Lebenskrisen, emotionale Verletzungen und Phasen der Ineffizienz sind seit jeher Teil des Menschseins. Doch im digitalen Zeitalter zeigt sich eine immer größere Entschlossenheit, derartige Zustände krankhaft zu deuten. Social-Media-Plattformen sind voll mit psychiatrischen Diagnosen. Begriffe wie „Trauma“, „triggern“ und „toxisch“ werden inflationär verwendet. Eigen- und Fremddiagnosen gehen leicht von den Lippen. Wo aber liegt die Grenze zwischen Enttabuisierung und Verherrlichung? Präzise analysiert die Soziologin Laura Wiesböck die Ursachen und Folgen des Trends um „Mental Health“. Ein zeitgemäßes Buch und ein Plädoyer für das Aushalten emotionaler Ambivalenzen.
Laura Wiesböck arbeitet als Soziologin in Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf sozialer Ungleichheit mit Fokus auf Arbeit, Armut, Geschlecht und Digitalisierung.
In der Lehre widmet sie sich darüber hinaus Themen wie Coolness als kulturelle Praxis oder Soziologie der Liebe. In ihrem Buch „In besserer Gesellschaft: Der selbstgerechte Blick auf die Anderen“ (2018) analysiert sie die menschliche Sehnsucht nach Überlegenheit. Für ihre Arbeit wurde die Soziologin mehrfach ausgezeichnet. Aktuell leitet Laura Wiesböck die Junior Research Group "Digitalisierung und soziale Transformation" am Institut für Höhere Studien. Zusätzlich kommuniziert sie gesellschaftskritische Perspektiven in Medien, hält öffentliche Fachvorträge und engagiert sich für ein gewaltfreies und ökonomisch unabhängiges Leben von Frauen*.
Austrian sociologist Wiesböck gives us a very smart book how the social media trend on mental health is in large parts a grift and a maneuver to rhetorically replace structural problems with personal issues that need to be resolved on an individual level. For example, when a person feels overwhelmed with neoliberal demands, this person might self-diagnose with a mental illness, does pathologizing a normal reaction to ill outside circumstances, and then try to counter their feelings with mindfulness, sport, better eating etc. - and while all these improved personal behaviors do add to an increased well-being, they do not help to resolve structural problems. The whole mechanism adds to the atomization of society, the mental load of individuals, and a decreasing willingness to support others when things get rocky ("boundaries" to get away from "toxic situations"). And social media is driving the development, often gaslighting users into thinking mental health content is helping them to improve their lives.
Of course, Wiesböck dives into the dynamics on a much more complex level, showcasing how amateur creators, driven by economic interests, give (maybe well-intentioned) psychological advice and how the human tendency to avoid ambiguity, supported by algorithms programmed to keep users online, leads to vicious campaigns ultimately meant to cancel out difficult, complex discussions and replace them with moral certainty (in this context, she even mentions Nathalie Wynn's excellent video essay "Canceling"). Mental health gets weaponized against people who can't perform to the neoliberal standard: Why aren't they taking better care of themselves? And it gets weaponized when it comes to excusing the behavior of the powerful: The white domestic terrorist, the man who abuses women? They certainly had mental problems. Mental health, Wiesböck maintains, thus becomes an expectation to be fulfilled by individual decisions, a product for consumption, a rhetoric device to defend the status quo.
This short book contains some very smart ideas, and especially the last chapter that makes a case for human connection really slaps. In parts, the language is clunky, strongly influenced by classic German academic writing that still gets away with an overload of nouns and the dubious use of prepositions, but hey, the content is worth it.
Laura Wiesböck does it again: Schon In besserer Gesellschaft: Der selbstgerechte Blick auf die Anderen hat mich sehr begeistert, nun legt die österreichische Soziologin endlich nach. Und wie: Dieses Buch befasst sich nicht "nur" mit dem durchaus nachvollziehbarem (Sichtbarkeit! Tabus abbauen) Trend, psychische Erkrankungen auf Social Media zu thematisieren, sondern zeigt auch, wo das hinführen kann, wenn z.B. fachfremden Influencer*innen mehr geglaubt wird als medizinischen Fakten. Dabei weitet Wiesböck den Blick kräftig und beleuchtet auch die gesellschaftlichen Hintergründe und Auswirkungen - und gibt so auch den Lesenden als Teil des System ordentlich "food for thought". Absolute Leseempfehlung.
Laura Wiesböck stellt plausibel dar, wie der inflationäre Gebrauch psychiatrischer Begriffe (Trauma, Triggern, sowie toxisch als Wort des Jahres 2018) durch Laien dazu führt, dass Probleme tatsächlich psychisch Erkrankter marginalisiert würden. Wenn Lebensphasen und schicksalhafte Ereignisse (Trauer, berufliche Belastung) als Depression etikettiert, Eigenschaften wie Schüchternheit zur Sozialphobie erklärt würden, sei es an der Zeit zu fragen, wer von dieser Verschiebung profitiert. Als Auslöser der Begriffsverschiebung sieht Wiesböck u. a. fehlende religiöse Einbindung, Individualisierungs-Prozesse, krankmachende Auswirkungen des Neokapitalismus, besonders aber den Einfluss von Content Creatoren, Influencern und selbsternannten Experten in den Sozialen Medien. Ohnehin psychisch belastete Personen sieht sie als besonders verletzlich für Einflüsse der Social Media, da sie sich eher von sozialen Aktivitäten zurückziehen und online Verbindungen pflegen würden. Wiesböck betont, dass Ansprüche an die weibliche Rolle und weibliche Körper durch Soziale Medien gerade auf die Psyche junger Frauen nachweislich schädliche Einflüsse hätte, die von einer populären weltweiten Plattform ebenso nachweislich verheimlicht worden seien.
Die Autorin leitet u. a. die „Sad-Girl-Culture“ aus den USA (die sich nur an weiße Jugendliche wendet, Schwarzen wird keine empfindsame Psyche zugestanden) und das Bedürfnis, das Social-Media-Profil mit psychiatrischen Laien-Diagnosen zu labeln, aus der Emo-Kultur der Nullerjahre und dem Einfluss von Kinofilmen her. Sie zeigt auf, dass z. B. eine an sich wünschenswerte Entstigmatisierung von Neurodiversität einherging mit ihrer Kommerzialisierung, indem Influencer wie Fachleute aus dem Handel mit Merchandising, Apps und kostenpflichtigen Dienstleistungen ein einträgliches Geschäftsmodell entwickelten. Die Frage, wer verdient an einem Trend, wer erleidet die Nachteile und welche systemischen Missstände werden auf diesem Weg verdeckt, zieht sich wie ein roter Faden durch Wiesbecks Buch. Die Autorin kommt zwangsläufig auf das Problem der Ambiguitäts-Intoleranz (Aushalten von Mehrdeutigkeit) zu sprechen, auf den erlernten defizitorientierten Blick und die abnehmende Bereitschaft, menschliches Verhalten innerhalb eines breiten Spektrums zu akzeptieren, anstatt durch Begriffsinflation Nuancen zu verwischen.
„Digitale Diagnosen“ schlägt zunächst einen Bogen zur Rolle patriarchal geprägter Männlichkeit, wenn die Verteidigung von Straftätern vor Gericht die Opferkarte zieht und eine Tat mit psychischer Erkrankung, dem Täter als Gewaltopfer oder der Mitschuld des meist weiblichen Opfers rechtfertigt. Hochinteressant finde ich Wiesbecks Analyse der Pathologisierung Einzelner, die von systemischen, rassistischen und frauenfeindlichen Strukturen ablenkt, wenn School-Shootings weißer, männlicher Täter vorschnell als Folge psychischer Erkrankung etikettiert werden.
Ein weiterer Bogen führt zum Themenkreis des Wohlstandsphänomens Mental-Health, Healing, Selfcare, Me-Time, die laut Wiesböck (verstärkt durch die Corona-Lockdowns) Frauen erneut den Bereich Küche und Kinder zuteile und ihnen Cocoonig und Homedecorating schmackhaft mache. Da der Trend zum Healthism aus den USA stammt, stellt Wiesböck ihn kritisch Defiziten des amerikanischen Gesundheitssytems gegenüber, in dem Durchschnittsverdiener sich Therapien kaum leisten können und auch die geforderte Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit ein Luxusgut bleiben wird. Generell fordert die Autorin, amerikanische Kontexte und Denkmodelle nicht ungeprüft zu übernehmen.
Laura Wiesböcks Beispiele und zitierte Experten stammen vorrangig aus den USA und Österreich, in den geschilderten Zusammenhängen konnte ich mich jedoch unkompliziert wiederfinden. Das Buch ist kein Ratgeber, stellt jedoch die passenden Fragen, um z. B. mit Jugendlichen darüber zu diskutieren, wer von einem Trend in den Sozialen Medien profitiert, wohin das Geld fließt und was all das mit Kapitalismus- und Patriarchats-Kritik zu tun hat.
Ein kritisches, wichtiges Buch, an dem ich für meine Verhältnisse lange und mit Gewinn gelesen habe.
Ein kluges, differenziertes Sachbuch, das zum Nachdenken anregt und mich wieder mal unsere ganze Gesellschaft hinterfragen lässt...💀 Die Ambivalenz des Themas kommt wunderbar rüber. Der Trend wird weder verteufelt noch gutgeheissen sondern vielseitig analysiert.
Gehört ihr auch zu den Menschen, die die Augen verdrehen, wenn wieder eine neue Self Care Sau durchs Dorf gejagt wird? Mir geht es tatsächlich manchmal so. Da werden „Negative People“ aus dem Leben „gecuttet“, man „healt“ und zeigt seine „Sad Girl Side“. Manches Mal wird mir was in die Timeline gespült, bei dem ich am liebsten sofort den Notarzt rufen würde oder man sich Sorgen macht, ob die Person in der Lage ist, ihre Depression in den Griff zu kriegen oder sich Hilfe zu holen. Man ist dann doch etwas beruhigt, wenn man sie am nächsten Tag schon wieder in bunt bedruckten T-Shirts mit coolen Sprüchen wie “I have crippling depressions“, im „Anxiety Chic“ die eigene Diagnose feiert. Nicht nur für diese Personen ist das hier highly recommended! Auch jene, die sich als selbsternannte Spezialisten in Bezug auf „Mental Health“ und „Self Care“ durch das Lesen von passenden Büchern, eine Indien, Reise oder das Nachahmen anderer Content Creator qualifiziert bekommen hier den Spiegel vorgehalten. Und letztendlich ist es natürlich auch für uns, die mit Bedacht an solche zur Schau gestellten pathologischen Zustände rangehen, den Vorteil in der Entdämonisierung psychischer Krankheiten sehen aber gleichzeitig Wissen, dass niemand durch Social Media geheilt wird, das Gegenteil ist meist der Fall.
Laura Wiesböck hat die wesentlichen Dinge auf wenigen Seiten auf den Punkt gebracht. Es geht hier um den Missbrauch von Worten wie, Trigger, Trauma und Toxic bei deren Verwendung ich selbst auch immer mal wieder „Autsch“ rufen muss, dem Kultivieren eines „krankhaften Blicks“ auf Gefühle aber auch um die Pathologisierung emotionaler Zustände als Entlastungsstrategie. Mir hat dabei besonders gut gefallen, wie sie es mit aktuellen „Fällen“ anschaulicher macht und dass sie zwar warnt und zu mehr Aufmerksamkeit und Professionalität im Umgang mit psychischen Problemen rät, niemals aber mit dem ausgestreckten Zeigefinger das Verhalten anderer niedermacht. Immer dann, wenn sie darauf zu sprechen kam, dass heutzutage häufig Begriffe aus der Psychologie auf einfache Gefühle angewendet und damit die eigentlichen Erkrankungen abgewertet werden, hab ich sie gefeiert. Wir sollten da alle viel aufmerksamer mit umgehen. Auch da macht Sprache etwas!
Intelligente Menschen sollten wissen, dass alles, was auf Social Media passiert, niemals vorbehaltslos geglaubt oder nachgeahmt werden sollte. Es würde jetzt den Rahmen sprengen, auf die vielen tollen Themen in diesem Buch einzugehen. Es hat ja selbst nur 172 Seiten (inklusive der umfangreichen Quellenangaben.) aber es lohnt sich wirklich, gerade, wenn man hier als Content Creator tätig ist, es zu lesen und sich immer wieder bewusst zu machen, was man mit seinen Aussagen bewirkt. Die aller wenigsten hier sind autorisiert Diagnosen zu erstellen oder für Andere zu entscheiden wann Grenzen überschritten wurden oder Verhaltensweisen krankhaft sind. Aus der Distanz ist das selbst für Profis ein Problem.
Ich empfehle das Buch also dringend Euch allen, die ihr hier auf Social Media unterwegs seid, für einen reflektierteren Blick auf euch selbst und Andere und einen bedächtigeren Umgang mit Sprache
Digitale Diagnosen, Wiesböcks Buch über einen Social Media Trend der schon lange mehr Beachtung bedarf, ist ein ausgezeichneter Einstieg in die Thematik. Einfach und sachlich erklärt, deckt dieses Buch wissenschaftlich Themen wie Depressionen, Angststörungen, ADHS, Selfcare, Healing und vor allem die Nutzung pseudo-klinischer Begrifflichkeiten im Kontext Social Media ab.
Mit vielen der von der Autorin angesprochnen Themen wird man tagtäglich auf diversen Plattformen konfrontiert und neben einer Einordnung, warum diese Thematiken so omnipräsent und beliebt sind, gibt es auch Erklärungsansätze, warum es für Betroffene wichtig ist, ihre Diagnosen/Selbstdiagnosen offen zu legen, zu teilen und andere darüber aufzulären, aber auch weshalb dieser Trend gefährlich sein kann und wozu er führen kann. Des Weiteren wird darauf eingegangen, wo die Wurzeln all dessen stecken und was es über unsere Gesellschaft aussagt, dass wir psychische Erkrankungen als einzigen Weg empfinden, Fehler machen zu dürfen, nicht perfekt zu sein und uns ein wenig Erholung zu gönnen. Und vor allem warum dieser Trend schädlich für diagnostizierte Personen sein kann, die in der Masse untergehen und oftmals nicht mehr Ernst genommen werden.
Ausschlaggebend für mich, dieses Buch zu lesen, waren vor allem der Titel, nicht so sehr das Cover, der mich angesprochen hat. Mit hohen Erwartungen bin ich an Wiesböcks Buch "Digitale Diagnosen - Psychische Gesundheit als Social-Media Trend" rangegangen und diese wurden größtenteils erfüllt. Viele der behandelten Themen sind mir durchaus vermehrt begegnet (nicht alle jedoch, was wiederum zeigt, wie gut die Social Media Blasen funktionieren).
Allein die späteren Kapitel über die Ursachen und Wurzeln waren zwar durchaus schlüssig, aber haben mich nicht ganz abgeholt. Zwar ist es ganz offensichtlich, dass unser "System" auch viel Leid und Unsicherheit verursacht, doch fiehl die Kritik für mich ein wenig einseitig aus.
Insgesamt jedoch ein sehr lesenwertes Buch, dass ich vielen Menschen ans Herz legen würde, die sich mich den angesprochnen Themen indentifizieren, dafür interessieren oder diese Tendenzen eventuell bei Familie und/Freund:innen beobachten und mehr wissen möchten (sollten!).
Sehr präzise soziologische Analyse der neoliberalen Tendenzen im Hinblick auf Emotionen und der Einflüsse digitaler Medien auf die Ausweitung psychologisch-psychiatrisch-diagnostischer Begriffe mitsamt aller Schwierigkeiten. Ein Appell für Ambivalenzen und ein Buch, das kritisch zum Nachdenken über eigene, neoliberale Selbstoptimierungstendenzen anregt. Große Empfehlung!
Um die 3.75 Sterne. Das Thema war total für mich gemacht, weil ich etwas mit Medien studiert habe und gleichzeitig chronisch krank bin. Kurz und bündig. Eine anständige aktualisierte Bestandsaufnahme der Thematik momentan, aber hätte meiner Meinung nach noch mehr in die Tiefe gehen können. Vor allem die Pandemie ist mir hier zu kurz gekommen. Am besten haben mir die Abschnitte 'Sad Girl Culture' und Depressionsromantik, 'Toxisch' als endgültiges Urteil und Ausschlussgrund, Influencer:innen und die Gefahr der Nachahmung, Psychisch kranke Täter und Die heilende Kraft von Glaube, Hoffnung und Anpassung gefallen. Zum Ende hin haben sich einige Informationen etwas wiederholt und das Ende kam mir etwas plötzlich, aber der Schreibstil war sehr angenehm und einfach zu verstehen. Ich habe mir vier Bücher aus der Literaturaufzählung am Ende herausgepickt, die ich interessant finde und auf meine Leseliste gepackt habe.
In „Digitale Diagnosen“ beleuchtet die Soziologin Laura Wiesböck die inflationäre Nutzung psychologischer Begriffe in den sozialen Medien und hinterfragt kritisch, wie sich der aktuelle „Mental Health“-Trend auf unser gesellschaftliches Verständnis von psychischer Gesundheit auswirkt. Begriffe wie „Trauma“, „triggern“ oder „toxisch“ sind allgegenwärtig, oft entkoppelt von ihrem ursprünglichen klinischen Kontext und leichtfertig für Selbst- und Fremddiagnosen verwendet. Wiesböck analysiert mit beeindruckender Präzision, wo die Grenze zwischen Enttabuisierung und problematischer Verharmlosung verläuft und welche Risiken die digitale Popularisierung psychischer Diagnosen mit sich bringt.
Das Buch ist hervorragend recherchiert und angenehm geschrieben – informativ, ohne überladen zu wirken. Besonders spannend fand ich das Kapitel zur „Illness Appropriation“, also der Vereinnahmung psychischer Erkrankungen, insbesondere im Kontext aktueller gesellschaftlicher Debatten über toxische Männlichkeit und die psychiatrische Einordnung von Tätern mit psychischen Erkrankungen. Das Buch regt dazu an, den eigenen Social-Media-Konsum sowie die dort präsentierten Inhalte kritisch zu hinterfragen.
Ein kleiner Kritikpunkt für mich ist das Kapitel zu !Selfcare als Wohlstandsphänomen“. Während Wiesböck hier einen wichtigen Punkt trifft – dass Selbstfürsorge oft als Konsumtrend vermarktet wird –, bleibt für mich ein Aspekt unberücksichtigt: Selbstfürsorge ist ein essenzieller Bestandteil der psychischen Gesundheit und auch in therapeutischen Ansätzen zentral. Die Darstellung könnte den Eindruck erwecken, als sei persönliche Resilienzbildung nahezu bedeutungslos. Hier hätte ich mir eine stärkere Differenzierung oder Ergänzung zu konstruktiven Möglichkeiten gewünscht, mit denen Menschen ihre psychische Widerstandskraft stärken können.
Die Länge des Buches ist ideal – nicht künstlich aufgebläht, sondern prägnant und auf den Punkt. Auch das Cover hat eine starke visuelle Wirkung, erinnert mich jedoch eher an psychedelische Drogen, was zunächst eine andere Thematik assoziieren lässt.
Insgesamt ist „Digitale Diagnosen“ eine kluge, zeitgemäße Analyse eines hochaktuellen Themas. Wiesböck schafft es, die Debatte um Mental Health differenziert zu betrachten, auch wenn einzelne Aspekte noch tiefgehender hätten ausgearbeitet werden können. Wer sich mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung psychischer Gesundheit auseinandersetzen möchte, findet hier ein wichtiges Buch, das Denkanstöße liefert und zum kritischen Hinterfragen anregt.
Fazit: Ein scharfsinniges Buch über den Einfluss von Social Media auf unsere Wahrnehmung von Mental Health – präzise, aufschlussreich und lesenswert.
Ein kurzweiliges und prägnant geschriebenes Buch. Besonders gefiel mir, wie die Autorin herausarbeitet, dass Diagnosen Raum für "unproduktives" Verhalten und Grenzen zu inneren und äußeren Leistungsansprüchen schaffen.
Ich hätte gerne mehr darüber gelesen, welche Implikationen diese digitale Entwicklung für Menschen hat, die psychisch erkrankt sind. Außerdem hätte ich mir eine klare Darstellung des Zusammenhangs zwischen den Begriffen Kapitalismus/Neoliberalismus/Utilitarismus/Markt gewünscht.
„Digitale Diagnosen“ ist ein tolles Sachbuch. Es beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen sozialen Medien und der Diagnose von psychischen Erkrankungen. Mich hat dies sofort angesprochen, weil interessante Fragen untersucht werden. Beispielhaft kann man hier nennen: Führt die Nutzung von sozialen Medien dazu, dass mehr psychische Krankheiten diagnostiziert werden? Wer nimmt diese Diagnosen vor? Wenn man Wiesböcks Ausführungen zu diesem Thema liest, dann merkt man diesen an, dass sie sich fundiert mit diesem Thema beschäftigt hat. Sie schafft es zudem ihre Erkenntnisse sachlich präzise und trotzdem nicht überbordend lang darzustellen. Manche Sachbücher haben die Neigung, dass sie komplexe Themen zu sehr vereinfachen. Auf der anderen Seite gibt es die Sachbücher, die zwar sehr genau ein Thema auseinandernehmen, dabei aber auch den Leser sehr ermüden und das Ganze unnötig in die Länge ziehen. Wiesböck gelingt dieser Spagat wunderbar. Wenn man ihr in diesem Zusammenhang überhaupt etwas vorwerfen will: Das Buch hat keinerlei Selbsthilfe-Charakter. Keinerlei: wer sein eigenes Risiko reduzieren will, sollte… . Einerseits ist das lobenswert, bei der Schwemme von Büchern, die direkte Verhaltenshinweise in den Mittelpunkt des Ganzen stellen. Auf der anderen Seite hätten die aufbereiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in eine wissenschaftliche fundierte Do and Don’ts Liste am Ende des Buchs einfließen können. Insgesamt ist dies Meckern auf sehr hohem Niveau. Ich werde Digitale Diagnosen weiterempfehlen!
Nach dem ersten Anlesen bin ich mit hohen Erwartungen an das Buch gegangen. „Digitale Diagnosen“ hat für mich persönlich ganz neue Perspektiven auf Achtsamkeit und die Mental Health-Bewegung unserer Zeit eröffnet, die ich bisher rein positiv aufgefasst hatte. Die Autorin verspricht mit ihrer Abhandlung eine weitaus differenziertere Sichtweise. Ich haderte jedoch Tür im Buch angekommen schnell mit der Form und der Unterhaltsamkeit des Textes, die möglicherweise auch gar nicht angestrebt wird. In den letzten Jahren sind so viele unterhaltsam strukturierte, illustrierte Sachbücher erschienen, die auch den Anspruch haben, schwierige Themen ansprechend zu vermitteln. Meine Leseerwartung scheint sich also dementsprechend angepasst zu haben und wurde in diesem Fall leider enttäuscht. Das Buch ist mehr Fachbuch als Sachbuch und sammelt recht trocken einseitig Gründe, wieso die Trends unserer Zeit mit Vorsicht zu genießen sind. Es gibt kaum für und wider, sondern eine ziemlich freudlose Aneinanderreihung von „widers“, ohne eine einzige Schaubox, persönliche Erfahrungen oder einen Ausblick auf die Zukunft, wie man es besser machen könnte. Für mich am Ende eine sehr zähe Angelegenheit!
So, nachdem ich mir für meinen Umzug und danach aus gesundheitlichen Gründen eine kleine Auszeit von der Online-Welt genommen habe, bin ich nun zurück - und werde es hoffentlich schaffen, jetzt wieder ein bisschen regelmäßiger zu posten.
Natürlich war ich aber als reine Konsumentin nicht komplett offline. Wie wahrscheinlich alle anderen Menschen auch verbringe ich trotzdem zu viel Zeit auf Social Media und generell online. Und auch, wenn ich versuche, dort hauptsächlich Buch- und Autorinnencontent zu konsumieren, klappt das nicht immer. Hin und wieder postet mal wer aus dieser Blase was über andere Themen und wenn ich das dann like, wird natürlich mehr dazu angezeigt. Und so wurde ich irgendwann auch auf das Phänomen der Mental-Health-Seite von Instagram und co. aufmerksam. Und ich sags euch, Leute: Da gehts ab! Zeit- und Stressmanagement sowie allgemeine Mental Health Themen sind da noch die Spitze des Eisberges. Darunter? ADHS, Autismus, OCD, Dissoziative Persönlichkeitsstörungen ... mir war gar nicht so bewusst, wie viele Erkrankungen es so gibt.
Als dann das Buch "Digitale Diagnosen" erschien, wusste ich direkt, dass ich es lesen möchte. Online sind psychische, aber auch körperliche Diagnosen und Gesundheit generell ein großes Thema, das viel Aufmerksamkeit bekommt. Und natürlich habe auch ich mitbekommen, dass es scheinbar immer mehr Selbstdiagnosen gibt, die ohne die Bestätigung von Ärzten aufgestellt werden. Was ich hier gar nicht wirklich verurteilen möchte. Medical Gaslighting existiert leider, Ärzt:innen stehen oft unter viel Zeitdruck und Wartelisten bei Expert:innen sind oft sehr lang, wenn man nicht grade die Ressourcen hat, um auf eine private Versorgung auszuweichen. Gerade war der Mangel an Therapieplätzen für Kinder- und Jugendliche ja wieder ein Thema in den Nachrichten - kann man da wirklich Leute verurteilen, die sich selbst auf die Suche nach Antworten und Strategien machen?
Schärfer verurteilen muss ich das große Misstrauen gegenüber der Schulmedizin, die meiner Erfahrung nach oft mit diesem Thema einhergeht. Leute, nur weil ihr in der Lage dazu seid, ein paar Stichworte zu googeln oder (noch schlimmer!) in eine KI einzugeben, macht euch das nicht zu Mediziner:innen. Nur weil euch eine Strategie geholfen habt, seid ihr nicht Expert:innen. Ihr seid einfach nur Menschen, die mit dieser Erkrankung leben müssen, und vielleicht nicht mal das, weil ihr nämlich keine Mediziner:innen seid und euch deswegen vielleicht sogar mit der falschen Krankheit diagnostiziert habt. Und das kennen wir wohl wirklich alle, nicht mal unbedingt nur auf psychische Erkrankungen begrenzt. Schnell mal Symptome gegoogelt und schon befürchtet man einen Hirntumor (ich zumindest!). Ich saß zum Beispiel auch erst vor Kurzem beim Arzt, weil ich nach einen Vitamin-Mangel bei mir vermutet habe. Hatte ich auch. Aber dazu halt auch eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, die wahrscheinlich die Mängel erst verursacht hat und in einem frühen Stadium oft mit recht ähnlichen Symptomen kommt. Hätte ich einfach selbständig mit der Behandlung begonnen (Vitaminpräparate gibt es ja wirklich überall zu kaufen!), wäre diese Erkrankung weiter unter dem Radar geflogen und hätte wohl immer weiter Symptome verursacht - und das hätte sehr hässlich enden können. Deswegen: Wenn es euch nicht gut geht, dann geht zur Ärztin oder zum Arzt. Egal, ob das jetzt euren Körper oder eure Psyche betrifft. Und geht zur verdammten Vorsorge. Aber googelt eure Symptome nicht, postet sie nicht in Foren für Betroffene von bestimmten Krankheiten und dichtet euch doch bitte nicht selbst irgendwelche Krankheiten an. Die allermeisten von euch sind nicht aus der Medizin und können eure Vermutungen nicht von anderen Diagnosen mit ähnlichen Symptomen abgrenzen! Dafür fehlt euch nicht nur das Wissen, sondern auch die Werkzeuge - oder habt ihr ein verdammtes Ultraschallgerät daheim rumliegen? Oder die Tools für verlässliche Bluttests?
Dass eine Selbstdiagnose oft falsch und teils sogar richtig gefährlich sein kann, dürfte den meisten Leuten klar sein. Aber warum finden sich dann online trotzdem so viele Personen, die sich selbst irgendwelche Krankheiten andichten? Wie ist dieser "Trend" entstanden? Die Autorin bietet mögliche Antworten auf diese Fragen und beleuchtet das Phänomen der Selbstdiagnose aus kultureller, gesellschaftlicher und politischer Perspektive. Dadurch entsteht ein vielfältigeres Bild von diesem Phänomen als ich es persönlich erwartet hätte - und durch dieses Buch verstehe ich jetzt diese Entwicklung jetzt etwas besser.
Beschrieben wird all das auf sehr spannende Art. Die Autorin beschreibt all die Aspekte, die hier mit rein spielen und das, ohne die Menschen zu verurteilen, die sich selbst diagnostizieren. Trotzdem wird auch ganz klar deutlich gemacht, warum eine nicht von einer Ärztin bestätigte Diagnose problematisch und gefährlich sein kann.
Mein Fazit? Ein großartiges Buch durch das ich viel Neues lernen durfte. Großartig!
In ihrem Sachbuch zum Umgang mit psychischer Gesundheit im Rahmen von Social Media Kanälen beleuchtet die österreichische Soziologin Laura Wiesböck ein internationales Phänomen der letzten 20 Jahre, welches sich aktuell immer stärker zuspitzt, absurder aber auch gefährlicher wird. Dabei stellt sie heraus, dass psychische Belastungen in den sozialen Medien zu schnell krankhaft dargestellt werden und damit profunde psychische Störungen von User:innen und allgemein in der Gesellschaft mehr und mehr verschwimmen. Dabei weißt sie durchaus darauf hin, dass „krank“ und „gesund“ keine objektiven Parameter sind, sondern sozial konstruiert. Somit werden sie auch gesellschaftlich vermittelt und es kommt zu spezifischen „Moden“ bezüglich der Nutzung dieser Begrifflichkeiten und Diagnosen. Da für Nutzer:innen die Grenze zunehmend verschwimmt zwischen psychiatrischer Diagnose und Fragen der emotionalen Ausgeglichenheit und Funktionalität werden „normale“ Schwankungen im psychischen Befinden schnell pathologisiert. So bewegt sich das Themengebiet der psychischen Gesundheit in einer post-faktischen Gegenwart der sozialen Medien zwischen einer durchaus wichtigen Enttabuisierung, einer verharmlosenden Glamourisierung sowie einer hoch gefährlichen Kommerzialisierung und Aneignung von psychischen Erkrankungen.
Als Diplom-Psychologin bin ich fachlich von diesem Sachbuch wirklich massiv angetan. Trends, die mir in den letzten Jahren – verstärkt seit der Covid-19-Pandemie – in der Praxis zunehmend aufgefallen und auch unangenehm aufgestoßen sind, finden hier eine Entsprechung in Buchform. Bei jedem Satz gerade im anfänglichen, beschreibenden Teil des Buches hätte ich am liebsten laut „Ja, genauso ist es!“ ausgerufen. Sehr präzise stellt die Autorin dar, wie gefährlich ungenaue Beschreibungen von psychischen Zuständen bis hin zu tatsächlich „behandlungswürdigen“ Erkrankungen in den sozialen Medien auf die Menschen wirken und welche katastrophalen Folgen die Generierung von Inhalten ausgehend von gewinnorientierten Algorithmen wirken können. Sie zeigt auf, wie die Praxis, ambivalentes menschliches Verhalten und Empfinden mit eindeutigen (aber eben in dieser eindeutigen Form nicht sinnvollen) Zuschreibungen zu vereinfachen, zu kategorisieren und zu standardisieren, im derzeitigen technologischen Design verankert sind (S.61). Sehr genau beschäftigt sie sich mit den Anreizsystemen der verschiedenen Social Media Plattformen und wie diese – passend zum neoliberalen Gesellschaftsmodell – eine Spirale nach unten bilden können. Immer wieder verknüpft die Autorin sehr nachvollziehbar, wie das aktuell vorherrschende Gesellschafts- und Geschäftsmodell auf psychische Gesundheit einwirkt und durch die sozialen Medien verstärkt wirkt.
Mit gefällt besonders der Aufbau des Buches, der vom Mikrobereich einzelner Beispiele aus Kanälen sozialer Medien sich zum Ende hin im Makrobereich zu einer allgemeineren Gesellschaftskritik bezogen auf das Themengebiet entwickelt. Dort spart die Autorin auch nicht an Kritik gegenüber der aktuellen Psychologie und Psychiatrie und das Konzept der psychischen Erkrankung als solches, da doch letztlich alles eine Frage der Abweichung von einer normativ gesellschaftlich und auch politisch entstandenen Krankheitsdefinition. Man nehme das Beispiel der Homosexualität, die zunächst als krankhaft eingestuft wurde und mit der Streichung aus den Kriterienkatalogen plötzlich ein großer Teil der Bevölkerung als nicht mehr krank galt, was zuvor noch der Fall gewesen ist.
Als einziger, klitzekleiner Kritikpunkt muss ich anmerken, dass ich das Gefühl hatte, die Autorin wiederholt sich zum Ende hin bezüglich mancher Aussagen. Dies mag daran liegen, dass diese die für sie wichtigsten Take-Home-Messages sind und sie daher diese besonders unterstreichen wollte. Aber dies ist Meckern auf hohem Niveau, denn insgesamt ist dieses Buch ein echter Gewinn in der Betrachtung moderner Einflüsse auf ein (durchaus zu hinterfragendes) System von psychischer Krankheit und Umkehrschluss Gesundheit.
Ich kann das Buch eigentlich allen ans Herz legen. Es gibt keinerlei fachliche Ungenauigkeiten, ist präzise formuliert, vertritt eine starke Haltung.
Digitale Diagnosen ist ein Sachbuch, das sich dem Thema annimmt, wie Selbstdiagnosen, gestützt durch die viele Möglichkeiten des Internet und der sozialen Medien Einfluss nehmen auf unser Leben - und welche Gefahren davon ausgehen, sich dem Hype um Health Care und Co. anzuschließen. Ich habe in dem schmalen Band, der allerdings wirklich viel Inhalt hatte, sehr viel für mich und meine Kinder mitnehmen können. Auch ich neig(t)e dazu, schnell mit Begriffen um mich zu schmeißen wie triggern, Trauma, toxisch, Depression und ja, auch Selfcare und Mental Health zähl(t)en zu meinem aktiven Wortschatz. Das werde ich nach der Lektüre jetzt auf jeden Fall ändern! Der Ansatz, dass wir durch diese Selbstoptimierung ein verzerrtes Bild auf echte psychische Krankheiten bekommen, dass wir uns in den Mittelpunkt stellen und zu einem Menschen machen, der optimiert werden kann und muss, das ist wirklich spannend! Einer der ausgeführten Aspekte ist auch, dass man sich gut hinter vermeintlichen Diagnosen verstecken kann und damit nicht mehr die Verantwortung für das eigene Handeln tragen muss. Und - ebenso wichtig - besonders Frauen, seien sie jung/Teenager, frisch gebackene Mütter oder in der Phase des Alltags zwischen Job und Familie werden durch die vielen "Routines", die uns empfohlen werden, besonders stark unter Druck gesetzt. Auch die übliche Vorgehensweise, Männer, die einen Amoklauf oder eine Terrortat begangen haben, direkt mit einer psychischen Krankheit in Verbindung zu bringen, ist absolut fragwürdig - Radikalisierung ist doch das eigentliche Problem, nicht die psychische Krankheit, die vielleicht auch vorhanden ist. Die Sprache ist klar, mich nervte allerdings das Gendern leider etwas und ich bin einfach kein Freund von Ausdrücken wie "weiblich gelesene Person", vor allem, wenn es nicht durchgehend, sondern nur ab und zu genutzt wird. Abgesehen von den kleinen Abstrichen aber ein sehr gut lesbares Sachbuch, aus dem ich wirklich viel gezogen habe und das mich sehr interessiert hat!
Spannendes Thema, aber ausbaufähige Tiefe und Struktur „Digitale Diagnosen“ greift ein hochaktuelles und relevantes Thema auf: die zunehmende Verbreitung psychiatrischer Begriffe und Diagnosen in den sozialen Medien. Laura Wiesböck hinterfragt die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung und stellt wichtige Fragen zur Balance zwischen Enttabuisierung und problematischer Verharmlosung psychischer Erkrankungen.
Besonders positiv ist die kluge Themenauswahl – das Buch spricht viele zentrale Aspekte an, die unsere Wahrnehmung von mentaler Gesundheit beeinflussen und durchaus einen großen und problematischen Aspekt der sozialen Medien darstellen. Allerdings fehlt mir ein klarer roter Faden in der Struktur. Die Abfolge der Kapitel wirkt manchmal sprunghaft, und das letzte Kapitel hätte möglicherweise als Einführung einen besseren Platz gefunden. Zudem bleibt die Analyse stellenweise an der Oberfläche. Wer sich bereits intensiver mit dem Thema befasst hat, wünscht sich an einigen Stellen eine tiefgründigere Auseinandersetzung.
So werden etwa Begriffe wie „Trauma“ oder „toxisch“ zwar erklärt, eingeordnet und kritisch hinterfragt, doch noch eine tiefgründigere Betrachtung der spezifischer Social-Media-Trends wäre wünschenswert gewesen. Besonders die Popularisierung von Trauma-Begriffen auf Plattformen wie TikTok („Trauma-Tok“) oder der inflationäre Gebrauch von Narzissmus-Diagnosen in toxischen Beziehungsdiskussionen hätten noch detaillierter beleuchtet werden können, so wie ihre schwerwiegenden Folgen. Diese Phänomene zeigen, wie sich psychologische Konzepte im digitalen Raum verselbstständigen – ein Aspekt, der noch stärker hätte herausgearbeitet werden können.
Insgesamt ein lesenswertes Buch mit wichtigen Impulsen, das aber in Struktur und Tiefe noch mehr hätte bieten können.
Psychische Erkrankungen als neuer Trend auf Social-Media, befeuert durch Influencer*innen und selbst ernannten Experten*innen und Therapeuten*innen im Bereich psychischer Gesundheit und der Markt, der dahinter steckt, genau diese Entwicklung nimmt Laura Wiesböck in ihrem Sachbuch "Digitale Diagnosen" genauer unter die Lupe. Mit Fokus auf die feministische Seite.
Zunächst ist es nichts Schlechtes, dass psychische Erkrankungen enttabuisiert werden, die Zurschaustellung von ebendiesen und der Umgang mit Themen wie z.B. Achtsamkeit und teilweise auch deren Vermarktung, ist durchaus kritisch zu hinterfragen. Die Autorin zeigt hierbei schlüssig und durchaus überzeugend auf, welche (Markt)mechanismen und Interessen dahinter stecken und dass manches rassistisch konnotiert ist. Sie geht dabei auch auf gesellschaftliche Ursachen ein, die Ansätze für die Erklärung des Phänomens der überhandnehmenden psychischen Diagnosen, liefern können. Ebenso erklärt sie, was mit Begriffen, wie z.B. "toxic" gemeint ist und was dieser so gefährlich macht.
Wichtig ist, dass man dem Sachbuch mit Offenheit begegnet, sich auf die Argumentationslinie der Autorin einlässt und keine Angst vor Fremd- bzw. Fachwörtern hat. Man wird vielleicht nicht mit allen ihren Schlüssen und Argumenten übereinstimmen, interessant und zum Nachdenken anregend ist es allemal.
Was ihrer Argumentation jedoch etwas fehlt, sind die positiven Aspekte und mögliche Chancen, die das Sichtbarmachen von psychischen Erkrankungen auf Social-Media haben kann.
Was ihrer Argumentation jedoch etwas fehlt, sind die positiven Aspekte und mögliche Chancen, die das Sichtbarmachen von psychischen Erkrankungen auf Social-Media haben kann.
Als Person, die in einer Psychiatrie arbeitet, ist dieses Thema für mich allgegenwärtig. Umso interessanter finde ich es, mit diesem Buch eine bündige Zusammenfassung dieser Entwicklung in der Hand zu halten. Das Cover ist auffällig gestaltet, hält sich mit bildlichen Darstellungen jedoch zurück, was ich gut finde. Das Inhaltsverzeichnis zu Beginn des Buches gibt die Struktur der Buches vor, einige Kapitel sind jedoch etwas nebulös formuliert, so dass zu Beginn nicht immer ganz klar ist, was sich dahinter verbirgt. Die einzelnen Kapitel lesen sich angenehm und auch fundiert recherchiert. Einzelne Aussagen sind mit Belegen verknüpft, die sich am Ende des Buches finden - das stärkt zunächst den "professionellen" Eindruck, den ich von diesem Buch erhalten habe, die zitierten Quellen habe ich dann jedoch nicht auf weitere Glaubwürdigkeit überprüft. Wiesböck gelingt es hier jedoch sehr gut die Chancen und Grenzen der Digitalisierung und damit auch unweigerlich der Kommerzialisierung psychischer Gesundheit herauszuarbeiten. Dabei wirkt diese Aufarbeitung im Großen und Ganzen relativ neutral und nicht zu einiseitig. Das hat mir gefallen.
Die Autorin Laura Wiesböck thematisiert in diesem Sachbuch die gesellschaftliche Entwicklung dahingehend, dass immer öfter Diagnosen wie ADHS, Trauma oder Angstzustände aus der Ferne gestellt werden. Der Ansatz ist gut und auch die Ausführungen finde ich nachvollziehbar. Mir haben an einigen Stellen kurze Ausführungen in Form von Fußnoten gefehlt, die den Inhalt hätten besser abrunden können. Sie sensibilisiert in dem Hinblick, dass in den sozialen Plattformen nicht unbedingt ausgebildete Fachexperten ihre Meinungen kundtun, sodass man selbst stets mit einem kritischen und hinterfragenden Blick durch die Inhalte scrollen sollte. Auch das Thema von Fragebögen, die tendenziell auf Diagnosen hinweisen, ist kritisch zu betrachten und mit Vorsicht zu nutzen. Laura Wiesböck greift wichtige Themen auf, die unseren Alltag bereits stark prägen und uns in unserem täglichen digitalen Konsum begegnen.
Puh. War sehr gespannt auf das Buch. Hab zwischendurch immer wieder geschwankt. So sehr die Autorin dafür plädiert, dass Menschen Gleichzeitigkeit, Krisen, "schwierige" Gefühle aushalten müssen ohne sie zu pathologisieren usw. Wird von ihr von einer solchen Menschengruppe als sehr homogen ausgegangen bzw so beschrieben. Hingewiesen wird auf die Gefahr der Diagnosestellung durch und in social Media, einer neoliberalen Kommerzialisierung von Krankheit uns Gefühlen. Gleichzeitig kommt nur sehr wenig vor, dass Menschen tatsächlich Leidensdruck haben können und auf individueller Ebene hierbei Unterstützung usw bedürfen und nicht die Verantwortung für Systemkritik tragen.
Brauche noch etwas um das Buch komplett zu verdauen. Hab viel Gleichzeitigkeit beim lesen erlebt und ausgehalten 😜
Ein kritisches und wichtiges Buch. Pointiert und eloquent beleuchtet Laura Wiesböck den modernen Umgang mit psychischen Diagnosen und Krankheit an sich.
Besonders interessant fand ich die Auseisandersetzung damit, warum Krank-sein an sich ein Privileg ist und, warum die "healing-journey" als Produkt des Neoliberalismus betrachtet werden kann. Es hat mich daran erinnert, dass ich als weiße Europäerin deutlich seltener auf Stigmatisierung treffe als Personen anderer Herkunft. Außerdem finde ich es wichtig zu hinterfragen, welchen monetären Zweck Diagnosen und "self help trends" haben können.
Gelegentlich hätte ich mir mehr konstruktive Ideen oder einen weniger schwarzmalerischen Blick gewünscht. Insgesamt kann ich dieses Buch jedoch nur weiterempfehlen!
Digitale Diagnosen zeigt eindrucksvoll, wie psychische Gesundheit und Krankheit in den sozialen Medien zu einem Trend geworden sind – mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft. Laura Wiesböck behandelt in ihrem Buch ein hochaktuelles und gesellschaftlich relevantes Thema, das insbesondere junge Menschen betrifft, die viel Zeit online verbringen und sich zunehmend über soziale Plattformen mit psychischen Erkrankungen auseinandersetzen. Obwohl mir als Psychologin viele Inhalte bereits vertraut waren, konnte ich dennoch wertvolle neue Erkenntnisse gewinnen. Besonders hervorzuheben ist die klare und prägnante Sprache Wiesböcks, die auch komplexe Zusammenhänge auf verständliche Weise vermittelt. Mit wenigen Seiten gelingt es ihr, einen fundierten und gleichzeitig leicht zugänglichen Überblick zu geben – eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die sich für die Psychologie der digitalen Welt interessieren.
Trauma, triggern, toxisch: Begriffe, die heute inflationär verwendet werden. Während früher Phasen der Ineffizienz und emotionale Verletzungen zum Leben gehörten, wird heute alles mögliche pathologisiert – und die Diagnose stolz zum Influencer-Thema auf Social Media gemacht. Was hier überspitzt formuliert ist, analysiert die Soziologin Laura Wiesböck in ihrem Sachbuch «Digitale Diagnosen» fundiert. Es bietet einen spannenden Einblick in das gesellschaftliche Phänomen Mental Health und liefert eine gute Diskussionsgrundlage – inklusive Kapitalismus- und Patriarchatskritik.
Wer mich gut kennt, hat sicher schon einmal einen rant von mir darüber abbekommen, wie sehr es mir auf den Keks geht, dass heutzutage jede/r von unangenehmen Alltagssituationen "traumatisiert" ist und "getriggert" wird und einem diese Bagatellisierungen im Sprachgebrauch meiner Generation tagtäglich um die Ohren fliegen. Die meisten von uns reflektieren nicht, was hinter diesen Worten eigentlich steckt - aus Gründen, die in diesem Text klar werden. Die Soziologin Laura Wiesböck warnt nicht nur davor, wie ein falscher Gebrauch von Fachjargon psychische Erkrankungen verharmlosen kann, sondern geht intensiv darauf ein, wie wir durch intransparente Algorithmen darauf getrimmt werden, so ein Verhalten zu entwickeln. Alles auf Social Media muss vereinfacht und knapp dargestellt werden, damit wir nicht weiterscrollen - davon nehme ich mich nicht aus. Genau deswegen hat mich dieses nicht einmal 200 Seiten lange Büchlein auch so gepackt. Immer wieder musste ich mir selbst als Betroffene an die Nase fassen. Die Autorin hat mich schmerzlich an meine Jugend auf tumblr erinnert, wo junge Menschen in seelischen Notlagen Zuflucht suchten und dabei aber einem toxischen (ja, ich meins so) Umfeld zwischen dem Wunsch nach Gemeinschaft und aktivem Befeuern von ungesundem Verhalten ausgesetzt waren und vermutlich noch sind. TikTok, Instagram etc. bewegen sich zwischen der Romantisierung von mental illness ("Sad Girl Culture") und einem Mix aus neoliberaler Obsession mit lebenslanger Heilung und postkolonialistisch geprägter Spiritualität. Eine Caption reicht bei weitem nicht aus, alles über dieses Buch zu sagen, was ich zu sagen habe, denn es steckt so viel wichtiges drin. Wohl noch nie habe ich so viel unterstrichen und beim Lesen vor mich her genickt.
Ich nerve mit seit eh und jeh über dieses schwarz-weiss-Denken, dieser Labels des "mental health" und "toxic positivity".
Oft fragte ich mich, ob diese, meiner Meinung nach, 'Verblödung' denn keiner wahrnimmt? Als ich noch Social Media benutzte, sah ich Beiträge über Mädchen die sich stolz filmten und erzählten, sie hätten eine langjährige Freundschaft beendet, da ihre ex-Freundin eine 'andere politische Meinung' hatte - natürlich weiss ich keine Details, doch es brachte mich zum Denken: Darf man keine Abweichungen, andere Perspektive oder Meinungen mehr haben?
Wirklich sehr informativ, wenn man sich näher mit dem Thema beschäftigen will. Nicht nur das klassische ‚das und das sagt man nicht‘ sondern es wird auch erklärt, woher einige Begriffe kommen & wie diese mittlerweile genutzt werden.
Gerade als betroffende Person lässt das Buch hoffen, dass sich bald etwas ändern.
great overview into the new capitalist modes in social media to use everything including suffering and diagnoses to get attention, the analysis shows the complexity of the topic without tapping into cynicism towards community based and emancipatory movements in self diagnoses