Marx gegen Moskau: Zur Außenpolitik der Arbeiterklasse

by Timm Grassmann

s bleibt noch immer bemerkenswert, wieviel Sorgfalt das Moskauer Reich sowie auch das moderne Rußland stets darauf verwendet haben, Republiken zu vernichten. Novgorod und seine Kolonien führten den Reigen an, die Kosakenrepublik folgte, Polen schließt ihn ab.
(Karl Marx)

Marx’ Gedanken zur russischen Autokratie und zu einer Außenpolitik der Arbeiterklasse können als Antizipation des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verstanden werden.
Mit seiner «traditionellen auswärtigen Politik» des territorialen Expansionismus sah Marx den russischen Staat in einer Selbstbezüglichkeit und Maßlosigkeit verfahren, die der ökonomischen Bewegung des Kapitals ähnelt: Eine Eroberung ist nur der Ausgangspunkt für die nächste.
Marx wurde deshalb zu einem leidenschaftlichen Aktivisten für die Wiederherstellung eines unabhängigen polnischen Staats. Proudhon dagegen wollte im Namen des Weltfriedens das Gleichgewicht der Großmächte bewahren und Polen dazu in russischen Händen belassen.
Am Ende seines Lebens hat sich Marx auch mit der Geschichte der ukrainischen Unabhängigkeitskämpfe be­schäftigt. Die Abwehr autokratischer Übergriffe und die Selbstbestimmung demokratischer Republiken waren die unmittelbaren Ziele seiner zahlreichen Interventionen in die internationale Politik.
Eine Seite von Marx, die trotz ihrer Aktualität vielen heutigen LeserInnen unbekannt ist.

222 pages, Paperback

Published January 1, 2024

Reviews

[Florian Lorenzen]

Karl Marx ist uns vor allem als Philosoph und Ökonom in Erinnerung geblieben. Dass sich Marx allerdings auch zu außenpolitischen Sachverhalten äußerte, daran erinnert nun Timm Graßmann, der als Editor für die Marx-Engels-Gesamtausgabe an der BBAW tätig ist, in seinem Büchlein „Marx gegen Moskau. Zur Außenpolitik der Arbeiterklasse“, erschienen 2024 im Schmetterling Verlag.

Vor allem anhand Karl Marx‘ Engagement innerhalb der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) arbeitet Graßmann dessen außenpolitischen Positionen heraus. Sein Befund: Marx war ein dezidierter Gegner des russischen Imperialismus und zugleich ein solider Unterstützer der polnischen Arbeiter, die sich im Januaraufstand 1863/1864 gegen die russische Teilungsmacht stellten. Um sie zu stärken, plädierte Marx für Sanktionen gegen das Zarenreich und für eine substanzielle Unterstützung der polnischen Aufständischen. Innerhalb der IAA war diese Position jedoch hoch umstritten. Marx‘ Gegner, wie beispielsweise der Frühsozialist Proudhon, argumentierten stattdessen, dass die polnischen Aufständischen ein „Stolperstein der Diplomatie, des Völkerrechts und des Weltfriedens“ seien und zeigten sich einverstanden damit, Europas in bestimmte Einflusssphären aufzuteilen, gegen welche die polnischen Aufständischen nun verstießen.

Wer sich angesichts dieser „realpolitischen“ Argumente und des inner-linken Dissenses von damals an die heutigen Diskussionen zur Unterstützung der Ukraine erinnert fühlt, der liegt damit richtig. Es ist ein erkennbares Anliegen von Graßmann, diese historische Parallele zu ziehen und Marx gegen falsche Instrumentalisierungen von links in Schutz zu nehmen. Auch wenn mancher seiner Schlussfolgerungen vielleicht etwas überinterpretiert daherkommen, zeigt Graßmann grds. plausibel auf, dass bestimmte Teile der heutigen Linken – insb. diejenigen, die sich selbst in Tradition von Marx sehen –auf Argumente zurückgreifen wie einst dessen Gegner.

„Marx gegen Moskau“ ist politische Ideengeschichte, wie sie relevanter nicht sein könnte: Aktuell – Erkenntnisreich – Neue Perspektiven – und damit ein Jahreshighlight für mich

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