Innovativ, mächtig, rücksichtlos – kaum eine Geschichte wird so oft erzählt wie die vom unaufhaltsamen Aufstieg der Tech-Konzerne an die Spitze der global vernetzten Welt. Nur ein Kapitel wird dabei Der Preis, den der Globale Süden dafür bezahlt. Der Tech-Journalist Ingo Dachwitz und der Globalisierungsexperte Sven Hilbig beleuchten diesen blinden Fleck und zeigen die weltweiten Folgen des digitalen Kolonialismus sowie bestehende Ansätze für eine gerechtere Digitalisierung auf. Soviel steht AI will not fix it.
Das Versprechen der Digitalen Revolution ist die Heilserzählung unsererZeit. Dieses Buch erzählt eine andere Die des digitalen Kolonialismus. Statt physisches Land einzunehmen, erobern die heutigen Kolonialherren den digitalen Raum. Statt nach Gold und Diamanten lassen sie unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Rohstoffen graben, die wir für unsere Smartphones benötigen. Statt Sklaven beschäftigen sie Heere von die zu Niedriglöhnen in digitalen Sweatshops arbeiten, um soziale Netzwerke zu säubern oder vermeintlich Künstliche Intelligenz am Laufen zu halten. Der Kolonialismus von heute mag sich sauber und smart geben, doch eines ist Er beutet Mensch und Natur aus und kümmert sich nicht um gesellschaftliche Folgen vor Ort. Im Wettkampf der neuen Kolonialmächte ist Digitalpolitik längst zum Instrument geopolitischer Konflikte geworden – der Globale Süden gerät zwischen die Fronten.
Digitaler Kolonialismus - Ingo Dachwitz & Sven Hilbig [Werbung, Rezensionsexemplar]
Ich darf ja den diesjährigen @deutschersachbuchpreis als Bloggerin begleiten und hatte das große Glück, dass “Digitaler Kolonialismus” mein Patenbuch geworden ist. Ich finde nämlich nicht nur das Thema super spannend, ich mag auch besonders Sachbücher, die sich angenehm lesen lassen - und dieses hier gehört da definitiv dazu!
“Es ist die Fortführung dieser Machtverhältnisse und dieser globalen Wirtschaftsordnung, die auch den digitalen Kolonialismus unserer Zeit ermöglicht. Die Digitalisierung kommt als immaterieller, körperloser Prozess daher, doch sie beruht oft auf materiellen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnissen.” (S. 11)
Themen wie Click Working und die Auslagerung von Content Moderation (und der damit einhergehenden mentalen Belastung) in den globalen Süden kannte ich bereits, aber durch die stringente Argumentation eines digitalen Kolonialismus habe ich aus diesem Buch viel mitgenommen. Und auch wenn mir bewusst war, dass Tech-Unternehmen Einfluss auf die politische Weltlage nehmen, waren die Beispiele erschreckend und haben mich viel zum Nachdenken über die Zukunft angeregt. Besonders mochte ich, dass die Autoren viele own-voice Stimmen zu Wort kommen lassen und im Buch sowie dem langen Quellenverzeichnis auf weitere (own-voice) Bücher und NGOs verweisen - meine Leseliste hat sich auf jeden Fall nochmal verlängert!
Mein einziger Kritikpunkt ist, dass das letzte (Unter-)Kapitel zum Ausblick (“Was tun?”) für mich viel zu kurz war. Auch wenn das Buch “in erster Linie Analyse und Anklage” und “keine Anleitung zum Widerstand” sein soll - nach 300 Seiten hätte man hier doch etwas mehr als 2,5 Seiten schreiben können. Auch inhaltlich fand ich es leider eher schwach, hier hätte man beispielsweise nochmal NGOs mit echten Lösungsansätzen zu Wort kommen lassen.
Abgesehen davon war “Digitaler Kolonialismus” aber eine wirklich sehr informative Lektüre für mich, die ich deshalb absolut empfehlen kann. Ich drücke meinem Patenbuch am kommenden Dienstag natürlich die Daumen! 4,5/5⭐️
Die Digitalisierung ist kein Befreiungsprojekt, sondern ein globales Machtinstrument, das koloniale Strukturen nicht überwindet, sondern sie mit neuen Mitteln fortschreibt. Ingo Dachwitz und Sven Hilbig zeigen in Digitaler Kolonialismus: Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen, wie Tech-Konzerne des Globalen Nordens die historisch gewachsenen Asymmetrien des Kolonialismus in die digitale Gegenwart übersetzen: durch die Aneignung von Daten, die Auslagerung prekärer Arbeit und die Kontrolle über digitale Infrastrukturen. Die digitale Welt erscheint damit nicht als Raum der Emanzipation, sondern als ein neues Imperium, das die globale Ungleichheit technologisch befestigt. Zentral ist die Analyse der digitalen Arbeitsausbeutung, bei der Millionen „Geisterarbeitskräfte“ unter unsichtbaren, oft traumatisierenden Bedingungen Algorithmen trainieren, Inhalte moderieren oder Mikroaufgaben für Centbeträge erledigen. Diese neue digitale Peripherie entsteht vor allem im Globalen Süden, wo Armut, Perspektivlosigkeit und asymmetrische Marktverhältnisse Bedingungen schaffen, die an frühere Zwangsverhältnisse erinnern. Parallel dazu betreiben Tech-Konzerne einen aggressiven Daten-Extraktivismus (=systematische Aneignung, Verarbeitung und ökonomische Verwertung von Daten), bei dem Informationen aus aller Welt – insbesondere aus dem Süden – abgesaugt, zentralisiert und kapitalisiert werden, während die betroffenen Gesellschaften kaum Zugang zu den daraus generierten Werten erhalten. Auch in der Reorganisation geopolitischer Kräfteverhältnisse offenbart sich der digitale Kolonialismus, etwa im Wettlauf um Rohstoffe, Infrastrukturen und Einflusszonen zwischen den USA, China und der EU. Unter dem Deckmantel „digitaler Entwicklung“ entstehen neue Abhängigkeitsverhältnisse: Unterseekabel, Rechenzentren und Satellitennetze schaffen Verbindungen – aber keine Souveränität. So wird deutlich, dass die globale digitale Ordnung nicht auf Gleichheit oder Teilhabe basiert, sondern auf einer technologisch hochgerüsteten Fortsetzung kolonialer Machtverhältnisse unter neuen Vorzeichen. Dachwitz und Hilbig gelingt damit ein Beitrag zur Dekolonisierung unseres digitalen Denkens. Ein gravierendes Defizit des Buches liegt in der Ignoranz beispielsweise gegenüber den Arbeiten von André Gorz sowie im völligen Verzicht auf ein Namen- und Sachverzeichnis – ein Versäumnis, das sowohl die theoretische Tiefe als auch die wissenschaftliche Nutzbarkeit des Werks empfindlich schmälert.
Das Buch Digitaler Kolonialismus: Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen ist aus eurozentrischer Sicht geschrieben - was die Autoren auch benennen - lässt aber viele Betroffene und Expert:innen aus dem Globalen Süden zu Wort kommen. Das finde ich notwendig und gelungen.
Das Buch liefert außerdem eine Vielzahl an Themenblöcken und Beispielen für die vielfältigen Formen des digitalen Kolonialismus. Es geht beispielsweise um: - Moderator:innen von Social Media/„KI-Trainer:innen“ in prekären Anstellungsverhältnissen im Globalen Süden - den Abbau von kritischen Rohstoffen durch Unternehmen des Globalen Nordens, der auch verhindert, dass sie vor Ort veredelt werden und damit zur Stärkung der lokalen Wirtschaft beitragen können - Regelungen, Richtlinien und Produkte von Digitalfirmen, die den Menschen im Globalen Süden schaden und sie diskriminieren (z. B. KI) - Schaffung von Abhängigkeiten von westlichen Firmen/Staaten (Infrastruktur, Software, Daten)
Die Autoren behaupten nicht, eine Lösung zu präsentieren - und das tun sie auch nicht - aber das Buch eignet sich hervorragend, um dem Thema Sichtbarkeit zu verleihen.
Ich fand den Titel interessant, den Inhalt weniger da meiner Ansicht nach tendenziell oberflächlich und plakativ.
Beispielsweise 'Der Digitale Kolonialismus von heute mag sich sauber und smart geben, doch eines ist gleich. Er beutet Mensch und Natur aus und kümmert sich nicht um gesellschaftliche Folgen vor Ort. ' - wirklich? Und das in Zeiten von ESG und Konzernverantwortung?
Absolut lesenswertes Buch. Stellt alle Probleme des Kapitalismus mit Fokus auf Digitalisierung und Technologie dar und verschiebt auch endlich mal den Fokus Weg von "der westlichen Welt". Besonders gelungen ist das Schlusswort von Renata Ávila Pinto.