»Hier will einer partout nicht akzeptieren, dass der Alltag grau ist.« Jan Wiele, FAZ zu »Milchgesicht«
Der lang erwartete Debütroman des Ausnahmeschriftstellers und »Open Mike«-Preisträgers Jan Snela erzählt von den mannigfaltigen Formen der zwischen einem Mann und einer Frau, zwischen Mensch und Natur und zwischen östlicher und westlicher Tradition. Ein stilistisch so funkelnder, formal so kunstvoller und inhaltlich so aufregender Roman, dass er in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seinesgleichen sucht.
Dass es Amanda an die japanische Frauenuniversität nach Nara zieht, um eine außergewöhnliche Schneckenart zu untersuchen, ist ihrem Freund Hannes suspekt. Die Elysia Marginata kann sich von ihrem Körper trennen, und auch Hannes fühlt sich, alleingelassen mit Amandas Mäusen Isidor und Isadora, wie ein abgeworfenes Schneckenglied. Flieht Amanda vielleicht gar vor ihrer gemeinsamen Zukunft? Lieber nicht zu viel darüber nachdenken. Überlange Textnachrichten an Amanda, die Mäuse ignorieren, das Haus nicht verlassen. Die verfahrene Situation ändert sich erst, als Hajo in Hannes' Leben tritt, dessen Zuneigung aber eigentlich dem Mäusepaar gilt ... Mit einem glänzenden Sinn für Humor entlockt Jan Snela der Sprache – mal in fluffiger Haibun-Prosa, mal in betörenden Haiku-Miniaturen – die ihr innewohnende Fantasie und erkundet, welche bemerkenswerten Antworten auf die großen Fragen unserer Gegenwart sich hinter dem Geheimnis von Augenblick und Vergänglichkeit verbergen.
Ich musste mich darauf einlassen, mich vielleicht auch ein wenig treiben lassen, denn klassische Handlung oder stringente Narrative sucht man hier vergeblich. Dafür wird man belohnt mit Momenten großer Schönheit und originellen Perspektiven auf die Welt.
Also gut, ich gebe zu: Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da einlasse. „Ja, Schnecke, ja“ klingt erstmal nach Kinderbuch oder nach einem Motivationsspruch für langsam laufende Jogger. Aber was Jan Snela da auf über 400 Seiten zusammenfabuliert, ist alles – nur kein gewöhnlicher Roman. Das Buch spricht in Zungen, summt, brummt, plappert, singt. Es ist ein literarisches Kaleidoskop auf LSD, nur ohne Nebenwirkungen (außer vielleicht leichtem Hirnknoten).
Die Sprache? Ein Feuerwerk. Mal Operette, mal Straßenpoesie, mal ganz leise wie ein Gedicht im Ohr, das man aus Versehen in der Badewanne liegen ließ. Man liest ein paar Seiten und denkt: „Ach du meine Güte, was redet der da?“ – dann liest man weiter, und plötzlich ergibt es Sinn. Oder auch nicht. Aber das macht nix. Es fühlt sich trotzdem richtig an. Wie ein seltsamer Traum, an den man sich gern erinnert, auch wenn man ihn keinem erklären kann.
Manchmal verliert sich Snela ein wenig in seinen eigenen Wortspielen und Welten – deshalb auch „nur“ vier Sterne –, aber hey, besser zu viel Fantasie als gar keine. Ich hatte Spaß, ich war irritiert, ich habe laut gelacht und manchmal einfach nur den Kopf geschüttelt. Genau so will ich das. Für Leute, die gerne geradeaus lesen und wissen wollen, was Sache ist: eher nix. Für alle anderen: Rein da!
Ja, Schnecke, ja – du hast mein Bücherregal ordentlich aufgemischt.
Selten ragte das sonst der Lyrik und Poesie vorbehaltene lustvolle Sprachspiel so weit in die Prosa, selten entfaltet ein Roman solch sinnliche Eindrücke, selten weben sich philosophische Weltbetrachtungen so non chalant in eine Erzählung. Ein absoluter Lesegenuss, eine ganz neue Sprache! Einzig die Story wirkt arg konstruiert - aber vielleicht braucht es in einer Welt wie dieser karthatische Naturereignisse, die ohne zwar Katastrophen auszulösen doch immerhin alles so durcheinanderschütteln, bis die Dinge an den Platz fallen, der ihnen vorbestimmt scheint.
Das kommt mir etwas kunstgewerblich und selbstverliebt daher. Viel Angelesenes wird eingestreut. Nein, das war nicht halb so gut wie erwartete. Für Leser, denen Japan, Haikus und Nacktschnecken neu sind, ist es vielleicht überraschend. Für mich eher nicht.