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208 pages, Paperback
First published January 25, 2021
Unter uns gesprochen: Auf sich allein gestellt, das ist ein gleichzeitig ermutigender und beängstigender Ausdruck. Immerhin steht man, das ist ja schon was. Man könnte auch auf sich allein gelegt oder gedrückt sein. Und doch ist man eben gestellt, wie ein Verbrecher, gefangen fast.
Als schöner empfand ich immer die russische Aufforderung wsjat sebja w ruki. Sich selbst in die Hände nehmen, mein kleiner germanischer Goldfisch.
S. 31
Eine Obstverkäuferin harrt so unbewegt aus wie der Zeiger ihrer Waage. [...] Eine zahnlose Händlerin beschneidet mit hängenden Mundwinkeln kleinknospige Rosen. Bindet sie zum Bouquet, setzt sich, trinkt einen Espresso, isst eine Banane, schläft ein. Der Basar schläft, das Viertel schläft, nur die Birken nicht.
S. 55-56
Unter uns Landsleuten aller Herren Länder gesprochen: Vielleicht sind wir allesamt viel zu vokabelfixiert im Verstehen und läuten die Alarmglocke der Fremdheit beim ersten unbekannten Wort, anstatt kommunizierend die nachfolgenden abzuwarten.
S. 55
Normalno ist vielleicht das mehrdeutigste Wort der russischen Sprachen. Wenn eine Osteuropäerin beispielsweise sagt: Ich habe zwanzig Jahre lang mit dieser Kollegin gearbeitet. Sie ist ein normaler Mensch. Dann klingt das vielleicht schmallippig, ist aber tatsächlich als höchste soziale Anerkennung zu verstehen. Eine Art Orden. Denn es ist nicht leicht, ein normaler Mensch in einem unnormalen System zu sein. Gleichzeitig kann normalno aber auch gemeint sein, dass gar nichts gut ist.
S. 145-146
Wenn euch diese Rezension gefallen hat, könnt ihr mehr davon auf meinem Blog finden :)