Jump to ratings and reviews
Rate this book

Antichristie

Rate this book
London 2022, die Königin ist tot! An den Trauernden vorbei rennt internationale Drehbuchautorin, Tochter eines Inders und einer Deutschen, und voller Appetit auf Rebellion und Halluzinationen. Erzählte Mithu Sanyals gefeiertes Debüt „Identitti“ von Identitätspolitik, fragt „Antichristie“ nach dem Kolonialismus und der Gewalt in uns allen. Durga soll an einer Verfilmung der überbritischen Agatha-Christie-Krimis mitarbeiten. Doch auf einmal ist es 1906, und sie trifft indische Revolutionäre, die keineswegs gewaltfrei wie Gandhi kämpfen. Und dann explodiert die erste Bombe. Was wäre richtiger Widerstand in einer falschen Welt? Niemand schreibt so aberwitzig, klug und liebend wie Mithu Sanyal. „Antichristie“ bringt die ganze Welt in die deutschsprachige Literatur.

Audiobook

First published September 17, 2024

121 people are currently reading
995 people want to read

About the author

Mithu M. Sanyal

7 books221 followers
Mithu M. Sanyal is an award winning broadcaster, academic and author

Ratings & Reviews

What do you think?
Rate this book

Friends & Following

Create a free account to discover what your friends think of this book!

Community Reviews

5 stars
112 (22%)
4 stars
201 (39%)
3 stars
116 (22%)
2 stars
62 (12%)
1 star
16 (3%)
Displaying 1 - 30 of 96 reviews
Profile Image for Meike.
Author 1 book4,944 followers
September 26, 2024
Longlisted for the German Book Prize 2024
Historic research meagerly disguised as a hardcore midcult novel: Our protagonist Durga is a fifty-ish journalist with Indian roots (hello, Mithu Sanyal) who travels to London to partake in a workshop at Florin Court in which the participants aim to de-colonize the work of Agatha Christie. Elizabeth II. has just died, now Belgian (even more colonialism!!) detective Hercule Poirot shall become, ähem, woke. But then, Durga, who has written some Doctor Who episodes, suddenly wakes up as a man in 1906, and she witnesses the goings-on in India House, where she meets Vinayak Savarkar, the antagonist of Mahatma Gandhi.

Sanyal lets people with different backgrounds meet, and it's the relationships between the characters that create some intrigue: Durga's German mother Lila, her Indian father Dinesh, her Scottish husband Jack, her German best friend Nena, as well as Hindu nationalist Savarkar who suddenly appears as a sexy love interest. And then, Sherlock Holmes shows up to find out who assassinated Curzon Wyllie (the murder being a real historic event), cue to The Sign of the Four.

The big trouble is that the ideas do not come together to form a coherent novel: It reads like an author researched the events at India House at the beginning of the 20th century, and then lets some characters utter her research findings. Sure, the text tries to show how attitudes and interpretations change over time, but there is not enough stringency, there are too many moving parts, and in the end, the whole novel leads nowhere. Sherlock Holmes is a stock character, Poirot is basically non-existent as a character and becomes a discursive joke in a pointless endeavor, and Savarkar also doesn't develop a three-dimensional force.

This is a bunch of ideas put together in a very long book, and I really wish I could be more excited about the text, because Mithu is amazing.

Our podcast discussion (in German): https://papierstaupodcast.de/podcast/...
Profile Image for Anika.
967 reviews317 followers
September 25, 2024
Ach menno, ich hab's so lieben wollen, Identitti war so zeitgeistig unterhaltsam und Mithu ist so toll. Aber diese übererklärte Mischung aus (De)Kolonialisierung und indischer Unabhängigkeitsbewegung verpackt in einen Zeitreiseplot war nix für mich. Von ein paar Infonuggets abgesehen überwiegend öde und ohne wirkliche Bewegung irgendwohin. Schade!

Mehr zum Buch in unserer ausführlichen Besprechung @ Papierstau Podcast: #308:Vaginaneid
Profile Image for Madame Rivkele.
44 reviews2 followers
September 9, 2024
Weißt du, von wem die Rede ist, wenn du den Namen Savarkar hörst? Wusstest du, dass ein Schwarzes Loch nicht nur ein toter, implodierter Stern ist? Hast du jemals hinterfragt, ob Ghandi wirklich der Inbegriff von Güte und Gerechtigkeit ist?
Nein?
Ich auch nicht. Zumindest nicht, ehe ich Antichristie von Mithu Sanyal gelesen habe.
Es geht um die etwa fünfzigjährige Durga, die nach dem unerwarteten Tod ihrer Mutter Lila an einem Writersroom in London teilnimmt. Ziel des Writersrooms ist es, eine neue Agatha Christie Verfilmung zu scripten, in der der berühmte Poirot kein weißer Belgier ist. Aber kann bzw. darf man Klassiker einfach umschreiben?
Es geht auch um Sanjeev, einem jungen Mann, der Anfang des 20. Jahrhunderts zum Studieren nach London kommt. Mehr zufällig als absichtlich landet er im India-House, wo sich Revolutionäre wohnen, die sich für die indische Unabhängigkeit einsetzen. Nur ist Sanjeev eigentlich kein Revolutionär, sondern… Durga.

Ja, der neue Roman von Mithu Sanyal, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreis 2024 steht, ist chaotisch und kompliziert, laut und bunt, was verwirrend wirkt. Am Anfang hatte ich ein bisschen Schwierigkeiten, mich in die Struktur hineinzufinden und den verschiedenen Zeitsträngen zu folgen. Aber sobald sich das gelegt hatte, habe ich den gar nicht mal so kurzen Roman, wirklich schnell und vor allem gern gelesen. Sanyal schafft es, unheimlich viel Wissen zu vermitteln, ohne auch nur einmal belehrend zu wirken. Sie bildet aktuelle Debatten ebenso gut gelungen ab, wie geschichtliche und politische.

Obwohl das Buch erst am 17. September erscheint, habe ich schon das ein oder andere Exemplar zum Verschenken vorbestellt oder als große Empfehlung vorbestellen lassen.
Profile Image for LeserinLu.
322 reviews38 followers
October 3, 2024
"Antichristie" ist ein Roman, wie ich ihn noch nie zuvor gelesen habe – und er hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Die Geschichte beginnt im London des Jahres 2022, unmittelbar nach dem Tod der Queen. Inmitten der Trauernden tritt Durga auf, internationale Drehbuchautorin sowie Tochter eines Inders und einer Deutschen. Ihr neuestes Projekt, eine dekoloniale Neuauflage eines Agatha-Christie-Films, bildet den Rahmen der Erzählung. Doch plötzlich springt die Handlung ins Jahr 1906, und Durga begegnet indischen Revolutionären, die keineswegs die pazifistischen Ideale Gandhis vertreten, die Durga immer für richtig gehalten hatte.

Die raschen Wechsel zwischen den Zeitebenen tragen wesentlich zum Sog des Romans bei. Die Erzählung ist rasant und voller Energie, doch ebenso wird das Tempo immer wieder durch sprachliche und formale Experimente aufgelockert. Diese stilistische Vielfalt sorgt dafür, dass auf den über 500 Seiten niemals Langeweile aufkommt. Gleichzeitig wird man als Leser:in herausgefordert: Die Erzählweise zwingt einen zum Nachdenken und es entstehen ständig neue Fragen über Kolonialismus und die damit verbundenen Widerstandsbewegungen.

Der Roman schafft es, historische Fakten mit persönlicher Tiefe und einer erzählerischen Leichtigkeit zu verbinden, die niemals belehrend wirkt. Stattdessen werden Perspektiven auf komplexe Fragen aufgezeigt, und man ist stets dazu eingeladen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Durga als zentrale Figur, die mit beiden Kulturen tief verwoben ist, fungiert als Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart – und zwischen den verschiedenen Perspektiven auf die britische Kolonialherrschaft. Trotz des scheinbar schweren Themas liest sich der Roman deshalb oft erstaunlich leicht. Dafür sorgt auch der trockene, scharfzüngige Humor, der die Geschichte durchzieht. Es gibt wenige, wenn auch spürbare Passagen, die sich in die Länge ziehen, aber angesichts der 550 Seiten ist das kaum vermeidbar und schmälert das Lesevergnügen nur minimal.

Es scheint fast unangemessen, bei einem solch ernsten Thema so viel Freude am Lesen zu empfinden – und doch ist genau das die Stärke von "Antichristie". Es ist ein Roman, der fordert und bewegt, aber auch unterhält.
Profile Image for Isabella.
502 reviews117 followers
October 21, 2024
Ganz ehrlich, das Nachwort war gelungener als der ganze Rest. Den zweiten Stern gibt's auch nur aus Sympathiegründen und weil ich die Idee gut finde. Gut lesbar ist die Mischung aus Zitat-Collage und Infodumping nicht.
Profile Image for Wal.li.
2,545 reviews68 followers
September 30, 2024
India House

Die Queen ist tot. Und die fünfzigjährige Durga hat gerade ihr Mutter verloren. Sie und die Familie sind dabei, die Asche zu verstreuen, bekommt sie Nachrichten aus der neuen WhatsApp Gruppe. Durga hat einen neuen Job, es soll Neuverfilmungen von Agatha Christie geben. Dabei soll auch die britische Kolonialzeit aufgearbeitet werden und die Krimis in ein politisch korrektes Gewand gekleidet werden. Dass Durga, die indische Wurzeln hat, sich plötzlich im London des Jahres 1907 wiederfindet, um im India House mit indischen Revolutionären zu debattieren.

Agatha Christie neu interpretieren, geht das eigentlich? Oder braucht man das? Nun, immerhin ist es für Durga ein Job und eine interessante Aufgabe. Christie Verfilmungen gibt es immer wieder neu und vielleicht kann sie mit dem Team noch etwas Neues dazu geben. Aus heutiger Sicht ist Christie natürlich nicht politisch korrekt. Daraus lässt sich sicherlich eine Geschichte spinnen. Auf die Zeitreise nach London zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist Durga nicht gefasst. Allerdings ist ihr Vater aus Indien nach Deutschland eingewandert, so dass sie tatsächlich ein wenig in ihrer eigenen Geschichte landet.

Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 hat dieser Roman einen tollen Platz. Die Beschreibung des Brainstormings zur Erstellung von Drehbüchern zur Neuverfilmung von Romanen von Agathe Christie ist eine Idee, die jeden triggern kann, der die Serien und Filme gerne schaut. Mit der indischen Revolution und den Unabhängigkeitsbestrebungen wird es da schon etwas schwieriger, insbesondere wenn man sich da eher nicht auskennt beziehungsweise, die eigenen Kenntnisse mit Gandhi beginnen und aufhören. Damit wird der Roman noch anspruchsvoller zu lesen, zumal man auch geneigt ist, etwas zu tun, womit Durga auch schnell bei der Hand ist, man fragt mal das www. Also bleibt der Roman zwar recht fordernd, aber auch sehr interessant. Auch die Rahmenhandlung mit dem Tod sowohl von Durgas Mutter als auch der Queen ist ein genialer Schachzug.

Das auffällige Cover bringt den Inhalt dieses herausfordernden und intelligenten Romans bestens auf einen Nenner.

3,5 Sterne
174 reviews6 followers
February 28, 2025
Mithu Sanyal schreibt so klug und witzig und mitreissend, von mir aus hätte das Buch auch doppelt so lang sein können.
Profile Image for Manuel.
63 reviews11 followers
October 21, 2024
Schon mal von transchronisch oder chronophob gehört?

Mit Antichristie hat Mithu Sanyal wieder einmal einen Roman vorgelegt, der aktuelle Diskurse über Kolonialismus, Identität und Geschichte aufgreift und dabei auf erfrischende Weise Vergangenheit und Gegenwart verknüpft.

Im Mittelpunkt steht Durga, die in einem britischen Writer’s Room daran arbeitet, Agatha Christie politisch korrekt zu überarbeiten. Gleichzeitig wird sie von den persönlichen Verlusten ihrer eigenen Mutter und Queen Elizabeth II. überschattet. Und dann passiert etwas Unerwartetes: Durga reist in die frühen 1900er Jahre zurück, ins India House, wo sie in die antikoloniale Bewegung verwickelt wird.

Sanyal schafft es, diese historische und moderne Ebene so geschickt zu verbinden, dass man beim Lesen richtig in den Dialog zwischen damals und heute eintaucht. Besonders spannend sind dabei Wortneuschöpfungen wie „transchronisch“ und „chronophob“ – Begriffe, die genau den Kern dessen treffen, wie die Zeit und unser Verhältnis zu Geschichte hier verhandelt werden.

Doch Antichristie ist nicht nur ein Roman über große historische Themen. Durga selbst ist eine facettenreiche Protagonistin, die nicht nur mit den politischen Fragen ihrer Zeit, sondern auch mit persönlichen Konflikten kämpft. Themen wie familiäre Traumata, die Suche nach der eigenen Identität und das späte Erwachsenwerden sind immer präsent und verleihen der Geschichte eine tiefe emotionale Dimension.

Für alle, die sich für Kolonialgeschichte, Identitätspolitik und moderne Diskurse interessieren – und die dabei auch noch Spaß an einer außergewöhnlichen Erzählstruktur haben – ist Antichristie ein echtes Must-Read.
Profile Image for Jersy.
1,200 reviews108 followers
October 17, 2024
Ein durchaus lesenswertes Buch, auch wenn vieles daran nicht wirklich meinem Geschmack entspricht. Ich tue mich oft schwer mit Popkultur-Anspielungen und wahllosen Sätzen auf englisch, das wirkt für mich halt so erzwungen modern und relevant, und auch das Einbauen von literarischen Figuren aus anderen Werken funktioniert für mich selten. Das wird hier alles jedoch nicht inflationär gebraucht. Allgemein war der Stil nicht immer meins, manche literarischen Spielereien zahlten sich jedoch durchaus aus.

Mein größtes Problem war aber, dass die Diskussionen in der Gegenwart mir zu platt vorkamen und wenig zu Twitter-Streitereien zu den Themen hinzufügen, die ich eh schon leid bin. Für mich trugen die Thematiken mit der Queen und Poirot dann auch nicht genug zum Hauptkonflikt bei, auch wenn ich verstehe, wofür es da ist.

Generell kann das Buch ja mehr: die Auseinandersetzung mit Durgas Identität und dem Wunsch nach Repräsentation fand ich sehr nahbar und bereichernd und immer wenn es um Lila, Durgas Mutter, ging - sowohl um ihre komplexe Persönlichkeit als auch ihre Beziehung zu Durga und anderen Menschen - war ich gefesselt.

Auch die Zeit, die Durga in der Vergangenheit verbringt, mochte ich generell gerne, auch wenn mich diese Handlungsebene gegen Ende ein bisschen verloren hat. Die Fragen, die gestellt werden und die Einblicke, die man erhält, fand ich sehr gut. Man möchte mehr zum Thema lernen, ich kam aber auch ohne geschichtliches Hintergrundwissen gut durch die Handlung. Zeitreisen sind ja sowieso ein Lieblingsthema von mir, also war ich da ja sowieso komplett dabei.

Mit Lila und der historischen Figur Savarkar gibt es zwei sehr starke Figuren in diesem Roman, der Rest, inklusive Durga selbst, nahm für mich jedoch nicht genug Form an.
Insgesamt war es ein Buch, dass viel Interessantes macht, aber für mich nicht als Gesamtwerk funktioniert hat.
Profile Image for Birgit.
505 reviews55 followers
September 19, 2024
Mithu Sanyal, eine deutsche Autorin mit indischem Hintergrund, beschäftigt sich im Roman Antichristie nicht nur mit dem Tod der britischen Queen 2022, sondern auch mit der Geschichte des indischen Freiheitskampfes.
Durga, die bereits eine Doctor Who-(Doppel-)Folge geschrieben hat, ist in einem gemischten Team für die neue "woke" Poirot-Verfilmung. Doch plötzlich wacht sie als junger, indischer Freiheitskämpfer im London von 1906 auf.
Der Roman beginnt interessant, es geht darum, Agatha Christie zu entkolonialisieren und auf wieviel Widerstand die Filmproduktion trifft. Doch sobald die zweite Zeitlinie ins Spiel kommt, wird es nicht nur wegen des Zeitreiseaspekts verwirrend, sondern auch, weil ziemlich wenig erklärt wird. An sich schuldet der Roman das seinen Leser:innen nicht, jedoch braucht man dann einfach vorab einiges an Recherche und es sind sicher nicht alle Leser:innen bereit, diese Vorarbeit zu leisten. Und zumindest sollte es möglich sein, den Roman auch "dumm" zu genießen...
Profile Image for Mona.
192 reviews7 followers
July 6, 2025
Ich wollte es wirklich sehr gern mögen, aber es war einfach zu überfrachtet und übererklärt.
Profile Image for Miss Bookiverse.
2,234 reviews87 followers
January 20, 2025
Antichristie liest sich wie fiktionalisierte Recherchenotizen zu einer Doktorarbeit über Postkolonialismus und gewaltfreien Widerstand im Zusammenhang mit Indien und den europäischen Großmächten, angewandt auf Sherlock Holmes, Agatha Christie und Doctor Who. Klingt wild, funktioniert aber irgendwie, weil Sanyal unglaublich toll schreibt: schlagfertig, scharfzüngig, kritisch und klug, fröhlich umherspringend zwischen Popkultur und postkolonial.

Es geht richtig gut los. Mit einem writers room, an dem Protagonistin Durga teilnimmt, um dort ein Serien-Konzept für eine dekolonialisierte, feministische Agatha-Christie-Verfilmung zu mitzuentwerfen – natürlich nicht ohne Gegenwind durch Teile der Presse und Bevölkerung („Agatha Christie Opfer von Cancel Culture“). Eigentlich ein cooler Job für Durga, wäre sie im Kopf nicht damit beschäftigt, den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten, die sie als Kind meist an zweite Stelle setzte und an jede Menge Verschwörungstheorien glaubte. Wäre der Roman in diesen Gefilden geblieben, hätten wir viel Spaß miteinander gehabt. Zwischenmenschliche Beziehungen, Dialoge, diskutierte Themen – war alles voll mein Ding.

Sanyal hat aber noch einen drauf gesetzt und lässt Durga in der Zeit zurückreisen und das Geschlecht wechseln, so dass wir uns plötzlich in einem historischen Setting wiederfinden und quasi live an Konflikten zwischen Großbritannien und dem durch ersteres kolonialisierten Indien teilhaben. Hier tauchen plötzlich so viel Politik, Geschichte und so viele Namen auf, dass ich komplett den Überblick verloren habe. Ich kann das via Hörbuch einfach nicht im Kopf sortieren und behalten (dabei liest Melika Foroutan phänomenal!), weshalb ich mich schnell gelangweilt habe. Nur die immer wiederkehrenden Sprünge in die Gegenwart haben mich bei der Stange gehalten.

So hatte ich am Ende das Gefühl, dass Antichristie ein hochambitioniertes, krass komplexes Konstrukt ist, für das ich an vielen Stellen einfach nicht schlau genug bin. Trotzdem würde ich nicht ausschließen, irgendwann noch mal zur gedruckten Form zurückzukehren.

[3.5 Sterne]
Profile Image for Jenia.
554 reviews113 followers
January 27, 2025
An Indian-German TV writer working on a "woke" Agatha Christie adaptation travels back in time to take part in the Indian independence struggle. I really liked a lot of this book - fascinating topic, funny. But at some point the endless arguments became tiring - it felt like reading a twitter thread. There's not a lot of discussion as such, as much as one person telling another the important historical facts that they didn't know. On the other hand, while I learned a lot about the Indian struggle specifically (and now want to pick up more books on it!!) a lot of the arguments felt very... 2010s to me. The world has moved very quickly in the last couple years, quicker than authors can react probably, but yeah, it dates things. Or maybe the German anti colonialism discussions are a decade behind the English speaking ones..? For example I'm puzzled that the main character got to 50 without coming across mention of Gandhi's anti-Blackness in an online discussion - it's just one of those facts you hear in online left leaning spaces, if not as a serious discussion then as as some snarky clap back tbh 😅 Well idk. It's good that this book exists anyway...
Profile Image for Kaleidoscopicora.
97 reviews1 follower
January 24, 2025
DNF nach 70%. Ich hatte mich so auf dieses Buch gefreut, weil Identitti eines meiner allerliebsten Bücher ist. Aber Antichristie war eine Enttäuschung! Sanyal verirrt sich komplett in ihrer Geschichte, es ist ein Zeitsprungwirrwar, wobei keiner der beiden Erzählstränge Fahrt aufnimmt oder irgendwo hinführt. Sie traut der lesenden Person nichts zu und kaut alle Ereignisse vor – no show, just tell. Keine Ahnung, was dieses Buch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises zu suchen hatte.
Profile Image for Rosen de Almeida.
65 reviews5 followers
June 21, 2025
Ein Roman der mehr Fragen hinterlässt als beantwortet, was etwas Gutes ist, wenn man den Fragen hinterher nachgeht. Technisch und sprachlich sehr gekonnt gebaut, tolle Figuren und Parallelplots, what's not to love.
159 reviews
September 26, 2024
„Schließlich hatte ich mich danach immer gesehnt: einer Vergangenheit, in der Leute wie ich vorkamen, und zwar HIER und nicht DORT.“

Mithu Sanyals Debutroman „Identitti“ gefiel mir so gut, dass ich nach der Lektüre (obwohl ich als Leserin mit den meisten Thesen überhaupt nicht konform gehe) auch das Audiobook angehört habe, und das als absoluter Hörbuchmuffel! Die Schwächen bestimmter Konzepte wurden entlarvt und oft dachte ich beim Lesen „dito!“, etwa beim unsäglichen Begriff „Dönermorde“, der in der story zu Recht kritisiert wurde. Die Autorin war mir sympathisch, da sie für einen Dialog plädierte. Gute Literatur fordert heraus.
Daher habe ich „Antichristie“ noch vor dem Erscheinungstermin auf meine Wunschliste gesetzt.

Worum geht’s?

Der Roman behandelt diverse Themen. Im Zentrum steht die 50jährige Ich-Erzählerin Durga Chatterjee (eine Drehbuchautorin). Zu Beginn der Geschichte geht es um Trauerbewältigung, da die deutsche Mutter Durgas (ihr indischer/bengalischer Vater taucht mit seiner neuen Frau auf) verstorben ist. Zu den Eltern hat die Romanheldin ein eher schwieriges Verhältnis, da der Vater trotz Anwesenheit nicht greifbar war, arbeitete sie sich an der (nicht grundlos) zu Verschwörungstheorien neigenden Mutter ab. Die Figur einer Hippiemutter, die den Nachwuchs verlässt, um sich selbst zu verwirklichen, ist ein wandelndes Klischee, welches man auch bei Houllebecq findet. Die Erzählerin bemüht sich, alle Positionen eines Diskurses abzubilden, wobei sie natürlich zu manchen Theorien eher tendiert. (Es wird im Roman aber nicht durchweg eine dogmatische, „woke“ Haltung eingenommen, das Konzept der cultural appropriation etwa wird im Spiegel des zeitlichen Wandels reflektiert, Colourism wird kritisiert, überhaupt gibt es Raum für Ambivalenzen, für ambiguity, wie es so schön heißt. Andererseits muss man sagen, dass eben nicht alles relativ ist).
Durga ist mit einem Schotten verheiratet und Mutter eines Sohnes im Teenageralter. Da sie bereits Folgen für die britische Kultserie „Dr WHO“ verfasst hat, wird sie engagiert, um gemeinsam mit anderen (ethnisch diversen) Autoren eine zeitgemäße, zeitgeistige Version der ITV – Serie „Poirot“ zu erschaffen, ganz im Stil von „Bridgerton“ (ich halte die Adaption eines Unterhaltungsromans für schlimmen Kitsch). Agatha Christies Hercule Poirot als PoC? Belgien hatte schließlich Kolonien.
Das Fernsehspiel mit David Suchet liebe ich, daher habe ich mich über das Auftauchen im Roman sehr gefreut. Als das Drehbuchautorenkollektiv in einem Artikel polemisch „Let’s kill the Queen [Agatha Christie]“ fordert (im übertragenen Sinne, als Dekonstruktion) und Königin Elizabeth II. im Jahr 2002 tatsächlich stirbt, ist die Aufregung groß – die Demonstranten, die sich „ihre“ Geschichte(n) nicht nehmen lassen wollen, werden als treudoof-trottelige Gestalten porträtiert, die als „Christs for Christie“ oder als „Mums for Miss Marple“ („Twilight Moms“, anyone?) Namen wie „Melone“ oder „Sarah Ferguson“(!) tragen, und sogar teils als Dozenten arbeiten, aber eben nur an der „Open University“ und nicht etwa in Oxford. Von der Erzählstimme werden ihnen ein paar valide Argumente jedoch zugestanden.
Man könnte sagen, dass die Kolonialismuskritik das Hauptthema des Romans ist, es geht aber auch um (gesellschaftliche) Diskurse & Narrative, um Erinnerungskultur, Geschichtsbilder, Politik, Poststrukturalismus, um den sog. antimuslimischen Rassismus, um nation building und Nationalismus, (um „Die Erfindung der Nation“, wenn man so will) um Identitätspolitik & Genderkonzepte, um die Frauenbewegung, um Frauenfreundschaft und um Sozialismus (ein Eric-Hobsbawm-Zitat ist insofern ein Muss).
In der Geschichte wird buchstäblich auf mehreren Zeitebenen operiert, da Durga vordergründig durch die Zeit fällt und als junger Mann (es geschieht mehr als nur gender swapping) namens Sanjeev im London des Jahres 1906 auftaucht, wo er im Studentenwohnheim „India House“ mit diversen indischen Revolutionären (nicht nur mit Gandhi) lebt und konspiriert. Die Figuren wirken optisch wie dem Film „Sardar Udham“ (in Deutschland kann man den Film auf dem Streamingportal eines großen Internetversandhändlers sehen) entsprungen, wobei Sanyal an keiner Stelle Heldenverehrung betreibt. Sanjeev ist vom Vater des Hindunationalismus „Veer“ Savarkar fasziniert, gleichzeitig gibt es aber auch Durga und Figuren der Gegenwart, womit die Autorin das langweilige konventionelle Erzählschema von zwei getrennten Zeitebenen durchbricht. Im Verlauf der Erzählung wird die Heldin gemeinsam mit Sherlock Holmes im Stil des klassischen, kammerspielartigen britischen Kriminalromans (es wird darauf hingewiesen, dass es diese Erzähltradition auch in Japan gibt) einen Fall aufklären. Metaebene ahoi! Auch Identitätspolitik spielt eine Rolle: „Was sagte es über mich aus, dass ich durch die Zeit reisen und mein Geschlecht und mein Alter hinter mir lassen konnte, aber nicht meine race?“ Wenn im Roman von „braunen“ Menschen die Rede ist, bin ich raus, obwohl mir natürlich klar ist, dass „brown“ im englischen Sprachraum eine gängige (Selbst)bezeichnung ist.

Formal ist die Geschichte wie ein Patchworkroman konzipiert, wie zum Beispiel die 1992 ins Englische übersetzte Publikation der feministischen Autorin Dubravka Ugrešić „In the Jaws of Life“. Auch der Schriftsteller Saša Stanišić präsentierte mit „Herkunft“ einen Patchworkroman (2019 wurde die Veröffentlichung mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet). „Antichristie“ ist in gewisser Weise anspruchsvoller und nicht so gefällig geschrieben wie „Herkunft“, da man als Leser (m/f) auch einer (kultur)geschichtlichen bzw. Geschichts - Vorlesung beiwohnt und einem popkulturellen Happening. Die einzelnen Kapitel werden durch szenische Anweisungen und Zitate eingeleitet, womit das filmische, gar filmreife Element der (historischen) Realität abgebildet wird. Sanyal kritisiert auch realpolitische Phänomene der Gegenwart, etwa die antimuslimische Haltung der indischen Partei BJP, wobei sich die Frage stellt, inwiefern diese Haltung in Teilen auch durch die Terroranschläge von Mumbai im Jahre 2008 befeuert wurde? In „Antichristie“ werden die Gewaltexzesse und Pogrome nach der indischen Unabhängigkeit und nach den Kriegen, aus denen u.a. Bangladesch hervorging, als Folge des britischen Imperialismus‘ dargestellt. „Perfidious Albion“ heißt es nicht selten. Und tatsächlich haben auch die Briten während ihrer Herrschaft Massaker verübt und sich nicht für diese Gräuel entschuldigt.
Ich habe mich sehr auf die Lektüre des Romans gefreut und etwas Neues und eine Weiterentwicklung erwartet. Ich wollte allerdings kein „Identitti“ – Recycling präsentiert bekommen. Wenn Durga die gleichen Probleme/Gedanken wie Nivedita aus „Identitti“ hat, wirkt das auf mich wie eine Wiederholung: beide Protagonistinnen leiden darunter, nicht als „richtige Inderinnen“ klassifiziert zu werden, beide betrauern die Tatsache, nicht bilingual erzogen worden zu sein. Man möchte entgegnen, dass auch das Erlernen der Muttersprache nicht vor einem Fremdheitsgefühl in Deutschland schützt, dass man auch mit Kenntnis der Muttersprache seinen Namen noch buchstabieren muss, und dass man sich mit einer hybriden Identität (notgedrungen) arrangieren muss. Das Gefühl einer „sowohl – als – auch“ – Existenz wird man manchmal ein Leben lang nicht los, und man könnte sogar argumentieren, dass die Hauptfigur mit einem deutschen Elternteil (ergo einem deutschen Pass) privilegiert ist. Durga fühlt sich regelrecht betrogen, wenn sie sagt: „Da war so viel Weltgeschichte, die mir nie in der Schule oder an der Uni beigebracht worden war.“ Ein Studium der Geschichtswissenschaft hätte da vielleicht geholfen; es stimmt aber, dass der deutsche Schulunterricht das Hauptaugenmerk auf den Nationalsozialismus richtet.
Wenn Durga von der Freundschaft zu ihrer bff Nena berichtet, wird der Handlungsstrang aus „Identitti“, in welchem Nivedita traurig über die häufige Abwesenheit ihrer liebsten WG-Mitbewohnerin ist, 1:1 übernommen. Die Erzählperspektive bringt es mit sich, dass man leider manchmal das Gefühl bekommt, dass das Ganze eine einzige Nabelschau der Protagonistin ist. Wenn Durga „Menschenrechtsverletzungen auf Social Media“ anprangert, drängt sich der Gedanke auf, dass „Antichristie“ in Teilen ein autofiktionales Werk ist. Manche Sätze machen betroffen, sie sind nachvollziehbar: „Die Frage, die mich ein Leben lang umgetrieben hatte – wer wäre ich, wenn ich in Indien aufgewachsen wäre?“ Eine ähnliche Frage hat sich wohl jedes Migrantenkind in Deutschland schon einmal gestellt. Insofern fällt es stellenweise schwer, den Roman zu kritisieren.
Ist „Antichristie“ auch ein Coming of Age – Roman (obwohl Durga schon 50 Jahre alt ist.)? Der Roman ist fast 600 Seiten dick, für mein Empfinden verzettelt sich die Autorin stellenweise, auf manche Details kann wirklich verzichtet werden (auf die Frage, wie attraktiv Männer mit einem „Trainspotting „meets xy – Chic sind, Dass „Nena“ die Kurzform von „Susanne“ ist, treibt die Seitenzahl unnötig in die Höhe, ebenso wie der Verweis auf vorchristliche Phänomene oder das Zitieren von Tweets. In Großbuchstaben verfasste Passagen nerven einfach nur). Kann man das der Verfasserin ankreiden, die Lektorin oder der Lektor hätte den Text kürzen und straffen müssen; das Korrektorat Flüchtigkeitsfehler wie „Weisbrot“ korrigieren. Es ist schade, wenn Leser die Lektüre ob der Länge abbrechen, zumal die Autorin gegen Ende doch noch die Kurve mit einem Krimiplot kriegt - um kurz darauf wieder in’s Dozieren zu verfallen. Man kann viel lernen, als Geisteswissenschaftler wird man mit vielen Debatten und Diskursen aber schon vertraut sein. Es ist wunderbar, dass manche Themen aus dem akademischen Elfenbeinturm geholt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden, wobei nicht jeder Mensch in Deutschland so ignorant ist wie von „Antichristie“ angenommen. Historiker wissen, dass der eurozentrische Blick auf die Ereignisse problematisch ist. Für die Lektüre von „Antichristie“ bedarf es keiner Vorkenntnisse, man wird als Leser/in an die Hand genommen und bekommt alles erklärt, muss nichts zum besseren Verständnis nachschlagen: „Muhammad Ali Jinnah? […] Der die Muslim League anführen und später der erste Präsident Pakistans sein wird.“ Man kann nicht behaupten, dass der Roman nicht jeden Leser „mitnimmt“, um es salopp zu formulieren. Nicht jede Figur kann Karlheinz oder Erna heißen, es gibt definitiv nicht zu viele Personen im Roman (Hilfestellung bietet auch das Personenverzeichnis am Ende, passenderweise „Cast & Crew“ ).
Vielleicht funktioniert die story im anglophonen Sprachraum aber besser. „Dr WHO“ ist in Deutschland keine legendäre TV – Serie, beim Thema Kolonialismus denkt man in Deutschland oft nur an die Herero und Nama, wobei im kolonialismuskritischen Roman „Das Museum der Welt“ aufgezeigt wird, dass auch deutsche Forscher wie die Gebrüder Schlagintweit (im Auftrag der East India Company) in Indien unterwegs waren.
Die Autorin brennt für ihr Sujet, sie verfügt über ein großes Wissen und man spürt die schiere Erzählfreude, daher ist es schade, dass der Roman (wie zuvor „Identitti“) von direkter Rede /Dialogen dominiert wird. Die wichtigen Botschaften des Romans werden von seitenlangem Gelaber überdeckt, wieso reden die Figuren mehr, als zu handeln? Die Erzählung ist mehr als bloßes Geschwätz, aber es fällt schwer, am Ball zu bleiben, wenn so viel monologisiert und debattiert wird. Apropos Figuren – sie haben in meinen Augen keine wirkliche Tiefe. Manchmal wirken die Figuren infantil, wenn vom „sexysten Hijab“, oder von „coolen“ Frauen die Rede ist, von Männern, die in ihrer „Jugend“ aufgrund ihrer Physiognomie „sexy“ waren, und manchmal wird’s schwülstig: „Schließlich war ich nicht nur von Savarkar angezogen, sondern auch von mir selbst. Von diesen vollen Lippen, die ich nicht aufhören konnte mit meinen Fingern zu berühren, von diesem so magischen wie magnetischen Penis, den ich […] niemals vergessen konnte.“
Im Roman wird die Frage aufgeworfen, welche Ideologie mehr Menschen getötet hat, wobei eingeräumt wird, dass sich in Deutschland Nationalsozialismus/ Shoa/ Kolonialismusvergleiche verbieten, und dass andernorts dieses Tabu nicht in dieser Form existiert. Mao, Stalin, der Holodomor etc. spielen bei diesen Vergleichen keine Rolle.
Stilistisch ist „Antichristie“ nicht der ganz große Wurf, die Machart von „Identitti“ wird sozusagen beibehalten, da es sehr viele Dialoge gibt. Teilweise wirkt der Roman wie eine verkappte wissenschaftliche Arbeit, die etappenweise verfasst und vor dem Abgabetermin nicht noch einmal überarbeitet wurde. Ein fast selbstverliebter Unterton wird durch humorvolle Passagen abgefedert, die natürlich ein wenig kokett sind. Ich musste lachen, als Durga „von sich selbst beeindruckt“ war oder als sie anmerkte, sie wolle sich „durch Unkenntnis“ nicht „davon abhalten lassen, andere zu belehren.“ Im letzten Drittel des Romans dreht die Erzählerin noch einmal voll auf, ich liebe die literaturwissenschaftlichen Aspekte und Bezüge, sprechende Büsche finde ich richtig charmant. Man kann sehr viel über indische Geschichte lernen, und ich habe Lust bekommen, eine wissenschaftliche Publikation Sanyals zum Thema Indien zu lesen, da ich die Prosa der Autorin anstrengend finde. Wenn es aber in Rezensionen heißt, dass die Autorin in Antichristie „alles zu einem wilden Bollywood-Tanz“ vermengt, wird klar, dass die deutsche Öffentlichkeit einen solchen Roman nötig hat. Ich liebe Bollywood. Man wundert sich allerdings über die Ethnisierung, außerdem dreht nicht jeder indische Regisseur Bollywoodfilme (Nair, Kapur etc.). „Antichristie“ hat weder formal noch inhaltlich etwas mit der Hindifilmindustrie gemein.

Fazit:

Der Antichrist geht um? Sanyals zweiter Roman ist ein postkolonialistisches Manifest. Welche Form von Widerstand ist richtig und legitim? Es geht auch um deutsche Befindlichkeiten. Stellenweise war ich aufgrund der Form schwer genervt von der Geschichte; das Sujet ist aber so interessant, dass ich froh bin, den Roman komplett gelesen zu haben. Manche Ideologien, Theorien und Konzepte muss man hinterfragen; natürlich ist die Publikation am Puls der Zeit. Trotz meiner Kritik denke ich, dass der Roman mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet werden sollte.
Profile Image for Daniela Moritz.
30 reviews2 followers
December 26, 2024
"The past is never dead. It's not even past." William Faulkner

Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, Kolonialgeschichte in Form eines Zeitreiseromans zu erzählen? Gibt es das schon? Ich habe mich in den Gedanken, Zeit und Raum hinter sich zu lassen und alle Theorie mit der "Realität" zu konfrontieren und dadurch einen völlig neuen Blick auf das Vergangene zu erhalten, sofort schockverliebt. Die Grenzen der Logik, wie wir sie kennen, gelten in "Antichristie" nicht, was einen grundlegend anderen Zugang zum Wesen von Traumata und Gewalterfahrung, die selbst wie in einer Zeitkapsel gefangen Generation um Generation überdauern können, eröffnet. Die Frage wiederum, welchen Preis jeder Einzelne bereit ist, für seine Unabhängigkeit und Freiheit zu bezahlen, erhält vor diesem Hintergrund eine andere Dimension und durchzieht die Geschichte unaufhörlich wie der Nebel die Gassen von London. Aber von vorne.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht die fünfzigjährige Drehbuchautorin Durga, die nach London zu einem Writers' Room reist, um dort an einer antirassitischen Neuverfilmung von Agatha Christies Werk mitzuwirken. Nur einen Tag vorher ist ihre Mutter Lila verstorben, zu der sie seit ihrer Jugend ein angespanntes Verhältnis besaß, da Sigrun, wie sie eigentlich hieß, lieber als Teilzeit-Guerilla tätig war und allerlei versponnen Verschwörungsmythen aufsaß, anstatt sich um die Familie zu kümmern. Durch sie kam Durga das erste Mal mit dem indischen Befreiungskampf und dessen unterschiedlichen Protagonisten in Kontakt, die Lila obsessiv studierte und im Gegensatz zu ihrem bengalischen Vater Dinesh auch dann verteidigte, wenn sie nicht wie Gandhi auf ausschließlich gewaltfreien Widerstand setzten.

Die Asche der Mutter verstreut Durga über einen Fluss zufällig gegen den Wind, wodurch die Situation unfreiwillig komisch wirkt und es zu einer skurrilen Verschmelzung der Lebenden und Toten kommt.

In England überschlagen sich die Ereignisse weiter: die Queen stirbt, Demonstranten versammeln sich, um gegen die Überarbeitung der Christie Romane zu protestieren und ein antimuslimischer Kommentar ihrer besten Freundin Nena lässt schließlich die Gesetze der Wirklichkeit in sich zusammenfallen. Die Sonnenuhr zeigt aus Mangel an Sonne keine oder alle Stunden an und Durga findet sich auf einmal als junger Mann namens Sanjeev im London des frühen 20. Jahrhunderts wieder.

Dort angekommen sucht er das sogenannte India House auf, eine Plattform für nationalistische Revolutionäre, und stolpert somit geradewegs ins Epizentrum der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Eine historische Figur nach der nächsten kreuzt seinen Weg, bis er auf den bedeutendsten Aktivisten von allen trifft, Vinayak Damodar Savarkar. Savarkar erlangt später als Gründer der Hindutva-Ideologie Berühmtheit und nutzt das Quartier auch zur Verbreitung seiner politischen Pamphlete, die Waffengewalt gegen die Kolonialmacht befürworten. Entgegen seiner Prinzipien und Erwartungen bewundert Sanjeev Savarkar immer mehr und stellt seine eigenen Werte allmählich in Frage:

"Wenn ich damals gelebt hätte, wäre ich vehement gegen Savarkars Politik gewesen. Aber ich lebte ja damals und ich war ... verunsichert. Manchmal betrachtete ich Savarkar, und sein Gesicht löste sich in ein Raster aus Pixeln auf und ich konnte ihn lesen, wie ein Wikipediaeintrag:
Antichrist
Antigandhi
Anti-Anti-Gewalt
Anti alles, was für Durga und die letzte pazifistische Linke des einundzwanzigsten Jahrhunderts irgendeinen Wert und eine Bedeutung hatte."

Im India House kommt es auch zu Treffen und Auseinandersetzungen mit Gandhi, der nicht der zu seien scheint, für den ihn die Welt stets gehalten hat und dessen Lehre des gewaltfreien Widerstands ihre ganz eigene grausame Wahrheit besitzt. Sanjeev erinnert sich immer wieder an die Geschichten Lilas, die ihm einerseits helfen, die Situation besser zu verstehen, andererseits aber suspekt bleiben, wie der Methode des "Endarkenment", bei der einer dem anderen seine schlechteste Eigenschaft beibringt und sich so in (Selbst)akzeptanz übt. Wie suspekt sind diese Übungen aber noch angesichts der Ereignisse der letzten Zeit? Letzte Zeit, das lernt der Leser im Verlauf des Buches, umfasst allerdings nicht nur die Jahre im India House, sondern auch wieder Tage im Writers' Room. Die Zeitreise Durgas entpuppt sich somit bald als Astralreise, wodurch die Verflechtungen der verschiedenen Handlungs- und Bedeutungsebenen besonders eklatant zu Tage treten.

Die Queen, ob im übertragenen oder echten Sinne, wird vom britischen Volk weiter betrauert bzw. verteidigt und trotz aller historischer Altlasten mit einem Nimbus versehen. Freiheit im Namen der Unfreiheit, der blinde Fleck im eigenen Denken, der den Strudel der Ereignisse wiederum unweigerlich am Laufen hält. Dennoch geht es nicht darum, im Namen der Selbstbestimmung sämtliche Extreme wie Terror oder Verschwörungsglauben zu verteidigen, sondern die Ursachen für das Denken und Verhalten von Menschen nachzuvollziehen, es in Kontext zu setzen und seine eigenen Überzeugungen immer wieder zu hinterfragen. Dass Durga ihrer Mutter gerade durch die Astralreise wieder näher kommt und Frieden mit ihr bzw. ihrer "Verrücktheit" und sich selbst und ihrer eigenen "Verrückheit" schließen kann, spiegelt den gesamten ironischen Unterton des Romans wieder und greift zugleich eines der zentralen Themen des Buches auf, nämlich die Idee, (kulturelle) Ambiguitäten auszuhalten und daran zu wachsen, anstatt aus Gründen der Einfachheit in Stereotype oder Vorurteile abzugleiten.

Diesem inhaltlichen Konzept entspricht auch die Form des Romans, der Gattungsgrenzen sprengt und vor allem mit Versatzstücken des Filmskripts und filmischen Schreibens arbeitet. Das Leben als Rollenspiel, als, so muss man in diesem Fall sagen, unfertiges Rollenspiel, in dem das Prinzip der Irreführung herrscht und selbst grundlegende Gewissenheiten einer ständigen Prüfung unterliegen.

Die Verspieltheit und Klugheit, mit der Sanyal es schafft, die Schatten des indischen Freiheitskampfes und deren Auswirkungen und Bezüge bis ins Jetzt wieder lebendig werden zu lassen, finden sich in der Gegenwartsliteratur kein zweites Mal. Die Krone gebührt ihr.



Why has no one ever come up with the idea of ​​telling colonial history in the form of a time travel novel? Does that already exist? I immediately fell in love with the idea of ​​leaving time and space behind and confronting all theory with "reality" and thereby gaining a completely new perspective on the past. The limits of logic as we know them do not apply in “Antichristie” and open up a fundamentally different approach to the nature of trauma and experiences of violence, which themselves trapped in a time capsule can endure for generations. The question of what price each individual is prepared to pay for their independence and freedom takes on a different dimension against this background and permeates the story incessantly like fog through the streets of London. But let's start from the beginning.

The story centers on the fifty-year-old screenwriter Durga, who travels to London to a writers' room to work on an anti-racist remake of Agatha Christie's work. Her mother Lila, with whom she had had a strained relationship since her youth, died just one day earlier because Sigrun, as she was actually called, preferred to work as a part-time guerrilla and buy into all sorts of airy-fairy conspiracy myths rather than looking after the family. Through her, Durga came into contact with the Indian liberation struggle and its various protagonists for the first time, whom Lila studied obsessively and, unlike her Bengali father Dinesh, defended even when they did not rely exclusively on non-violent resistance like Gandhi.

Durga scatters her mother's ashes across a river by chance against the wind, which makes the situation seem unintentionally comical and results in a bizarre fusion of the living and the dead.

In England, events continue to unfold rapidly: the Queen dies, demonstrators gather to protest against the revision of Christie's novels, and an anti-Muslim comment by her best friend Nena finally causes the laws of reality to collapse. Due to a lack of sun, the sundial shows no hours or all of them, and Durga suddenly finds himself as a young man named Sanjeev in early 20th century London.

Once there, he visits the so-called India House, a platform for nationalist revolutionaries, and thus stumbles straight into the epicenter of the Indian independence movement. One historical figure after another crosses his path until he meets the most important activist of all, Vinayak Damodar Savarkar. Savarkar later becomes famous as the founder of the Hindutva ideology and also uses the quater to distribute his political pamphlets that advocate armed force against the colonial power. Contrary to his principles and expectations, Sanjeev admires Savarkar more and more and begins to question his own values.

In India House there are also meetings and arguments with Gandhi, who does not seem to be the person the world always thought he was and whose teachings of non-violent resistance have their own cruel truth. Sanjeev keeps remembering Lila's stories, which on the one hand help him to understand the situation better, but on the other hand remain suspect, such as the method of "endarkenment", in which one person teaches another their worst trait and thus practices (self-)acceptance. But how suspect are these exercises in light of recent events? Recent events, as the reader learns in the course of the book, include not only the years in the India House, but also days in the writers' room. Durga's journey through time soon turns out to be an astral journey, which makes the interrelationships between the various levels of action and meaning particularly obvious.

The Queen, whether figuratively or literally, continues to be mourned or defended by the British people and is given a halo of glory despite all the historical baggage. Freedom in the name of unfreedom, the blind spot in one's own thinking, which in turn inevitably keeps the maelstrom of events going. Nevertheless, it is not about defending all extremes such as terror or belief in conspiracy theories in the name of self-determination, but rather about understanding the causes of people's thinking and behavior, putting it in context and constantly questioning one's own beliefs. The fact that Durga gets closer to her mother again through astral travel and can make peace with her and her "madness" and herself and her own "madness" reflects the entire ironic undertone of the novel and at the same time takes up one of the central themes of the book, namely the idea of ​​enduring (cultural) ambiguities and growing from them, instead of slipping into stereotypes or prejudices for the sake of simplicity.

This content-related concept is also reflected in the form of the novel, which breaks down genre boundaries and works primarily with elements of the film script and film writing. Life as a role play, as, in this case, an unfinished role play, in which the principle of deception prevails and even basic certainties are subject to constant scrutiny.

The playfulness and cleverness with which Sanyal manages to bring the shadows of the Indian freedom struggle and its effects and references to the present day back to life cannot be found a second time in contemporary literature. The crown belongs to her.
Profile Image for Pascal.
309 reviews53 followers
October 2, 2024
Identitti ist für mich einer der intelligentesten Romane der jüngeren deutschen Literatur; entsprechend gespannt war ich also auf das nächste Werk von Mithu Sanyal.

Der Klappentext klingt diesmal weniger danach, doch auch Antichristie bietet uns spaßig-verquirlte, dialektische Verhandlungen umstrittener(?) Themen. Mit clashenden Einzelpositionen von Figuren mit lockerem Gestus, aber geradezu essayistischer Schlagfertigkeit. Das Ganze präsentiert als – diesmal bewusst nicht ganz so geradliniger – Roman.

Das Fragezeichen hinter „umstritten“ steht dort, weil das Hauptsujet von Antichristie, die indische Kolonialgeschichte samt Unabhängigkeitsbestreben, vor allem im deutschen Raum deutlich weniger polarisieren dürften als das Thema, mit dem Identitti sich befasste.

Dabei lebt Antichristie vom Diskurs zwischen seinen vielen, oft historischen Charakteren. Und gerade in den Details kracht es hier äußerst erhellend und unterhaltsam: besonders die Fragen um pazifistischen Protest versus bewaffneten Widerstand – kurz: wie man etablierte Systeme überwindet – spielen eine zentrale Rolle. Kein Wunder, bei Indiens Geschichte mit Gandhi als alles überschattende Gallionsfigur.

Umso wichtiger, dass Antichristie andere relevante Personen der indischen Unabhängigkeitsbewegung ins Rampenlicht rückt. Sogar umstrittenen Akteuren wie „Hindu-Hitler“ (falsches Vorurteil) Vinayak Damodar Savarkar verleiht Antichristie mit viel Fingerspitzengefühl die Komplexität, die sie in der umfassenden Retrospektive verdienen.

Und dann ist da ja noch dieses Gegenwartsnarrativ rund um Agatha Christie. Darf man Elemente ihres Werks in modernen Adaptionen oder Veröffentlichungen abändern, um heutigen Sensibilitäten und Erkenntnissen zu entsprechen? Ist das Cancel Culture? Und wenn ja, ist das überhaupt schlimm?

Und dann ist da noch der Tod der Queen… Die Familiengeschichte der Protagonistin… Dass alle Erzählebenen miteinander harmonieren, ist eine beeindruckende erzählerische Leistung. Dabei ist Antichristie im positiven Sinne chaotisch. Vollgestopft mit Wahnsinn und ungezügelter Kreativität, mit Spaß an Popkultur und Geschichte.

Wie schon Identitti verpackt Antichristie anspruchsvolle Diskurse in eine Tüte, die bunter und einladender kaum sein könnte. Die große Leistung ist das Schärfen der Ambiguitätstoleranz der Lesenden, so ganz nebenbei. Denn sowohl Gandhi als auch Savarkar vertreten Nuancen, die gleichzeitig valide sein können – und sogar erzkonservative Agatha-Christie-Ultras sind Menschen, die Ohren haben, um mit ihnen zu reden. Mit diesem Auftrag in Sachen Ambiguitätstoleranz deckt Antichristie im Jahr 2024 einen besonders ausgeprägten Lehrbedarf.
Profile Image for Clarissa.
693 reviews20 followers
Read
April 20, 2025
Dieses Buch, wie auch Identitti, verlangt viel von den Lesenden; man muss sich konzentrieren, ein ganz paar Gedankengänge und Transferleistungen selbst erbringen und sich komplett auf die sprudelnde Kreativität der Autorin einlassen.
Bei Identitti fand ich das wegen des brillanten Buches auch sehr belohnend, hier bin ich mir nicht ganz so sicher. Es sind einfach seeehr viele Themen. Dass meine Wissenslücke beim Thema Doctor Who ein Problem werden könnte, war mir vorher nicht klar.
Wiederum, ich liebte die Diskussionen im writers room und das lebendige erzählen der Geschichte des indischen Unabhängigkeitskampfes ist einfach next level Storytelling.
Wenn man bereit ist mitzuarbeiten und zu akzeptieren, dass dieses Buch meiner Meinung nach etwas zu lang ist, dann ist hier sehr viel schönes dabei.
Profile Image for clari874.
12 reviews
January 3, 2025
ähnlich wie identitti sehr zum nachdenken anregend und diskurs widerspiegelnd - diesmal allerdings zur frage des gewaltsamen widerstandes.

im buch geht es um den indischen unabhängigkeitskampf in den letzten zwei jahrhunderten sowie um den tod der queen und antirassistische neuverfilmungen alter (film-)klassiker in der gegenwart, wobei ersterer themenkomplex definitiv den meisten raum einnimmt. trotzdem lassen sich viele der an- und ausdiskutierten gedanken hinsichtlich der debatte rund um gewaltsamen widerstand bzw politischer gewalt auch auf andere debatten übertragen. um nur ein paar zu nennen: wie sinnvoll und strategisch kann pazifistischer widerstand sein? ab wann ist gewalt gewalt? wie legitimiert sich gewalt? wie bedingen sich gewalt und gegengewalt? mithu sanyal lädt mal wieder zum denken über all diese großen fragen ein - gemeinsam mit ihren teilweise verstörend sympathischen figuren.

ohne vorwissen zu indien bzw dem antikolonialen kampf dort durchaus anspruchsvoll zu lesen, aber mir hat es dennoch große freude bereitet. absolute leseempfehlung!
Profile Image for aktiv müde.
68 reviews4 followers
December 20, 2024
ach Gandhi Rassismus und Sexismus sind auch Gewalt..
Sanyal vermittelt in ihren Büchern mal wieder mehr wissen als meine Lehrer:innen innerhalb meiner ganzen Schulzeit.
Zeitsprünge und Doctor Who Verweise manchmal etwas zu viel für mich
Profile Image for JuliaCapulet.
46 reviews1 follower
April 11, 2025
Ich hätte große Lust gehabt auf eine mit popkulturellen Referenzen gespickte und vor dem Hintergrund einer historischen Kulisse gemalte Liebeserklärung an gewaltfreien Widerstand. Ich hätte mich gefreut über einen Einblick in die indischen Unabhängigkeitsbestrebungen und - kriege und in postkolonial geprägte Lebensrealitäten. Ich glaube, dass der Blick auf indisch-europäische Diaspora produktiv sein kann auch für andere Diskurse. Ich habe Spaß an Zeitreisen und Sherlock Holmes. Ich teile die These, dass es nicht so einfach ist mit der Revolution, der Geschichtsschreibung und identitätsstiftenden Narrativen und dass man für die Komplexität dieser Zusammenhänge mitunter auch komplexe Geschichten braucht.
Leider versperrt der verkopfte, verzettelte und völlig überbordende Ansatz von Mithu Sanyal jeglichen Zugang zu allem, was ihre guten Ideen an literarischem Erleben versprechen. Wenig hilfreich ist auch der Versuch eines wilden Stilmixes aus Drehbuch- und Umgangssprache, der, wie auch beim Setting, nicht an der Idee sondern der Umsetzung scheitert.
Trotz aller Berechtigung an Komplexität wäre hier weniger mehr gewesen: Weniger Anreißen, weniger Antippen, weniger Streiflicht, mehr Tiefe, mehr Zeit, mehr Beleuchtung einzelner Zusammenhänge für mehr Licht im Dunkeln statt Stroboskop im Zitatedschungel. Qualität statt Quantität.
86 reviews2 followers
November 27, 2024
Rasant

Dieser Roman ist definitiv nicht geeignet für Leser:innen, die ein Buch suchen, in dem man gemütlich schmökern kann. Er ist aber geeignet für alle, die sich auf einen wirklich rasanten Ritt durch die britisch-englisch-deutsche-globale Geschichte wagen wollen, bei dem man nebenbei fast ebenso viel in Wikipedia nachliest wie im Roman selbst liest. Man muss sich auf die Prämisse der verwirrenden Zeitsprünge einlassen und die ungewöhnlichen Einsprengsel von Kameraeinstellungen und Zitaten, aber wenn man das macht, erwartet einen ein ungewöhnlicher und ungewöhnlich weiterbildender Roman.
Beim Lesen erfährt man unglaublich viel Neues über die komplexe Geschichte des indischen Kampfes gegen die britische Kolonialmacht und wie Geschichte gemacht wird von Menschen und Umständen. Ein bisschen Doctor Who und am Ende auch Sherlock Holmes dazu, und alles in einem atemlosen Schreibstil. Herausfordernd, aber gut.
Profile Image for Anna.
87 reviews
December 27, 2024
Uff. Das Buch zu lesen war anstrengend. So viele Referenzen, die ich kaum verstanden habe. So viele Fragezeichen in meinem Kopf. Aber mit der Zeit wurde es klarer. Mithu Sanyal schafft es auf spannende Weise, die Komplexität im Spannungsfeld zwischen "Richtig" und "Falsch" aufzuzeigen. Wie eindeutig sind eigentlich unsere Überzeugungen? Wie eingeengt unser Sichtfeld? Wie umfangreich unsere Informationen? Und zwischen all den schweren Themen und der unglaublichen Informationsdichte, die dabei kein bisschen belehrend rüber kommt, lauern immer wieder Stellen, die so unerwartet kommen, dass man einfach laut lachen muss: Penishumor vom Feinsten.
Profile Image for Marieli.
61 reviews
October 23, 2024
Nach 200 Seiten breche ich das Buch ab. Ich bin sehr erstaunt darüber wie schlecht es mir gefallen hat, da ich den ersten Roman von Mithu Sanyal sehr gerne mochte. Aber hier hat für mich vieles nicht gestimmt. Komischer Umgang mit Transformation des Körpers, wirre Handlung, zu viele unmöglich Details. Ich bin in keinen Lesefluss reingekommen. Schade, hatte mich eigentlich darauf gefreut.
159 reviews
November 15, 2024
Ich konnte mich mit dem Schreibstil und dem Inhalt nicht recht anfreunden. Die Autorin hat zu viel an Themen und Zeitwechsel reingepackt
Profile Image for Flying_one.
19 reviews1 follower
June 8, 2025
Inhaltlich sehr gut, leider schlecht umgesetzt.

Das, was bei Identitti noch so gut funktioniert hat - ein ganzes Buch hauptsächlich in Dialogen zu schreiben - wird bei Antichristie zur Tortur. Das liegt auch daran, dass es im Gegensatz zu Identitti mit Figuren überladen ist. Gibt es bei Identitti noch zwei Hauptfiguren, deren Dialoge auch daher interessant sind, weil sie in einem interessanten Verhältnis zueinander stehen, wird in Antichristie ganz deutlich, dass die Figuren nur Vehikel sind, um die Recherchearbeit, die die Autorin zur Kolonialgeschichte Indiens und Englands gemacht hat, in verbale Infodumps zu verpacken.
Die Dialoge finden an zwei Orten statt: In einem Writers' Room in London 2022, wo Autor*innen wie Durga eine Neuverfilmung von Agatha Christies Poirot brainstormen sollen, und im India House in London 1906, wo eine Gruppe indischer Freiheitskämpfer wohnt.
Eigene Geschichten oder deutliche Persönlichkeiten haben die Figuren im Writers' Room nicht, ihre Dialoge sind eine reine Geschichtsstunde zum indischen Freiheitskampf, zu dem auch wirklich jede Figur zusammenhanglos irgendwelche Fakten aus dem Ärmel schütteln kann, ohne einen biografischen Bezug zu dem Thema zu haben, während abwechselnd immer jemand anderes über die neuen Informationen erstaunt ist. Was genau diese (auf witzig geschrieben aber leider unwitzigen) Gespräche noch mit Poirot zu tun haben, wird ab einem gewissen Punkt immer undurchsichtiger.
Im India House heben sich immerhin drei Figuren hervor: Sanjeev, der die Erinnerungen von Durga aus 2022 hat, die historische Persönlichkeit Vinayak Savarkar, der später das Buch "Hindutva" schreiben wird, die Bibel der heutigen Hindu-Nationalisten, und Madan Lal Dinghra, der ein Attentat auf einen englischen General verüben soll. Leider wurde auch dieser Erzählstrang mit zahlreichen weiteren Figuren, die immer wieder dazwischen reden erdrückt, sowie mit historischen Persönlichkeiten, deren Namen wie Cameos bei Marvel Filmen wirken. Wenn Emma Goldman erwähnt wird, hat man das Gefühl, man soll auf den Bildschirm zeigen und "Wow, Emma Goldman!", rufen.
Dann tritt auch noch Sherlock Holmes auf, um einen ungeschickt in die Geschichte hinein geschusterten Kriminalfall zu lösen, dessen Faden die Erzählung immer wieder verliert, es gibt zehntausend Referenzen auf Doctor Who, nichts davon funktioniert in diesem Roman - dabei ist er inhaltlich doch top! Antichristie verhandelt das Verhältnis von gewaltfreiem zu gewaltvollem Widerstand im Bezug auf Indien, entzaubert Gandhis Politik als selbstvernichtend und Gandhi als Person gleich mit, schafft widersprüchliche Empathie für die gewaltvollen Freiheitskämpfer wie Dinghra und Savarkar und stellt interessante Fragen über die Auswirkungen der Geschichtsschreibung auf die Gegenwart.
Hätte das Buch sich darauf konzentriert und den ganzen Quatsch drum herum weggelassen, hätte es fünf Sterne von mir bekommen.
Profile Image for Pauline.
3 reviews
February 2, 2025
Mithu Sanyal hat mir vor Augen geführt, dass ich viel zu wenig über die indische und bengalische Kolonialgeschichte weiß - und vielleicht doch mal „Doctor WHO“ schauen sollte.
Antichristie“ verbindet zwei Handlungsebenen miteinander. Durga, eine deutsche Drehbuchschreiberin, reist beruflich nach London, um in einem Writers Room an einen Film mitzuschreiben. Die Titelfigur: Hercules Poirot. Dieser Film soll allerdings kein normales Remake werden, sondern den Rassismus und den Kolonialismus des britischen Empires (gab natürlich auch andere, darüber wird im Writers Room viel diskutiert) thematisieren. Dann stirbt noch die Queen, und dann macht Durga eine Zeitreise ins frühe 20. Jahrhundert, Durgas Mutter ist auch gerade erst verstorben, Trauerbewältigung here we go..

Ein sehr dichter Roman, der wie nichts ist, was ich bisher gelesen habe. Eine Mischung aus Kriminalgeschichte, historischem Roman, einem Buch übers Indisch-sein und in Deutschland leben, über Mütter und Töchter und über Freundschaften (denn ja, Durga hat einen Mann und einen Sohn, die sind auch wichtig, aber ebenso wichtig ist ihre beste Freundin Nena!) Mein Fazit: Absolut lesenswert, ich muss den Roman aber irgendwann ein weiteres Mal lesen, um mir nur die Hälfte der auftauchenden historischen Figuren zu merken. Und das ist keine Kritik, denn: Das möchte ich gern tun!
13 reviews
September 30, 2025
4,5⭐️
bin und bleibe mithu sanyal stan! zwar bin ich nicht der größte fan von zeitreisebüchern, aber hier wird die geschichte von antikolonialen revolutionär*innen in und rund um india house auf so charmante und kluge art erzählt, dass man nur begeistert sein kann. mithu sanyal schafft es mit antichristie wieder, dekoloniale theorie, biografische fakten, popkultur (wobei ich viele der britischen & vor allem krimi anekdoten nicht verstanden habe, aber that‘s okay), sowie die frage nach gewalt in der linken in einen mitreißenden roman zu verpacken. ich kanns definitiv allen empfehlen, mit diesem buch in die welt von india house einzutauchen (in dem übrigens auch lenin ein paar mal vorbeischaute, aber das ist nebensächlich) und darüber zu lesen, wie die dekolonisierung indiens natürlich nicht nur auf dem gewaltfreien widerstand gandhis basierte (der im übrigen auch problematischere takes hatte, als ich davor wusste), sondern eben auch auf radikaleren ideen verschiedener revolitionär*innen.
Profile Image for Jessi.
247 reviews
September 22, 2024
Let's kill the Queen

Nachdem ich "Identitti" von Mithu Sanyal wirklich unglaublich gut fand, habe ich natürlich auch dieses Buch mit Spannung erwartet. Das Cover empfand ich sowohl als Eyecatcher als auch etwas provokant. Ein bengalischer Tiger, der die Queen anspringt. Diese trägt nicht nur ein Bindi, sondern auch noch eine Lupe in ihrer Tasche. Alles mindestens Andeutungen auf verschiedene Elemente in diesem Buch.

Die Geschichte selbst bietet ein buntes Feuerwerk an schrägen bis schwarzen Humor, Gesellschaftskritik, Auf- und Erklärungen zu wichtigen und aktuellen Themen und noch so vieles mehr.

Die Bandbreite der Charaktere reicht dabei von nahezu farblos bis hin zu absolut skurril. Eine Mischung aus Kulturen und Denkweisen, die auch gerne mal aufeinander losgelassen werden.

So ist die Handlung mal geprägt von schräger Situationskomik oder eher beklemmend. Mal verworren wie ein Fiebertraum und ein andermal so unfair und falsch, dass ich schreien wollte.

Ich empfand es jetzt nicht unbedingt als nette Abendlektüre, sondern eher als Buch, mit dem sich aufmerksamer beschäftigt werden sollte. Das hat es auch absolut verdient. Denn es ist wieder einmal sehr scharfsinnig und lehrreich.
Displaying 1 - 30 of 96 reviews

Can't find what you're looking for?

Get help and learn more about the design.