines Protagonisten, Gewalt, Fremdsein, Identitätssuche eine sehr spielerische Sprache entgegen. Das wirkt manchmal ein bisschen bemüht, ich verstehe aber die Intension dahinter (subjektiv interpretiert natürlich) Ein wenig klischeehaft empfinde ich die Nebencharaktere, seinem Ich-Erzähler aber gibt er Tiefe und Ungereimtheiten, Wahrhaftigkeit und Widersprüche mit. Das mochte ich.
Aber weil ich weiß, wie es ist, fehl am Platz zu sein, bin ich es. (S.70)
Als wir Schwäne waren ist ein wütendes, rohes Buch. Die einzelnen Kapitel gleichen eher Momentaufnahmen als einer durchgehenden Erzählung: Fragmente von Migration, Gewalt, Abstieg und Erinnerung. Genau diese Sprunghaftigkeit spiegelt vielleicht den inneren Zustand des Protagonisten wider.
Khani schreibt mit Kraft und Härte, manchmal auch mit poetischer Klarheit. Stellenweise ist der Text ein kleines Aphorismen-Feuerwerk. Doch genau darin liegt auch eine Gefahr: Was in einem Moment wie eine tiefe Wahrheit klingt, droht im nächsten zur Plattitüde zu werden.
Vieles erinnert stark an Hund, Wolf, Schakal, wirkt hier aber eher wie eine komprimierte, konzentrierte Variante ohne dessen erzählerische Tiefe.
„in der auseinandersetzung mit mir selbst weiß ich, dass ich lüge. dass ich in wirklichkeit eine gerechtigkeit herstellen wollte, in der nicht ich so heile bin wie alle anderen, sondern alle anderen so kaputt wie ich“: behzad karim khani schreibt hiphop, er schreibt gewalt und er schreibt zärtlichkeit. sein erstes buch „hund, wolf, schakal“ hat mich vor ein paar monaten beim lesen nicht losgelassen, sein zweites buch fühlt sich an wie eine fortsetzung der gedankenwelt seines debüts - mit weniger handlung, mehr poesie. er beobachtet und schreibt ehrlich und detailliert von einer grausamen, gewaltvollen lebenswelt, als hätte er in ihr gelebt, um diese bücher zu schreiben. dabei erzählt er von dieser welt mit zärtlichkeit, fast liebevoll. dieser spagat, der vielleicht gar keiner ist, sondern viel mehr eine fehlende perspektive, fühlt sich ein bisschen nach zu hause an. große empfehlung, „hund, wolf, schakal“ und „als wir schwäne waren“ gehören definitiv zu den besten büchern, die ich dieses jahr gelesen habe.
„Genauso funktionieren Orte, denke ich. Irgendwann kippen sie, und wenn man nicht aufpasst, fallen sie auf einen und saugen einen aus. (…) Das passiert, wenn man nicht in Bewegung bleibt, wenn man nicht wegkommt. (…) Ich gehe, bevor sich die Erde unter meinen Füßen zu einem Land verdichtet und aus khak zamin wird.“
This entire review has been hidden because of spoilers.
Es gibt nichts auszusetzen an diesem zweiten Buch von diesem sehr tiefgründigem Autor. Wer das erste Buch gelesen hat, wird hier erneut auf die zornige Poesie und Weltanschauung in Form von fragmentarischen Geschichten stoßen. Dieses Mal sind die Geschichten jedoch noch etwas kürzer und zusammenhangsloser, macht es aber nicht schlechter. Empfehlenswert
Eine Geschichte über das Aufwachsen in Armut, mit Rassismus, in einer Nachbarschaft im Ruhrgebiet mit wenig Perspektiven und mit der Suche nach Herkunft, eine Geschichte, die so unglaublich wunderschön und poetisch geschrieben und voller Verletzbarkeit und Jugend ist, sich vielleicht auch aufgrund der autofiktionalen Bezüge echt und greifbar anfühlt, eine Geschichte, die mal scheinbar distanziert Gewalt schildert und dann wieder voller feinem Humor ist. Kurz: Eine extrem gut geschriebene Geschichte, die ich nur weiterempfehlen kann und die ein starker und wichtiger Beitrag zur deutschen Literatur ist.
Mega schöner Umgang mit Sprache, sehr lyrisch. Fragmentarisch begleiten wir den Protagonisten in seiner Betrachtung der Welt. Der Autor hat sich gegenüber seinem Debutroman mit diesem sehr gesteigert. Leise Töne, spannende Beobachtungen, tiefgreifende Wortspiele und eine sehr poetische Sprache machen dieses Buch sehr besonders.
eines der wichtigsten bücher dieses jahres! sehr poetisch geschrieben, hätte gerne noch weiter gelesen.
ein paar eindrücke, die ich mir markiert habe:
"Ich bin der Wurm, der sich in das Glas fressen kann. Der Einzige meiner Art. Das ist meine eigentliche Superkraft. Wenn ich will, schraube ich mich ins Glas, richte es mir dort für immer ein und jeder, der mich sieht, glaubt, ich sei auf der anderen Seite.“
„Als die Ecken unserer Pflastersteine ein wenig runder geworden sind, fällt meinem Vater auf, dass es in Deutschland nirgends frische Maiskolben zu kaufen gibt. Wo wir herkommen, riecht der Hochsommer nach Mais.“
„Ich weiß nicht, was seine Ruhe ausmacht. Ob es das Gefühl ist, die Welt könne warten, oder dass es ohnehin für alles zu spät sei. Aber auf diesem Schotterweg mit dem Löwenzahn an den Rändern rennt er.“
Bochum, 1990er Jahre, Plattenbau: Der 10-jährige Reza ist mit seinen Eltern aus dem Iran geflüchtet und hier gelandet. In der Wohnsiedlung bilden bereits Kinder Gangs – und in einer solchen wird auch er sich beweisen müssen, sei es durch Gewalt oder illegale Geschäfte. Als mittlerweile erwachsener Erzähler blickt er zurück auf diese ersten Jahre in einem fremden Land, dass seine neue Heimat werden soll – selbstkritisch und ungeschönt.
«Als wir Schwäne waren» wirkt trotz des chronologischen Aufbaus wie eine Aneinanderreihung von Anekdoten. Diese sind allerdings so sprachmächtig, dass sie einen sogartig in die Erzählung hineinziehen und sich ins Gedächtnis einbrennen. Ein eigentlicher, klarer Handlungsstrang wird nicht benötigt. Insgesamt ein gleichermassen berührendes, brutales und ehrliches Buch.
Ich find s'buech guet, aber ich han meh erwartet, wills so in himmel globt worde isch. Ich het warschindlich au eh besseri bewertig geh, ohni das vorwüsse, aber naja, isch halt so. was het mir gfalle? - schnelle, moderne schriibstil, hans in praktisch 1 (arbeits)tag glese gah. - Bildhaft und zum nachdenke ahregend verzelt. - gueti charakter was het mir nöd gfalle? - han die ganz gschicht het nöd en mega fade gah, und isch eher vor sich her plätschert. - ich het mir bi einige theme gwünscht, dass de autor no meh is detail gange, wär, da er mit sine bildhafte beschriebige für mich mega viel usegholt het. insgesamt sicher es buech, wo meh guet lese chan, aber sicher nöd muss:) 3.5/5
Ich weiss nicht recht … ungern gelesen habe ich das Buch nicht, aber etwas, das ich schwer benennen kann, war mir unangenehm. Vielleicht der immer leicht selbstgerechte Tonfall des Erzählers? Die doch eher fragmentarische Form, die ich in der Chronologie nicht ganz verstanden habe? (oder habe ich zu schnell gelesen?) Das manchmal prätentiös Poetische der Sprache? – Es tut mir nicht Leid um die Zeit, die ich mit dem Buch verbracht habe, doch ein zweites Mal werde ich mich nicht dahintersetzen, nur um besser zu verstehen, was mich stört.
In einem Interview sagt Khani, er habe einen Heimatroman geschrieben, aber eben für die Heimatlosen. Dem lässt sich kaum etwas hinzufügen. Stellenweise war es mir persönlich etwas zu poetisch, dafür gab es auch Passagen, die ich mehrmals gelesen habe, weil sie so gut geschrieben waren. Und es tut weh.
Behzad Karim Khanis neuer Roman „Als wir Schwäne waren“, erschienen 2024 bei Hanser Berlin, schließt von der poetischen Wucht her nahtlos an „Hund, Wolf, Schakal“ an, lässt aber auch viele Lücken und kommt so aus einer einseitig wirkenden Betrachtungsweise nicht ganz heraus.
Das Buch startet mit einem Paukenschlag von Prolog, gerichtet an ein 5-jähriges Kind, von dem wir nicht entschlüsseln werden, ob es sich hier um den Autor selbst handelt. Direkt der erste Absatz hat mich mitten ins Herz getroffen, hier steckt schon so viel drin! Lieblingssatz daraus: „Und ich, tausend Lügen klüger, sagte nicht, dass fair ein so einfaches Wort ist, und Gerechtigkeit ein so schwieriges“. Um diese Gerechtigkeit wird es viel gehen auf den knapp 200 Seiten die folgen und um das Konzept von Heimat, und die Suche nach einer solchen, nach einem Ankommen, sie treibt den Protagonisten Reza den ganzen Roman lang um. Sehr berührend und auch bedrückend die Kindheitsschilderung angekommen in Deutschland, in Bochum, abgeschieden vom Rest der Stadt, das Fremde, die Versuche, Gemeinschaft zu finden, die sich schnell immer wieder im Keim ersticken, aber auch die eigene, selbstgewählte Abgrenzung. Die Diskriminierung und der Alltagsrassismus bis hin zur offenen Provokation. Gewalt als einziger Weg nicht unterzugehen. Mit wenigen klaren und sprachspielerisch großartigen Sätzen schafft der Autor es immer wieder, Kulturunterschiede deutlich zu machen. Ich liebe dabei seinen Humor, mit dem er immer so viel Leichtigkeit in die Schwere bringt. Viel Zeitkolorit der 90er Jahre, dass er auch mit wenigen Informationen greift. Der Stolz der Perser als wichtiges Thema, etwas, dass unsere Gesellschaft immer wieder einfach ignoriert, aber auch die Sanftmut, die unendliche Geduld, die große Gastfreundschaft, das immer helfende Herz, die ausgeprägte Höflichkeit, die leisen Stimmen.
Behzad Karim Khani schreibt episodenhaft und fragmentarisch, er erzählt ein schnelles Aufwachsen, das sich immer mehr mit Gewalt und Verachtung füllt, ohne dass man lesend den Finger darauf legen kann, worin diese fußen. Reza hat einen starken Hang, sich unbeteiligt zu geben, wirkt emotional abgekoppelt, fast dissoziiert teilweise, wie er zwischen hoher Gewaltbereitschaft und der absoluten Unlust auf Gewalt und Konflikt pendelt. Gefühleanhalten nennt er selbst diesen Zustand. Da wir nichts über seine Reise nach Deutschland erfahren, ist es schwer zu sagen, ob es ein zugrundeliegendes Trauma gibt. Das ist ein nicht wegzuredendes Manko des Romans, der Autor gibt uns keinerlei Hintergrundinformationen zu seinem Protagonisten. So wird die Gewalt- und Abstiegsspirale, in die er sich aktiv begibt, schwer nachvollziehbar, die Anklagehaltung findet keine lesbaren Wurzeln. Reza fühlt sich in seiner Würde stark verletzt, es wird jedoch nicht identifizierbar, wann und wodurch das geschah.
Was aber sehr deutlich wird, ist das Gefühl, nicht mehr heilen zu können und keinen wirklichen Platz auf der Welt zu haben. Hierfür findet der Autor ein starkes Bild, wenn er von einem Aquarium spricht, wo er immer unter Beobachtung steht, aber auf der anderen Seite der Wand ist kein Leben möglich. Und so wird er sich in die Wand bohren – wie er das macht, das erfährt man im Buch.
„Hier gibt es nichts für dich, wofür es sich zu brennen lohnt.“ Sagt Rezas Mutter und sie trifft für mich den Nagel auf den Kopf. Aus diesem Zustand gibt es viele Auswege, einer ist Adrenalin. Was können wir tun, gegen die Leere, in die viele Geflüchtete geraten? Behzad Karim Khani findet durchweg eine starke Sprache für dieses Gefühl, unfassbar schöne Bilder, man möchte jeden Satz unterstreichen, ausschneiden, aufhängen. Doch es bleiben auch sehr viele Fragen offen, was der lesenden Person oft die Möglichkeit zur Empathie nimmt.
Seinen Frieden nur zu finden, indem man versucht, sich im Dazwischen einzurichten, weil das das Beste ist, was man überhaupt erreichen kann – das finde ich persönlich ganz furchtbar. Damit dürfen wir uns auseinandersetzen, um Alternativen zu finden zum Adrenalin. Vielleicht durch das Lesen dieses Buches.
Ein großes Dankeschön an wasliestdu.de und Hanser Berlin für das Rezensionsexemplar!
Contentwarnung: Das Buch enthält Themen wie Gewalt, Kriminalität und Alltagsrassismus
„Als wir Schwäne waren“ ist ein bewegender Roman von Behzad Karim Khani, der die Geschichte von Reza erzählt, einem Jungen iranischer Herkunft, der mit seinen Eltern nach Deutschland flüchtet. Der Roman, der in den 1980er und 1990er Jahren spielt, gliedert sich in drei Teile, die chronologisch die Kindheit, Jugend und frühe Erwachsenenjahre von Reza nachzeichnen. Die Familie, bestehend aus dem poetischen Vater und der soziologischen Mutter, sieht sich mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert: ihre akademischen Qualifikationen werden nicht anerkannt, was den Vater dazu zwingt, als Taxifahrer zu arbeiten. In ihrem neuen Zuhause im Plattenbau von Bochum kämpfen sie darum, sich in einer Umgebung zurechtzufinden, die von Armut und sozialen Spannungen geprägt ist. 🌍
Behzad Karim Khani hat den Roman in der Ich-Perspektive und im Präsens geschrieben, was uns eine unmittelbare und intensive Verbindung zu Rezas innerer Welt ermöglicht. Khani verwendet kurze, prägnante Sätze und eine reduzierte Sprache, die dennoch reich an treffenden Bildern und Metaphern ist. Diese stilistische Reduktion trägt zur Intensität der emotionalen Darstellung bei und ermöglicht es, komplexe Gefühle und Situationen auf eindringliche Weise zu vermitteln.
Der Roman ist durchzogen von poetischen Elementen, die eine besondere Atmosphäre schaffen. Die kurzen, oft fragmentarischen Kapitel erinnern an ein Mosaik aus Erinnerungen, das uns die Vielfalt und Fragmentierung von Rezas Erfahrungen vor Augen führt. Gleichzeitig bleibt der Autor bei der Schilderung von Gewalt und sozialen Konflikten sachlich und unverblümt, was den Kontrast zwischen der poetischen Sprache und der rauen Realität verstärkt. Khani verwebt persönliche Erfahrungen mit allgemeinen Beobachtungen über das Leben von Migrant:innen und die Herausforderungen der Integration. Reza, der als Außenseiter zwischen den Welten lebt, steht im Zentrum der Erzählung, während der Roman gleichzeitig ein vielschichtiges Bild seiner Familie und der Nachbarschaft zeichnet. Die Themen Gewalt, Kriminalität und soziale Ausgrenzung sind ständige Begleiter, während sich Reza mit seiner Identität und seinen Gefühlen gegenüber Deutschland auseinandersetzt. 💔
„Als wir Schwäne waren“ hat mich tief beeindruckt und emotional bewegt. Die fragmentarische Erzählweise und die Sprünge zwischen den Kapiteln erforderten zwar eine hohe Aufmerksamkeit und Bereitschaft, sich auf den offenen Erzählstil einzulassen, doch gerade dies machte den Roman zu einem intensiven Erlebnis. Das Buch ist für mich nicht nur ein literarisches Erlebnis, sondern auch eine eindringliche Reflexion über die Herausforderungen und die Zerrissenheit von Migrant:innen in einer neuen Heimat - eine Geschichte, die mir nicht fremd ist. 💭
Fazit: Trotz seiner kompakten Länge und der fragmentarischen Erzählweise schafft es Khani, eine tiefgreifende und bewegende Geschichte zu erzählen. Die poetische Sprache und die sachliche Darstellung von Gewalt und sozialer Benachteiligung machen das Buch zu einem starken und nachdenklich stimmenden Werk, das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann. Danke an Vorablesen für dieses Rezensionsexemplar. 📝