Jump to ratings and reviews
Rate this book

Die ultimative heimliche Wahrheit der Welt ...

Rate this book
David Graebers Vermächtnis

»Die ultimative heimliche Wahrheit der Welt besteht darin, dass wir selbst die Welt gestalten und sie genauso gut anders gestalten könnten.«

Kaum jemand dachte so frei, kaum jemand schrieb so geistreich gegen den Kapitalismus und die aus ihm erwachsene Unfreiheit David Graeber gehört zu den radikalsten Denkern der letzten Jahrzehnte. Dieser Band versammelt 18 so überraschende wie intellektuell anregende Texte zu seinen wichtigsten Themen – die Essenz seines Schaffens und sein geistiges Vermächtnis.

Warum akzeptieren wir Ungleichheit? Wieso sehen wir gesellschaftliche Hierarchien als gegeben an? Und warum nehmen wir die Ausbeutung durch den Kapitalismus einfach so hin? Der international anerkannte Anthropologe und Bestsellerautor David Graeber machte es sich zur Lebensaufgabe, die Widersprüche unserer Gesellschaft und deren Wurzeln schonungslos zu offenbaren. Durch seine scharfsinnig verfassten und gegen den Strich gebürsteten Publikationen hat er ein ganz neues Denken in die Mitte der Diskussionen getragen und unzählige Debatten befeuert. Diese Sammlung seiner bedeutendsten und teils bislang unveröffentlichten Essays sprüht förmlich vom Geist, der unwiderstehlichen Suggestion und dem überraschenden Witz Graebers. Die Auswahl, ergänzt um Interviews mit Thomas Piketty und Hannah Appel, umfasst alle Themen seines bedeutenden Antikapitalismus, soziale Ungleichheit, radikale Demokratie, Anarchie und grenzenlose Freiheitsliebe.

484 pages, Kindle Edition

Published August 16, 2025

2 people are currently reading
21 people want to read

About the author

David Graeber

107 books5,109 followers
David Rolfe Graeber was an American anthropologist and anarchist.

On June 15, 2007, Graeber accepted the offer of a lectureship in the anthropology department at Goldsmiths College, University of London, where he held the title of Reader in Social Anthropology.

Prior to that position, he was an associate professor of anthropology at Yale University, although Yale controversially declined to rehire him, and his term there ended in June 2007.

Graeber had a history of social and political activism, including his role in protests against the World Economic Forum in New York City (2002) and membership in the labor union Industrial Workers of the World. He was an core participant in the Occupy Movement.

He passed away in 2020, during the Covid-19 pandemic.

Ratings & Reviews

What do you think?
Rate this book

Friends & Following

Create a free account to discover what your friends think of this book!

Community Reviews

5 stars
3 (37%)
4 stars
2 (25%)
3 stars
3 (37%)
2 stars
0 (0%)
1 star
0 (0%)
Displaying 1 - 3 of 3 reviews
Profile Image for Frank.
588 reviews120 followers
September 2, 2025
Nicht alle Aufsätze sind herausragend, aber alle sind gut und zeigen einmal mehr, welch Verlust der frühe Tod des grandiosen Theoretikers und politischen Organisators Graeber ist, der hier zu Anfang ein paar biografische Details aus seiner Familiengeschichte zum Besten gibt.

Der erste Paukenschlag ist dann die "Wutrede über die Arbeit", in der es um Bullshit- Jobs geht. Zugespitzter als in seinem Buch wird die These formuliert, dass man weniger verdient, wenn die Arbeit anderen Menschen nützt und damit sinnvoll ist. Höhere Verdienste sind dort üblich, wo man mit Geld über die Sinnlosigkeit des Hin- und Hertragens von Akten hinweggetröstet werden muss. Eine These, die später weiter ausgebaut wird, u.a. durch das Postulat, dass die Staatsbürokratie mit den Unternehmensbürokratien so verschmolzen ist (weil nicht der Markt, sondern politische Macht die Wirtschaft regelt), dass genau dies Politikern immer wieder ermöglicht, sich als Gegner eines "starken Staates" aufzuspielen und in schöner Regelmäßigkeit "Bürokratieabbau" zu fordern, der natürlich nie passiert, weil eben die Verquickung der Bürokratien und die massenhafte Verstrickung der gut bezahlten Bürokraten in Lug und Betrug zur Basis des Machterhalts der ausbeutenden Klasse und ihrer willigen Helfer (der Bürokraten aller Ebenen) geworden ist. (Vgl. S. 73 f.)

In dem Text "Gegen die Wirtschaftswissenschaft" stehen Thesen, die heterodoxen Ökonomen zwar vertraut sind, die aber selten in solcher Schäre und Zuspitzung formuliert werden. Graeber ist sich ganz sicher: Finanzwirtschaft ist nur ein anderer Name für Schuldenwirtschaft und das Versilbern von Schulden letztlich das, was man heute "Kapitalismus" nennt. Klar, des einen Schulden sind des anderen Gewinn - vor allem auch, wenn es um Staatsschulden geht. So oder so muss der arme Mann vom Ertrag seiner Arbeit immer größere Teile abgeben, um die Renditeforderungen der Reichen zu erfüllen. (S. 51) Er versteht es nur nicht.

Nach einem anthropologischen Aufsatz über Schismogenese am Beispiel Madagaskars knüpft "Über Gewalt, Bürokratie und Interpretationsarbeit" wieder an Obiges an. Darin geht es um "strukturelle Gewalt". Graeber postuliert, dass Bürokratie nicht an sich sinnlos ist, aber sinnlos wird in dem Augenblick, in dem sie "soziale Situationen" handhaben muss, "die bereits unsinnig sind, weil sie auf struktureller Gewalt fußen." (S.150) Wer an die Verwaltung von Arbeitslosigkeit oder Bürgergeld usw. denkt, weiß, was gemeint ist. Dabei ist "Gewalt" freilich das Argument der Dummen, womit Graeber aber Probleme hat, da "strukturelle Gewalt" offensichtlich intelligent gebaut und effektiv ist. In "Die Bühne des Schlägers" beschäftigt er sich daher erneut mit der grundlegenden "Struktur von Herrschaft" und der Aufsatz ist verstörend originell: Obwohl wir intellektuell vielleicht für Frieden sind und Desertation begrüßen, verabscheuen wir doch "Feigheit (vor dem Feind)", weshalb es dazu kommen kann, dass afghanische, syrische oder ukrainische Männer mit dem Vorwurf leben müssen, nicht zur "Verteidigung ihrer Familien" bereit gewesen zu sein. Das eigentlich verstörende an diesem Ansatz ist aber, dass Graeber die Gründe dafür aus "Trieben" herleitet, die er bei Kindern beobachtet, weshalb er "Grund(schul)strukturen" für das anhaltende Phänomen der "Herrschaft" verantwortlich macht. Die "Raufereien" auf dem Schulhof, die (fast) immer ein Publikum, das Feiglinge verachtet, zur Voraussetzung hat, enden dort fast immer vor einem Schulleiter, dem es egal ist, wer angefangen hat. Damit werden Aggressor und Opfer (man denke auch an viele Kommentare zur Ukraine im gegenwärtigen Krieg) auf eine Stufe gestellt, was immer dem Aggressor zugute kommt, der genau das ab der Grundschule lernt. Aggressivität zahlt sich aus und Probleme bekommt der, der sich entweder nicht oder gezwungenermaßen endlich doch wehrt Resultat wie Bedingung des Ganzen ist "Die Grausamkeit der Menge" (S. 183), die Graeber auch mit Blick auf Vergewaltigungen als männliche Dominanzstrategie beobachtet. Auch hier kommt meist das Opfer schlecht weg, während sich der Täter in seinem "Ruhm" sonnen kann.

Hier wird das Problem "struktureller Gewalt" anschaulich als Problem eines Machtgefälles, in dem die Opfer gezwungen sind, sich in ihre Peiniger hineinzuversetzen. Das erzeugt oft Verständnis (Frauen finden dann auch, nicht an bestimmte Orte gehen zu dürfen) für die Peiniger, während die sich kaum Gedanken um ihre Opfer machen und deren Gefühle auch nicht kennen wollen. (Es hat ihr ja doch Spaß gemacht!) Dito im Verhältnis zwischen Politiker und Wähler oder Firmenchef und Arbeiter. Dabei ist das Verständnis der Arbeiter für die "Nöte" ihrer Herren das Problem, aus dem heraus sich "strukturelle Gewalt" immer wieder erneuert. Man denke an Gewerkschaften und ihre Bestrebungen, die Verwertungsbedingungen von Kapital zu verbessern, damit Arbeitsplätze erhalten bleiben. Konklusio: Wir sollten uns selbst ernst nehmen und das, was wir unseren Kindern erzählen, endlich selbst auch glauben und durchsetzen- zum Beispiel, dass Teilen und anderen Menschen helfen glücklich macht und Handlungen, die das Gegenteil bewirken (Konkurrenz!) von Übel sind. (S. 270f.)

In dem Aufsatz "Zu viel Fürsorge. Das ist der Fluch der Arbeiterklasse" geht es wiederum sehr einsichtsvoll um das Phänomen der Identifikation mit "denen da oben". Fürsorge wird positiv bewertet, aber der Fürsorgeempfänger (Schwächling) verachtet. So kommt es dann, dass sich sogar Reiche und Politiker wundern, warum die Leute nach einem Sozialkahlschlag nicht massenhaft auf die Straßen gehen, und Graeber gibt den Subtext: "Schließlich schreien wir [die reichen- F.S.] Zeter und Mordio, wenn jemand unsere Steuerschlupflöcher auch nur bedroht..." (S. 291) Aber daran rüttelt niemand von den Arbeitenden, die sich stattdessen fragen, ob Sozialämter oder Tafeln wohl legitim seien. Vor allem die Bullshitter fragen sich das nicht, weil sie längst korrumpiert sind und internalisiert haben, dass ihre vergleichsweise hohen Einkommen gerechtfertigt seien, weil sie schließlich Tag für Tag der Sinnlosigkeit ins Auge sehen müssen, während die Altenpflegerin täglich sieht, wozu ihre Arbeit gut ist. Soll sie also froh sein und dafür nicht auch noch gut bezahlt werden wollen!

Für mich spannend waren Graebers Überlegungen zur modernen Kunst. In der Tat geht das Paradigma der Kreativität von der Romantik aus, in deren Folge sich die Idee entwickelt, jeder Mensch sei eigentlich Künstler (siehe Beuys). Da aber nicht jeder über die dazu früher notwendigen Fertigkeiten verfügt, folgt daraus zwingend eine Ausweitung des Kunstbegriffs (Installationen, Collagen etc.). Man könnte nun denken, das sei die eigentliche Demokratisierung der sonst elitären Kunst aus Museen und Galerien (und im Falle von Breakdance, Hip Hop und allgemein der Infragestellung des Gegensatzes von "seriöser" und Pop-Kultur scheint das ja auch so zu sein), aber weit gefehlt: Kunst verkörpere zwar nach wie vor alternative Werte zur materiellen Stuss- Sphäre, aber gerade dadurch, dass sie von den Reichen und Bürokraten okkupiert wird, spiele sie eine "Schlüsselrolle bei der Reproduktion der umfassenderen Struktur gesellschaftlicher Beziehungen, die dafür sorgen, dass Kraftfahrern, Dienstmädchen, Bergleuten und Telefonwerbern weiterhin erzählt wird, ihre Leben und Sorgen seien uninteressant und unwichtig, und diejenigen ästhetischen und kulturellen Ausdrucksformen, die diese Menschen ansprechen, in die Zweit- und Drittklassigkeit verweisen." (S. 330) Das ist perfekt zugespitzt und großartig konkret gedacht!

Den Abschluss der Aufsatzsammlung bilden Überlegungen, die Thesen des Anarchisten Kropotkin mit dem Darwinismus konfrontieren und den Schluss nahe legen, dass "fit" nicht ist, wer sich im Überlebenskampf durchsetzt, sondern wer am effektivsten zur Erhaltung seiner Art mit anderen kooperiert. Daraus leitet Graeber den Schluss ab, dass die Menschheit in der Tat die Spezies sei, die es in der Kooperation am weitesten gebracht hat. Unser Glück liege also nicht im "Kampf" aller gegen alle um knappe Ressourcen etc., sondern im Ausbau von Kooperation und Solidarität. Interessanterweise sieht der Anarchist Graeber nicht in der Dienstleistungsklasse den Kern einer sich womöglich wieder formierenden "Arbeiterklasse", sondern er postuliert, es sei die Gruppe der Menschen, die Care- Arbeit leisten, die zur neuen "Sorgearbeiterklasse" werde und die in ihrem Selbstbewusstsein von links so gestärkt werden müsse, dass sie aus der Sinnhaftigkeit und Unverzichtbarkeit ihrer Arbeit auch den Anspruch auf einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert und also mindestens bessere Bezahlung ableiten kann. Von dort ist es bis zur Einsicht, dass wir auf Banken, Finanzdienstleister, Megayachten und Reichenpartys, kurz auf die Reichen an sich, verzichten könnten. Wenn eine Köchin fehlt, gibt es nichts zu essen, wenn ein Reicher fehlt, fehlt nichts (und man sage nicht, sein Geld für Investitionen: Wenn er sein Geld zugunsten der Allgemeinheit verliert, ist ein Betroffener nur noch als Mitglied der Gesellschaft, nicht aber als "Reicher" wichtig).

Was sagen? Man sollte mehr von diesem Anarchisten lesen, denn "Anarchismus" ist nicht - wie man uns immer wieder einreden will - Chaos, sondern entspringt aus dem Glauben an die Selbstregulierungsmacht von Gesellschaften, glaubt an Menschen, die nicht durch Verbote oder die Polizei zu vernünftigem Denken und Handeln gebracht werden müssen, sondern einfach durch Verhältnisse, die es ihnen ermöglichen, so zu sein, wie es ihnen ihre Eltern als Kinder vorgestellt haben. Kinder an die Macht? Ja, so ähnlich! Ein Buch, das man lesen sollte.
47 reviews
October 20, 2025
Ganz interessant, aber nichts neues und die Kapitel sind Recht wirr zusammengesetzt
Profile Image for WildesKopfkino .
707 reviews7 followers
September 2, 2025
Reine Kopfsprengung. Da liegt man nichtsahnend auf dem Sofa, klappt dieses Buch auf – und plötzlich ist der Kopf kein Kopf mehr, sondern ein knisterndes Feuerwerk aus Fragen, die man sich eigentlich nie stellen wollte, aber unbedingt stellen sollte. David Graeber packt einen bei den grauen Zellen und schleudert sie in eine Achterbahn, bei der es keine Sicherheitsbügel gibt. Ungleichheit? Kapitalismus? Hierarchien? Alles einmal auseinandergerissen, neu zusammengesetzt und mit einem frechen „Muss ja nicht so bleiben“ versehen.

Was Graeber so einzigartig macht, ist diese Mischung aus bitterernstem Stoff und funkelndem Witz. Man liest, lacht, nickt, flucht, liest weiter. Anarchie klingt plötzlich nicht nach Chaos, sondern nach dem gesündesten Gedankensalat, den man sich antun kann. Und diese Essaysammlung fühlt sich an, als würde man Graeber persönlich beim Denken erwischen: neugierig, scharf, verspielt, unbequem.

Besonders spannend sind die Texte, die bisher unveröffentlicht waren – kleine Schatztruhen voller Denkanstöße, die einem den Alltag versauen können. Aber auf die beste Art: Plötzlich sieht man jede Werbung, jede Chefansage, jedes „Das war schon immer so“ mit völlig anderen Augen. Interviews mit Piketty und Appel sind das Sahnehäubchen obendrauf – klug, direkt und so gar nicht verstaubt.

Fazit? Kein Buch zum Nebenbeilesen, sondern eins, das nachhallt. Wer keine Lust hat, sein Weltbild mal ordentlich durch den Mixer zu jagen, sollte die Finger davon lassen. Aber wer bereit ist, sich auf die ultimative heimliche Wahrheit einzulassen, bekommt hier nicht nur Lektüre, sondern eine Denkparty deluxe.
Displaying 1 - 3 of 3 reviews

Can't find what you're looking for?

Get help and learn more about the design.