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Haus zur Sonne

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Nach seinem weltweit beachteten Buch »Die Welt im Rücken«, in dem er sein Leben mit bipolarer Störung literarisch brillant verarbeitet hat, legt Thomas Melle nun einen Roman vor, der die Grenzbereiche zwischen Autobiografie und Fiktion, zwischen Sehnsucht und Depression und letztlich zwischen Leben und Tod weiter auslotet. 

Wie viel Selbstbestimmung ist möglich, wenn das Leben von einer psychischen Krankheit fremdgesteuert ist? Wonach sehnt sich einer, der nichts mehr zu verlieren hat? Und wie könnte es aussehen, das letzte Glück? Willkommen im »Haus zur Sonne«, einer Institution, die zugleich Wunscherfüllungsmaschine wie Abschaffungsapparat ist. Lebensmüde und todkranke Menschen liefern sich in diese vom Staat finanzierte Klinik ein, um jeden nur erdenklichen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen und dann – ohne großes Aufsehen – aus dem Leben zu scheiden. Aber will, wer nicht mehr leben will, wirklich sterben?

Thomas Melle geht unseren Sehnsüchten und Todestrieben auf den Grund und liefert so eine radikale Skizze der Conditio humana.

311 pages, Kindle Edition

Published August 14, 2025

86 people are currently reading
964 people want to read

About the author

Thomas Melle

15 books44 followers
Thomas Melle, 1975 geboren, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie in Tübingen, Austin (Texas) und Berlin. Er ist Autor vielgespielter Theaterstücke und übersetzte u. a. William T. Vollmanns Roman «Huren für Gloria». Sein Debütroman «Sickster» (2011) war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde mit dem Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet. 2014 folgte der Roman «3000 Euro», der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand. 2015 erhielt Thomas Melle, der in Berlin lebt, den Kunstpreis Berlin.

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2 stars
20 (5%)
1 star
7 (1%)
Displaying 1 - 30 of 64 reviews
Profile Image for Meike.
Author 1 book4,943 followers
September 30, 2025
Now Shortlisted for the German Book Prize 2025
Thomas Melle lives with severe bipolar disorder, his autofictional masterpiece The World at My Back is a haunting document of what it means to suffer from this illness. And that's exactly what renders his faux-psychiatry novel "Haus zur Sonne" so unsetttling: It tells the story of a a 50-year-old man who wrote a successful book about his bipolar disorder, then suffered a severe manic relapse and has now decided to be euthanized in a specialized clinic. Readers who cried about A Little Life being emotionally manipulative will be fucking stunned by this set-up.

But it becomes clear from the get-go that more than anything, this is a text about people who have become, by the standards of postcapitalist society, useless, so the system attempts to remove them: The narrator is sent to the institution with the support of the Federal Employment Agency, he has to sign a contract that he will pay for the stay with his life, and is then presented so-called simulations, fantasies that he can chose and that are then played in his mind via a "Matrix"-like cable at the back of his neck (who is getting red-pilled now?). He is constantly surveyed à la 1984 while the institution is itself a simulation of a rehabilitation clinic that functions as a sham surface mimicking measures for physical and psychological betterment, which is necessary for dubious legal reasons - but in fact, the whole program mainly amounts to drug-like sedation and distraction on the way to being .... well, killed. Because the patients can change their minds and decide to live, but to no avail, they'll have to fulfill the contract. This is not a text about assisted suicide, it's a text about state-mandated mass murder, with a protagonist who, due to his condition, keeps wondering whether the state is in the right.

So there's A LOT of social criticism packaged up in this story which would make for a riveting Hollywood blockbuster - if someone fixes the pacing and adds a serious storyline inside the facility. Melle writes intense passages about the misery of bipolar disorder, about the wreckage that mania brings, about the shame and the guilt. And sure, the narrator is haunted by these episodes, but the novel falls into the psychological rabbit holes again and again, stopping and re-starting the plot, which at some point becomes slightly exhausting (sure, you could argue that that's the point, but does it enhance the reading experience? Nope, I'd say). The simulations that feature again and again are also of limited effect, although there are some quite stellar exceptions illuminating the human psyche, because what are people dreaming of? Ruling the world, sex, torturing others, dying a violent death. The advertising industry which used to cooperate with the facility was surprised, most readers won't be - they'll laugh, point for Melle. But the narrator struggling and changing his mind seems like a ramp for some plot inside the institution, for some action taken by the narrator, but it leads nowhere, we mainly get extensive descriptive passages. Ultimately, the ending is really weak.

I admire Melle's immense skill to portray a bipolar consciousness, and I loved the set-up of this novel, but in the end, the text didn't manage to fulfill its potential - it loses its steam in volts and then implodes.

You can listen to the podcast gang discussing the novel (in German) here: https://papierstaupodcast.de/podcast/...
Profile Image for Anna Carina.
682 reviews338 followers
September 24, 2025
Ein besonderer Text, der die klassische Sinnstruktur verweigert.
Der Text gibt keine Hoffnung, keine Wandlung, keine Auflösung.
Er erfüllt keine narrative Erwartung und lehnt symbolische Sinngebung explizit ab:

„Ich will – ich will ein anderes Leben […] Aber das ist hier nicht zu haben. […] Die einzige Kontinuität in meinem Leben ist die Diskontinuität.“

Der Text leugnet nicht, dass es Sinnbedürfnis gibt,
aber er zeigt, dass der Versuch, sprachlich oder simulierend Sinn zu erzeugen, leerläuft:

„Sie sitzen da dem Irrtum auf, alles, was mit Sprache gesagt werden kann, könne auch in die Welt gesetzt werden.“

Das Begehren nach Sinn wird nicht befriedigt – aber es wird ausgestellt.
Und das ist entscheidend: Der Text bricht nicht ab, sondern bleibt dort, wo es weh tut.
Er hält das Scheitern offen – nicht als Katastrophe, sondern als Zustand.

„Der Schmerz hat sich zu Tode perpetuiert und seine Zähne, seinen Stachel, seine Schärfe verloren.“
„Ich wäre immer der, den es eigentlich schon nicht mehr gab.“

Es ist ein Sprechen aus der Taubheit, aber dieses Sprechen ist nicht nichts – es bezeugt, dass überhaupt noch gesprochen wird.
Nicht zur Sinnbildung, sondern gegen die Stille des Verschwindens.
Das ist die radikale Geste des Buches: Nicht Sinn statt Scheitern – sondern Sinn durch das Halten des Scheiterns.
Er schafft einen Raum jenseits der Botschaft.

„Wie wäre es also mit einer Geschichte, in der keiner gerettet würde?“

Diese Frage ist nicht resignativ. Sie ist ästhetisch radikal:
Sie stellt die Frage, ob man trotzdem erzählen kann – ohne dass daraus etwas folgt.
Und in dieser konsequenten Erzählverweigerung – in der das Buch kein Warum und kein Wofür liefert – entsteht ein Raum, in dem der Leser nicht geführt, sondern ausgesetzt wird.
Gerade dadurch öffnet sich eine andere Art von Bedeutung:
Ein Sinn, der im Aushalten liegt, nicht im Verstehen.
Und dadurch wird der Text zur Form des Scheiterns. Ein „es geht nicht weiter“, „aber ich bin noch da“.

Dies erreicht Melle u. a. durch die ständigen Wiederholungen der inneren Verkeilung.
Es ist eine verschwommene Bewegung der Selbstsuche.
Und darin entsteht eine seltsame Komik.
Der Ich-Erzähler spricht ständig davon, sterben zu wollen, er spricht es immer wieder neu aus. Und dennoch lebt er noch und teilt noch einen Absatz mit uns, und noch einen… Er unterläuft seinen Todeswunsch damit selbst.
Er entleert das Todesthema. Es kollabiert an seiner Wiederholung, da jedes Mal seine Bedeutung verfehlt wird. Und diese Verfehlung erzeugt Komik, ein Stolpern, das sich zu einem Trotzdem entfaltet.

Diese Komik bewahrt den Text davor, ins Pathos oder Sentimentale abzudriften.
Sie bewahrt aber auch vor der Erstarrung oder dem Ersticken des Textes.
Melle inszeniert hier eine paradoxale Bewegung einer Autonomie, die Form stiftet, die trägt und den Text atmen lässt.

Ich habe hier eine Poetik des Paradoxons gelesen.
Radikal und mutig, da Melle eine fragile, fragwürdige Struktur wählt – mit einem Erzähler, der aus der Ortlosigkeit spricht und keine Vermittlerrolle einnimmt.
Er erzählt aus dem Bruch, als Symptom. Kein Sicherheitsnetz. Ein Paddeln im Ozeanischen.
Die Inhaltsebene ist komplett ungewiss. Wir wissen nur: Er hat überlebt, da er retrospektiv erzählt. Das ist die einzige Stabilität, die wir haben. Der Rest ist eine Echostruktur, die rein über Resonanz im Imaginären funktioniert.
Sprache erzeugt lediglich Bilder, die in keine Bedeutungsstruktur überführt werden. Körpererfahrungen, die für sich stehen, ohne irgendwo drauf zu verweisen.

Diese radikale Verweigerung, sich in eine symbolische Ordnung einordnen zu lassen, scheint in diesem Buch noch eine zusätzliche Ebene zu haben: die der Ökonomisierung der Simulation.
Was wäre, wenn unsere individuellen Fantasien zur Rohstoffverwertung genutzt werden – als Konsummuster für die Gesellschaft?
Die Ökonomisierung des Todes.

Aus dieser Unverfügbarkeit und den daraus resultierenden Wünschen, Träumen strickt das System Simulationen, die Sinn erzeugen – und dieser simulierte Sinn dient als Sedativum für die Gesellschaft.
Und schon haben wir eine 1A-Dystopie gelesen.

Der Text mag nach klassischen Maßstäben scheitern. Ich kann dieser 1 Sterne Rezension von Alex tatsächlich zustimmen, wenn ich seine Bewertungsmaßstäbe anwende.
Ich erlebe ihn dennoch als eine Form von Grenzsetzung. Meine Perspektive ist eine andere. Melle zieht einen Horizont ein – nicht durch klassische Symbolik, sondern durch wiederkehrende Motive, rhythmische Satzfiguren, somatische Marker. Das Buch rahmt also minimal sich selbst: Es erzeugt eine paradoxe Kohärenz, die gerade aus der Inkohärenz des Erzählers hervorgeht.
In meiner, und wohl auch in Melles Welt, braucht das Ozeanische keine externe Rahmung. Der Text kann sich selbst im Fließen rahmen.
Das macht ihn für mich zu einem Ereignis.

In seinem Motiv und der inhaltlichen Setzung steht er Kaleyta's Heilung sehr nahe.
In seiner Konsequenz auf das Nicht-Wissen, die Unverfügbarkeit, dem was sich der Symbolisierung entzieht, reicht er Navarro's Über die See die Hand.
Profile Image for Fabian.
136 reviews82 followers
October 15, 2025
In “Haus zur Sonne” Thomas Melle refers to the film “Midsommar” and how the scene with the old man's fall still gives him nightmares years later. What the novel doesn't mention is that the actor who plays the old man is the same one who plays the boy Tadzio in Visconti's film adaptation of "Death in Venice" and is the subject of the documentary "The Most Beautiful Boy in the World". In it, Björn Andrésen, the actor himself, explains how his early fame ruined him psychologically. He has struggled with his demons his entire life. Just like Melle: “Haus zur Sonne” is also partly autobiographical, partly an imagined therapy.

Nevertheless, the book falls far short of his earlier work, “Die Welt im Rücken”. In it, he describes his bipolar disorder with a power and eloquence that captivates the reader throughout: the disorder becomes the antagonist and his suffering tangible. In “Haus zur Sonne,” much of it seems redundant and rehashed. 

The imagination of the eponymous setting is also problematic: the protagonist makes a Faustian pact, has all his wishes fulfilled for a certain period of time in a kind of sanatorium or in simulations, but then has to die in return. It is a dystopian setting wearing the mask of a utopia. Or vice versa, depending on your point of view. Therefore "Haus zur Sonne” is a cynical “Groundhog Day,” a “A Cure for Wellness” with a clinical setting, a tame “Lobster", a “One Flew Over the Cuckoo's Nest” for the dying, a disenchanted “Magic Mountain.” 

The place seems to be a back door for someone suffering from a terrible illness, but the door turns out to be locked. Thus, the idea of suicide is first glorified, then demonized, and finally demystified, and night falls in the “Haus zur Sonne,” even though it is getting lighter. 
Profile Image for Alexander Carmele.
475 reviews420 followers
September 20, 2025
Ödes, disparat-schlaffes, flüssig geschriebenes Ein-Mann-Stück über sich und den eigenen Lebensüberdruss.
(Shortlist Deutscher Buchpreis 2025)

Inhalt: 1/5 Sterne (störrisch-eigenwillig)
Form: 3/5 Sterne (flüssig, ausweichend)
Erzählstimme: 1/5 Sterne (unsituiert-unreflektiert)
Komposition: 1/5 Sterne (unverbindlich-hadernd)
Leseerlebnis: 1/5 Sterne (öde)
--> 7/5=1,4 Sterne

Die Kur als Ort der Genesung, Befreiung, taucht in der Literatur in verschiedenen Gestalten als Sehnsuchtsort auf, allen voran Thomas Manns Der Zauberberg und Franz Kafkas Das Schloß. In den letzten Jahren vermehrt tauchen Trittbrettfahrtexte auf, die mehr oder weniger dem Sujet Neues hinzufügen wollen. Gelingt dies Olga Tokarczuk in Empusion sehr gut durch die unheilvollen Naturrachegöttinnen, bleibt die Innovation bei Heinz Strunks Zauberberg 2 eher auf der Strecke. Rettet Strunk noch Fäkalhumor, gerät nun bei Thomas Melles Haus zur Sonne alles unter die Räder, auch die Narration:

Gegenüber dem eigenen Zustand bleibt das Bewusstsein blind und dumm. Das Übel wurde auch körperlich, ich fühlte mich bis tief in die letzte Nervenfaser vergiftet, krank und stillgestellt, und es gab keine Erlösung, kein Ventil. Zudem war ich wirklich mittellos. Ich war Schriftsteller, hieß es, war aber gleichzeitig arbeitslos, denn ich bekam nichts mehr hin, nur ein langsam anwachsendes Tagebuch, das auf der Stelle trat, weil ich eben auf der Stelle trat.
Alles hatte ich auf die Karte der Kunst gesetzt, mein ganzes Leben. Das war keine weise Entscheidung gewesen, denn mit einer sogenannten seelischen Behinderung in dem Ausmaß, wie sie bei mir wütete, war eine stete Produktion von Werken einfach nicht zu leisten.


Die Situation ufert aus. An Bipolarität leidend steht der Ich-Erzähler nach einer Phase wilder Manie vor dem Nichts. Weder kann er noch am Theater arbeiten noch an einem Buch schreiben noch Glück in seiner Beziehung zu einer gewissen farblos bleibenden Ella finden. Alles verschmiert sich Grau in Grau. Da flattert ihm das Prospekt in die Hände: ein Institut der Selbstabschaffung namens „Das Haus zur Sonne“. Die interessante Thematik wird nun leider nicht ausgespielt. Der Protagonist nölt weiter:

Es war klar, dass mich überhaupt niemand mehr verstand, selbst hier nicht. Die innere Verkeilung konnte ich niemandem richtig erklären, oder doch, sie verstanden es vielleicht in etwa, sie verstanden, was die Worte sagten, aber das änderte ja nichts, sie kamen nicht an den vernichtenden Gehalt heran, daran, was es wirklich für mich bedeutete.

Was aber die anderen verstehen sollen, das begreift er auch nicht. Er weiß nicht, was er will, und zieht konsequent seinen Stiefel durch. Leider bleibt alles nur angedeutet, abstrakt. Ständig wird von „Scham“, „Schmerz“ und „Ekel“ gesprochen, aber ohne Szenen, ohne Beispiele, ohne Interaktionen. Es bleibt alles nur angedeutet in konsequenter Antithese zu Mark Swans „show, don’t tell“ – Melles Erzählinstanz ist ein einziges „tell“.

»Ich hab ja schon alles versucht. Es bringt einfach nichts, und deshalb bin ich hier. So, und mehr kann ich nicht sagen, mehr kann ich gerade auch nicht erzählen.«
»Später vielleicht.«
»Vielleicht. Aber was heißt das hier schon: später?«


Da die Erzählinstanz aus der Retrospektive berichtet, liegt der Verdacht von Anfang an nahe, dass die Erzählfigur überlebt. Nur leider verpasst sie die Chance auf über 350 Seiten zuvor einem an ihrem Leben teilhaben zu lassen. So verpufft der Text. Ziemlich konsequent als ambigue Geste der nullifizierenden Unverbindlichkeit. Sylvia Plath, mit ähnlichem Erzählgang, holt poetisch-literarisch in Die Glasglocke viel mehr aus ihrem Stoff.

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Details – ab hier Spoilergefahr (zur Erinnerung für mich):
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Inhalt:
●Hauptfigur(en): ein bipolarer Schriftsteller
●Zusammenfassung/Inhaltsangabe:
Ein bipolarer Ich-Erzählung hat nach seiner letzten manischen Phase eine ausgiebig depressive. Er hat alle Freunde, Bekannte, seine Familie mit seinen manischen Taten verprellt. Er schämt sich. Er ist verschuldet, genießt kein Ansehen mehr und, zudem, scheinen seine geistigen Kapazitäten geschrumpft zu sein, was seinen Beruf, der des Schriftstellers, verunmöglicht. Er beschließt also, um die Qual des Wiederaufbaus seines Lebens zu entgehen, zu sterben, aber vermag es nicht, sich für eine Todesform zu entscheiden. Als er im Sozialamt sitzt, fällt ihm eine Broschüre in die Hand, die ihm genau diese Entscheidung abnimmt (das Haus zur Sonne). Er bewirbt sich und wird angenommen. Er gibt niemandem, auch nicht seiner Lebenspartnerin Ella, seinen Entschluss kund, reist zum Haus der Sonne und verweilt dort. In dieser Institution befinden sich Lebensmüde, die je ihre eigenen Gründe haben:
-Vera Petri, Rechtsanwältin, die die Diagnose erhalten hat, vollständig zu erblinden;
-Laurenz, der sein Aussehen nicht mehr erträgt und komplett umoperiert werden will;
-Konstantin (nichts weiter bekannt)
-Angel, die keine Liebe im wirklichen Leben finden konnte;
-August, der sich mit Mordphantasien herumplagt und sie im Haus der Sonne auslebt;
-Samuel, der an Trisomie 21 leidet und sich für griechische Göttersagen begeistert;
Klinikpersonal: Radowitz, Obderbeck, Wägenbaur, Marion, Hauke etc besitzen nur randmäßig eine Bedeutung. Die Hauptmasse des Textes wird nun durch das abwechselnde Träumen/induzierte Phantasieren des Protagonisten und seine Wachheitsperioden im Haus zur Sonne gedeckt. In den Wachphasen pendelt der Protagonist zwischen Sterben- und Lebenwollen hin und her, möchte sich hingeben und doch nicht hingeben, merkt, dass er sich langsam von der Depression erholt und zurück in sein Leben will, was ihm aber verwehrt wird. Die Aufnahme ins Haus zur Sonne fand unter der Bedingung statt, dass er sich dort vom Leben verabschiedet. Die Problematik kulminiert hin zum erdachten Widerstand und Fluchtphantasien, bis er sich doch entscheidet, eingeschläfert zu werden, per Unterschrift. Er schreibt seine Abschiedsbriefe, nimmt sein letztes Abendmahl entgegen und wehrt sich dann doch wieder. Er überwältigt seine Krankenpfleger brutal, rennt ins Freie, über Wald und Wiesen, hin zu einem elektrisierenden Licht, wo sich der Zaun befindet, der ihn umbringen könnte oder nicht. Das Buch endet so.
Dazwischen kommen Phantasien/Rauschzustände (markiert dadurch, dass sie in Präsens verfasst sind):
-Strand, Meer, Kristalle, Wellen als Kind am Strand;
-Tennisspielen mit Gregor, eine Umarmung auf dem Tennisplatz;
-Kunst- und Kulturgespräch im Café, vereinigt, Begeisterung;
-Rockstarkonzert, Bühne, die Massen jubeln ihm zu;
-Heirat in einer großen Familie, Aimée, seine Braut, mit Pfarrer und allem;
-Todesarten: Amokläufer, Orkan, Ertrinken im Eiswasser;
-Inkonsistenz bei der Fluchtphantasie. Sie ist im Präteritum geschrieben, die anderen im Präsens;
-Phantasie als Hausfrau einer glücklichen, erfolgreichen Familie;
-Kreuzfahrt, unter Drogen, Lottogewinn;
-ein Dorf unter Alieneinfluss, schwarze Löcher in der Luft;
-Phantasie mit Vera geteilt, Krieg, Schützengraben, Gefecht, Schüsse;
-ein letztes Treffen mit Kilian;
-Varianten seines Restlebens;
-Zugfahrt nach Rom, durch den Tunnel, Glück – aber im Loop;
-Vorlesung über Theologie, Gottesverständnis kollektiv geteilt;
-Ausleben der Sucht nach Coca Cola, in Zellophan verpackt;
-die eigene Vergangenheit, befreites Erinnern <-- literarische Stelle.
-sexuelle Orgie, Verschmelzen mit Leibern;
-als Wissenschaftler Heilmittel gegen Streuung der Krebszellen gefunden;
-Varianten des Lebensweges, riesiger Raum, gläserne Wand voller Türen;
-Ausfräsen des Gehirns, die schädlichen Stellen werden entnommen;
-Verhungern im Dabeisein der Familie, milder Abschied;
-Otto-Normal-Bürger-Leben als Pförtner bei einer Versicherung;
-Auflösung in explodierenden Farben und Formen;
-Zerwirkung in einer Maschine, hineingesaugt, zermahlen;
-als Tier, wahrscheinlich als Rudeltier, als Wolf mit Angst und Wut;
-auf einem Surfbord, einer Glaskante durchs All;
-imaginiertes Treffen mit Vera im Außen;
-Wiederinstandsetzung des Gehirns durch Elektroschocks, Schriftstellerei;
-Verabschiedung von den anderen, eine Rede;
●Kurzfassung: Wegen Lebensmüdigkeit weist sich ein Schriftsteller in eine Institution ein, die der Selbstabschaffung gewidmet ist. Dort darf er nochmal all seine Phantasien durch induzierte Träume durchleben und auf eine Weise sterben, die ihm angemessen ist. Während der Therapie kommt er aber zu Kräften, sein Gehirn regeneriert, seine Haut, er nimmt ab, die Kur gelingt, er will nicht mehr sterben. Er flieht.
●Charaktere: (rund/flach) völlig inkohärent, wahrscheinlich dem Krankenbild geschuldet; außer dem Ich-Erzähler keine wirkliche Figur vorhanden, abstrakt, wie durch eine Glasscheibe
●Besondere Ereignisse/Szenen: die Kindheitserinnerungen, die tatsächlich schriftstellerisch überzeugen
●Diskurs: Bipolarität, Krankheit, Akzeptanz, Abstand der Menschen auf psychische Erkrankung
… inhaltlich klar an „Das Schloß“ von Kafka, „Der Zauberberg“ von Thomas Mann und „Die Glasglocke“ von Plath angelegt.
… der Rahmen, nämlich das Haus zur Sonne, seine Funktionsweise, könnte als Plot dienen, als Dynamik, aber leider ergibt sich das nicht. Die Ich-Figur bleibt ganz bei sich, seiner passiv-aggressiven Art, nichts zu wollen, nichts zu wünschen, und doch etwas zu wollen, doch etwas zu wünschen. Er leistet Widerstand, wo er nur kann. Aus dem Widerstand zieht er Lebenskraft, als Antithese, quasi als Nullifikator. So ergibt sich nicht einmal eine Gruselszenerie. Alles verblasst und zieht sich in die Länge, ohne Dramatik.
--> 1 Stern

Form:
●Wortschatz: häufigste Wörter „wie, mit, was, wieder, da, sagte, sein, jetzt, einfach, für, einmal, nichts, vielleicht, würde, alles, leben, wirklich, weiß, wäre, selbst“ … d.h. in den Top 20 Wörtern kommen keine Personen vor, keine inhaltliche Verquickung, stets nur Situatives (jetzt, da, mit, für …) und im Grunde Verwaschungen (alles, nichts, einmal, wirklich, einfach) als Verstärker von Konjunktiven (würde, würe). Der inhaltlich sehr ähnlich angelegte Text von Sylvia Plath (beide besitzen 7% Personalpronomina der 1. Person) besitzt ein anderes Relief. Gemeinsame Wörter in den Top 20: „mit, wie, sagte, würde, was, für, wieder, da, sein“ – der große Unterschied liegt darin, dass bei Plath auch Eigennamen vorkommen wie „Joan“, „Mutter“, „Buddy“ und vor allem reflektierende Verben wie „dachte“ oder beobachtende wie „sah“ … wiederum ein Unterschied die viel höhere Verwendung des Dativs bei Plath (fast 50% höheren Anteil), der das Ich als Fixpunkt anvisiert, also verbindlich erscheinen lässt.
●Type-Token-Ratio: 0,14 (Musil >0,25 - Genre < 0,1)
●Satzlängen-Verteilung-Median: 14 Wörter – STAB 10,47
(bei Musil: 28 Wörter mit Standardabweichung (STAB) 19 Wörter)
●Anteil der 1000 häufigsten Wörter: 79,34% (Musil/Mann <70% - Genre >80%)
●Wortartenverteilung: (Musil/Mann: Adjektive 13%, Adverbien 7%)
●Verhältnis Nominal-/Verbalstil: Direkte Rede ca 20%
●Stimmige Wortfelder: ja, im trostlosen Dahintreiben
●Satzstrukturen: relativ gut-gemischt, getaktet
●Wiederkehrende Motive/Tropen: Tod
●Innovation: bis auf wenige Passagen, nein, eher kolloquial
… der Stil selbst bleibt zu abstrakt, zu unverbindlich, zu negativ, zu wenig präzisierend, stets relativierend, stets ausweichend, schwankend und daher schwurbelig. Viel zu viele Weichmacher: absolut gesehen Negationen=1962, Weichmacher=289 -> 2251; bei Plath: 1039 und 81; also 1120. Auf die Wortzahl gesehen heißt das bei Melle: 2251/75656=3%, bei Plath: 1120/70642=1,5% … die doch komplexe, flüssig gestaltete Sprache erhält dadurch etwas Abstraktes, Lebloses, Verquastes, Unvollständiges
--> 3 Sterne

Erzählstimme:
●Eindruck: Schlimm. Die Erzählung verfasst eine Ich-Instanz im Rückblick (Präteritum); dieser Rückblick suggeriert, dass nach der Handlung eine Erzählgegenwart existiert, die leider nicht bekannt, reflektiert ist. Durch die Erzählperspektive wird also klar, dass das Erzählich überlebt. Das Ende nun, offen inszeniert, das Ich rennt in eine Art elektrischen Zaun, alles wird hell, schließt sich dadurch. Das Ich schafft den Ausbruch und findet zum Lebenswillen zurück. Dadurch paradoxiert sich das gesamte Buch. Nichts ist geschehen. Alles ist offen.
●Erzählinstanz (reflektiert, situiert, perspektiviert?): unreflektiert, unsituiert aus der Erzählgegenwart; perspektiviert in der Erzählung
●Erzählverhalten, -stil, -weise: selbstkritisch, selbstquälend, ausufernd, wiederholend, sehr abstrakt, kaum Details
●Einschätzung: Formal funktioniert das Buch gar nicht, schon gar nicht als Erzählung. Es hängt in der Luft und soll im Zwischenzustand der Genesung und Rekonvaleszenz bleiben, in einer Art Niemandsland. Es wirkt auf Schritt und Tritt unentschieden.
--> 1 Sterne

Komposition:
●Eindruck (szenisch/deskriptiv/Tempiwechsel): Traum-Wirklichkeit-Wechsel fast unmerklich. Langatmig, spannungslos, auf der Stelle tretend
●Extradiegetische Abschnitte: sehr viele Träume, alle in einer anderen Welt
●Lose Versatzstücke: ja, alle Träume, alle Phantasien
●Reliefbildung: nein, stockend, wankend, schwankend
●Einschätzung: langweilig, nicht ineinander gewirkt, die Figuren blass, die psychische Dynamik nicht erschlossen, zu unverbindlich
--> 1 Stern

Leseerlebnis:
●Gelangweilt: ja, sehr
●Geärgert: nein, aber verdrossen nachvollzogen
●Amüsiert: nein, nie
●Gefesselt: an keiner Stelle
●Zweites Mal Lesen?: auf keinen Fall
--> 1 Stern

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Profile Image for Babywave.
348 reviews130 followers
October 12, 2025
Ein sehr interessantes Buch von einem Autor, der (leider) sehr genau weiß, wovon er schreibt. Auch vor dieser Leistung kann man nur den Hut ziehen.

Der Alltag wird zum Schlachtfeld, wenn man psychisch erkrankt ist. Auch heutzutage sind Betroffene noch zu häufig an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt, unverstanden, werden nicht ernst genommen oder gar belächelt und häufig aus Überforderung allein gelassen…. Leider.

Melle schreibt plastisch und ich kann mir das Stück sehr sehr gut auf einer Theaterbühne vorstellen.

Diese Geschichte ist autofiktional und schon in seinem Buch „Die Welt im Rücken“ schreibt er von dem Text „Haus zur Sonne“.

Wir befinden uns in einer Realität, in der der Staat eine Einrichtung finanziert, die es Menschen, die freiwillig aus dem Leben scheiden möchten, ermöglicht dies zu tun. Sehr wahrscheinlich nicht uneigennützig.

Unser namenloser Ich- Erzähler entscheidet sich für genau diese Einrichtung .

Noch einmal darf er sich dort Wünsche und Träume erfüllen. Diese werden durch Simulationen “verwirklicht“.

Wie man sich denken kann, begeben sich Menschen dorthin, die aufgrund von Schicksalsschlägen ihren Lebenswillen verloren haben. Einigen davon begegnet unser Protagonist, kommt manchmal mit ihnen ins Gespräch und baut eine ganz zarte Nähe auf. Trotzdem dies alles kurz und relativ oberflächlich passiert, merkt man den Nebencharakteren die Schwere und Traurigkeit an und spürt zudem die unendliche Traurigkeit und die Last, die sie aufgeben lässt.
Andererseits schafft es der Autor, nicht zu bedrückend zu beschreiben. Es finden sich immer wieder Reflektionen über das eigene Leben, die eigene Erkrankung und wie selbstzerstörerisch diese ist. Es geht in seinem Fall um die bipolare Störung. Unter dieser Krankheit leidet Melle selbst.

Der Autor steht zu Recht auf der Shortlist. Er lenkt den Fokus auf Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und das empfinde ich als extrem wertvoll. Sein Schreibstil ist flüssig, eingängig und sehr gut verständlich. Ich mochte „Die Welt im Rücken“ schon sehr gerne und bewundere seine Stärke, sich so verletzlich und authentisch zu zeigen.
Man möchte ihm selbst und auch dem Protagonisten seines Textes diese ganze Last abnehmen und das Leben genießen lassen.

Besondere Traurigkeit empfand ich, als ich las, wie oft Melle im „Die Welt im Rücken“ und auch sein Protagonist in „Haus zur Sonne“ das Bedürfnis hatten, sich bei den engsten Mitmenschen zu entschuldigen. Ich kann das total nachvollziehen, dennoch dachte ich die ganze Zeit, dass er doch als erkrankte Person besonderen Schutz verdient. Denn ihm müssen doch diese ganzen manischen und depressiven Phasen am allermeisten ängstigen. Er selbst kann sich nicht von seinem ICH abwenden. Er steckt fest.

Ich wünsche ihm beruflich und privat, dass er sowohl erfolgreich ist aber auch zur Ruhe kommt und irgendwann einfach leben kann.

Eine sehr bewegende Person mit großem Talent.

Profile Image for Elena.
1,030 reviews408 followers
October 28, 2025
Der Ich-Erzähler in Thomas Melles Roman "Haus zur Sonne" hat eine bipolare Störung, zu Beginn der Geschichte taucht er gerade aus einer sehr lange andauernden manischen Phase auf und steht vor dem Nichts: Kein Geld, keine Freund*innen, kein Beruf, kein Rückzugsort. Bei einem Termin auf dem Arbeitsamt eröffnet sich ihm unverhofft eine neue Perspektive, die er zunächst für einen schlechten Scherz hält. Finanziell unterstützt von der Regierung wurde das "Haus zur Sonne" eröffnet, eine Einrichtung, in die Menschen gehen können, wenn sie ihren Lebenswillen verloren haben. Vor ihrem Tod dürfen sie in verschiedenen Illusionsszenarien all ihre Wünsche durchleben, der Tod selbst wird begleitet von medizinischem Personal. Der Erzähler entscheidet sich für einen Aufenthalt im "Haus zur Sonne" - ohne eine Chance auf Rückkehr in sein bisheriges Leben.

Thomas Melles Roman ist eine äußerst bedrückende Lektüre, die Fragen aufwirft, die mich beim Lesen stark beschäftigt haben: Wie viel Selbstbestimmung ist möglich, wenn das Leben von einer psychischen Krankheit fremdgesteuert ist? Wollen Menschen, die nicht mehr leben möchten, wirklich sterben? Ist eine Einrichtung wie das "Haus zur Sonne" tatsächlich so selbstlos, oder soll hier vielmehr der "Ballast" der Gesellschaft ohne großes Aufsehen entsorgt werden? Thomas Melle hat selbst eine bipolare Störung, weiß also sehr genau, von was er in seinem neuen Buch schreibt. Es ist sehr Ich-bezogen, was hier aber durchaus gut passt, das Lesen an der ein oder anderen Stelle aber etwas zäh gestaltet, vor allem wenn eine "Was wäre wenn"-Illusion nach der anderen geschildert wird. Mich hat "Haus zur Sonne" auch lange nach dem Lesen noch beschäftigt, ein extremer, nüchterner und sehr persönlicher Roman.
Profile Image for Tabitia.
135 reviews3 followers
October 13, 2025
Christian Melle ist unheilbar krank, er leidet an einer schweren bipolaren Störung und so auch sein Ich-Protagonist. Nach einer zwei Jahre andauernden Manie folgt für den Protagonisten eine schwere Depression und er hat das Leben nun ein für alle Mal wirklich satt. Er will und kann mit diesem "Ich-Verlust" durch die Krankheit nicht mehr leben. Als Ausweg bietet ihm der Staat einen Platz im "Haus zur Sonne". Ein Ort, der Sehnsüchte und Träume wahr werden lässt - oder werden sie gar nicht wahr, sondern nur simuliert? Und was ist der Deal für das luxuriöse Betreuungskonzept? Gibt es eine Möglichkeit, wieder ins ursprüngliche Leben zurückzukehren?

Der Stil des Buches gefällt mir sehr gut, es ist eine Mischung aus Memoir, Science-Fiction, Dystopie und Roman. Die Sprache ist oft nüchtern, jedoch genau an den richtigen Stellen ausschweifend, metaphorisch, wiederholend und penetrant. Der Leser wird mitgerissen, in die wellenförmig verlaufende Stimmung des Protagonisten sowie in seine Zweifel und in das Verschwimmen von Realität und Fiktion. Trotz der schweren Thematik zieht einen das Buch erstaunlicherweise nicht runter.

Jens Harzer liest das Hörbuch ganz wunderbar und gibt dem mittelalten psychisch labilen Protagonisten eine äußerst glaubhafte Stimme. Er redet auch nicht zu schnell, was bei den angesprochenen anspruchsvollen Themen sehr gut ist und einem Zeit zum Verarbeiten lässt.

Insgesamt überzeugt das Buch auf mehreren Ebenen. Christian Melle hat sich eine mysteriöse und spannende Geschichte ausgedacht und sie mit seiner eigenen Lebensrealität verwoben. Dabei klärt Roman auf und regt sehr zum Nachdenken an. Ein gesellschaftlicher Must-Read.

Vielen Dank an den Argon Verlag für das Rezensionsexemplar!
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October 17, 2025
Deutscher Buchpreis Longlist # 12

Mein persönliches Ranking Platz 6 von 20 - und damit auf der exklusiven Anna Shortlist!

Vielleicht wichtiger: jetzt auch verdient auf der offiziellen Shortlist!

(English below.)

Wer in den letzten Jahren fand, dass Autofiktion im Deutschen Buchpreis überrepräsentiert ist, kann 2025 sein blaues Wunder erleben. Kaum ein Buch, das es ganz ohne schafft, sei sie auch noch so gebrochen, vorgespielt oder versteckt. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass es nicht eine ganze Reihe von aufregenden, überraschenden oder auch einfach ein bisschen verrückten Romanen gegeben hätte, die man stattdessen hätte nominieren können.

Das Haus zur Sonne ist insofern fast eine Ausnahme, als dass der Autor zwar als Ich-Erzähler ein Thema aufgreift, was er bereits stark biographisch bearbeitet hat (Borderline), dieses aber nutzt, um eine dystopische Gesellschaftskritik herauszuarbeiten. Der Erzähler erlebt immer wieder manische Phasen, in denen er sein Leben zerstört – und zwar nicht über Tage oder Wochen, sondern gleich jahrelang. Taucht er dann wieder auf, steht er vor Scherben und Scham, in die ihn die sogleich folgende schwere Depression nur tiefer hineindrückt.

Als wir ihn kennenlernen, will er aus diesem Kreislauf ausbrechen: Er hat sich für ein neues, vom Arbeitsamt empfohlenes Programm angemeldet, für das er sein altes Leben hinter sich lassen und ins Haus zur Sonne ziehen soll. Dort werden ihm alle seine Wünsche erfüllt – damit er dann seine Existenz (unterstützt vom Ärzteteam) beenden kann. Doch während er sich einlebt, andere kennenlernt und sich fragt, welche Wünsche er eigentlich hat, kann er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Programm vielleicht nicht nur aus Nächstenliebe existiert, sondern vielleicht auch gesellschaftliche Probleme dort entsorgt werden. Ob er wirklich sterben will, weiß er am Ende gar nicht mehr – aber auch nicht, ob es einen Weg zurück ins Leben gibt.

Das Buch lebt von seiner Ambivalenz, davon, dass vieles nicht ausbuchstabiert oder aufgelöst wird. Das Recht, über das eigene Leben, und damit auch über den eigenen Tod zu entscheiden, steht einem System gegenüber, das ein eigenes, ökonomisches Interesse an dieser Entscheidung hat. Gleichzeitig kann man den Roman auch als große Metapher lesen – dass Visionen, Träume und Realität immer weiter ineinanderfließen, eröffnet weitere Interpretationsräume. Insgesamt ist die Prosa stark, und ich hatte auch den Eindruck, dass der Stil die veränderte Stimmung des Protagonisten angemessen widerspiegelte.

Ein interessantes Buch, das es schafft, mehr zu sein als nur eine autofiktionale Selbstbeschau, dabei allerdings hin und wieder auch Längen hat. Gerade gegen Ende habe ich darauf gewartet, dass wir aus der Erzählung, der immer gleichen Wiederholung, ausbrechen. Einfach war die Lektüre nicht immer: Es war eines der wenigen Bücher auf der Longlist, die ich nur in Teilschritten lesen konnte. Ich wäre nicht überrascht, es auf der Shortlist zu sehen.

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German Book Prize Longlist #12:

Anyone who has felt in recent years that autofiction is overrepresented at the German Book Prize will have more cause for complaint in 2025. It's hard to find a book on this years list that manages without it, no matter how fragmented, feigned or hidden it may be. There are plenty of exciting, surprising or even slightly crazy novels that could have been nominated instead.

However, Das Haus zur Sonne is almost both an example and an exception to this trend, as the author uses his experience of dealing with a mental illness to develop a dystopian critique of society and an exploration of the realities of living with a disorder. The narrator repeatedly experiences manic phases in which he destroys his life - not for days or weeks, but for years at a time. When he reappears, he is confronted with ruin and shame, into which the severe depression that follows immediately only pushes him deeper. When we meet him, he is trying to break free from this cycle. He has signed up for a programme recommended by the employment office which requires him to leave his old life behind and move into the Haus zur Sonne.

There, all his wishes are fulfilled and he can experience everything he desires - as long as he ends his life at the end of his stay, which is after roughly two months. However, as he settles in and gets to know the other residents, he cannot shake the feeling that the programme may exist not only out of charity, but also to dispose of social problems. Ultimately, he no longer knows if he wants to die, but he also doesn't know if there is a way back.

The book thrives on its ambivalence and the fact that so much is left unsaid or unresolved. The right to decide about one's own life — and thus one's own death — is contrasted with a system that has an economic interest in this decision. At the same time, the novel can be interpreted as a grand metaphor for the inner conflict experienced by a suicidal person, with the interplay between visions, dreams and reality providing further scope for interpretation. Overall, the prose is powerful, and I also got the sense that the style accurately reflected the protagonist's shifting emotional state.

It is an impressive book that manages to be more than just an autofictional self-reflection, although it drags at times. Towards the end, in particular, I found myself waiting for the narrative and emotional repetition to end. It wasn't always an easy read; it was one of the few books on the longlist that I could only read in stages. However, it is an interesting novel and it may well make it to the shortlist.
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October 12, 2025
Thomas Melle hat mit "Haus zur Sonne" ein sehr kluges, berührendes Buch darüber geschrieben, was es bedeutet stark psychisch krank zu sein und an den Folgen der Krankheit nach und nach seine Lebensfreude, seinen Lebenswillen zu verlieren. Die Bipolarität des Protagonisten raubt ihm alles, was ein geregeltes Leben ausmacht.
In dem titelgebenden "Haus zur Sonne", einer Klinik, die Patient*innen mit Hilfe von Simulationen alle Wünsche erfüllen kann, aber deren Prämisse der sichere Tod ist, scheint ihm in seiner Suizidalität der Rettungsanker.
Zunächst sehnt er auch vor Ort nur den Tod herbei, hat keine wünsche, die er sich erfüllen möchte. Doch nach und nach reift der Gedanke: was, wenn mein leben doch etwas wert ist, was, wenn ich es weiter mit diesem, meinem, Leben probieren möchte?
Ein fantastischer, sehr ehrlicher Roman, der mit seinen vielen starken Sätzen sehr zu mir gesprochen hat! Ein Für-Immer-Buch!
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August 27, 2025
Thomas Melle nimmt, wie schon in "Die Welt im Rücken" wieder das Krankheitsbild Bipolare Störung und macht daraus einen Roman. Hier wird allerdings, wie es mir scheint, mehr Fiktion eingebaut und es fühlt sich weniger autobiographisch an. 

Der Großteil des Buches spielt sich in der merkwürdigen, titelgebenden Institution "Haus zur Sonne" ab. Hier wird den Kranken, Verzweifelten und Lebensmüden auf eine ganz eigene Art und Weise geholfen.

Das Buch hat irgendwie viel Handlung, aber auch eigentlich fast gar keine. Es gibt sehr viele Episoden, die tatsächlich gar nicht in der Romanrealität geschehen, also nicht echt sind. Das ist stellenweise interessant, führt aber dazu, dass die Story nur schleppend vorankommt. Dafür, dass wir uns im Kopf des Ich-Erzählers befinden, erfahren wir erstaunlich wenig über ihn. Da hätte ich mir mehr gewünscht.

Sehr spannend fand ich den gesellschaftskritischen Aspekt des Buches. Zum "Haus zur Sonne" wird man vom Jobcenter aus vermittelt. Das Angebot der "Selbstabschaffung" wird damit durchaus einer ausgewählten Zielgruppe gemacht. 

Auch sprachlich zeigt der Autor mehrfach gekonnt sein Talent für Worte und Formulierungen

Für mich dennoch nur eine mittelmäßige Leseerfahrung.
Profile Image for Kirsten.
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August 24, 2025
Was tut man, wenn man nicht mehr leben will, aber auch nicht sterben kann? Das "Haus zur Sonne" bietet den perfekten Ausweg. Hier können die Menschen, die ihres Lebens überdrüssig sind, es auf ihre Weise beenden. Sie bekommen alle ihre Wünsche erfüllt und verabschieden sich dann leise aus ihrem Leben.

Das ist auch der Plan unseres Protagonisten. Schon seit Jahren leidet er unter einer einer bipolaren Störung und egal, welche und wie Therapien er schon hinter sich hat, ist er jetzt am Ende seiner Kräfte. Trotzdem macht ihm der Brief mit der Einladung zunächst Angst, denn hat er erst einmal das Haus betreten, gibt es keinen Weg mehr zurück

Aber dann ist alles leichter als gedacht. Die Atmosphäre ist angenehm, die Ärzte wirken eher wie Gastgeber als Mediziner und man freundet sich mit den anderen Gästen/Patienten an. Vielleicht, weil hier jeder am selben Punkt im Leben ist und man sich nichts mehr vormachen muss. Aber nach einer gewissen Zeit nimmt die anfängliche Faszination ab. Es gibt nichts Neues mehr, die erfüllten Wünsche wirken schal und die Menschen, an die man sich gewöhnt und die man vielleicht auch mögen gelernt hat, verlassen einen. Je länger er im Haus bleibt, desto besser geht es ihm. Es scheint fast so, als ob die Entscheidung, zu sterben die beste Therapie ist. Aber kann man diese Therapie noch abbrechen.

Der Roman hat einige Seiten gebraucht, um seine Wirkung bei mir zu entfalten. Anfangs haben mich die kurzen Kapitel irritiert, weil sie keinen Lesefluss aufkommen ließen. Aber sie haben auch gut zum sprunghaften Charakter des Protagonisten gepasst, der sich nie lange auf eine Sache konzentrieren konnte. Später wurden die Kapitel länger, was wiederum dazu passte, dass es ihm besser ging. die Wünsche, die erfüllt wurden, haben sich irgendwann wiederholt. Das hat die Lektüre etwas zäh gemacht, aber es war auch ein gutes Bild dafür, wie sich das Leben im Haus verändert hat.

Am Ende der Geschichte hat mich der Autor wieder gefesselt. Er hat mir viele Möglichkeiten gezeigt, wie die Geschichte ausgehen kann und ich war mir nicht sicher, welche ich davon dem Protagonisten wünschen würde. Thomas Melle hat in seinem Roman nicht nur mit den Charakteren, sondern auch mit mir gespielt. Die Stimmung in der Geschichte passt perfekt zur Handlung, daran musste ich mich erst gewöhnen. Aber am Ende hat er mich überzeugen können.
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November 2, 2025
das ist ein buch das mein vater mir empfehlen würde jetzt kann ich es ihm empfehlen naja
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September 25, 2025
2,5/5

Das Buch leidet, wie so viele für den Buchpreis nominierte Bücher, daran, dass es seine Geschichte, die in ihrer Einfachheit oft besser und mitreißender erzählt werden könnte, so sehr mit prätentiösen Metaphern/Stilmitteln/Erzählstrukturen durchsetzt wird, dass das Leseerlebnis nur noch schleppend verläuft.
Mit einer unglaublich Erzählstimme werden wir in eine Welt voller extremer Auf und Abs einer bipolaren Störung geschmissen. Die schmerzhafte Realität unseres Erzählers wird aber leider durch seine Umgebung abgeflacht, die mehr versucht ein gesellschaftliches Kommentar abzugeben, als den Leser mitzureißen.
Plotmäßig treten wir ständig auf der Stelle herum, unser Charakter bleibt 90% des Buches in seinen mentalen Gedankenspiralen gefangen, was natürlich zu seiner Krankheit gehört, aber auch Charaktere und Umwelt entwickeln sich nicht weiter, brechen aus keinen Mustern aus. Kurzum: Es wird langweilig.
Erst ab den letzten Kapiteln wird es wirklich interessant, aber da war es dann schon auch schon zu spät für mich, irgendwie davon berührt zu sein. Für ein Buch, dass über die Abgründe der mentalen Gesundheit erzählen möchte, kratzt es eher nur die Oberfläche an.
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October 15, 2025
War ich überhaupt noch eine Person? Oder einfach nur ein von der Krankheit gedemütigtes und von sich selbst traumatisiertes, vernarbtes Bündel, das sich diesen sogenannten Frieden mit der eigenen Stumpfheit erkauft hatte, weil es einfach nicht mehr auszuhalten war? - S. 12


Thomas Melle hätte den Deutschen Buchpreis mit dem neuesten seiner Werke definitiv verdient!
Wie auch schon in seinem Meisterwerk Die Welt im Rücken erzählt er basierend auf seinen persönlichen Erfahrungen von der absurden Schwere und Unzuverlässigkeit, die das Leben mit schwerwiegenden psychischen Krankheiten nach sich ziehen kann. Dann soll er das beim Therapeuten regeln oder in seinem Tagebuch, das ist dann ja keine echte Geschichte, mag der eine oder andere kritisieren.
Aber ganz ehrlich: Künstler können am besten über das schreiben, was sie kennen, und Schreiben bzw. Kunst ist und darf Therapie sein. Und Melle ist mit Sicherheit auch nicht der erste nominierte Autor, der mit einer Thematik, die ihn selbst betrifft, für einen solchen Preis in Betracht gezogen wird. Und im Gegensatz zu Büchern aus dieser Linie, die über Entwurzelung, die Aufarbeitung der eigenen Familienvergangenheit oder wirklich schlicht die eigene Biografie ist, spricht Melle hier über ein Thema, das eine sehr stille Menge betrifft und auch immer mehr Menschen betreffen wird: Kranksein. Erkrankt sein an einer Krankheit, die man nicht sieht, dafür aber umso mehr spürt. Und die noch immer gesellschaftlich eher betrachtet werden als ein ,,Die sind nur faul und wollen nicht arbeiten'' statt Akzeptanz und Verständnis dafür zu bekommen.

,,Mann, wir sind der Wohlstandsschrott, wir sind der Abschaum, den diese Gesellschaft ständig produziert, ohne es zu wollen. Wir sind das, was übrig bleibt. Der üble Rest, der weggeschafft wird. Und nicht mehr lange, und du kannst es vergessen mit dem Wohlstand, dann gibt es nur noch Schrott. Und mehr und mehr Leute werden hier auf dieser Müllhalde landen, ob sie wollen oder nicht.'' - August (S. 248)

Der namenlose Erzähler berichtet kühl, müde und etwas wehleidig darüber, dass ihn seine bipolare Störung, die ihn zwischen der himmelhochjauchzenden Manie voller paranoidem und rücksichtslosem Verhalten und tieftraurigen, schamvollen Depression, die die Fehler des manischen Erzählers mühevoll ausbügeln muss, hin und her wirft, wieder eingeholt hat. Zehn Jahre hatte er seine Ruhe davor und konnte ein einigermaßen normales Leben führen. Doch nun scheint er mit Mitte 50 alles verloren zu haben und hat einfach keine Lust mehr darauf, sich alles wieder erneut erarbeiten zu müssen.
Und so begegnet er beim Jobcenter einem Flyer, in dem für das titelgebende Haus der Sonne geworben wird. Eine Einrichtung, die es Sterbewilligen ermöglicht, über sehr intensive VR seine sehnlichsten Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen - dafür am Ende seines Aufenthals aber zu sterben. Es gibt keinen Weg zurück. Und dem Erzähler kommt das gerade recht, denn es erscheint ihm nur vernünftig, nicht mehr mit seinem Leid leben zu wollen. Doch so entschlossen er dies möchte - es regt sich doch eine kleine Stimme in ihm, die es nicht möchte. Aber es gibt kein Zurück mehr.

Die Leute lieben Schicksale wie das meine, wenn sie aufbereitet und zu Literatur geworden sind, zu Kunst, zu Geschichte, hinter Glas gesetzt. Mit dem wirklichen Geschehen will, verständlicherweise, niemand etwas zu tun haben. Da geht man auf Distanz - und muss es wohl auch. Wie es sich aber anfühlt hier, im Elend, im Sturm, das weiß keiner, nur die Betroffenen. - S. 146

Das hier ist ein Buch, das in seinem Schmerz so real ist, dass man gar nicht anders kann, als während des Lesens mitzufühlen und sich - wenn man ebenfalls eine psychische Krankheit hat - wahnsinnig verstanden fühlt. Der Erzähler ist dabei auch nicht immer sympathisch oder vernünftig, aber genau das kann so eine Krankheit auch mit einem machen: sie höhlt einen aus, bis man sich selbst nicht mehr wiedererkennt. Bis man nicht mehr weiß, was man will. Bis man vielleicht auch überhaupt nichts mehr will außer seine Ruhe. Und in der es einem fast schon rational und logisch erscheint, sich doch lieber zu suizidieren als nochmal das alles durchzumachen, nur um es vielleicht wieder zu verlieren.
Denn wie schon im oberen Zitat beschrieben: Das ist keine Erfolgsgeschichte. Erfolgsgeschichten sind inspirierend, können Kraft geben, ziehen themenfremde Leser und Zuschauer an. Jeder liebt es, wenn Menschen einen Kampf gewinnen. Aber die Anzahl derer, die keinen Erfolg haben, ist erheblich größer, und ihre Scham, ihre Geschichte zu erzählen, zu groß. Schließlich wird es oft als eigenes Scheitern betrachtet, wenn man es nicht schafft oder die Krankheit immer wiederkommt. Weil es manchmal keine Lösung gibt. Und diese schonungslose Ehrlichkeit, die sich für Melle sicherlich wie ein Seelenstriptease anfühlen muss, trifft einen mit voller Wucht und lässt einen seinen Wunsch verstehen, so sehr das Aufgeben des eigenen Lebens auch ein Verbrechen gegen das Leben selbst ist.
Das Buch besteht dabei zu großen Anteilen aus genau diesen Gedanken des Autoren. Sie wiederholen sich, er kommt immer wieder am gleichen Punkt an, und ist so innerlich leer, dass er sich zwar immer wieder an den Möglichkeiten der VR-Erlebnisse versucht, jedoch einfach kein Glück dabei empfindet.
Und auch wenn es sich unangenehm, fremd und auch ein wenig eklig anfühlt: Kann man unter solchen Umständen nicht verstehen, lieber einen würdevollen Tod wählen zu wollen, als durch die eigene Krankheit absolut würdelos wieder im eigenen Scherbenhaufen aufzuwachen, weil man es wieder nicht geschafft hat?

Auch wenn sich das Buch sehr stark auf den Erzähler konzentriert, so lernt er während seines Aufenthalts auch andere Patienten kennen; sie haben alle ihre Gründe, nicht mehr da sein zu wollen, und es ist löblich, dass Melle dabei nicht nur Erkrankungen der Psyche als Grund heranzieht. Besonders Vera und Angel sind dabei hervorzuheben und finden sicher den ein oder anderen Leser, der sich mit ihnen identifiziert. Dabei wird auch die gesamte Gefühlspalette hindurchgespielt, im Kreis gedreht, umgedreht, und dann wieder durchgespielt. Verzweiflung über sich selbst und seine Unfähigkeiten, die Gewissheit, in diesem Haus sicher seine Fantasien ausleben zu können, sich sogar so sehr ablenken zu lassen, dass man sich fast schon wieder glücklich fühlt, nur um dann wieder zu realisieren, dass nichts von alldem echt ist. Zumal viele der Wünsche von solch unglücklichen Menschen natürlich eher mit der eigenen Gefühlswelt zusammenhängt - und keine Simulation der Welt kann, wie die Mitarbeiter des Hauses auch erklären, inneres Wohlbefinden und Frieden simulieren.

Allgemein steckt dieses Buch voller Sozialkritik, was angesichts der geplanten Verschärfung von Bürgergeldkürzungen hierzulande sogar aktueller ist denn je. Auch wenn es eventuell stärker hervorgetreten wäre, wenn Melle gezielter fehlende Therapieplätze und der kompletten Überlastung des Gesundheitssystems angesprochen hätte, so ist diese als Rationalität und Wohltat verschleierte Euthanasie natürlich scharfe Kritik an einem Sozialstaat, dem zu viele Menschen Hilfe brauchen und der sich ihrer entledigen möchte. Der Umgang des Personals ist dabei sehr professionell, nicht empathisch und manchmal sogar sehr genervt. Und ähnlich wie der Erzähler selbst findet man sich stets zwischen den Fragen gefangen, ob es nicht sinnvoll ist, Sterbewilligen zu ermöglichen, so ,glücklich' wie möglich zu sterben (und damit als Nebeneffekt den Staat zu entlasten), oder ob damit nicht einfach zulasten von Hilfsbedürftigen Geld gemacht wird und lieber assassiniert wird statt Probleme anzugehen. Eine interessante moralische Zwickmühle.

,,Deshalb möchte ich ja sterben. Weil ich keinen Wunsch mehr habe.'' - Der Erzähler (S. 79)

Gegen Ende nimmt die sehr nach innen gerichtete Handlung etwas an Fahrt auf und scheint fast schon Züge des magischen Realismus, wenn nicht sogar Horrors anzunehmen. Der Erzähler fühlt sich eingesperrt, möchte hinaus, traut sich jedoch nicht, seine Pläne in die Tat umzusetzen, besonders, weil er ja eigentlich damit abgeschlossen hat. Rein metaphorisch könnte man das Ganze als Kampf gegen Depressionen selbst sehen, da Träumen bei dieser Erkrankung sicherer ist als aktiv Dinge in die Hand zu nehmen. Dennoch weckt das zwischendurch falsche Erwartungshaltungen, da es Fragen stellt, die nicht beantwortet werden, die man aber beantwortet haben möchte. So wird dieses sehr abstrakte Konzept plötzlich unpassend konkret, und sorgt besonders bei dem offenen Ende dafür, dass man sich nicht fragt, ob da nicht eigentlich noch irgendwas gekommen wäre.


Alles in allem kann man sich von Melles Büchern über und mit dem Kampf mit psychischen Erkrankungen nur umhauen lassen! Eloquent, sich stets im Kreis drehend und ,,authentisch depressiv'' beschreibt Melle durch den Erzähler all die Gedanken, die einen zum Todeswunsch führen und auch irgendwo dazu berechtigen. Das ist auf jeden Fall der stärkste Aspekt dieses Romans, der hoffentlich auch Nicht-Betroffenen einen Einblick darin gewähren kann, wie es einem damit gehen kann. Auch den Umgang des Sozialstaats damit in einem leicht dystopischen Gewand beschreibt er interessant und traumgleich, jedoch ohne je konkret zu werden. Größtenteils will die Geschichte das aber auch nicht - nur eben am Ende, bei der ein paar Fragen durchaus hätten beantwortet werden können und die Atmosphäre des Buches fast schon Psychohorror wird statt ein introspektives Drama. Sehr empfehlenswert und wirklich, wirklich LEIDER nicht Gewinner des DPB!

Gesamtwertung: 4/5 Punkte
Profile Image for Marlene :).
2 reviews
September 7, 2025
Anfangs perfekt, leider zum Ende hin immer träger und wiederholender.
74 reviews4 followers
September 21, 2025
Thomas Melle hat sich längst mit seinen stark autobiografisch geprägten Büchern in der deutschsprachigen Literaturlandschaft etabliert. Mit „Haus zur Sonne“ erreicht dieses Schaffen nun einen neuen Höhepunkt, in dem persönliche Erfahrungen und fiktionale Elemente zu einer intensiven Darstellung psychischer Erkrankung, insbesondere der Depression, verschmelzen.
Im Zentrum steht eine staatlich finanzierte Klinik, die Menschen, die an Depressionen und einer tiefen Todessehnsucht leiden, einen kontrollierten Ausstieg aus dem Leben ermöglicht. Dieser geschieht nicht abrupt, sondern auf einem Weg, der durch Halluzinationen begleitet wird. In diesen Visionen erfüllt sich den Patientinnen und Patienten eine Art letzte Wunschwelt, die ihnen eine scheinbare Alternative zur unerträglichen Realität eröffnet. Melle verknüpft diesen Rahmen mit den eigenen inneren Abgründen, die er seit Jahren literarisch bearbeitet.
Von Beginn an werden die Leser in eine Atmosphäre gezogen, die von Schwere und Düsternis geprägt ist. Das Grau, das den Erzähler umgibt, spiegelt sein letztes Kapitel im Ringen mit der manischen Depression wider. Schon früh entfaltet sich eine Sogwirkung: Die plastische Schilderung des inneren Chaos, der schmerzhaften Gedanken und der quälenden Isolation wirkt beklemmend, beinahe erdrückend. Melle gelingt es, den schmerzhaften Prozess des Krankseins nicht nur zu beschreiben, sondern fühlbar zu machen. Dabei wird deutlich, dass die Depression längst nicht mehr nur ein innerer Kampf ist, sondern auch in der äußeren Welt Spuren hinterlässt – sei es durch Entfremdung, den Verlust sozialer Nähe oder den Abbau intellektueller Fähigkeiten.
Präzise und schonungslos offen entfaltet Melle in diesem Roman sein Innenleben. Trotz der Nähe zum Autobiografischen bleibt der Text auf einer universellen Ebene lesbar. Die persönliche Erfahrung wird zu einem Sinnbild für ein weit verbreitetes Lebensgefühl, das sich in unserer Zeit verstärkt zeigt: ein Weltschmerz, der nicht individuell bleibt, sondern auch gesellschaftliche Relevanz besitzt.
So sehr die Geschichte von Hoffnungslosigkeit getragen wird, so blitzen dennoch immer wieder Momente des Lichts auf. Besonders im letzten Teil öffnet sich der Roman einer Haltung, die dem Leben neu begegnet – vorsichtig, tastend, aber spürbar positiv. „Haus zur Sonne“ ist somit nicht ausschließlich ein Buch über Verzweiflung, sondern auch eines über die Möglichkeit, trotz allem weiterzugehen.
Vergleichbare Werke gibt es viele, doch selten gelingt eine solche Verbindung aus Offenheit, Reflexion, literarischem Anspruch und menschlicher Tiefe. Melle bleibt nah bei sich, erweitert aber den autobiografischen Blick zu einer Darstellung, die über das Persönliche hinausweist. Damit gelingt es ihm, die Auseinandersetzung mit Depression auf eine künstlerische Ebene zu heben, die sowohl berührt als auch reflektieren lässt.
Die Parallelen zu Thomas Manns „Der Zauberberg“ sind unverkennbar – sowohl in der abgeschlossenen Welt der Klinik als auch in der Darstellung der Unfähigkeit, im „normalen“ Leben zu bestehen. Wo Heinz Strunk 2024 mit seinem Versuch einer modernen und bereichernden Neufassung des Klassikers scheiterte, überzeugt Melle gerade durch die Abwesenheit von Imitation. „Haus zur Sonne“ sucht nicht nach Effekten, sondern wagt einen radikalen, ehrlichen Zugang zu einem schweren Thema, der mit den Anforderungen unserer modernen Gesellschaft harmonisiert.
Der Roman ist knapp genug gehalten, um nicht ins Überbordende zu geraten, aber dicht genug, um die Wucht der Gefühle zu transportieren. Glaubwürdigkeit und literarische Qualität gehen hier Hand in Hand. Für Betroffene kann das Buch Orientierung bieten, für die Literatur ist es ein ernstzunehmender Beitrag, der nachdrücklich in Erinnerung bleibt. Für mich zählt „Haus zur Sonne“ in jedem Fall zu den stärksten Kandidaten für den Deutschen Buchpreis.
Profile Image for Bücherwolf.
162 reviews10 followers
September 17, 2025
"Haus zur Sonne" war mein drittes Buch, das ich mir für das Longlist-Lesen ausgesucht hatte und ich habe es noch vor Veröffentlichung der Shortlist zu Ende gelesen. Mit diesem Roman habe ich nicht nur ein Jahreshighlight gefunden, das "Lázár" ebenbürtig ist, sondern auch meinen diesjährigen Favoriten des Deutschen Buchpreises! Umso schöner, dass er nun auf der Shortlist ist und eine Chance auf den Sieg hat.

Stellt euch mal vor, Franz Kafka hätte Thomas Manns Jahrhundertroman "Der Zauberberg" geschrieben. Schwer vorzustellen, oder? Mit diesem Roman wird diese verrückte Idee aber Wirklichkeit.
Die Beobachtung einer von der Gesellschaft herausgenommenen Gruppe Gleichgesinnter beginnt in ihrer Institution das Leben mit allen Katastrophen, die den Menschen leiden lassen und allen Träumen, die ihn dennoch zum Glück bringen können, in allen Facetten zu betrachten. Doch gleichzeitig steckt die Institution voller kafkaesker Widersprüche, die das gesamte Konstrukt ins Wanken bringen. Sind die Patienten dieser Klinik wirklich frei, selbst wenn sie sich jeden erdenklichen Wunsch erfüllen lassen können?
Thomas Melle begibt sich auf eine Erkundung der Psyche, die zuletzt nicht nur diese Frage aufwirft, sondern unsere gesamte Existenz in Frage stellt und balanciert dabei gekonnt auf einem schmalen Grat zwischen Autobiographie und Fiktion.

Der Erzähler dieses Romans ist nach einer manischen Phase, die mehrere Jahre anhielt und sein Leben zerstört und bestandslos zurückgelassen hat, fest davon überzeugt, seiner Existenz ein Ende zu setzen. Er stößt auf eine Institution, die genau das auf eine utopische Weise umzusetzen verspricht: Das Haus zur Sonne. Dort soll jedem Patienten jeder Wunsch, der ihm bewusst oder unbewusst auf dem Herzen liegt, gewährt werden. Im Gegenzug dazu muss der Patient jedoch im Vorhinein einwilligen, am Ende der Behandlung zu sterben. Dies scheint perfekt für den Erzähler, doch im Laufe der Behandlung stellen sich ihm Fragen, die seine gesamte gequälte Existenz auf dieser Welt verändern und ihn letztendlich, auf irren Umwegen, zum vermeintlichen Glück und zur selbstgeschaffenen Freiheit bringen.

Thomas Melle hat hier wirklich einen gewaltigen Roman geschaffen, der so gekonnt und überwältigend von mentaler Krankheit und Zerrissenheit erzählt, die in einer gänzlichen Lebensmüdigkeit mündet und der doch noch, am Ende, wenn alle Hoffnung verloren scheint, vor purer Lebensbejahung zu strahlen beginnt. Ein solch klarer Widerspruch dieser zwei absoluten Empfindungen, die scheinbar unmöglich miteinander vereinbart werden können. Doch Thomas Melle ist einer dieser Zauberer, die genau das möglich machen. Und es dabei so leicht aussehen lassen.

Beim Lesen ist, ohne Kenntnisse über den Autor, recht schnell ersichtlich, dass die Emotionen, Gedanken und Erlebnisse des Erzählers zum Teil autobiographischer Natur sind. Doch durch den fiktiven Handlungsstrang dieser Erzählung kommt wiederholend die Frage auf, was denn nun wirklich so geschehen und was nur Fiktion ist. So schafft es Thomas Melle einen dreidimensionalen Erzähler zu kreieren, der im gleichen Moment genau so in unserer Realität existiert und dennoch eben vollständig fiktiv ist.

Zurück bleibt ein Roman, der in die Abgründe der menschlichen Psyche blickt, das Leben mit mentalen Problemen durchleuchtet und Fragen stellt, für die es ein komplexes Gedankenkonstrukt benötigt, das es letzten Endes zu durchbrechen gilt.
Profile Image for Linus Giese.
Author 10 books77 followers
October 7, 2025
"Der Tod war mir zur zweiten Natur geworden."

Vor Jahren habe ich von Thomas Melle bereits "Die Welt im Rücken" gelesen, das mich damals sehr beeindruckt hat. Auch in seinem neuen Roman setzt sich der Autor wieder mit seiner bipolaren Erkrankung auseinander. Dieses Mal zwar nicht mehr ganz so autobiographisch, doch immer noch so, dass die Hauptfigur sehr nah dran ist an dem Autor Thomas Melle. Die Geschichte lässt sich wie folgt zusammen: der Erzähler ist nach einer erneuten manischen Phase verzweifelt, denn von seinem alten Leben ist nichts mehr übrig geblieben. Er hat Schulden, die Wohnung ist demoliert, er hat Straftaten begangen, Beziehungen und Freund*innenschaften sind in die Brüche gegangen. Er verzweifelt am Leben, an seiner Erkrankung. Schließlich entscheidet er sich dazu ins Haus zur Sonne zu gehen, dort werden ihm mithilfe von Simulationen noch einmal alle Wünsche erfüllt, bevor er sich dann endlich vom Leben verabschieden kann. Mich haben die Passagen über die Auswirkungen der Manie und der anschließenden Depression des Erzählers am stärksten beeindruckt. Ich selbst bin seit einem Jahr an einer Depression erkrankt und konnte mich in vielen Gedanken und Beschreibungen wiedererkennen. Die Passagen, die im Haus zur Sonne spielen habe ich dagegen manchmal als etwas zäh empfunden, der Erzähler kreist (gezwungenermaßen) sehr stark um sich selbst, die anderen Bewohner*innen des Hauses bleiben dagegen etwas blass und gesichtslos. Vor dem Lesen hatte ich Angst, dass mich das Buch sehr traurig machen könnte, aber seltsamerweise hat es das gar nicht. Stattdessen habe ich mich gesehen und erkannt gefühlt und das hat mich getröstet.

Das Buch steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis, ich wünsche mir sehr, dass Thomas Melle den Preis gewinnt.
Profile Image for Tilmann.
73 reviews4 followers
October 12, 2025
Thomas Melle schreibt, als hätte er unzählige Therapiesitzungen protokolliert. Methoden wie Motivational Interviewing, Entscheidungsmatrizen oder wertebasierter Aktivitätsaufbau werden in Romanform verarbeitet, wirken aber mehr wie Anschauungsmaterial denn als Teil einer lebendigen Erzählung. Was als Roman daherkommt, liest sich streckenweise wie ein Therapiebuch der eigenen Existenz – didaktisch, vorhersehbar, mehr aber auch nicht.
Profile Image for Robert.
135 reviews5 followers
September 30, 2025
6/10
Ich weiß nicht so recht. Severance trifft auf The Midnight Library und Eternal Sunshine of the Spotless Mind. Eine Kombination, die so klingt, als wäre sie wie für mich gemacht. Wie der Autor Thomas Melle selbst hat auch der Protagonist aus Haus zur Sonne eine manische Depression. Die Bundesregierung hat eine Institution für Depressive eingerichtet, um begleitet aus dem Leben zu scheiden: das Haus zur Sonne. Hier trifft der Protagonist auf andere Leidensgenoss*innen und hat die Möglichkeit, sich durch Simulationen jegliche Wünsche zu erfüllen. Er lebt alternative Versionen seines Lebens, zieht in den Krieg oder verbringt einen Tag als Tier.
Ich dachte wirklich, Haus zur Sonne könnte mein Buch des Jahres werden. Es steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wird auch im Feuilleton durchaus positiv besprochen. Für mich hat es aber nicht funktioniert. Es wirkt unfokussiert und repetitiv. Den Themen fehlt Tiefe und die Simulationen haben mich nicht interessiert. Gefreut habe ich mich aber über den Filmgeschmack des Protagonisten. Scheinbar sind Lars von Trier und David Lynch die universalen Darlings der depressiven Männer. Mein Buchpreis-Favorit ist bisher noch Die Ausweichschule.
Profile Image for Sandra R..
33 reviews
August 22, 2025
Puh, dieses Buch hat mich viel nachdenken lassen, mir aber auch klargemacht, wie wenig ich eigentlich davon in Worte fassen kann. Ich habe keine Ahnung wie ich hier eine Rezi schreiben soll, die irgendwie aussagekräftig ist und doch will ich eigentlich so viel sagen.
Der Protagonist durchlebt hier wohl so sämtliche Phasen, die es gibt, wenn man psychisch krank ist. Bis hin zum Todeswunsch, der dann aber sobald es eigentlich so weit sein könnte, auch wieder in ganz viele widersprüchliche Phasen unterteilt ist. Akzeptanz, Widerstand, Wut, Verzweiflung, Resignation...irgendwann dreht sich alles ein bisschen im Kreis und man bekommt irgendwie auch kein besseres Verständnis, alles ist irgendwie einfach nur eine Spirale, der man kaum auf den Grund gehen kann. Auch was es mit dem Haus eigentlich genau auf sich hat, bleibt so ungeklärt, dass ich erst unzufrieden war. Aber eigentlich ist es doch genau das. Das Leben...was hat es auf sich damit? Es sind tägliche Spiralen, mit denen wir zu kämpfen haben. Und Suizidalität ist nicht gleich Suizidalität, nicht immer ist es der buchstäbliche Tod, den man sich herbeisehnt...ist das Haus einfach nur eine Metapher? Ich weiß es nicht. Ich bin verwirrt und weiß nicht, wie ich den Gedankenklumpen ordnen soll. 🫠 Das Buch hat aber einiges aufgewirbelt in mir und mich fasziniert.
6 reviews
September 23, 2025
Thematisch mutig und innovativ - das Zusammenspiel verschiedener psychischer Erkrankungen und die explizite Auseinandersetzung mit Todeswünschen bzw. -sehnsüchten schlagen auf den Magen und treffen genau den richtigen Punkt. Das Konzept des „Haus zur Sonne“ ist zu Beginn schwer greifbar und wirft im Laufe des Buches spannende philosophische Fragen nach der Willensfreiheit von Menschen und der Absolutheit des Wunsches zu Sterben auf. Es wird leider zwischenzeitlich durch die episodische Erzählweise etwas langwierig, das Ende ist hingegen pannend, sodass ich es schon fast als zu kurz empfunden habe.
Profile Image for Lucie.
32 reviews1 follower
September 26, 2025
Assistierter Suizid zwischen freiwilliger Entscheidung und Zwang in der Big Brother Klinik Haus zur Sonne. Das Buch ist nicht ganz, was ich erwartet habe: dystopisch, deprimierend und etwas sci-fi. Es ist kein schlechtes Buch, nur hat es mir einfach thematisch nicht so sehr zugesagt. Dafür kann man es schnell lesen. Vor allem am Ende konnte ich die Veränderungen in der Entscheidung des Protagonisten zwischen Widerstand und Todessehnsucht nicht mehr ganz nachvollziehen.
Profile Image for Nicole Nici.
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September 14, 2025
Die Idee fand ich sehr interessant: Menschen, die sterben wollen einen gewünschten Tod ermöglichen und davor noch ihre Wünsche erfüllen. Jedoch fand ich diese Idee merkwürdig umgesetzt. Im Allgemeinen hat mir das Buch recht wenig gegeben. Auch wenn ich die Beschreibung von der bipolaren Erkrankung, der Innenwelt und dem Todeswunsch des Protagonisten anschaulich beschrieben fand. Abgesehen davon fand ich die Sprache jedoch zäh und ich hatte Schwierigkeiten reinzukommen. Vielleicht habe ich einfach etwas anderes von diesem Buch erwartet, wodurch ich am Ende enttäuscht wurde.
Profile Image for Dunja Brala.
592 reviews41 followers
September 15, 2025
Bei einer bipolaren Störung sind Stimmungsschwankungen sehr ausgeprägt. Tiefe Depressionen und überschäumende Manien treten ohne äußeren Anlass, episodenhaft auf und können Tage, Monate, ja sogar Jahre andauern. Dabei werden Beruf, Beziehungen und Alltag massiv beeinträchtig. In manischen Phasen können Betroffene riskantes oder unüberlegtes Verhalten zeigen, das sie später bereuen, in depressiven Phasen können Suizidgedanken auftreten. Thomas Melle leidet an dieser psychischen Erkrankung, wie wir aus seinem Buch „Die Welt im Rücken“ wissen und so liegt es nah, dass sein ICH-Erzähler direkt mit seiner Person in Verbindung gebracht wird.

Dieser möchte nun definitiv sterben. Doch in seiner Welt gibt es das Haus zur Sonne, eine Art Sanatorium , in dem dir der Tod garantiert wird, dir aber vorher deine Wünsche erfüllt werden. Begleitet werden ihm immer wieder Möglichkeiten aufzeigt. Dabei geht es nicht unbedingt um materielle Dinge. Oft wird sich auf das zwischenmenschliche konzentriert, soziale Interaktionen jeglicher Art oder Lebensläufe, die vom wirklichen abweichen. Sogar der Tod findet seinen Platz auf dem Wunschzettel. Diese Situationen werden simuliert und fühlen sich real an. Manchmal ist er der aktive Part, manchmal ist er der Zuschauende.
Er lernt viele Menschen kennen. Zur wichtigsten Personen mutiert Vera. Mit ihr spricht er über die Widersprüche zwischen Simulation und Wirklichkeit, über Lebensmüdigkeit und über die Frage, ob die Erfüllung von Wünschen überhaupt helfen kann. Sie ist keine Lehrerin, sondern eher eine fragile Gefährtin, die dieselben existenziellen Fragen umtreibt.
Währenddessen sind wir auch mit Rückblicken auf sein Leben konfrontiert und wer den Vorgängerband nicht gelesen hat, bekommt angemessen Input, über Erkrankung, Form und Auswirkungen, die sie auf das Leben des Erzählers genommen hat

Kernthema aber ist die Frage danach, was den Todeswillen, verstärkt oder ihn aufhalten kann und das wird sehr differenziert betrachtet. Möchte man immer noch sterben, wenn einem jeder Wunsch erfüllt wird?

Ich gebe zu, ich hatte sehr großen Respekt vor diesem Buch. Einerseits ist die Thematik für mich sehr schwer auszuhalten. Und so machte sich auch schnell ein beklemmendes Gefühl in mir breit, sobald der Autor uns zu den Auswirkungen dieser Erkrankung führte. Andererseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass er mich über 300 Seiten faszinieren konnte – doch er hat es geschafft!

Das lag vor allem an der einnehmende Erzählweise, die mich an Melles Lippen hängen ließ. Hier ist nichts verschnörkelt, nichts kompliziert, aber auch nicht gradlinig oder süffig. Es ist der Plauderton, der mich mit Pragmatismus und einer Beiläufigkeit die Emotionen transportiert, bei der Stange hielt. Ich könnte mir vorstellen, dass es Melle viel Kraft gekostet hat sich so intensiv mit dem erwünschten Tod und den erforderlichen Bedürfnissen, um Lebenswillen zu produzieren, zu beschäftigen.

Bisweilen ist das Buch etwas redundant. Ich konnte das aber gut aushalten, da der Stoff schon komplex ist und das ständige wiederholen von leicht abgeänderten Szenen und Gesprächen, umso eindringlicher für mich wurde.

Ich empfehle das Buch also allen, die sich mit gehaltvollen Büchern und psychischen Erkrankungen beschäftigen möchten und dabei einen angenehmen Schreibstil schätzen.
Profile Image for Raphael.
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September 7, 2025
Eine Institution, welche die letzte Zuflucht, die letzte Hoffnung und gleichzeitig ein Endpunkt ist. Das Haus zur Sonne erfüllt Menschen ihre letzten Wünsche, bevor sie ohne Aufsehen aus dem Leben scheiden.

“Meinem Status wurde schlichtweg entsprochen, so empfand ich es. Und mein Leben war vorbei.” S. 7

Das neue Buch von Thomas Melle ist mein Patenbuch der Longlist des Deutschen Buchpreises. Ich wollte es ohnehin lesen – und dennoch hatte ich einen enormen Respekt davor. Die Themen des Textes gehen mir persönlich sehr nahe, aber ich kann schon vorwegnehmen: Dieses Buch hat mich tief beeindruckt, und dennoch bleibt es schwer, Worte dafür zu finden.

Thomas Melle lebt mit einer bipolaren Störung, sein neuer Roman bewegt sich zwischen Realität und Fiktion. Das Haus zur Sonne wird wie ein Ort der Fürsorge beschrieben. Doch schnell spürt man die Ambivalenz: Kann es Heilung sein, wenn die endgültige Kapitulation schon festgesetzt ist? Wir gehen mit den Figuren diesen Weg, auf dem der Tod allgegenwärtig ist und doch oft in der Ferne und den Illusionen verschwindet.

Wir erleben Visionen dieser letzten Wünsche und Sehnsüchte. Teil dieser Visionen zu sein, die Bedürfnisse mitzuerleben, regt zum Nachdenken an. Dabei gelingt es Melle immer wieder, Worte für das Unsagbare zu finden: den Todeswunsch, das Aufgeben, das Verschwinden.

Auch gesellschaftlich öffnet der Roman wichtige Räume. Er thematisiert nicht nur den Umgang mit Sterbehilfe, sondern auch, wie eine Gesellschaft mit psychischen Krankheiten und Suizidalität umgeht. Kann eine staatliche Institution wie das Haus zur Sonne wirklich eine Antwort sein – oder macht sie den Abschied nur effizienter und erträglicher für die Umgebung?

“Ich sammelte eigentlich keine echten Erfahrungen mehr, denn die Stelle, um die herum sich die Erfahrungen hätten ansammeln sollen, war schon vakant.” S. 14

Ich habe seit Langem wieder bei einem Buch geweint. Es ging mir so nah, und doch taten mir die Worte gut. Die Seiten sind von Markierungen durchzogen, diese Worte, diese Sätze – sie werden in meinen Gedanken bleiben, und ich werde das Buch noch oft zur Hand nehmen. Ich war dankbar für diesen Trost, der sich zwischen den Zeilen, zwischen den unaussprechbaren Momenten fand. Ich drücke alle Daumen für die Shortlist. Haus zur Sonne ist ein Roman, der den Preis absolut verdient hätte.
5 reviews
November 28, 2025
Das Buch hat extrem meinen Geschmack getroffen und ist das Erste seit langem, das ich so schnell verschlungen habe. Die komplexe Idee hinter dem Haus zur Sonne erschafft erschafft auch in einem selbst eine völlig neue Gedankenwelt und als selbst von rezidivierenden Depressionen Betroffene konnte ich mich in der Hauptperson und dessen Gedankenmustern oft wiederfinden. Zudem hat mich die Schreibart, die mich oft in ihrer Wortwahl an Schirach erinnert und die sicherlich keine leichte Kost ist, sehr abgeholt. Auf jeden Fall mein Buch des Jahres!
Profile Image for Sophie Kuhn.
59 reviews3 followers
December 3, 2025
unglaublich gut - unglaublich traurig und unglaublich viele gedanken zu freitod. Mochte die fiktion des haus zur sonne sehr, habs irgendwie wie ein skript für einen film gelesen. natprlich grundlegender tenor sehr sad und so lebens-aufgebend, aber auch darin irgendwie schön.
Profile Image for Rosa.
651 reviews41 followers
September 28, 2025
3.5*

Es war wirklich ein sehr schräges Buch und ich weiß immer noch nicht, was von der Geschichte real war und was nicht. Trotzdem fand ich es super spannend und konnte es gar nicht weglegen.
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