Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten ist Anderssein gefährlich – lebensgefährlich. Und Josef ist anders. Geräusche und Stimmen füllen seinen Kopf mit Farben, kleinste Veränderungen in seinem Alltag, verunsichern ihn; erst mit sieben Jahren spricht er sein erstes Wort. Nach heutigem Verständnis würde man ihn dem Autismus-Spektrum zuordnen. In einem Dorf am deutschen Bodenseeufer führen Josef und seine Mutter Martha ein karges Bauernleben am Rande der Dorfgemeinschaft. Als Josef endlich zur Schule gehen darf, scheint sich sein sehnlichster Wunsch zu erfü Dazugehören. Unter der fördernden Obhut des Lehrers entfaltet er seine besonderen Begabungen. Über die Jahre jedoch macht sich die NS-Diktatur auch in seinem entlegenen Dorf bemerkbar, und das Gift der Propaganda beginnt zu wirken. Der Hass auf Josef wächst, seine wenigen Vertrauten beginnen zu verschwinden, und Josef muss sich entscheiden. Sabine Eschbach erzählt einfühlsam und poetisch von der Farbenpracht einer ganz besonderen Weltwahrnehmung, aber auch von der Gefahr des Andersseins.
Bedrückend, niederschmetternd und eindrucksvoll leuchtet Sabine Eschbach das Schicksal eines Sonderlings und Einzelgängers in der nationalsozialistischen Zeit der dreißiger Jahre aus. Dabei versteht sie es sprachlich virtuos und empathisch, uns die Innenwelt des Jungen, dem bei dem man heutzutage eine Autismus-Spektrums-Störung diagnostizieren würde, nahezubringen. Auch die Darstellung der verbrecherischen Haltung und brutalen Handlungen der Nazis und - viel schlimmer - der ruchlosen Mitläufer und gewissenlosen Profiteure fasziniert. Allein die Figur der Mutter des Jungen macht das Buch lesenswert. Ich wünsche "Seerauchen" viele LeserInnen. Denn das Buch fesselt, reißt mit und hallt lange und intensiv nach.