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Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne

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Was wäre, wenn man nicht diese eine Entscheidung getroffen hätte, sondern jene andere? Was wäre, hätte man der Erwartung getrotzt? Und dann ist da trotzdem die Furcht, feige gewesen zu sein, zu lange gezögert und etwas verpasst zu haben, ein besseres Ich, ein größeres Glück, die lustigeren Haustiere und Partner.

Saša Stanišić führt uns an Orte, an denen das auf einmal möglich den schwierigeren Weg zu gehen, eine unübliche Wahl zu treffen oder die eine gute Lüge auszusprechen.

So wie die Reinigungskraft, die beschließt, mit einer Bürste aus Ziegenhaar in der Hand, endlich auch das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. So wie der Justiziar, der bereit ist zu betrügen, um endlich gegen seinen achtjährigen Sohn im Memory zu gewinnen. Und so wie der deutsch-bosnische Schriftsteller, der zum ersten Mal nach Helgoland reist, nur um dort festzustellen, dass er schon einmal auf Helgoland gewesen ist.

Am besten wäre ja, man könnte ein Leben probeweise erfahren, bevor man es wirklich lebt.

256 pages, Hardcover

First published May 30, 2024

171 people are currently reading
2311 people want to read

About the author

Saša Stanišić

27 books2,128 followers
And I am a writer, writer of fictions.

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413 (18%)
2 stars
105 (4%)
1 star
18 (<1%)
Displaying 1 - 30 of 234 reviews
Profile Image for Saša Stanišić.
Author 27 books2,128 followers
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June 3, 2024
Es ist schon wieder was passiert.

„Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ ist passiert.

Wenn du dich nun fragst, wo überhaupt in dem Fall vorne ist, dann bist du schon mal richtig hier. Aber du bist auch dann hier nicht falsch, wenn du dich nicht das fragst, sondern etwas ganz anderes.

Zum Beispiel, wie wahrscheinlich es sei, mit einem Panzer aus dem II Weltkrieg durch Winsen an der Luhe zu cruisen.

Oder: Was wäre, wenn die Nebenwirkung eines Insektenpestizids die wäre, zwanghaft Karoline von Günderode zu zitieren?

Oder: Welche Zukunft würdest du dir wünschen, wenn du zehn Minuten einer deiner vielen möglichen Zukünfte probeweise leben könntest?

Oder: Konnte Heinrich Heine eigentlich schwimmen? (Ja.)

Wahrscheinlich aber fragst du dich, wie du in diesen Zeiten neben Kind/Karriere/Kochkurs/Klimakatastrophe und anderen großen Angelegenheiten, die wie alle große Angelegenheiten mit „K“ beginnen (Konflikte, Kriege, aus der Kirche ausgetreten und seitdem jeden zweiten Tag den Pfarrer im Edeka treffen), wie sollst du da überhaupt Zeit finden, noch mehr zu lesen als ohnehin nachts bis zwei News auf web.de.

Ja, das weiß ich jetzt auch nicht.

Aber ich würde mich dennoch finanziell freuen, wenn du 24 Euro bei deiner Lieblingsbuchhandlung in die "Gießkanne" investieren würdest, und letztlich fehlt dir ja vielleicht auch einfach noch dieser eine Klecks beigefarbenen Buchrücken im Regal, um eine angenehme Farbharmonie herzustellen.

Alles Feine!

Saša
Profile Image for Great-O-Khan.
467 reviews126 followers
August 23, 2024
Mein bisheriges Lieblingsbuch von Saša Stanišić war der Erzählungsband "Fallensteller". Dabei bevorzuge ich normalerweise Romane. Die Romane von Saša Stanišić gefallen mir auch sehr gut, aber die Erzählungen sind für mich noch besser. Sein neuer Erzählungsband mit dem schönen Titel "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne" ist mein neues Stanišić-Lieblingsbuch und ganz weit oben auf der Liste meiner Favoriten in 2024.

Ich bewerte üblicherweise die einzelnen Geschichten eines Sammelbandes und berechne daraus meine Gesamtwertung. Dieser Band ist der erste, bei dem ich jede einzelne Erzählung mit der Höchstwertung beurteilt habe. Stanišić trifft genau meinen Humor. Er verbindet Alltägliches mit Ernstem und reichert es mit Skurrilem an. Ganz wunderbar ist auch, wie er die Geschichten über die faszinierenden Figuren miteinander verbindet.

Immer wieder gibt es Sätze wie "Georg Horvath muss sofort was naschen, wenn er eine Excel-Datei öffnet.", die auf den ersten Blick seltsam klingen, aber auf den zweiten Blick überaus spannend sein können. "Du triffst dich zum Doppelkopf ja auch nicht für den Nervenkitzel oder um andere Singles kennenzulernen." "Der Siggi lebte im zweiten Stock und war Schornsteinfeger und Reichsbürger." "Sobald man in Müllfragen etwas nur 'glaubt', ist es sicher Restmüll." "Fragezeichen nerven."

Die Einschätzung der einzelnen Erzählungen:

1 Neue Heimat *****
Es ist Juni 1994. Die sechzehnjährigen migrantischen Jungs wohnen in einer Betonwüste. Sie fantasieren über einen Proberaum, in dem man sein zukünftiges Leben ansehen kann. "Die mit Abstand beste Idee, die Fatih jemals gehabt hatte."

2 Traumnovelle *****
Dilek putzt in der Wohnung von Frau Sehner, als die Zeit stehen bleibt. Sie träumt von der Türkei. Dilek ist die Mutter von Fatih aus der ersten Geschichte. Ihr Leben wird erzählt.

3 Gegen das Kind in Memory gewinnen *****
Georg Horvath aus dem Erzählungsband "Fallensteller" ist zurück. Es geht vordergründig um Mülltrennung. Die bisher lustigste Geschichte.

4 Gegen das Kind in Memory verlieren *****
Es ist 2017 in Norddeutschland. Georg Horvath ist in Elternzeit. Während er sich um "Babypaul" kümmert, spielt er Pokémon Go. Er ist einer der Top-20-Pokémon-Spieler Bremens.

5 Gegen das Kind in Memory unentschieden holen *****
Georg Horvath spielt mit seinem Sohn, dem "Grandmaster of Piraten-Memory". Anschließend möchte er seine Kündigung in die Firma bringen. Dort trifft er auf Miro Klose. Danach geht es zum Taubenfüttern.

6 Es pfeift der Wind bei hohler See, nicht Mond, nicht Stern ist in der Höh'; doch halten fest wir im Gesicht auf fernem Turm der Heimat Licht, wohin wir oft uns fanden *****
Der Ich-Erzähler geht in den Inselkrug auf Helgoland. Er wird von der Wirtin beschuldigt vor dreißig Jahren ihr Schild gestohlen zu haben. Auch eine Geschichte über das Schreiben.

7 Gründe einer Verspätung *****
Mo aus dem Erzählungsband "Fallensteller" ist zurück bzw. er ist zu spät zum Doppelkopfsamstag. Schuld ist die Tigermücke.

8 Mo, der Panther und Petra, der Funker *****
Es wird nahtlos an die vorherige Geschichte angeschlossen. Es wird skurril. "Seit wann liefern Postboten Panzer?" Wir brauchen mehr Geschichten mit Mo.

9 Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne *****
Gisel besucht Hermanns Grab. Anschließend zurück nach Hause. "Gisel an der Haustür. Wie gut es wäre, wenn dahinter ein Gebäude läge, in dem sie alle Entscheidungen schon getroffen hätte." Ein altes Leben wird beschrieben.

10 Der Hochsitz *****
Es ist 1994. Die Jungs aus der ersten Geschichte sind zurück. Es geht um Heine-Lesen auf dem Hochsitz und Zusammenstöße mit der Polizei vorm Edeka. Und es geht um die Schriftstellerwerdung.

11 Anprobe *****
Fatih Ozan, Saša Stanišić, Mo, Gisel, Harry Heine, Georg Horvath und Dilek Ozan sehen sich als Testpersonen ihre Zukunft im Proberaum an (siehe Geschichte 1).

12 Neue Heimat *****
Eine kurze Reprise, die den Kreis zur ersten Geschichte schließt.
This entire review has been hidden because of spoilers.
Profile Image for Alexander Carmele.
475 reviews430 followers
August 27, 2024
Literarisches Entspannungsprogramm für den Strandurlaub mit ein paar gewollt-erscheinenden Denkanstößen

Ausführlicher, vielleicht begründeter auf kommunikativeslesen.com

Inhalt: 2/5 Sterne (Alltagsnebenschauplätze)
Form: 2/5 Sterne (einfach-unverkrampft)
Komposition: 3/5 Sterne (serielle Reihung)
Leseerlebnis: 2/5 Sterne (unanstrengend)

Saša Stanišić‘ neuestes Buch stellt eine Art beliebig erweitbarer Roman dar. Es beginnt mit einer futuristischen, fast Stanislaw Lem’schen Aussicht auf eine Zeitreisemaschinen-Erfindung, die parallele Lebenswege, je nach Entscheidungsstand, vorhersehbar werden lässt, und bei Gefallen, gegen einen gewissen Aufpreis, festgelegt werden kann. Von dieser Erfindung an werden nun verschiedene Lebenswege präsentiert, bspw.:

● Fatih Ozan (Zeitreisenerfinder)
● Saša Stanišić (Fußballtrainer)
● Gisela Brunner (Bärendompteurin)
● Georg Horvath (Justiziar)

Was nun passiert, lässt sich als feucht-fröhliche Fahrt durch die Abgründe, Phantasmagorien, durch die Ängste, die Traumata, die Hoffnungen, also als Reise durch den bundesrepublikanisch-libidinösen Stimmungsstrudel beschreiben:

Und das alles – diese ganze Person [aufrecht gehende Seniorin] vor diesem Edeka, ihre Ruhe und ihr Stock vom Elfenbein, ihre Hochsteckfrisur, und dass sie uns zulächelte, obwohl sie noch gar nicht so nah war –, das passte nicht zu den grauen Pflanzen in den grauen Kübeln in dieser arschtristen Supermarktpassage, passte nicht zu Michel, zu mir, zu den Polizisten, passte nicht zur Anspannung, die von den beiden ausging, und zum Druck, der bei Michel und mir ankam, passte nicht zu der braunen Bananenschale im letzten Einkaufswagentausendfüßlers (wir waren das nicht, ich schwöre!).

In Jugendsprech flott daher fließend, mundartlich-eingewebt, authentisch gefärbt, fröhlich und frei nach Schnauze improvisiert stellt sich ein gewisses Diskurslandschaftsbild ein, drollig, freundlich, anspruchslos und nett, und auf seine Weise selbstironisch und flanierend deeskalierend. Stanišić legt eine Sommerstrand-Nachmittagscocktaillektüre vor, die insbesondere da glänzt, wo einer Figur eine gewisse Verweildauer eingeräumt wird:

»Ohne Plan ist sowieso am geilsten«, sprach Nico die große Wahrheit aus und lehnte sich zurück, weil man das so tat, nachdem man eine große Wahrheit ausgesprochen hatte in den Weinbergen. Faith lehnte sich auch zurück und Piero auch, ich lehnte mich auch zurück, und dann lehnte sich, ohne Scheiß, das komplette Neckartal zurück, kurz knirschte der Horizont.

Stimmungstechnisch eine fröhliche Variante von Necati Öziris Vatermal und eine kollagierte Form von Dinçer Güçyeters Unser Deutschlandmärchen , gemixt mit Szenen und Episoden aus Tijan Silas Radio Sarajevo , wobei in Form, Klang, Mischbrettklaviatur Barbi Marković‘ Minihorror Pate gestanden haben mochte: Comicstrip-Einlagen, lose Komposition aus Gegenwartsdiskursen, Einsprengsel, Miniaturverweise und Zitationsdschungel.

Prosa als Medium dient hier nur als Projektionsfolie von divergenten Diskursansprüchen, die unversöhnt nebeneinander stellen bleiben. All dies aber wird zusammengehalten von einer fröhlichen, intervenierenden Erzählstimme, die das alles ernst, aber nicht allzu ernst nimmt und zum nächsten Aperol Spritz ruft. Wie Fahrstuhlmusik also ein guter Lückenfüller im vielleicht doch allzu dicht gewebten Lektüreprogramm.

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Details – ab hier Spoilergefahr (zur Erinnerung für mich):
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Inhalt: 1) Drei Freunde in den Weinbergen, der Ich-Erzähler, Saša, Piero, Fatih, Nico. Fatih träumt von einer Maschine, die einen die Zukunft erleben lässt, und wenn sie gefällt, kann sie gegen Gebühr, festgelegt werden; der Rest des Buches handelt nun von Lebensläufen, und von der Möglichkeit, aus diesen zu entfliehen, eben mit imaginären Mitteln. 2) Es beginnt mit Dilek, die bei einer Journalistin putzt, Mutter von Fatih. In der Episode merkt sie erst sehr spät, dass die Zeit stehen geblieben ist. 3) Als nächstes kommt Georg Horvath, der ein Problem damit hat, gegen seinen Sohn Paul in Memory zu verlieren, und unglücklich in seinem Job ist. 5) Dann erscheint ein Zwischenspiel des Ich-Erzählers, der sich in eine Reiseschilderung auf Helgoland verirrt, also ein narrativer Doppelagent, mit Heinrich Heine im Gepäck. 6) Dann dreht sich alles ums Doppelkopf Spielen von Zinke, Mo, Manuel und Frau Idzikoswksa, wobei Mo irgendwann verschwindet und dann mit einem Panzer auftaucht, was den Reichsbürger-Nachbarn Siggi aus dem Konzept bringt. 7) Eine Geschichte von einer Witwe, die wieder versucht zurück ins Leben zu finden. 8) Der Ich-Erzähler, wie er in den Ferien liest, sich die Zeit vertreibt, allein, um nicht zugeben zu müssen, dass sie nicht genug Geld haben, um nach Helgoland zu fahren. 9) Es endet nun mit Kurzgeschichten über die Maschinenprotokolle der einzelnen Lebensläufe und welchen nun „geloggt“, also festgelegt werden sollen. Die einzelnen Geschichten werden nur kurz angerissen; Episoden stehen nur in einem sehr losen Zusammenhang; sehr wenig Narration, eher szenisch, kollagiert, eher zusammengebastelt, gepuzzelt, kreuzworträtselhaft. Keine sehr originellen Lebensläufe, und wenn, wie auf Helgoland, nur als Skizze. Surrealistisch gewollt, Astronautenanzug, Tigermoskito, Panzer mit rosafarbener Schleife. Pokémon-Suche; Panini-Bild-Suche --> 2 Sterne

Form: Sehr einfache Sprache, ohne viel Wortaufwand, sehr restriktiver Wortschatz, wahrscheinlich durch Ich-Erzähler gewollt; unvollständige Sätze, sehr viele Partizipien, Hauptwortgemengelagen. Auffällig und etwas nervenaufreibende Eigennamendichte, um Leseschwierigkeit herabzusetzen? Überhaupt kein längeren Beschreibungen. Flüssig, aber durch die niedrig gehaltene Aufmerksamkeitsschwelle. Heinrich Heine-Zitate. --> 2 Sterne

Komposition: Die Zeitreisemaschine-Idee als Faltungskonzept. Mit ihr beginnt das Buch, Charaktere und ihr wahres Leben werden beschrieben, dann wieder zusammengefaltet, und mit der Reiseidee vermischt und am Ende protokolliert. Deshalb eine komplexe Verfugungstechnik, auch das Spiel mit Manuskript, Figur, Erzähler und Autor bringt Bewegung in die narrativen Muster. Hier verschieben sich Erzählebenen; das Erzählen selbst wird erforscht, leider mittels Schichtung und nicht mittels Verwebung, also mittels Sequenzierung, nicht Mediatisierung, inhaltlich-erzählerische Verflechung. Serialität, deshalb Beliebigkeit in Zahl und Reihung. --> 3 Sterne
Profile Image for Fabian.
136 reviews83 followers
July 5, 2025
Heinrich Heine travels into the future, the author, Saša Stanišic, takes an imaginary trip to Heligoland as a teenager and Georg Horvath finally wins against his son in a pirate memory game. Three boys play Doppelbock with a Reichsbürger, their friend finds a gold treasure and a widow starts a new life: first with the Schleswig-Holstein state champion in preparing sandwiches and then with a bear in its cave.

In episodic stories, everyday life is made tangible through the absurd. The believable and the unbelievable happen, with an invisible boundary. It becomes clear what it means to be an immigrant in Germany, a lonely person, a resigned one, a hopeful one. Sometimes flippant, sometimes poetic, the language is oriented towards its characters, and the author, narrator and character speak on different levels. It is a self-reflective book that does not reinvent postmodernism, of course, but makes refreshingly use of it.

In this respect, the collage-like nature of the short stories oscillates between gimmick and art, whereby the seriousness that occasionally appears is embedded in a gentle humor. The book is fun, but quickly fizzles out again - like a postcard from Heligoland that you receive from someone you know distantly, but can't remember ever having given them your address.
Profile Image for Literatursprechstunde .
196 reviews93 followers
June 9, 2024
Saša Stanišić neuer Erzählungsband „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ ist 2024 bei Luchterhand erschienen.

Im Sommer 1994 treffen sich vier Freunde „Ausländerjungs in Deutschland“ in den Weinbergen, die sich selbst keine guten Zukunftsaussichten prognostizieren. Fatih heckt einen Plan aus:

„Wie super wäre es, wenn es einen Proberaum für das Leben gäbe? Du gehst in den rein und probierst zehn Minuten aus der Zukunft? Wie bei Deichmann, nur nicht mit Schuhen, sondern mit dem Schicksal. Kostenpunkt: hundertdreißig Mark. Falls dir dann gefällt, was du siehst, kannst du es direkt einloggen und dich gleich darauf freuen, weil diese zehn Minuten werden hundertpro irgendwann kommen. Das Einloggen kostet hundertdreißigtausend Mark.“

Das wirft natürlich die Kostenfrage auf, aber eventuell ist ja schon der Traum eines besseren Lebens ausreichend. Fatihs Plan ist auf jeden Fall ausgeklügelt:

„Ihr strengt euch an, damit diese Zukunft eine größere Chance hat, einzutreffen! Ihr fresst nur noch Brokkoli und Nüsse und trinkt nur noch Wein und Olivenöl wie die Griechen. Ihr werdet freundlicher zu allen, weil man weiß, weniger assi zu sein, verbessert die Lebensqualität. Schon seid ihr gesünder und glücklicher, ganz ohne den Proberaum!“

Saša Stanišić hat neun Geschichten verfasst, von den die erste „Neue Heimat“ ist. Sie sollten laut dem Autor der Reihe nach gelesen werden. Die Erzählungen hängen alle miteinander zusammen, was wir vor allem in ihren Figurenkonstellationen feststellen. Ihre zeitlichen Abläufen zwischen Bosnienkrieg und unmittelbarer Gegenwart, laufen wiederkehrend auf die Frage nach und der Auseinandersetzung mit der Herkunft hinaus.

Ich würde Saša Stanišićs Ton in der deutschen Gegenwartsliteratur als einzigartig bezeichnen, als ungekünstelt aber künstlerisch. Seine Prosa führt zu neuen Denkanstößen.
In der titelgebenden Erzählung besucht Gisel das Grab ihres vor vier Jahren verstorbenen Mannes. Sie hat sich natürlich daran gewöhnt, ohne ihn zu leben, aber manchmal überflutet sie die Sehnsucht, dann wünscht sie ihn sich her, wünscht sich, mit ihm streiten zu können, und dass er sich für irgendwas entschuldigt. Kann man schöner von der Liebe erzählen?

„Einem geliebten Menschen böse zu sein, sollte niemandem schwerfallen. Beide schweigen dann eine Weile, oder einer geht Holz hacken, der andere Zugvögel gucken, oder was man halt gerne macht, und schon hat man Kraft, um einander wieder wohlgesonnen zu sein. Und sich auch wieder zu streiten, wenn es sein muss, ja.“

Gleichzeitig finden wir in diesen Erzählungen auch viele autobiografische Anspielungen Stanišićs. Wir erfahren wie ein Hochsitz zu seinem Lese- und Geschichtenerfindungsort wurde; wie er von Heinrich Heine inspiriert nach Helgoland reist, und sich dort in einem Spiel mit der Wahrheit und einer erfundenen Geschichte selbst als Autor begegnet.

Stanišićs zeichnet Figuren des normalen Lebens. Sie sind keine Abenteurer, keine Helden, keine Stars, sie leben ihr Leben unglamourös. Sie leben in ganz unprätentiösen Orten wie Winsen an der Luhe, Bremen, Heidelberg oder der Lüneburger Heide. Der Autor mag die Menschen, über die er schreibt.

Für mich ist es die Mischung aus Einfühlsamkeit und Humor, die diese Erzählungen zu einem Lektüregenuss machen.
Profile Image for Elena.
1,031 reviews410 followers
November 15, 2024
"Einem geliebten Menschen böse zu sein, sollte niemandem schwerfallen. Beide schweigen dann eine Weile, oder einer geht Holz hacken, der andere Zugvögel gucken, oder was man halt gerne macht, und schon hat man Kraft, um einander wieder wohlgesonnen zu sein. Und sich auch wieder zu streiten, wenn es sein muss, ja."

Saša Stanišić neues Buch beginnt im Sommer 1994, in den Weinbergen nahe Heidelberg: Vier Freunde sitzen zu Beginn der Ferien beieinander, sie unterhalten sich über Pläne - und Fatih hat eine ganz besondere Idee. Er entwickelt gedanklich einen Proberaum für die Zukunft. In diesem Proberaum können die Menschen 10 Minuten ihrer Zukunft ausprobieren, wenn ihnen diese gefällt, können sie die Zukunft einloggen, damit sie zu 100 % Wirklichkeit wird. Ein Hirngespinst, möchten viele meinen - doch der weitere Verlauf der Geschichte zeigt, dass es oft mehrere Möglichkeiten gibt, sich zu entscheiden, auch unbequeme und unkonventionelle, und miteinander die Zukunft zu gestalten.

Ich finde allein den Titel des Buchs "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne" äußerst charmant (genauso wie die dazugehörige Kurzgeschichte), aber auch der Inhalt konnte mich überzeugen. Was zu Beginn wie einzelne Erzählungen wirkt, die beispielsweise in Wien oder auch auf Helgoland spielen, wird letztlich zusammengeführt und ergibt ein tolles Gesamtbild über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und wie alles miteinander verzahnt ist. Besonders gut haben mir die drei Geschichten über Georg Horvath, seinen Sohn und das Piratenmemory gefallen, das der Büchergilde-Ausgabe wohl als Inspiration für das geniale Cover diente. Da ich das Buch größtenteils als Hörbuch, vom Autor selbst vorgetragen, gehört habe, bin ich oft schmunzelnd durch die Gegend gelaufen, was auch an Saša Stanišić einzigartigem Schreibstil und seiner angenehmen Art, vorzulesen, liegt. Ich kann die Lektüre jedenfalls empfehlen, sie regt zum Nachdenken an und ist sehr kurzweilig.
Profile Image for Steffi.
1,123 reviews270 followers
July 7, 2024
Das war wieder ein Lesegenuss auf allerhöchstem Niveau. Natürlich hat man unter den Geschichten Lieblinge und dann auch wieder solche, die man nicht ganz so überzeugend findet (so werden bei Erzählungen über Zeitreisen für mich einige Szenen aus Ray Bradburys Löwenzahnwein die Latte auf ewig sehr, sehr hoch legen), aber beispielsweise die verschiedenen Variationen zum Memory-Spiel zwischen Vater und Sohn sind wunderbar.

Und bei aller Heiterkeit und Leichtigkeit, schwingen zwischen den Zeilen auch Traurigkeit, Melancholie, Fremdheitserfahrung, Verlust mit. Dass der Stil manchmal an den großartigen Wolf Haas erinnert, muss nicht mehr gesagt werden, weil es schon oft gesagt wurde und bereits auf der ersten Seite offensichtlich ist.

Meine Lieblingsgeschichte ist tatsächlich die Titelgeschichte (deren Titel ich hier nicht wiedergebe, um die Review nicht unnötig in die Länge zu ziehen 😉). In die Protagonistin Gisel habe ich mich gleich verliebt.
Und mich, als Exil-Saarländerin, sehr über diese Passage gefreut:
„Sie platzierte die Gießkanne wieder auf das Grab, der Ausguss zeigte weg von Hermann. Brachte doch sicher nichts. Ulla hatte ihr davon erzählt. Sie war sich über das Prozedere aber auch unklar. Ulla kam aus dem Saarland. Vermutlich bedeutete die Gießkanne nur auf saarländischen Friedhöfen was, die sind ja auch sonst ein eigenartiges Völkchen, die Saarländer, siehe Ulla.“
Und nein, ich kenne diesen Brauch auch nicht. Aber da scheint schon etwas dran zu sein, denn ich fand in der Saarbrücker Zeitung vom 05.03. 2014 einen entsprechenden Artikel mit dem Titel „Das Geheimnis der Gießkannen“.

Auch andere schöne Sätze/Bilder gibt es in dieser Geschichte:
„Fünfzig Jahre plus mit jemandem zusammen, das machst du keine zwei Mal, das wäre, rein vom Verwaltungsaufwand, der reinste Franz Kafka.“

Die Lektüre jetzt zu beenden ist um so schöner, weil ich gerade Marc-Uwe Klings auch recht guten Roman Views las, der einem den Glauben an die Menschheit aber wirklich nehmen kann. Da tut es doch gut, im Anschluss mit Stanišićs unfassbarer Menschlichkeit konfrontiert zu werden.
Profile Image for leynes.
1,316 reviews3,685 followers
May 14, 2025
Ach, Mann. Leider eine Enttäuschung. Viele von euch wissen, dass Saša Stanišić zu meinen absoluten Lieblingsautoren gehört (und daran hat sich natürlich nichts geändert!), aber Möchte die Witwe... konnte mich leider so gar nicht überzeugen.

Lustigerweise hatte ich gar nicht mitbekommen, dass 2024 ein neues Buch von Stanišić erscheinen würde. Ich verfolge den deutschen Buchbetrieb nur so mit halben Auge (...wenn wir ehrlich sind: mit einem Achtelauge) und fiel dann im September aus allen Wolken, als ich sah, dass dieser Kurzgeschichtenband erschienen war. Stanišićs Kurzgeschichten fand ich bisher nicht sooo gut wie seine Romane (Fallensteller bekam von mir mit Mühe eine 3-Sterne-Wertung), aber das Cover der Büchergilde-Ausgabe (einige von euch wissen, dass ich Stanišić exklusiv in den Büchergilde-Ausgaben sammle) war so einnehmend, dass ich es doch sofort lesen wollte. But here's the catch: ya girl isn't even a member of the Büchergilde. Ist mir zu teuer, lohnt sich für mich nicht. Und daher habe ich dann mit Adleraugen jegliche Second-Hand-Buchverkaufsseiten beobachtet, bis endlich auf Kleinanzeigen ein Exemplar des Buches für 8 fucking € (god bless you, Frieda!) angeboten wurde. Das Problem: Frieda wohnt in Treptow-Köpenick, icke in Spandau. Der Weg zu ihrer Wohnung (und somit zum lang ersehnten Buch) entpuppte sich als 70-minütige Odyssee quer durch Berlin mit ausgefallenen Bussen und Umleitungen, but we made it, bitches. Ich habe das Buch am 11. Oktober abgeholt und noch am selben Tag gelesen. I came, I saw, I conquered.

Also dit erstmal als Präambel, jetzt zum eigentlichen Inhalt des Buches. Möchte die Witwe... versammelt 12 Kurzgeschichten auf 253 Seiten. Stanišić stellt den Geschichten voran, man möge sie doch bitte der Reihe nach lesen. Nichts leichter als das, hatte eigentlich och nüscht anderes damit vor, aber jut.

Einige Geschichten waren wirklich amüsant und brachten mich zum Lachen ("Neue Heimat", "Mo, der Panther, und Petra, der Funker", "Möchte die Witwe..."), doch die meisten Geschichten fand ich ziemlich nichtssagend ("Traumnovelle", "Gegen das Kind in Memory Unentschieden holen", "Es pfeift der Wind..."). Oft stellte ich sogar einen Kitsch und einen "Lebensweisheiten"-Stil fest, der total untypisch für Stanišić ist. Like girl, what happened? Stanišić ist ein politischer Autor, ist er schon immer gewesen, aber in diesem Buch ist sein Messaging so platt und grob, dass ich es leider nicht gelungen finde, obwohl ich seine politische Haltung teile. Irgendwie hat das alles nicht so richtig in die Geschichten passt und wirkte sehr aufgesetzt/gewollt, z.B. wenn er in "Der Hochsitz" schreibt: "Ich mochte nicht, dass wir die Anwesenheit unserer Körper in diesem Land permanent erklären mussten." Like, ich check's, geht mir nicht anders, aber irgendwie hätte ich es anders ausgedrückt? So wirkt es irgendwie sehr gestellt und verkopft. Aber vielleicht geht es da auch nur mir so.

Was mir wiederum sehr gut gefallen hat, ist, dass wir den alten Georg Hovarth wieder antreffen. Ich mag's total, dass Stanišić einem das Gefühl vermittelt, all seine Bücher würden (oder könnten) im selben Universum spielen. Super fun!

Und auch beim Durchgehen meiner Notizen und Anmerkungen zum Buch ist es einfach überraschend wenig, was ich sagen möchte und noch weniger, was hängengeblieben ist. Es sind nicht mal drei Monate seit meiner Lektüre vergangen und ich habe schon fast alles vergessen, was in diesem Buch vorkam. Da gab es im letzten Jahr wirklich ganz viele Bücher, die deutlich eindrücklicher waren und mich mehr verfangen haben. Wie dem auch sei, ich freue mich auf den nächsten Stanišić... und die Hey, hey, hey, Taxi!-Reihe, die Stanišić mit seinem Sohn schreibt und die von Katja Spitzer illustriert wird, habe ich zum Beispiel noch nicht gelesen. Da könnte man sich auch mal ranmachen. Stanišićs Schreibstil und Humor sind nämlich toll, egal in welchem Genre. (Das hat bspw. auch Wolf bewiesen, Stanišićs Jugendbuch, das ich ebenfalls 2024 las und das mir deutlich besser gefiel. Aber das nur am Rande. Cheers!)

& P.S. Nur falls ihr euch wundert: Stanišićs Kommentar hier unten galt meiner ursprünglichen Rezension, in der ich mich darüber aufregt hatte, dass mir "niemand Bescheid gegeben hat", dass ein neues Buch von ihm erschienen ist. Lieb den Kerl einfach.
Profile Image for Nadine Schrott.
682 reviews65 followers
September 24, 2024
Zum meiner Schande muss ich gestehen, dass dieses mein erstes Buch vom hochgelobten Autor Stanisic ist......aber bestimmt nicht mein letztes....!

Als fleißige Literatur Beschafferin unserer Dorfbücherei bin ich beim Studium der Spiegel Bestseller Liste auf dieses Büchlein gestoßen....und habe es in Unwissenheit seiner literarischen Qualität eben aufgrund des lustigen Titels bestellt....(Witwen gehören zu unserer Stammkundschaft...)

Und was soll ich sagen....ich bin begeistert!
Die sprachliche Gestaltung war mir anfangs zwar etwas suspekt.....und die Form der zu Beginn unzusammenhängenden Geschichten schien mir ebenfalls etwas außergewöhnlich....aber dannn: dann hat es mich einfach gepackt...diese skurrile Geschichte und die sympathischen Menschen, die diese erleben.....!

Ein absolut lesenswertes Buch.....das gerne in unserer Dorfbücherei ökologisch und ökonomisch sinnvoll bei mir im schönen Goldbach ausgeliehen werden kann.....!
Profile Image for Hanna.
646 reviews85 followers
May 27, 2024
Dieses Buch ist ein Geschenk. Wie alles was ich bis jetzt von Stanišić lesen durfte. Ich hatte einen Roman erwartet, bekommen habe ich einen Erzählband. Das hat erst zu Enttäuschung geführt (Kurzgeschichten sind schwierig für mich, meistens verlässt mich die Lust zum weiter Lesen schnell und ich muss mich zwingen Sammlungen zu beenden), aber als ich mit der ersten Geschichte fertig war schrie (m)eine aufgeregte Stimme im Kopf: noch eine, noch eine, noch eine! Und so ging es nach jeder einzelnen.
Stanišićs Sprache ist so präzise, es wird nicht lang geschwofelt, zack, kommt er gleich zur Sache. Und versetzt mich als Leserin so umso schneller in die Gefühlswelten der Protagonist*innen. Zum Beispiel dieser Satz in der titelgebenden Geschichte (die auch meine liebste war, obwohl es schwer fällt mich zu entscheiden, alle toll!): .“Die Knie gaben nach. Bürgersteig aus Schaum.”. Ich kann’s spüren ohne lange, verschachtelte Sätze lesen zu müssen. Gisel, die Witwe aus der Geschichte, ist auch so ein fabelhafter Charakter. Ich bin beim Lesen hier vom Lachen direkt auch ins Weinen gekommen, weil ich sie so großartig fand und ihren Schmerz so fühlen konnte. Ich weiß nicht ob ich Einsamkeit nach Verlust schon einmal so toll beschrieben bekommen habe.
Auch wie Stanišić in .“Es pfeift der Wind bei hohler See, nicht Mond, nich Stern ist in der Höh’; doch halten fest wir im Gesicht auf fernem Turm der Heimat Licht, wohin wir oft uns fanden”. die vierte Wand zur Leser*in durchbricht ist wunderbar humorvoll. Solche Kniffe können schnell auch mal nach hinten los gehen, hier hat es blendend funktioniert.
Ebenso gelingt es ihm die Erzählungen untereinander zu verbinden ohne dass ich es als aufgesetzt empfand.

Ich weiß nicht, ob es anderen ähnlich wie mir geht wenn ich tolle Bücher lese: das aktiviert alle möglichen Lustzentren in meinem Gehirn und fühle mich dann immer ein wenig als wäre ich verliebt. Passiert nicht oft, aber bei Stanišić bis dato immer. Danke für dieses High, Saša!
Profile Image for Wulf Krueger.
513 reviews126 followers
July 6, 2024
Saša Stanišić macht es mir nie leicht: Sein “Herkunft” hat mich erst wenig gereizt und am Ende “gepackt”, wie es nur seltene Ausnahmeerscheinungen schaffen. Nun sitze ich an meinem Schreibtisch unmittelbar nach Abschluss der Lektüre seines neuesten Werkes mit dem leicht sperrigen (und doch vollkommen passenden!) Titel “Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne” geht es mir ähnlich…

»Was das genau soll, wird nicht klar.«

Genau so ging es mir als Leser an jener Stelle auch. Und wie schon bei “Herkunft” habe ich die Gelegenheit genutzt, die Skepsis, die Verwirrung und die Irritation bewusst zu verdrängen und mich auf die Geschichten einzulassen, die Stanišić hier einmal mehr meisterhaft erzählt.

Lose verbunden durch den roten Faden der Grundidee - Leben probehalber “anzuprobieren” und sich für deren Annahme oder Ablehnung zu entscheiden - erzählt Stanišić von wirklichen und “anprobierten” Leben. Umfassend, empathisch und meist mit einem Augenzwinkern…

»Wir vier zum Beispiel. Ausländer in Deutschland. Ja, auch du, Nico, deine Mutter ist DDR, das zählt.«

Gerade die frühen Helgoland-Sequenzen waren für mich zunächst weitgehend undurchdringlich und nur mäßig verständlich. Mit den späteren Erzählungen werden aber Mosaiksteinchen hinzugefügt, so dass sich letztlich auch hier ein klareres Bild einstellt.

Bei aller Fantasie und aller literarischer Verspieltheit ist Stanišić doch klar und unzweideutig positioniert…

»Er war diesmal in Uniform gekleidet, Mo, ganz in Schwarz. Auch die Mütze war schwarz, und darauf, sowie auf der Brusttasche, steckte dieser Hakenkreuzadler. Hundertpro verboten, heute aber wieder mehr im Gebrauch.
Wo dieser Tage solch eine Uniform zu finden ist, da ist normalerweise auch entweder ein thüringischer Politiker auf einer von einem CDU-Mann gesponserten Feier im kleinen Kreise, eine kontroverse Ausstellung oder ein Theaterstück. Mo konnte zwar vieles sein, aber ein Nazi war er nicht, noch war er Museum oder Schauspieler, wobei Schauspieler noch am meisten.
Mo breitete die Arme aus!
Ich umarmte Mo.
«

Unglaublich sympathisch und für mich der Höhepunkt des Buches: Die Geschichte um titelgebende Witwe Gisel, deren Hermann schon vor Jahren verstorben ist, der aber immer noch höchst präsent ist…

»Mit Hermann war nicht alles leicht gewesen, aber das meiste. Und darauf kommt es im gemeinsamen Leben an, dass man es miteinander meistens leicht hat.
Mit Hermann war immer jemand da: Hermann.
Mit Hermann brauchte sie nicht zaudern. Oder Hermann zauderte mit, das war auch schön.
«

(Mit Dir, C., auch!)

Nun ist dies aber keine bittersüße Liebesschnulze aus der schlechten alten Zeit, und obschon sie sich dabei manchmal selbst überrascht, ist Gisel alles andere als ein trauerndes Mauerblümchen, das durch den nächsten Mann “errettet” werden muss…

»In Büchern ging es meistens um Liebe: Kam eine Frau vor, kam auch die Liebe vor. Gisel mochte solche Bücher nicht. Sie mochte Bücher, in denen eine Frau vorkam, und ein Flugzeug stürzte ab, und die Frau war die einzige Überlebende und schlug sich, bewaffnet mit einer Zahnbürste, fortan durch die Wildnis. Sie zähmte einen Bären, der ihr treuer Begleiter wurde.«

Gerade zum Thema Helgoland lässt Stanišić Heinrich Heine direkt und indirekt zu Wort kommen. Ganz im Gegensatz zum selbstgefälligen Bildungsprotz Umberto Eco, der damit seine intellektuelle Dominanz demonstrieren wollte, gelingt es Stanišić mit geradezu spielerischer Leichtigkeit durch Anknüpfen an Erfahrungen und Emotionen eine “tragfähige” (glaubwürdige) Brücke durch die Zeiten zu schlagen und so ist es nur folgerichtig, dass im Rahmen der “Anproben” möglicher Leben auch ein gewisser “Harry Heine” mit dabei ist.

Überhaupt gehören die Geschichten um die “Anproben” zu den weiteren Höhepunkten des Buches. Ein paar Allgemeinplätze und geradezu naturgesetzliche Selbstverständlichkeiten…

»Früher mit Kinobesuchen, lang ist der letzte her, eine deutsche Komödie, wie hieß die noch, war nicht komisch.«

… muß man schon über sich ergehen lassen, und Höhepunkte wie der “multikulturelle Faustdialog” (Herkunft: Herkunft) fehlen hier, aber die erzählerische und sprachliche Souveränität des Saša Stanišić suchen auch in diesem Buch in der deutschsprachigen Literatur des 21. Jahrhunderts ihresgleichen.

»Dann mach es, mach dieses Einloggen. Ich will, dass du dieses Leben hast und kein anderes.«

Fatih seufzt. »Mama, wir hatten und haben dieses Leben. Wir hätten unzählige andere haben können, weil wir unzählige andere Entscheidungen hätten treffen können, aber wir haben – zum Glück – solche getroffen, die dich zu meiner Mutter gemacht haben, und mich zu diesem heute ein bisschen gestressten Typen, der wieder Überstunden schieben wird, um den Fehler im System zu finden. Und der aber darüber total froh ist, weil er wahnsinnig gern Fehler sucht. Das kann nicht verschwinden, wir haben die Vergangenheit hinter uns und auch in uns, Mama.«
«

Für diese neuerliche Bereicherung der deutschen Literatur durch den auch noch ungeheuerlich sympathisch wirkenden Saša Stanišić habe ich nur noch eines übrig: Fünf von fünf Sternen (und zwei feuchte Augen wegen des Schlusses).


»Gräßlicher als der Patriotismus mit all seinen Geschwüren sind nicht einmal Zahnschmerzen.«


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Ceterum censeo Putin esse delendam
Profile Image for Olaf Gütte.
222 reviews76 followers
September 5, 2024
Bis auf die Story über Helgoland
hat mich dieses Buch von Sasa Stanisic leider nicht erreicht.
Bekanntlich bin ich kein Freund von Kurzgeschichten,
doch ich war neugierig auf den Autor.
Profile Image for Ellinor.
758 reviews361 followers
September 1, 2024
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach Vorne ist nicht nur das Buch mit dem vermutlich längsten Titel dieser Saison, sondern auch das beste Beispiel dafür, dass es für jedes Buch seine Zeit braucht. Ich bin ein großer Fan von Saša Stanišić und vor allem auch von seinem Humor. Auf sein neues Buch habe ich mich sehr gefreut und gleich bei Erscheinen mit dem Lesen angefangen. Und dann bin ich überhaupt nicht in das Buch reingekommen. Da war wieder sein Humor und auch die Charaktere waren so beschrieben, wie ich es bei ihm liebe, und dennoch war das Lesen eine Qual.
Ich habe das Buch dann erstmal zur Seite gelegt. Zweieinhalb Monate später sah die Welt dann ganz anders aus: die äußeren Umstände, die mich bis dahin fast nicht zum Lesen gebracht hatten und mir zudem noch eine richtige Leseflaute beschert hatten, waren vorbei. Und nun fand ich auch dieses Buch wieder ganz fantastisch. Besonders Georg Horváth ist mir so richtig ans Herz gewachsen. Auch die Szenen in der F-Jugend konnte ich so gut nachvollziehen (ich habe dort selbst einen äußerst motivierten Spielersohn und die Mannschaft verliert auch deutlich häufiger, als dass sie gewinnt). Aber auch die restlichen Geschichten waren toll: die Reinigungskraft, die Witwe, der Panzer… Es war einfach wieder schön.
Profile Image for Yaprak.
514 reviews189 followers
September 4, 2025
Bu uzun ve güzel isimli kitap birbiriyle bağlantılı öykülerden oluşuyor. Karakterlere tekrar rastlıyoruz ya da öyküler birbirinin devamı niteliğinde. Balkan Asıllı Alman yazar Saša Stanišić öykülerinde göçmen olmak, çocuk olmak, umutsuz ama mutlu olmak gibi konulara değiniyor. Bazı öyküleri pek sevmedim, aklımda da hiç yer etmedi. Ama kitaba da ismini veren Dul Kadın Su Kabını Ağzı Öne Gelecek Şekilde Mezarın Üstüne Bırakıyorsa, Bilin ki İlgi İstiyordur içlerinde en sevdiğim öykü oldu.

Çok sevdiğimi söyleyebileceğim bir kitap olmadı dürüst olmam gerekirse. Oyuncaklı halini sevsem de genel olarak bende ne yazık ki umduğum kadar iz bırakmadı.
Profile Image for Karen·.
682 reviews900 followers
July 16, 2024
Translate the title: If the widow would like to be spoken to, she places the watering can on the grave with the spout facing forwards then you might be tempted to think that I have fallen for some self-help manual, a dictionary of secret cemetery communication? No way, not least because in my case there's no grave and no watering cans and no idea which is forward on a grave? Facing out to the world, or towards the gravestone?

Anyway, no, it's not a self-help manual except in that sense that (as usual) this author makes me laugh, out loud, delights me with his ideas, and generally gives me joy. Loved it.
Profile Image for Tabitia.
137 reviews4 followers
September 20, 2025
Wie erwartet ganz tolle Sprache und Bilder, die Saša Stanišić entstehen lässt. Ich bedauere wirklich, dass es für mich keine 5 Sterne geworden sind, aber die Kurzgeschichten haben mich insgesamt nicht immer abgeholt.
Profile Image for Sonja Bee.
244 reviews16 followers
October 10, 2024
Das hat mir leider nicht gefallen.
Es gab ca. 3 Kurzgeschichten die ich gut fand, aber mit dem Rest konnte ich nichts anfangen.
Auch konnte ich aus den Geschichten Nichts für mich mitnehmen.
Schade. ich fand den Titel so vielversprechend.
Profile Image for Philine.
132 reviews5 followers
June 12, 2024
Was wäre, wenn wir unsere Zukunft "anprobieren" könnten? Was wäre, wenn wir eine Entscheidung anders getroffen hätten?
In 12 Kurzgeschichten behandelt Saša Stanišić diese Fragen und wird dabei niemals pathetisch oder pseudophilosophisch. Dafür erzählt er unglaublich lustig, tiefsinnig, traurig, nachdenklich und dann wieder lustig.
Wir lernen (teilweise wiederkehrende) Charaktere kennen, von denen jeder einzelne einen Platz in meinem Herzen gefunden hat, egal, ob die Geschichten lang oder kurz waren.

Es gibt diese Bücher, die man nicht schnell genug lesen kann, aber gleichzeitig nicht möchte, dass sie aufhören. Das hier ist so eins. Saša Stanišić schreibt so unfassbar schön, poetisch und für mich auch irgendwie wie niemand anderes.

Ich habe gelacht, geweint, nachgedacht und hatte einfach von vorne bis hinten eine tolle (viel zu kurze) Zeit.
Profile Image for Wal.li.
2,545 reviews68 followers
July 17, 2024
Probeweise

Im Jahr 1994 treffen Saša und seine Freunde sich im Weinberg. Sie werfen Steine in die Luft und philosophieren über die Zukunft. Was kann man alles erfinden? Und natürlich, wo geht es hin in den Ferien. Sašas Mutter kann sich einen Urlaub nicht leisten, deshalb behauptet er einfach, es gehe nach Helgoland. Das können die anderen eh nicht richtig einordnen.

Es folgen mehrere kleinere oder größere Erzählungen zum Beispiel über einen Vater, der sich damit schwertut, dass sein Sohn ihn im Memory besiegt. Eigentlich siegen Kinder immer beim Memory. Doch der Vater kann es trotzdem kaum ertragen. Oder eine Geschichte über den Autor, der zum erstem Mal nach Helgoland kommt und dort damit konfrontiert wird, er sei schon mal da gewesen. Auch Dilek kommt zu Wort, die in ihrer Kindheit nach Deutschland kam.

Zunächst scheint es nur einen vagen Zusammenhang zwischen den Stories zu geben, dennoch steht zu Beginn die Bitte des Autors, man möge die Kapitel der Reihe nach lesen. Das erschließt sich erst spät auf witzig intelligente Art und Weise. Also: Der Reihe nach lesen.

Geschichten mag man oder nicht. Doch auch wenn man eigentlich lieber Romane mit einer durchgehenden Handlung, findet man hier gerade auch durch das, was die Erzählungen letztlich zusammenhält, eine sehr zufriedenstellende Lektüre. Die Stories haben Pfiff und sind mal mehr oder weniger ernst. Eigentlich kommen sie wie kleine Gedankenspiele rüber. Manchmal wäre man selbst froh, wenn man das Leben anprobieren könnte. Aber dann kommt auch gleich die Frage auf, welche Entscheidung die richtige oder die beste ist. Vielleicht doch alles besser wie es ist.

Allem Anschein nach ist das Cover einer Postkarte „Gruß von Helgoland“ nachempfunden, wie sich im www feststellen lässt. Einen Bezug kann man im Buch finden. Solche Kleinigkeiten geben dem Buch etwas besonderes und auf den Titel muss man auch erstmal kommen.
Profile Image for Петко Ристић.
170 reviews13 followers
August 28, 2024
Thalia, Großstadt. Ich hatte mal wieder etwas Zeit und berauschte mich am Anblick verschiedenster in Bücher gesteckter Nasen und erkannte erneut die Stabilität des Bewusstseins der Umgebung; alle waren sich ihrer direkten Umwelt bewusst und schauspielerten ihrer Persönlichkeit gemäß dieses oder jenes. Ich stieß auf die Neuzugänge und erkannte einen Namen, der mir mit seiner "Herkunft" damals einiges abverlangte - ein ganzes Büchlein über das Thema Herkunft und kein Gedanke dazu, der neu war, nur eine Ansammlung dessen, was jeder wuste. Ich setzte mich also mit diesem läppischen Titel, der anziehend und experimentell wirken soll um die Verkaufszahlen zu steigern, in eine Ecke und ergab mich meinem Schicksal mit dieser "Lektüre".

Nun denn, der Bosnier hat seit seinen unfreiwillig komischen Herkünften das Rezept des Geldverdienens nicht verändert, da dazu auch keine Veranlassung besteht: es funktioniert. Nach wie vor schmeißt er willkürlich mit "Gedanken" und lapidar formulierten Sätzen um sich, in denen wenig oder gar kein Sinn zu finden und ein großes Ganzes ebenfalls unnötig ist. Sehr richtig und überraschend aufrichtig bittet der Wortedrechsler daher, ihn mit 24€ für diesen Kitsch finanziell zu unterstützen, da sich das Buch zumindest gut im Regal macht.
Mein lieber Herr Stanišic, ich bin nur ein ehrlicher Arbeiter der mit seiner Körperkraft Geld verdient und freilich kein Geld für unnötigen Schund ausgeben kann, falls dir dein Bankkonto aber platzt kannst du gerne mich unterstützen.

Was soll ich zu dieser Geschichte sagen? Kinder spielen mit Steinen, ein armes Jüngelchen mit dem stupiden Namen Fatih kommt auf die glorreiche Idee das spätere Leben in einem Proberaum 10min auszuprobieren, um dann zu sehen, was einen erwartet. Keine neue Idee übrigens. So kann man dann erfahren, ob das Leben lohnt. Die restlichen 16 Jährigen Kinder sind begeistert und beginnen entsprechend ihrer Impulsen dies gut, jenes schlecht zu nennen. Die dabei angewendete Schriftsprache ist gebührend angepasst und wirkt sich "krass" auf das literarische Gemüt, gleichsam noch viel "krasser" auf den Verstand aus. Man fühlt förmlich wie man dümmer wird. "Okayer" ist hingegen der Bosnier in seiner Darstellung der verkommenen Sprache unserer zukünftigen Degenerierten.

Zwangsläufig musste ich mich dazwischen immer mal wieder fragen, was in aller Welt so viele Menschen daran finden, Seite um Seite solche rüpelhaften Sätze und Gespräche zu lesen, in der wirklich alles jeder poetischen Melodie und eleganter Schriftsprache ermangelt. Dazu braucht man gewiß keine Bücher zu lesen, da reicht ein Samstag Nachmittag in einer Shisha Bar.

Späterhin geht es dann weiter mit Erläuterungen über Fatih's Familienzustände. Vater Mustafa tüftelt gern. In der Türkei hat er Bücher gelesen, in Deutschland fährt er LKW. Fatih's Lieblingstiere sind kleine Ziegen... Dann ist da noch Nico, dessen Mutter "voll okay" ist. Nico selbst schämt sich wegen seiner Mutter nie, da sie voll okay ist.
Nicht zu vergessen ist Pierro, der "brutal anstrengend" sein kann. Jawohl und später kommt eine Frau mit dem traurigen Namen Dilek, dessen Tante sie mit Bücher versorgt hat. Jeder Türke den ich in Deutschland kennengelernt habe erzählt mir sie hassen Bücher, lieben aber Mercedes, während in modernen Bücher immer wieder Türken mit einer Vorliebe zu Büchern gezeigt werden. Sowas soll es ja geben.

Ein halbwegs gescheites Wesen fragt sich gewiß indessen, was meine bisherigen Schilderungen hier denn jetzt eigentlich alles mit der Geschichte als Ganzes zu tun haben oder wozu diese lapidar und lakonisch hingeworfenen Erläuterungen zu den Figuren, dessen sich der Bosnier in seinen Beschreibungen selbst bedient, eigentlich jetzt dienen soll? Genau das habe ich über 200 Seiten lang mit stiller Demut versucht herauszufinden und bin durchweg gescheitert. Die Figuren sind allesamt ein-dimensional, auch wenn der Schein von Facettenreichtum den gängigen Leser zuerst blendet.

Nicht nur ist kein großes Ganzes da, es ermangelt alles überhaupt an Sinn, Logik oder Bedeutung, gleichwohl gipfelt alles in eine große Leere. Nach der Lektüre kommt man zwar dem abgestumpften Zeitgeist näher, versinkt aber naturgemäß mit dem Verstand im Schlamm des Pöbels, worin diese "okaye" Lektüre den Leser reindrückt. Obgleich meinem Gemüt eine solche Art der Schriftsprache, die selbst gerade noch so als Sprache überhaut bezeichnet werden kann, ein Gräuel ist, war ich dennoch freimütig genug hierzu auch einige Worte zu schreiben.

Erstaunlicherweise vermag diese Ressourcenvergeudung noch nicht mal das Regal auszuschmücken, nimmt sich aber wahrlich ästhetisch im Abfalleimer aus, denn es heißt, auch dieses Werk soll - wie irgendwie fast alle Geschichten heutzutage - von Hoffnungen, Träumen und Sehnsüchten einer gewissen Gruppe von Entarteten erzählen. Wohl an; meine demütige Hoffnung war einst eine Welt, in der solcher sinnlose Ausschuss niemanden finanziell unterstützen könnte.
Profile Image for Sandra.
201 reviews49 followers
October 21, 2024
Zu Beginn des Buches steht der Hinweis, dass die Stories bitte der Reihe, die das Buch vorgibt, nach gelesen werden sollen. Es wird also gleich schon deutlich, dass es sich hier um einen irgendwie Zusammenhängende Sammlung handelt. Tatsächlich sind die Figuren wiederkehrend und die Episoden bauen teilweise aufeinander auf.

Meine Leseerlebnis war trotzdem sehr unterschiedlich, je nach Geschichte bzw. Figur, der gefolgt wurde. Herausragend fand ich die Memory Stories und die Titelgeschichte. Das waren klare 5 Sterne Texte für mich. Ich habe mich schnell mit den Charakteren verbunden gefühlt und über die Alltagsabsurditäten und Einfälle des Autoren teils laut aufgelacht beim lesen.

Die restlichen Teile waren, in meinen Augen, mittelmäßig bis komplett uninteressant, leider.
Profile Image for Nikoo Azarm.
3 reviews2 followers
June 21, 2024
Man hat vor, selbst mit dem Schreiben anzufangen, und dann liest man so ein Meisterwerk und verliert den ganzen Mut.
Profile Image for Totarota.
110 reviews8 followers
July 25, 2024
Jede einzelne Geschichte für sich schon einfach ein Knaller, als Gesamtkunstwerk ziemlich perfekt.
Profile Image for Sebastian.
96 reviews10 followers
July 12, 2024
Saša Stanišićs neues Buch – nach Fallensteller der zweite Erzählband – hat mich zugegebenermaßen auf den ersten Blick etwas irritiert. Sowohl der lange Titel als auch die etwas eigenwillige Covergestaltung wirken nicht gerade verkaufsfördernd und damit auch nicht so, als würde ein Verlag diese bereitwillig absegnen. Aber klar, never judge a book by its cover ...

Die Erzählungen, die man nach Aussage des Autoren am besten der Reihe nach liest, widmen sich alle mehr oder weniger direkt der Frage, „Was wäre, wenn ...?“. Unter den Protagonist*innen findet sich sogar ein alter Bekannter, Georg Horvath durfte man schon in Fallensteller auf seiner Reise nach Brasilien begleiten. Die Charaktere überzeugen, wie man es von Stanišić gewohnt sein darf, mit ganz viel Witz, Nahbarkeit und einer ordentlichen Portion kindlich naivem Optimismus.

Im Vergleich zu Fallensteller gab es in meinen Augen dieses Mal keinerlei Schwachstellen. Mich haben die einzelnen Geschichten durchweg amüsiert. Ich habe mir bei der Lektüre sehr viel Zeit gelassen, nie mehr als zwei Erzählungen hintereinander weg gelesen und jedes Mal lösten Georg Horvath, Gisela (vor allem Gisela!) und Co. die unverwechselbare Wärme und Leichtigkeit bei mir aus, die ich so nur von Saša Stanišićs Büchern kenne. Danke dafür, lieber Saša! Und höre bitte nie damit auf!
Profile Image for Leselissi.
413 reviews60 followers
August 21, 2024
"Wie super wäre es, wenn es einen Proberaum für das Leben gäbe? Du gehst in den rein un probierst zehn Minuten aus der Zukunft?"
Diese coole Idee haben vier Freunde an einem heißen Sommertag 1994.
So fängt alles an.
Die folgenden Kapitel erzählen von ganz verschiedenen Leuten, die ihr alltägliches Leben leben, die sich überlegen 'was wäre wenn...', und die Erstaunlies erfahren.
Hängt das alles zusammen? Und wie?
Das sieht man dann am Ende.
Deshalb: Bitte der Reihe nach lesen!

Ein Buch von Saša Stanišić zu lesen ist immer ein tolles Erlebnis. Diese verschmitzte Freundlichkeit, mit der er seine Geschichten erzählt, finde ich wunderbar.
Profile Image for Michael Madel.
537 reviews11 followers
July 9, 2024
Die Grundidee fasziniert: Was geschieht, wenn wir ein paar Minuten eines zukünftigen Lebens im Voraus erleben können? Zwar hält nicht jede Story das Versprechen ein, aber insgesamt hat mich Sasa Stanisics Erzählband begeistert und bestens unterhalten.
Profile Image for Vera.
Author 0 books29 followers
June 17, 2024
Wenn ein Autor seinem neusten Kurzgeschichtenband "Bitte der Reihe nach lesen" als Zitat voranstellt, weiß man: das wird ein heiteres Leseerlebnis. Und genau das ist das Buch mit dem schwer zu merkenden Titel: "irgendwas mit Witwe und Gießkanne". In der ersten Kurzgeschichte erfindet der Jugendliche Fatih einen Anproberaum, in dem verschiedene Variationen der eigenen Zukunft besucht und bei Gefallen eingeloggt werden dürfen. Diese Vorstellung, das Leben in die eigene Hand zu nehmen oder darüber zu sinnieren, was wäre, wenn man diese oder jene Entscheidung treffen würde, begleitet uns übers ganze Buch hinweg.
Wir begegnen viele der Charaktere mehrmals und es ist leicht, den sympathischen Justiziar Georg Horvath und dessen 8-jährigen Sohn Paul, Sasa selbst (war er jetzt jemals auf Helgoland oder nicht?), den fantasievollen Mo, den erfinderischen Fatih und seine Mutter Dilek, oder die Witwe Gisel ins Herz zu schließen. Eine wunderbare Ode an die Vorstellungskraft und Selbstbestimmung, in Stanišić's unverwechselbarem Stil.
Profile Image for Re.
130 reviews19 followers
June 8, 2024
Liebste Geschichten: Alle mit Memory, Neue Heimat und Möchte die Witwe..

Saša einfach bester Wortezauberer❤️
Profile Image for Rosa.
65 reviews
December 5, 2025
saša stanišić trifft einen ort, an den man alleine nicht dran kommt (manchmal auch, weil man nicht wusste, dass es ihn gibt). bisschen, wie wenn jmd für dich eine stelle am rücken kratzt, aber in der seele. sorry, aber es ist halt so was soll ich euch sagen
Profile Image for Julien Dopp.
70 reviews4 followers
June 3, 2024
Ein kurzweiliger, fantasievoller Erzählband, den man, wie vom Autor vorne an gewünscht, tatsächlich in der vorgegebenen Reihenfolge lesen wollte. Figuren treten mehrfach auf und Geschichten überschneiden sich und somit ist es eigentlich kein eigentlicher Erzählband, sondern eine Mischung aus Erzählband und Roman. Das Konzept funktioniert überraschend gut und überzeugt weitestgehend. Die Qualität der Erzählungen für sich genommen variiert allerdings. Von bezaubernd, tief berührend, urkomisch, bis konstruiert und banal ist alles dabei. Und betrachtet man das Buch als Ganzes bleibt Stanisic diesmal unter dem Niveau, das man von ihm gewohnt ist.
Besonders die Geschichten von Georg Horvath und Mo, die sich jeweils über mehrere Erzählungen ziehen, wollen so unbedingt komisch sein, dass sie sehr konstruiert wirken, eher ins Klamaukige kippen und dadurch im Endeffekt ziemlich banal geraten sind.
Höhepunkt und Herzstück des Buches ist die großartige, unglaublich zärtliche und vollkommen zurecht titelgebende Erzählungen von Gisel, der Witwe und der Gießkanne. Ebenfalls großartig auch die Helgoland-Erzählung mit einem ebenfalls sehr langen Titel. Und ein Highlight zum Schluss: Der Hochsitz.

Hier der Überblick der Erzählungen:

Neue Heimat. 4/5

Gegen das Kind in Memory gewinnen. 3/5

Gegen das Kind in Memory verlieren. 2/5

Gegen das Kind in Memory ein
Unentschieden holen. 2/5

Es pfeift der Wind bei hohler See, nicht
Mond, nicht Stern ist in der Höh, doch
halten fest wir im Gesicht auf fernem
Turm der Heimat Licht, wohin wir oft
uns fanden... 4/5

Gründe einer Verspätung. 2/5

Mo, der Panther und Petra, der Funker. 1/5

Möchte die Witwe angesprochen
werden, platziert sie auf dem Grab
die Gießkanne mit dem Ausguss
nach vorne. 5/5

Der Hochsitz. 5/5

Anprobe. 3/5

Gesamt 3/5


Fazit: Durchaus lesenswert, allein weniger der Fabulierlust und der großartigen spielerischen Sprache von Stanisic (auch wenn es des öfteren zu sehr in eine sehr simple Umgangssprache zu Gunsten des Humors, aber auf Kosten der sprachlichen Qualität kippt). Vom Hocker reißt das Buch aber nicht und hat weder die Sogkraft noch die Magie und auch nicht die Relevanz von den bisherigen Werken des Autors.

Leseempfehlung meinerseits? Ja, trotz der Kritikpunkte. Einfach: weil es hier auch Jammern auf hohem Niveau ist und auch einfach: weil Stanisic.
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