Alles, wovor ich Angst habe, ist schon passiert: Doris Knecht Fans werden das Buch lieben | »Warmherzig, witzig und sehr lesenswert.« Mareike Fallwickl
Eine Frau versucht, ihr Leben neu zu gestalten, nachdem ihr Mann sie verlassen hat. Alles, was in ihrem Leben so sicher war – Liebe, Arbeit und Familie – ist nicht mehr da. Im ersten Frühling, den sie allein verbringt, hält sie das Erwachen der Natur für eine Verschwendung von Schönheit an eine tote Seele und bleibt aus reiner Höflichkeit am Leben. Sie kann die Vorstellung nicht ertragen, den Rest ihres Lebens allein zu verbringen – denn sicher ist sie zu alt für eine neue Partnerschaft? Und vor allem für Dating Apps. Die Vorstellung, mit einem unbekannten, unvollkommenen Körper ein Bett zu teilen, ihren alternden Körper vorzuzeigen und sich fremden Blicken auszusetzen, ist ihr zunächst unangenehm. Doch bald tauchen neue Menschen im Leben einer Frau auf, die dachte, alles schon hinter sich gehabt zu haben.
Wencke Mühleisens Roman “Alles, wovor ich Angst habe, ist schon passiert” ist ein leises, zugleich kraftvolles literarisches Porträt einer Frau am Wendepunkt ihres Lebens. Die Protagonistin, Anfang siebzig, wird nach jahrzehntelanger Beziehung verlassen und muss sich nicht nur mit dem plötzlichen Alleinsein, sondern auch mit den Zumutungen und Ängsten des Älterwerdens auseinandersetzen. Was folgt, ist eine schonungslose und intime Auseinandersetzung mit Verlust, Körperlichkeit, Begehren und dem Wunsch nach Nähe – in einer zumeist digitalen Welt, die auf junge Körper und schnelle Beziehungen ausgerichtet scheint.
Mühleisen schreibt präzise und sensibel über eine Lebensphase, die in der Literatur nach wie vor unterrepräsentiert ist. Der Roman lebt vor allem von seiner Innenperspektive: Gedanken, Erinnerungen und Fantasien der Erzählerin überlagern sich und zeichnen ein intensives Bild ihres inneren Erlebens. Dabei spart die Autorin nichts aus – weder die Scham noch die Einsamkeit, weder die körperlichen Veränderungen noch die Sehnsucht nach Berührung. Besonders eindrücklich ist die Darstellung der Auseinandersetzung mit Online-Dating. Hier prallen Hoffnung und Ernüchterung, digitale Projektionen und reale Zurückweisungen aufeinander – ein Thema, das Mühleisen mit feiner Beobachtungsgabe und gesellschaftlichem Scharfsinn behandelt.
Die Stärke des Romans liegt in seiner Authentizität. Mühleisen gewährt ihrer Figur Würde, ohne sie zu idealisieren. Sie beschreibt eine Frau, die mit aller Kraft versucht, sich selbst nicht zu verlieren, auch wenn die Welt um sie herum ins Wanken gerät. Diese konsequente Innenansicht kann jedoch auch eine Schwäche sein: Der Roman verzichtet weitgehend auf eine weitreichende äußere Handlung, was für einige Leser:innen möglicherweise zu monoton oder langatmig wirkt. Der Stil ist introspektiv, stellenweise melancholisch, was die emotionale Tiefe zwar verstärkt, den Zugang aber auch erschweren kann.
Trotzdem gelingt es Mühleisen, eine universelle Thematik in ein konkretes, glaubhaftes Einzelschicksal zu übersetzen. “Alles, wovor ich Angst habe, ist schon passiert” ist kein Roman, der unterhält – es ist einer, der erst tief geht, einen ein klein wenig sprachlos macht und dann sachte nachhallt. Er fordert Empathie, Geduld und Offenheit gegenüber einer Lebensphase, die oft an den Rand gedrängt wird. Gerade darin liegt seine Bedeutung: In einer Gesellschaft, die Jugend verherrlicht und Alter ignoriert, ist dieses Buch ein literarischer Akt der Sichtbarmachung.
Was für eine besondere Geschichte. Das Thema, Dating, insbesondere Online-Dating während der Pandemie, im Alter fand ich sehr interessant und berührend, ich fand den Eindruck, der dabei gegeben wurde sehr illustrativ und kann mir gut vorstellen, dass er die Realität recht gut abbildet. Am allerbesten hat mir der Stil der Geschichte gefallen, sehr poetisch, immer wieder habe ich Stellen mehrmals gelesen, weil sie mich sprachlich so begeistert haben. Allerdings hatte ich die ganze Zeit über auch ein sehr distanziertes Gefühl zur Geschichte. Obwohl ich die Protagonistin mochte, konnte ich sie nicht richtig fühlen und habe mich sehr als Betrachterin von Außen der Geschichte gefühlt. Das war etwas schade. Trotzdem aber ein total empfehlenswertes und wunderschön geschriebenes Buch.