Sternstunden der Medizin – eingefangen in einem packenden historischen Roman
1540. Die kräuterkundige Verena von Pfäffikon soll als Hexe verbrannt werden. Doch bevor sie auf dem Scheiterhaufen stirbt, brennt das Dorf – Verena gelingt die Flucht. Drei beschwerliche Wochen später trifft sie – als Mann verkleidet und sich nun Johann nennend – in Padua ein. Im Sog einer Gruppe von Studenten gelangt sie ins anatomische Theater und wird Zeugin, wie der berühmte Anatom Andreas Vesal eine Obduktion ausführt. Doch noch während der Demonstration wird Vesal nach draußen zu einem sterbenden Studenten gerufen. So wie der Arzt erkennt Verena sofort, dass der junge Mann vergiftet wurde. Gemeinsam obduzieren sie die Leiche und finden sich in ihrem Verdacht bestätigt. Doch wer sollte einen Studenten vergiften? Und warum?
Ein historischer Roman über anatomische Studien, einen Mordfall, politische Intrigen, Religion und Inquisition. Und mittendrin Verena von Pfäffikon, eine zum Tode verurteilte Hexe. Wunderbar geschrieben, wie auch schon Leon Morells "Der Sixtinische Himmel".
REZENSION – Schon in seinem Debütroman „Der sixtinische Himmel“ (2012) hatte Schriftsteller Leon Morell (58) seine Kenntnis der italienischen Renaissance fachkundig in die Handlung eingebracht. Auch sein zweiter historischer Roman „Die Anatomie einer neuen Zeit“, im Februar beim dtv Verlag erschienen, spielt im frühen 16. Jahrhundert und erzählt vom jungen flämischen Anatom und Chirurgen Andreas Vesal (1514-1564) in der italienischen Universitätsstadt Padua zur Zeit des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs. Die junge kräuterkundige Verena aus Pfäffikon, in der Schweiz als vermeintliche Hexe zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, kann dem Kerker entfliehen, trifft drei Wochen später, als Student Johann Lederer verkleidet, im liberalen Padua ein und erlebt dort im Anatomischen Theater, einem Hörsaal der Universität, wie der berühmte „Medicus von Padua“, der aus Brüssel stammende und trotz seiner erst 26 Jahre schon berühmte Professor Andreas Vesal vor Honoratioren, Professoren und Studenten aus aller Welt eine Obduktion durchführt. Plötzlich wird der Arzt auf den Vorplatz gerufen, wo ein Student mit dem Tod ringt und bald erstickt. Dort treffen Vesal und Verena direkt aufeinander. Die junge Kräuterkundige überrascht den Mediziner mit ihrem Verdacht einer Vergiftung. Wieder zufällig treffen sich beide in der folgenden Nacht heimlich im Leichenhaus. Die unerlaubte Obduktion des Verstorbenen bestätigt diesen Verdacht. Doch wer sollte einen harmlosen Studenten vergiften und warum? Vesal nimmt die obdachlose Verena, den vermeintlichen Studenten Johann Lederer, als Assistenten in seiner Villa auf. Gemeinsam beginnen sie mit den Ermittlungen im Mordfall, der nach offizieller Version der Obrigkeit nur ein Todesfall mit unbekannter Ursache ist. Im weiteren Verlauf der Handlung, in der Autor Leon Morell auf sehr eingängige Weise historische Fakten mit Fiktion mischt, erfahren wir viel über die damalige politische Situation Paduas, der unter dem Schutz Venedigs stehenden liberalen Universitätsstadt, in der freies Denken unabhängig vom Diktat des Vatikans möglich ist. Hier widersetzt sich der von seinen Studenten umjubelte Anatom in seinen Vorlesungen der bisher auf Erkenntnissen des altgriechischen Mediziners Galen noch beruhenden Lehre. „Mir geht es einzig darum, die Wissenschaft von vorgefassten Lehrmeinungen zu befreien.“ Durch seine revolutionären pathologischen Forschungsergebnisse am menschlichen Leichnam – bislang hatten Wissenschaftler aus religiösen Gründen nur Tierkadaver obduziert – wurde Vesal zum Begründer der neuzeitlichen pathologischen Anatomie. Während seiner Jahre ab 1537 in Padua verfasste er als Mittzwanziger bereits sein „Lebenswerk“ – das siebenbändige Lehrbuch „De Humanus Corporis Fabrica“ über den Bau des menschlichen Körpers, wie er seinem Assistenten im Roman erläutert: „Das erste anatomische Lehrbuch, das nicht nur systematisch aufgebaut sein, sondern dessen gesamter Inhalt sich wissenschaftlich nachprüfbaren Studien am menschlichen Leichnam verdanken wird.“ Nachdem der Anatom und Verena, die verkleidet als Mann und dank ihrer Intelligenz mit dem Rollenverständnis ihrer Zeit bricht, den Mordfall gelöst haben, Vesal aber dann doch vor Verfolgung durch den Vatikan nach Venedig fliehen muss, verlässt Verena mit Vesals Hauswirtschafterin Najat und mit Unterstützung des Universitätsrektors Gerolamo Cardano (1501-1576) die Stadt. Beide kutschieren die in Venedig vom Tizian-Schüler Jan Stephan van Calcar (1499-1546) geschnitzten hölzernen Druckstöcke für Vesals Lehrbuch „De Humanus Corporis Fabrica“ nach Basel zum Drucker Johannes Oporinus (1507-1568), wo die sieben Bände im Jahr 1543 erscheinen werden. „Eine Woche war es her, dass sie nach Padua gekommen war. Eine Woche, in der ein ganzes Leben Platz gehabt hatte. Nun war es vorbei.“ Aktionsreich in der Fiktion, schildert Morell eindrucksvoll und authentisch den durch Vesal eingeleiteten medizinischen Fortschrift in der Renaissance. Zeitgemäß passend ist dabei die Gegenüberstellung abergläubischer, vermeintlicher Hexerei des Mittelalters, derer die kräuterkundige Verena in der Schweiz noch verdächtigt wurde, und der moderneren medizinischen Forschung. Durch die lebendige und gut recherchierte Erzählung ist auch dieser zweite Roman Leon Morells historisch äußerst interessant, wenn auch zugunsten der Handlung vereinzelt historische Fakten „angepasst“ wurden. Umso mehr motiviert dieser unterhaltsame und spannende Krimi, sich über das Leben Vesals genauer zu informieren.
Unterhaltsam Durch eine neunmonatige Dürre gelingt der als Hexe verurteilten Verena von Pfäffikon im Jahr 1540 die Flucht vor dem Scheiterhaufen. Denn der umliegende Wald und das Dorf brennen. Nach einer dreiwöchentlichen Flucht über die Alpen gelangt sie nach Padua. Verena hat sich als Mann verkleidet und nennt sich nun Johann. Sie erlebt, wie der bedeutende Chirurg und Anatom Andreas Vesal die Leiche eines gehängten Mannes obduziert. Zur gleichen Zeit liegt vor dem anatomischen Theater ein Student im Sterben. Verena und Vesal eilen zu ihm und erkennen, dass er vergiftet wurde. Doch wer sollte einen Studenten vergiften und weshalb? Verena hat es sich in den Kopf gesetzt, der Sache auf den Grund zu gehen. Angeknüpft an historische Tatsachen erzählt der Autor eine Geschichte, die sich so hätte ereignen können. Denn Andreas Vesal unterrichtete wirklich in Padua Studenten in Medizin und verlegte 1540 seinen Wohnsitz nach Venedig. Dagegen ist die Figur der Verena fiktiv. Die Geschichte ist sehr unterhaltsam. Leon Morell hat die Verhältnisse des 16. Jahrhunderts mit dem Glaubenseifer und der Inquisition sehr gut recherchiert und zu Papier gebracht. Dadurch war es mir möglich, schnell in die Handlung eintauchen zu können. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass die Person des Anatoms Vesal detaillierter in Szene gesetzt worden wäre. So blieb mir, als interessierter Leser, nichts anderes übrig, als immer bei Tante Google nachzufragen. Leider kam dann das Ende sehr abrupt und ich hatte das Gefühl, mitten aus der Handlung katapultiert worden zu sein. Trotzdem hat mir dieses Buch, durch das ein flüssiger Schreibstil führt, abwechslungsreiche Lesestunden bereitet. 3 Sterne und eine Leseempfehlung.