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Die Schrecken der anderen

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Wie zeigt man etwas, das längst alle sehen? Martina Clavadetscher, Schweizer Buchpreisträgerin und eine der renommiertesten deutschsprachigen Autorinnen, macht den unsichtbaren Elefanten im Raum sichtbar und fragt nach der Verantwortung von Literatur. Gekonnt erzählt und voller eindrücklicher Bilder trägt dieser Roman seine beängstigende Aktualität schon im Das könnte die Geschichte jedes Menschen sein. In jedem Land, zu jeder Zeit. Solange niemand aus den Schrecken der anderen lernt.

Ein Junge stößt beim Schlittschuhlaufen auf einen Toten im Eis und den Beginn einer sonderbaren Geschichte. Kern, ein schwerreicher Erbe, kann nicht länger ignorieren, dass seine Augen schwächer werden. Doch will er überhaupt klarsehen? Da ist Kerns hundertjährige Mutter, die den größten Teil des Tages im Dachgeschoss der Villa im Bett liegt, und doch mit brutaler Konsequenz die Fäden in der Hand hält. Da ist Schibig, ein einsamer Archivar, der sich mitreißen lässt von Rosa, der Alten aus dem Wohnwagen, die an den eigentlich unspektakulären Vorfällen ein spektakuläres Interesse hat – weil sie versteht, dass nichts je ins Leere läuft, sondern alles miteinander verbunden Der Tote im Eis, die Zylinderherren im Gasthof Adler, Kerns Frau, die sich weigert, Kreide zu essen, ein geplantes Mahnmal, bedrohliche Bergdrachen und andere hartnäckige Legenden.

333 pages, Hardcover

Published July 4, 2025

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Martina Clavadetscher

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6 (6%)
1 star
1 (1%)
Displaying 1 - 27 of 27 reviews
Profile Image for Linus.
11 reviews
August 21, 2025
2 Handlungsstränge:
1. Reicher loser wird von seiner Frau betrogen und von seiner Mutter unterdrückt. (genauso spannend wie es sich anhört ist es auch)
2. Ein Archivar und eine alte Frau probieren einen Mord auf zu klären woraus sich was größeres entwickelt.
Das Duo harmoniert ganz gut und an die gestochene Sprache hab ich mich nach ner zeit gewöhnt deswegen drei sterne.
Profile Image for Johanna Berger.
123 reviews5 followers
June 8, 2025
McGuffin „ist der Begriff für mehr oder weniger beliebige Objekte oder Personen, die in einem Film dazu dienen, die Handlung auszulösen oder voranzutreiben, ohne während der Handlung selbst von besonderem Nutzen zu sein.“ (Wikipedia) Hitchcock soll den Begriff geprägt haben. Manchmal ist ein McGuffin dennoch von etwas größerer Bedeutung, die sich erst gegen Ende der Geschichte ergibt. Der Tote im Eis des Schweizer Ödwiler Sees, der die Handlung des Romans ins Rollen bringt, heißt McGuffin. Aha!

Es liegt etwas im Eis, das aussieht wie eine Leiche. Ein Junge hat sie beim Schlittschuhlaufen entdeckt. Finden wollte er die Methanblasen aus dem See. Ein Stück Jeansstoff, das vielleicht zu einem Menschen gehört, ragt vor ihm aus dem Eis. Der zuständige Polizist ist zu beschäftigt, um die Sache zu untersuchen und schickt einen Bekannten, den menschenscheuen Polizei-Archivar Schibig, damit der nachschaut, ob das wirklich eine Leiche ist. Der hat eine Angststörung, oft Panikattacken. Da war etwas Schreckliches in seiner Jugend, das er nicht vergessen kann. Dennoch geht er aufs Eis, von Weitem beobachtet von der recht merkwürdigen alten Rosa. Die hat noch eine Rechnung offen und braucht einen Partner in crime. Um die Aufklärung des Mordes an McGuffin geht es eigentlich bald nur noch am Rande. Das sei „kein Krimi“, meint sie, aber bald ist sie sich nicht mehr so sicher.

„Eine Rückkehrerin, eine ländliche Gegend, das skurrile Auftreten, die bunten Kleider, die Notizen, der heimliche Plan, die Mächtigen vor Ort werden in eine komplexe Falle gelockt, und die Übeltäter bezahlen für ihre damaligen Taten, sie schaufeln sich (sozusagen) ihr eigenes Grab, und zum Schluss lacht allein die alte Rosa, da sie mit ihrer Gerechtigkeit davonkommt, so entgleiten Schibig die Gedanken …“

Es gibt einen Verein mit Zylinder tragenden Größen der Gesellschaft, die gern für „gute Zwecke“ spenden, für eine Gemeinschaft wandernder Jungmänner etwa oder für Bildungsstätten, die die „richtigen Werte“ vermitteln. Im Mittelpunkt eine Alte im Dachgeschoss einer Villa, ein Überbleibsel aus alter Zeit, die trotz völliger Hinfälligkeit die Fäden in der Hand hält. Es geht im Kern (so auch der Name ihres Erben) um Nazigeld und -gold, um alte und neue Nazis und darum, was man sehen kann und was sich hinter Brillengläsern verschiebt. Eigentlich ist alles sichtbar, man muss es nur sehen wollen. Die Wahrnehmung zählt. Und dann muss das Handeln folgen, denkt Rosa. Wenn nicht, werden die Schrecken der anderen die eigenen Schrecken.

Eine sehr heutige Geschichte. Spannend (mit ein paar Längen im ersten Teil) und mit Witz erzählt. Kantig, humorvoll und todernst. Bergdrachen immer dabei. Machmal senden sie Rauchfahnen, damit man sie nicht vergisst.
Profile Image for janasbuecherwelt.
304 reviews21 followers
July 9, 2025
"Die Schrecken der anderen" von Martina Clavadetscher ist für mich persönlich ein absolutes Highlight.

Zunächst hatte ich viele Fragen, hab mir oft gedacht, dass mir etwas in der Geschichte/Handlung fehlt, aber dennoch wollte ich immer weiterlesen. Immer mehr wissen, meine ganzen offenen Fragen klären. Einfach wissen, was die Autorin mit der Geschichte machen möchte und wie das alles zusammenhängt.
Dies ist ein Buch, bei dem es sich definitiv lohnt, dran zu bleiben.

Wie es so schön auf der Seite des Verlags heißt: "Das könnte die Geschichte jedes Menschen sein. In jedem Land, zu jeder Zeit. Solange niemand aus den Schrecken der anderen lernt." und ja. Dem kann man einfach nur zustimmen.

Für mich ein ganz großes Wow! Wow, was die Autorin abliefert. Wow, was die Geschichte mit mir macht, beim Lesen und auch jetzt noch Wochen danach. Wow, wie sich alles entwickelt. Ich wurde einfach sprachlos und total überwältigt zurückgelassen. Es gab so einen guten Plottwist, und ja. Ich denke gerne an die Geschichte und hoffe sehr, dass viele diese lesen werden und genau so einen Wow-Effekt mitnehmen können.

Buchdetails: erschienen am 10.07.2025 im C.H. Beck Verlag - 333 Seiten - gelesen als Hardcover (25,00€)
Profile Image for Franziska Nyffenegger.
214 reviews49 followers
August 3, 2025
Ein Pageturner, anders lässt sich dieser "Scheinkrimi" nicht beschreiben. Ich bekam ein Vorab-Leseexemplar, war ein wenig skeptisch, Schweizer Gegenwartsliteratur, naja, und umso positiver überrascht. Wie ein Roman von Martin Suter, aber besser, sorgfältiger und sprachlich interessanter, so sei es mir vorgekommen, sagte ich der Autorin im Gespräch und sie war nicht beleidigt. In seinen Anfängen ("Die dunkle Seite des Mondes") sei Suter ja wirklich gut gewesen, damit lasse sie sich gerne vergleichen. – Vier und nicht fünf Sterne, weil "Die Schrecken der anderen" dann doch etwas gar viel zu verpacken versucht (für mich braucht es nicht auch noch einen Drachen …).
Profile Image for Perlapequena.
7 reviews
September 2, 2025
"Das Aufdecken der Geschichte ist eines, Hinschauen, ein Zweites. Aber wir wissen alle, das Schwierigste ist ein Drittes, und zwar daraus zu lernen und entsprechend zu handeln"

Ein Junge wird unter einer Eisschicht tot aufgefunden.
Eine alte Dame animiert einen zurückgezogen Archivar mit ihr in diesem vermeintlichen Selbstmordfall zu ermitteln.
Ein reicher Erbe mit einer 100-jährigen pflegebedürftigen Mutter unter dem Dach versucht erfolglos einen Stammeshalter zu zeugen.
Was als Krimi startet, ist schnell so viel mehr. Nach und nach werden die Erzählstränge miteinander verwoben. Sie reichen von den Verbrechen des Nationalsozialismus bis in die heutige Gegenwart.
61 reviews
June 12, 2025
Diese Schrecken sind meine und doch nicht meins

Die Autorin Marina Clavadetscher konnte mich mit ihrem Roman „Die Erfindung des Ungehorsams“ seinerzeit sowohl erzählerisch als auch inhaltlich überzeugen. Auch dieser vorherige Roman der Autorin ist zunächst ähnlich verwirrend aufgebaut, wie der vorliegende „Die Schrecken der anderen“, nur konnte mich hier die Geschichte leider nicht überzeugen.

Es geht um die Machenschaften von Alt-Nazis und Jung-Nazis in der Schweiz mit Blick auf die historischen Verwicklungen von Schweizer Geldhäusern und reichen oder noch-nicht-reichen Schweizern zu Zeiten des Nationalsozialismus als Staat, der die Neutralität ja angeblich mit Löffeln gefressen hat. Es geht darum, dass unter dem Deckmantel der Neutralität und Verlässlichkeit eine hässliche Fratze versteckt ist, die es aufzudecken gilt, sonst „wiederholt sich Geschichte“. Geschichte kann sich ja als solche nicht wiederholen, es kann nur zu ähnlichen Bewegungen in der Gesellschaft kommen und diese treten heutzutage aus dem Hintergrund immer mehr zutage. Altes Geld wartet darauf, alte reaktionäre Anliegen in den Händen von neuen Akteuren zu unterstützen. Wir müssen also nicht nur wachsam sein, sondern auch aktiv dagegen vorgehen. Dies ist die Quintessenz des Romans.

Vermittelt wird dies durch mehrere Erzählstränge, die sich immer stärker annähern. Weiß man zunächst noch nicht, was der agoraphobische Archivar der Polizei mit dem auf seine Millionen wartenden Erben oder die komische alte Hippie-Frau aus dem Wohnwagen mit der hundertjährigen Mutter des wartenden Erben zu tun hat und das alles mit einem Toten in einem gefrorenen Bergsee, so kommt nach und nach alles zueinander.

Sprachlich macht dies die Autorin wieder einmal top. Es gibt Sprachbilder, die mir im Gedächtnis bleiben werden und unglaublich stark sind. Wie eine Beschreibung der strengen Prägung durch die hundertjährige Mutter auf den mittlerweile nun auch nicht mehr jungen Sohn auf Seite 16, wenn sie mit der Naturgewalt von mächtigen Gesteinsbewegungen eines Bergmassivs verglichen wird:

„Sie sitzt tadelnd in ihm, egal wohin er selbst in Gedanken geht, ihre verbalen Anfälle geschehen direkt in deinen Hirnwindungen. Ihre eisigen Worte schieben sich wie eine Gletscherzunge durch sein Gehirn, und am Ende bleibt das Geröll in seinem Gedächtnis liegen, verdreckt und schwer. Jede Mutter hinterlässt ihre Ablagerungen.“

Und trotzdem konnte mich der Kniff der Autorin neben der Handlung her auf der Metaebene zu arbeiten und die Handlung literaturwissenschaftlich zu hinterfragen und zu definieren nicht überzeugen. So wird die Struktur der Geschichte immer wieder offen gelegt. Es heißt vom Verlag, damit „macht [Martina Clavadetscher] den unsichtbaren Elefanten im Raum sichtbar und fragt nach der Verantwortung von Literatur“. Und genau diesen Part habe ich schlicht und ergreifend nicht verstanden. Beziehungsweise habe ich das Gefühl es nicht in dem Ausmaße verstanden zu haben, wie es die Autorin vielleicht intendierte. Der Tote im Eis heißt McGuffin mit Nachnamen. Sie spielt auf einen Begriff an, den Hitchcock prägte, und der ein beliebiges Objekt oder Person beschreibt, das oder die die Handlung vorantreibt, ohne selbst von besonderem Nutzen zu sein. Ja, so ist es auch mit unserem Toten. Aber was will mir das sagen? Was soll diese Krimihandlung, wenn es der Autorin doch um das Wiedererstarken des rechten Gedankengutes geht? So muss sie uns auch zwischendurch immer wieder darauf hinweisen, was sie mit ihrem Roman auf anderer Ebene vorhat: „Bei undurchsichtigen Geschichten geht es oft um Ausdauer. Und um den richtigen Handlungsträger.“ (Ausdauer der Leserin: Check. Richtiger Handlungsträger: offen, eher nein.) Oder: „Nichts läuft je ins Leere. Alles ist miteinander verbunden.“ (Okay, ja. Und nun?) Und „Was passiert war, war passiert.“ (Amen.)

So bleiben außer ein paar griffigen Sätzen und ein paar genaueren historischen Informationen, wie in und nach der Zeit des Nationalsozialismus Schweizer bekannten Nazis geholfen haben nicht nur Gold, Kunstwerke sondern auch sich selbst aus Europa wegzuschaffen, nur Fragen aus dieser Lektüre. Ich habe immer noch auf den großen Clou gewartet, aber er kam nicht und letztlich war ich einfach nur froh, dass die Lektüre vorbei war. Sehr schade.

2,5/5 Sterne
88 reviews
June 9, 2025
Das Leben ist ein langes Heute (S. 236)
Ein Titelbild wie ein Stillleben altflämischer Meister, wenn der Vogelkopf nicht aus dem Rahmen hängen würde, und dadurch stutzig macht. Die Handlung beginnt zunächst gradlinig: ein Junge entdeckt in einem winterlich zugefrorenen See beim Eislaufen eine Leiche, ein Polizist bittet einen befreundeten Archivar auf den See hinaus zu gehen und die Meldung zu überprüfen und zu bestätigen, ob es sich tatsächlich um einen toten Menschen handelt. Ab jetzt teilt sich die Handlung in zwei parallel verlaufenden Strängen: einerseits der Archivar und sein Kreis, hauptsächlich bestehend aus Rosa, einer alten Frau die in einem Wohnwagen unweit des Ufers des Sees lebt, und dem Archivar Schibig selbst, mit Episoden artigen Auftritten anderer, wie da wären Boll oder die Tochter der alten Frau.
Und andererseits Kern, reich, verheiratet mit Hanna, und Sohn der fast hundertjährigen Frau Kern-Kübler, die ihrerseits tief in die Machenschaften ihres Vaters verstrickt ist. Der Vater, einstiger Großbauer, hatte sich mit den Nazis aus dem Nachbarland eingelassen und kam so zu Reichtum und vermehrte den nach den Krieg weiter, hielt die Gesinnungsfahne hoch, verkehrte in den rechten Kreisen und seine Tochter ebenso. Kern selbst möchte das nicht, fühlt sich machtlos, sowohl der alles bestimmenden Mutter gegenüber als auch den gesellschaftlichen Kreisen, in denen er dank seiner Position verkehren muss.
Wenn’s um Geld geht, hört die Neutralität auf. Die Schweiz hat sich ihre Neutralität schwer bezahlen lassen. Flüchtende Juden, denen in Deutschland der Tod drohte, mussten schweres Geld für sich und ihre Familienangehörigen zahlen, um aufgenommen zu werden. Die Investitionen der reichen Nazigrößen in der Schweiz wurden gerne und ohne Fragen angenommen und getätigt, wie auch die Gelder der Potentaten und Despoten nach dem zweiten Weltkrieg. Ceausescu hatte hier geheime Konten, Imelda und Ferdinand Marcos, Putin und seine Oligarchen, arabische Machthaber, Die Liste ist endlos. Banken und Wirtschaft sind eng miteinander verzahnt. Der Rubel muss rollen.
Es ist diese unerwartete Offenlegung einer bisher totgeschwiegenen Vergangenheit und ihre Fortführung in der Gegenwart, die uns überrascht. Die Greisin hält die Zügel fest in der Hand, terrorisiert ihren Sohn und Schwiegertochter, lästert über ihre Pflegerin, doch es steckt viel mehr dahinter, sie hat finstere Pläne.
Am Ende des Romans sagt Rosa zu Schibig: “- Und jetzt machst du ohne mich weiter, erfinde dich neu, lebe und liebe im Jetzt" (S. 326), um mit der Vergangenheit abzuschließen. “- Das Leben ist ein langes Heute. Und seine vielen Möglichkeiten sind das Schönste daran. Reise, Schibig, und verlieb dich, ja, verlieb dich! Das ist sowieso zu empfehlen, sooft und solange man nur kann,” (S. 326)
Clavadetscher offenbart viel, indem sie es nicht ausspricht. Wir verfolgen teilweise den inneren Monolog einiger Gestalten, der manchmal Züge des Bewusstseinsstroms annimmt. Das erlaubt uns, näher an diese Personen zu kommen, sie besser zu verstehen.
Die zwei Handlungsstränge vereinigen sich nicht wirklich im Roman. Es gibt ein paar punktuelle Berührungen, die uns das ganze Ausmaß des Ungesagten erahnen lassen, aber es gibt am Ende keinen großen gemeinsamen Fluss. Die Welten der Protagonisten sind zu verschieden, um zusammenkommen zu können, und das ist gut so.
War und ist die Schweiz wirklich so neutral, wie sie immer tut?
Profile Image for Lizzy Curse.
298 reviews10 followers
October 16, 2025
„Bei undurchsichtigen Geschichten geht es oft um Ausdauer. Und um die richtigen Handlungsträger. Es braucht immer einen Helfer wie auch einen (…) Helden.“

Was sich auf den ersten Seiten (ohne den Klappentext zu beachten) als ein klassischer Kriminalfall darstellt, taucht bald tief in die Vergangenheit ein und fragt nach Schuld, versucht das Dunkel der Geschichte zu beleuchten und schlägt einen erschreckenden und wahren Bogen in unsere Zeit.

Ein Junge findet in einem Schweizer Örtchen einen Toten im Eis. Der eilig herbeigerufene Archivar, der die Echtheit der Leiche bestätigen soll, wird von den Ereignissen verschlungen. Rosa, eine Seniorin aus dem Wohnwagen in der Nähe, schließt sich mit ihm zusammen und ermittelt. Da ist Kern, der in einer gescheiterten Ehe lebt und obendrein seine beinahe 100jährige Mutter zuhause hat - bettlägerig und trotzdem die Spinne im Netz von weitreichenden Ereignissen.

Sobald man die erste Schicht des Krimis vom Roman abgekratzt hat, offenbart sich ein düsteres Stück der Vergangenheit - Clavadetscher hat über die Nazikonten geschrieben, über die Rolle der Schweiz in diesem Geldtransfer und über deren Nachfahren. Und über das Heute. Und darüber, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben.

Das Duo aus dem unter Angstzuständen leidenden Archivar Schibig und Rosa muss man einfach gern haben. Sie sind ein schrulliges Duo, doch insbesondere hinter Rosa steckt mehr als der Lesende zunächst vermutet. Ich mochte die Kapitel mit den beiden sehr - werden sie doch von einem anfänglich geteiltem Kaffee zu Freunden über das Buch hinweg, was beide eigentlich schon lange gebraucht haben, aber besonders Schibig sich nie eingestehen wollte. Die Gespräche zwischen den beiden waren für mich ein Highlight des Buches - auch der Stil, in der zB. Rückblenden von ihm gehalten waren. Man merkt, dass die Autorin da einen besonderen Kunstgriff angewandt hat um, das Stück der Geschichte noch mal besonders hervorzuheben.

Kern habe ich immer als eine Figur am Rande des Abgrunds empfunden. Es war ein Drahtseilakt zwischen seiner psychotischen Mutter, dem unerfüllten Kinderwunsch von Hanna und ihm und der Traurigkeit, die anstelle ihrer Liebe getreten ist. Kern lieferte einen wichtigen Baustein - er hatte Zugang zur oberen Bevölkerungsschicht und die Erkenntnisse haben mir einen Schauer über den Rücken laufen lassen.

Ckavadetscher stellt immer die Frage in den Vordergrund, ob wir weiter Wegschauen wollen. Ob wir stumm dulden wollen, was vor unseren Augen geschieht. Ob wir nicht aus dem Schrecken der anderen gelernt haben - das ist die eindringlichste Frage, die „Die Schrecken der Anderen“ an uns stellt.

Dass man so ein Werk nicht ohne ein solides Konstrukt erzählen kann, ist mir klar. Trotzdem haben für mich die Verstrebungen und Anker an manchen Stellen zu sehr durchgeschimmert, insbesondere an den Punkten, an denen sich die beiden Erzählperspektiven verschränken, auch im Bezug auf die Vergangenheit.

Clavadetscher hat einen eindringlichen und besonderen sprachlichen Stil, den ich teilweise sehr gelungen fand, manchmal auch sehr passend zur jeweiligen Situation und Figur. Doch richtig gebrannt habe ich für ihren Stil nur an wenigen Stellen.

Ein eindringlicher Roman, der eine beklemmende Atmosphäre webt und uns immer wieder daran erinnert, das Wegschauen auch Schuld gebiert. Die Themen sind historisch und aktuell wie nie, auch wenn der Roman für mich kein Highlight war, nehme ich trotzdem einiges daraus mit.

Profile Image for lauras_garden_of_books.
400 reviews13 followers
July 13, 2025
„Das ist kein Krimi (…) - Das habe ich ihm auch schon gesagt, aber mittlerweile bin ich mir da selbst nicht mehr sicher, schließlich ist alles miteinander verbunden.“ (S.230)

Dieses Buch in ein Genre einzuordnen, führt vor eine Herausforderung. Ist es ein Krimi? Zu Teilen schon. Ist es ein Gesellschaftskritischer Roman? Definitiv! Ist es eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des 2. Weltkriegs? Auf jeden Fall!

Martina Clavadetscher hält hier verschiedene Fäden in der Hand, die sie gekonnt auf eine bizarre, mysteriöse und skurrile Art und Weise verbindet und damit den Nagel auf den Kopf trifft!
Es beginnt mit dem Fund einer Leiche in einem zugefrorenen See. Schnell als Unfall oder Selbstmord abgetan, verschwindet er wieder in der Versenkung. Doch nicht ganz. Denn eine alte Frau, die von irgendwo aus der Welt wieder zurückgekommen ist um alte Rechnungen zu begleichen, und ein Archivar, der unter Angststörungen leidet, finden zusammen, forschen gemeinsam nach und entwickeln dabei eine tiefe Freundschaft.
„Wir sind höchstens ein paar lästige Fliegen, ein Störfaktor. Beobachtend, klein und unwichtig, könnte man denken, wir werden nicht ernst genommen, aber wir sind hartnäckig. Landen auf Misthaufen, matschigen Kadavern und landen danach auf Porzellantellern. Wir fliegen hin und her und erinnern hüben wie drüben, dass das andere existiert, das Saubere und das Dreckige. Und Scheiße liegt ja bekanntlich überall, wir müssen also nur etwas herumfliegen.“ (S.109)
Die Ermittlungsarbeiten und die Freundschaft bringen auf beiden Seiten etwas ins Rollen und wir tauchen immer tiefer ein in die Geheimnisse aller Beteiligten - denn „Alles ist miteinander verbunden“ - der zentrale Satz des Romans. Was sehen wir, wenn wir wirklich hinschauen, wollen wir überhaupt wissen, was wir dort sehen werden oder bleiben wir lieber blind für das Wesentliche? Und sind wir bereit die gescheiterten Pfade zu verlassen und einen neuen Weg einzuschlagen?
Die Geschichte ist voller Schrecken und Abgründe - das Cover bringt es symbolisch treffend rüber.
„Dann steht er einfach da, mitten im weißen Nichts, zwei Meter vor ihm der Tod, und er fühlt sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Jetzt bin ich doch direkt in der Gegenwart gelandet, merkt Schibig, und es fühlt sich gar nicht schlecht an. Im Gegenteil.“ (S.33)
Der Schreibstil ist ganz besonders und fesselnd und hat mich direkt an den Seiten kleben lassen - Vergleichbares habe ich noch nicht gelesen! Bildhaft und einen Sog entwickelnd. In diesem Buch habe ich die für mich bisher am kunstvollsten gestaltete Rückblende gelesen: hier wird die Vergangenheit eines Protagonisten nicht einfach nur „nacherzählt“ - nein, hier bekommen wir 7 Ansichtskarten, dessen Bilder und kurze Texte uns nach und nach einen Einblick gewähren - das fand ich absolut fantastisch und kunstvoll!!

Ein Roman, der definitiv speziell und sicherlich nicht für Jeden etwas ist, der mich aber in seinem kunstvollen Facettenreichtum sehr begeistern konnte, auch wenn ich vom Gelesen oft verschreckt war - aber das ist auch Sinn und Zweck der Geschichte! Sie soll wehtun und zum Nachdenken anregen. Prädikat LESENSWERT
Profile Image for Madame F.
252 reviews3 followers
August 5, 2025
„Das Aufdecken der Geschichte ist eines. Hinschauen, ein zweites. Aber wir wissen alle, das Schwierigste ist ein Drittes, und zwar daraus zu lernen und entsprechend zu handeln.“
Zunächst war es eine Coverliebe. Dann der Klappentext. Dann die gemischten Reaktionen anderer Blogger:innen. Worauf lasse ich mich hier ein? Martina Clavadetschers „Die Schrecken der Anderen“ ist kein Buch, was sich schnell nebenher lesen lässt. Ein zurückgezogener Archivar stößt im gefrorenen Bergsee auf eine mysteriöse Leiche – und wird dabei von einer rätselhaften, schrulligen Alten in einem Wohnwagen beobachtet. Hinter der anfänglich losen Aneinanderreihung von Erzählsträngen verbergen sich jahrzehntelange Verschwörungen, in deren Zentrum ein reicher Geschäftsmann namens Kern, seine jüngere Frau und dessen fast hundertjährige Mutter stehen, die alle auf ihre Weise in familiäre und politische Intrigen verstrickt sind.
Zu Beginn habe ich mich richtig mühsam durch die ersten Kapitel gekämpft – in dieses ruhige Lesetempo und die Syntax musste mich erstmal einlesen! Die Autorin gönnt sich üppige, verschachtelte Sätze, die sich gerne mal über eine Seite hinwegziehen und damit ganz bewusst ein anderes Leseerlebnis schaffen als den „Ich-muss-jetzt-ein-Kapitel-verschlingen“-Modus vieler anderer aktueller Bücher. Ehrlich gesagt: Ich habe eine kleine Ewigkeit gebraucht, um in diesen Rhythmus hineinzufinden.
Nach ca. einem Drittel (und einer gehörigen Portion Frustration) passierte dann etwas Faszinierendes: Die Perspektiven verknüpften sich, die mysteriöse „Alte“ trat deutlicher hervor und offenbarte nicht nur ihren schrulligen Charme, sondern auch einen messerscharfen Verstand. Diese hundertjährige skeletthafte Matriarchin, die den Großteil des Tages im Dachgeschoss-Bett verbringt und dennoch so einige Fäden in der knochigen Hand hält, ist für mich die gruseligste Figur des Buches! Da treffen zwei alte Frauen von ganz verschiedenen Weltanschauungen aufeinander!
Ganz anders verhält es sich mit Schibig, der eigentlich als Hauptfigur eingeführt wird, aber mehr als ruhender Pol fungiert denn als sich entwickelnde Person. Parallel erzeugt das irre Drama um alte Nazi-Konten ganz realen, aktuellen Grusel. Dieses Nebeneinander von poetischer Ruhe und beklemmender Gegenwartsanalyse hat bei mir eine sehr ungewöhnliche Spannung hinterlassen.
Unterm Strich ist „Die Schrecken der Anderen“ ein mutiges Buch: Es mischt historische Fakten mit Fiktion, warnt eindringlich vor dem kollektiven Verdrängen (Stichwort: Schweizer Vergangenheit während der NS-Zeit) und öffnet einen unerwarteten Blick auf die Verantwortung der Nachgeborenen. Dass ich dafür erst einmal „warm werden“ musste – geschenkt! Wer sich auf diese ungewöhnliche Erzählweise einlässt, wird reich belohnt: mit einer schrullig-skurrilen Heldin, einem echten Schauer über die Realität und dem Bewusstsein, dass Vergessen bequemer, aber gefährlich ist. Meine vier Sterne gelten dem Mut zur Langsamkeit, der feinen literarischen Hand und eben jener Alten, die hier alles zusammenhält.
92 reviews1 follower
June 2, 2025
alte, verabscheuungswürdige Seilschaften
Der Roman beginnt wie ein Krimi. Eine Leiche, ein Polizist. Eine geheimnisvolle Zeugin.
Nur ist hier alles anders als normal. Der Leichnam im See hätte bei diesen Witterungsbedingungen gar nicht „hochkommen“ dürfen. Es ist Winter, kalt und der See ist zugefroren.
Der Polizist wurde kaltgestellt, arbeitet eigentlich nur noch im Archiv. Und plötzlich wird er, Schibig, zu einer Leiche gerufen. Dadurch erwachen plötzlich seine Lebensgeister, er wird aktiv und versucht den Fall auf eigene Faust zu lösen.
Die Zeugin, meist nur „die Alte“ genannt, ist sehr seltsam. Am Anfang total schrullig, ein wenig wie eine Hexe. Ich habe mich manchmal sogar gefragt, ob sie nur in Schibigs Gedanken existiert. Doch manchmal greift sie tatkräftig ein.
Und da ist auch noch Kern und seine Frau. Sehr gutsituiert ist Kern Mitglied in einem exklusiven Club. Dort werden viele Rädchen gedreht, von den Mächtigen und Reichen. Kerns Frau ist damit beschäftigt schwanger zu werden. Da es mit ihrem Mann nicht klappt, versucht sie es anderswo. Oben im Dach ihres großzügigen Hauses lebt noch die pflegebedürftige Mutter Kerns. Sie scheint nur Unsinn zu reden, spielt aber im Laufe des Buches immer mehr Macht aus.
Alles ist etwas verworren und wird ein immer mehr verknotetes Knäuel.
Am Ende geht es um alte Naziseilschaften, anscheinend findet das auch heute noch in der Schweiz Anklang. Vor allem, weil es um viel Geld geht. Zufällig habe ich in einem Film letztens ganz ähnliches gesehen. Echt ekelerregend, dass es so etwas heute noch gibt. Das altes Nazigeld heute noch benutzt wird, um diese üblen Gedanken finanziell zu unterstützen. Und dann noch in der neutralen Schweiz.
So ganz konnte ich nicht alle Knoten entwirren, manchmal war es mir zu irre, wurden aus meiner Sicht nicht alle losen Enden verfolgt. Vielleicht steht der Tod am Ende des Romans für die Hoffnung, diese Ideologien endlich totzubekommen.
Anfang durchaus spannend und sprachlich ansprechend, verlor ich doch in der Mitte die Lust zum Weiterlesen. Erst der Schluss konnte mich wieder packen.
Profile Image for j.and.the.boys .
98 reviews1 follower
June 8, 2025
. Hast du Lust auf einen literarisch anspruchsvollen Krimi? Einen fast schon poetischen Krimi, der dich mit seiner Geschichte fesselt und lange nicht mehr loslässt? Dann solltest du „Die Schrecken der Anderen“ lesen. Mich hat es sehr beeindruckt, wie Clavadetscher es schafft, ohne viel „Tamtam“ eine so düstere Atmosphäre zu schaffen.
Große Leseempfehlung meinerseits! 4,5/5 ⭐️

. Aber worum geht es hier genau…
Eine Leiche im See…
ein Archivar des Polizeipräsidiums, der lieber bei seinen Akten ist als bei anderen Meschen…
„Die Alte“, die sich mit Hilfe des Archivars auf die Suche nach der Wahrheit hinter der Seeleiche macht…
ein Sohn in einem fragwürdigen Verein mit einer 100 jährigen Mutter mit fraglichen Ansichten und eine Schwiegertochter, die einfach nicht schwanger wird…

. In „Die Schrecken der Anderen“ folgen wir mehreren Erzählsträngen in der Gegenwart. Zunächst bekommt man als Leser das Gefühl mehrere total verschiedene Geschichten zu lesen, jedoch eröffnet sich nach und nach eine komplette Geschichte, die auf unerwartete Weise fesselt und uns als Leser auf interessante Kriminalroman Reise mitnimmt.
Mir wurde zwar schon relativ früh klar in welche Richtung die Geschichte geht, jedoch war der Weg dahin wirklich toll geschrieben.
Die Charaktere sind wirklich realistisch dargestellt, jedoch finde ich das es ihnen an einigen Stellen an Tiefe fehlt. Was wirklich schade ist, da der Roman ansonsten durch seine Bildsprache ein wirklich tolles Bild entstehen lässt.
Die Aufarbeitung einer dunklen Geschichte, die nicht nur fiktiv daherkommt ist Clavadetscher sehr gelungen. Dieser Roman ist eine Mischung aus Belletristik, Kriminalroman und Geschichtsbuch.
Sprachlich lässt „Die Schrecken der Anderen“ die Ausbildung der Autorin erkennen… das Studium der Deutschen Literatur, Linguistik und Philosophie sind unverkennbar. Und gerade deswegen ist es wohl ein wirklicher Genuss diesen Roman zu lesen.
Die Autorin möchte aufzeigen, dass jegliche Handlung miteinander zusammenhängt und man sich nicht so einfach seiner familiären Vergangenheit entziehen kann. Und das jede noch so kleinste Handlung eine Konsequenz hat. Ob gut oder schlecht!
Ich finde wirklich jeder sollte diesem Roman eine Chance geben! Ich weiß, dass nicht jeder Leser von Anfang an begeistert sein wird, aber es lohnt sich wirklich sehr!
Absolut lesenswert!
Martina Clavadetschers „Die Schrecken der Anderen“ hat das Potenzial ein moderner Klassiker zu werden.
422 reviews4 followers
June 10, 2025
Martina Clavadetschers „Die Schrecken der anderen“ ist ein kluger, tiefgründiger Roman über Verdrängung, Verantwortung und das, was unter der Oberfläche lauert – im Eis, in der Erinnerung, in der Gesellschaft. In ruhiger, aber eindringlicher Sprache entfaltet sich ein Netz aus Geschichten, die zunächst lose wirken, sich aber langsam und konsequent miteinander verweben.
Der Roman beginnt mit einem bildstarken Auftakt: Ein Junge entdeckt beim Schlittschuhlaufen einen Toten im Eis – eine Szene, die sich sinnbildlich durch das ganze Buch zieht. Clavadetscher erzählt abwechselnd aus der Perspektive zweier Figuren: Schibig, ein ängstlicher Archivar, der sich von einer alten Frau in einen Strudel aus Beobachtung und Deutung ziehen lässt, und Kern, ein reicher Erbe, dessen körperliche und moralische Blindheit eng mit der verdrängten Vergangenheit verwoben ist. Wie diese und andere Figuren zusammenhängen, erschließt sich Stück für Stück – und gerade das macht einen großen Reiz des Buches aus.
Stilistisch bewegt sich der Roman zwischen poetischer Sprachkraft und bewusster Sperrigkeit. Manche Passagen verlangen Geduld, wirken fast distanziert, doch dann folgen wieder Momente voller Klarheit und emotionaler Wucht. Besonders stark sind jene Stellen, in denen die Autorin die historischen Schatten der NS-Zeit mit heutigen gesellschaftlichen Fragen verschränkt – nie platt, sondern subtil und wirkungsvoll.
Nicht alle Erzählstränge sind gleich überzeugend, und gelegentlich hätte ich mir mehr Nähe zu den Figuren gewünscht. Trotzdem: „Die Schrecken der anderen“ ist ein Roman, der zum Nachdenken anregt, lange nachwirkt und der zeigt, was Literatur im besten Fall kann – sichtbar machen, was viele nicht sehen wollen.
Fazit: Anspruchsvoll, literarisch, relevant – ein Buch, das fordert und belohnt.
Profile Image for WildesKopfkino .
702 reviews7 followers
September 3, 2025
Manchmal stolpert man über ein Buch und denkt: Was zur Hölle passiert hier eigentlich – und warum macht es trotzdem so süchtig? Genau so ging’s mir bei Die Schrecken der anderen. Martina Clavadetscher hat wieder mal tief in die Trickkiste gegriffen und ein literarisches Labyrinth gezimmert, das gleichzeitig verstört, fasziniert und zum Lachen bringt (ja, sogar das!).

Da ist dieser Tote im Eis – klingt nach Krimi, ist aber mehr so ein Türöffner in eine Geschichte, die permanent aus den Angeln springt. Plötzlich hängt man zwischen Zylinderherren, schrägen Archivaren, einer alten Frau im Wohnwagen und einem Mahnmal, das fast lebendiger wirkt als die Leute drumherum. Und mittendrin Kern, der schwerreiche Typ, dessen Augen nicht mehr mitmachen wollen. Klare Sicht? Fehlanzeige! Aber genau das macht’s genial: Der Leser sieht mehr als die Figuren, während man gleichzeitig spürt, dass man selbst auch nicht durchblickt. Mindfuck deluxe.

Was mich komplett weggeblasen hat, ist diese Mischung aus realer Geschichte, Mythos und feiner Ironie. Clavadetscher zieht die Schichten ab wie eine Zwiebel – nur dass einem dabei nicht die Augen tränen, sondern der Kopf glüht. Und sie haut einem so nebenbei die unbequeme Wahrheit um die Ohren: Dulden ist auch ein Verbrechen. Zack, sitzt.

Trotz aller Düsternis steckt in dem Buch ein wilder Funken Humor, so schräg und unerwartet, dass man ständig grinst, obwohl man eigentlich Gänsehaut haben sollte. Das ist kein Roman zum Wegsnacken vorm Einschlafen. Das ist ein Erlebnis. Ein literarischer Trip, der dich auf der Couch fesselt und nachts im Traum noch Zylinderherren vor dir tanzen lässt. Ich sag’s mal so: Wer mutig ist, liest das. Wer feige ist, verpasst das Abenteuer seines Lebens.
33 reviews
June 3, 2025
Der Schweizer Roman „Die Schrecken der anderen“ von Martina Clavadetscher erzählt in sehr ruhigem und poetischen Ton eine Geschichte voller Düsternis und Schrecken.

Dabei fängt alles mit verstreuten Protagonist:innen und Handlungsfäden an: ein Archivar mit Angststörung begutachtet eine Leiche in einem gefrorenen See, eine mysteriöse ältere Frau in einem Wohnwagen beobachtet ihn dabei. Ein reicher alter Mann hat nicht nur Probleme mit den Augen und eine junge unglückliche Frau, sondern auch noch seine bösartige greise Mutter im Dachgeschoss. Wie alle diese Menschen und ihre Geschichten und Handlungen zusammen hängen erschließt sich erst im Laufe des Romans Scheibchen für Scheibchen, wobei die Autorin es hinbekommt, dass man als Leser:in eigentlich durchgehend die richtige Ahnung entwickelt, auch wenn es einem beim Lesen selbst gar nicht bewusst ist, wie genau dies zustande kommt.

Einziger Schwachpunkt für mich ist, dass der Schreibstil doch in Teilen etwas sperrig ist, was es doch ein kleines bisschen schwierig macht ins Buch hineinzukommen. Ausgeglichen wird dies mit einigen Passagen in denen durch einzelne Charaktere Episoden aus der Vergangenheit sehr klar kommuniziert werden und was ein bisschen wie ein Stilbruch auf mich wirkte. Wenn man diese Punkte überwindet wird man aber durch die Bildsprache ins Geschehen gezogen und mit einem durchaus fulminanten und schlüssigen Ende belohnt. Der Highlight des Buches waren für mich einige Passagen, die so zielsicher treffend die heutige gesellschaftliche Lage beschreiben, dass ich inne halten musste um darüber nachzudenken. Insgesamt kein zu 100% einfaches Buch, aber eines das sich absolut lohnt.
133 reviews
June 23, 2025
Ein Toter im Eis, der soziophobe Schibig, die Alte, Kern und dessen Mutter: das sind die Hauptfiguren in Martina Clavadetschers "Die Schrecken der Anderen". Langsam werden die Personen eingeführt und sachte miteinander verwoben. Die Sprache ist zwar einfach zu lesen, aber doch sehr anspruchsvoll und komplex, es bedarf einer hohen Konzentration, um dem Erzählten die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

Gewaltig und dicht ist nicht nur die Sprache, sondern auch der Inhalt. Jede einzelne Figur bekommt einen schrägen Charakter, ist mit eigenen Besonderheiten ausgestattet. Was sie vereint, ist das Unzugängliche, das Mysteriöse das ihnen anhaftet. Jede und jeder ist etwas auf der Spur, lang ist nicht erkennbar, dass es sich um Gemeinsames handelt. Die Geschichte ist Geschichte und Ungeschichte zugleich, sie ist nicht fassbar und lässt sich deshalb auch kaum beschreiben.

Es ist ein Leseerlebnis, das man selbst erfahren muss, es hat etwas Märchenhaftes, aber doch sehr Reales, könnte vor oder in hundert Jahren spielen. Es beeindruckt und stößt ab zugleich. Schließlich geht es - wie in vielen Dingen - um das Geld, dass nicht nur Dreck am Stecken hat, sondern auch Blut - und alle gieren danach, aus unterschiedlichen Motiven. Und auch hier, in der neutralen Schweiz, tauchen abstoßende Spuren von Alt- und Neonazis auf.

Es benötigt definitiv einen zweiten Durchlauf, um dieses Buch zu verstehen und es fassen zu könne, denn es bleibt: ein Rätsel. Eines allerdings, dass es sich lohnt lösen zu wollen. Und hoffentlich gelöst werden kann.
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208 reviews9 followers
October 31, 2025
Nun hab ich es zu Ende gehört und weiß noch immer nicht so richtig, worum es dem Buch eigentlich ging.

Da ist Kern, ein reicher Loser, der immer noch unter der Fuchtel seiner 100-jährigen Mutter steht und seine Frau Hannah, die einfach keinen Erben hervorbringt, obwohl sie es mittlerweile auch mit anderen Partnern versucht.

Und dann ist da der Polizei-Archivar Schibig. Der entdeckt eine Leiche im zugefrorenen Dorf-See und versucht zusammen mit der eigensinnigen "Alten", Rosa, der Sache auf den Grund zu gehen.

Irgendwie geht's dann auch um Drachen, Nazis, Suizid, verschwundenes Geld und einen Zylinderhut-Verein (ebenfalls Nazis).
Immer mal wieder driftet das Buch in irgendwelche wirren Gedanken ab oder erzählt Geschichten in Geschichten. Viel wird nur angedeutet, wenig tatsächlich ausgesprochen. Auch wenn das Buch irgendwie endet, ist nicht alles aufgelöst. Das finde ich leider sehr unbefriedigend.
Die ständigen Wechsel zwischen Kern und Schibig mochte ich nicht. Kaum war man in einem Erzählstrang dein, wurde man wieder herausgerissen.

Da ich es als Hörbuch gehört habe, hätte mir persönlich eine männliche Stimme besser gefallen, da beide Charaktere im Mittelpunkt männlich waren.

So richtig hat's mich leider nicht abgeholt, aber es war irgendwie interessant genug, um es zu Ende zu hören.
Profile Image for Oktober.
278 reviews
September 15, 2025
“Die Schrecken der anderen” von Martina Clavadetscher zeichnet ein komplexes Bild eines schweizerischen Dorfes: ein Junge stolpert im wahrsten Sinne über eine Leiche, ein Konzernerbe, dessen Frau nicht schwanger wird, steht unter der Fuchtel seiner hundertjährigen Mutter und ein Polizeiarchivar verfällt einer mysteriösen Alt-Hippie-Frau, die in allem das große Ganze erkennt und aufdecken will.
Genauso seltsam, wie sich die Zusammenfassung liest, ist das gesamte Buch.
Was als Krimi beginnt, wird zu einer Gesellschaftsstudie, man weiß bis kurz vor dem Ende nicht, wohin man geführt wird, sondern schwimmt einfach mit und lässt sich von Sätzen und Szenen einwickeln.
Einerseits fand ich es sehr schwierig, beim Hörbuch konzentriert dran zu bleiben, gleichzeitig hat es mir aber auch Spaß gemacht - längere Zeit am Stück konnte ich mich allerdings nicht auf den Text konzentrieren, auch wenn die Stimme der Hörbuchsprecherin Michaela Winterstein durch ihre Interpretation wesentlich dazu beigetragen hat, aus diesem Buch ein literarisches Hörerlebnis zu kreieren.

*Das Hörbuch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt.
36 reviews
June 24, 2025
Martina Clavadetschers „Die Schrecken der anderen“ ist ein sehr atmosphärisch dichter, intelligent geschrieben, kluger. und auch tiefgründiger Roman.

Die Themen sind all die verdrängten Geschichten, die in uns schlummern und nicht an die Oberfläche dürfen.
Es liegt unter der Fläche, unter dem Eis.

Die Autorin beschreibt verschiedene Situationen, Geschichte und verwebt diese am Ende mit einander. Irgendwie stehen sie für sich, lassen sich aber im Zusammenhab interpretieren.

Der Anfang ist unglaublich stark und eindrucksvoll: Ein Junge findet beim Schlittschuhlaufen einen Toten im Eis.

Wir erfahren nun abwechselnd aus der Perspektive zweier Figuren die Handlung, die Gedanken und erkennen unterschiedliche Blicke durch sie.
Stark und voller kalter Atmosphäre, sehr poetisch beschrieben bleibt die Handlung irgendwie manchmal auf der Strecke, oder ich hab sie nicht erkannt.

Ich bin noch unsicher, musste es öfter mal zur Seite legen, dran bleiben.
Es ist kein einfacher Roman und ich habe einige Fragen.
Leider
Profile Image for Daniela.
99 reviews
June 2, 2025
Sehr wirr

Ein Junge findet eingefroren im Eis eine Leiche als er mit den Schlittschuhen auf dem See herumfährt. Eigentlich wollte er eine Methanblase unter dem Eis finden und ein Feuerwerk zu veranstalten. Schibig, der als Polizist im Archiv der Polizei tätig ist, wird gebeten, sich das anzuschauen, da es ganz bei ihm um die Ecke ist. Der Fall lässt ihn nicht mehr los, und gemeinsam mit „der Alten“ einer Frau, die auf einem Campingplatz ganz in der Nähe lebt, beginnt er zu rätseln, ohne zu wissen, dass die Frau einer größeren Sache auf der Spur zu sein scheint.
Die Geschichte macht viele strenge auf, erzählt von einem Herrenclub, von der Nazizeit, aber bringt keine dieser Strände so wirklich wieder zusammen. Auch eine wirkliche Auflösung am Ende der Geschichte gibt es nicht.
Inhaltlich finde ich das Buch nicht ansprechend, es war anstrengend dran zu bleiben. Auch den Schreibstil finde ich sehr befremdlich, permanent auf hab-acht, ohne auflösende Elemente.
2,263 reviews12 followers
July 19, 2025
Zum Inhalt:
Ein Junge, der beim Schlittschuhlaufen einen Toten findet, ein reicher Erbe, der immer weniger sieht und dessen Mutter, die zwar fast nur noch im Bett liegt aber dennoch alle Fäden in der Hand hält. Wie das alles zusammen passt? Ein alter Archivar lässt sich von der seltsamen Rosa mitreißen, denn sie hat verstanden, dass alles miteinander verbunden ist.
Meine Meinung:
Das war ein echt sonderbares Buch, in meinem Fall Hörbuch. Es war zwar irgendwie interessant anzuhören, aber ich konnte lange keinen roten Faden erkennen und das Buch wirkte wie eine Aneinanderreihung von Ereignissen, die nichts miteinander zu tun haben. Erst langsam wird klar, dass es um etwas geht, was in der Vergangenheit liegt. Auch wenn irgendwann die Fäden entwirrt werden und sich nach und nach ein klareres Bild zeigt, ist es für mich ein Buch, dass nicht im Gedächtnis bleiben wird.
Fazit:
Schwierig
Profile Image for maribelwhatever.
69 reviews12 followers
June 15, 2025
Nach der Leseprobe war ich sehr begeistert und habe mich darauf gefreut "Die Schrecken der Anderen" endlich lesen zu können (vor allem so weit vor dem ET). Ich war ready reinzustarten, meine Erwartungen waren hoch, aber leider bin ich da sehr schnell dran gescheitert. Der Schreibstil, der mir anfangs noch so gut gefallen hat, war mir nach den ersten Kapiteln tatsächlich sehr mühsam zu lesen, die Protagonist*innen waren bis zum Ende nicht zu greifen und die Stränge, die am Anfang mühsam eröffnet wurden, nicht wieder zusammengeführt. Für mich nimmt der Roman ab der Mitte zwar wieder mehr Fahrt auf, aber auch das Ende hat mich dann wieder eher achselzuckend zurückgelassen. Ich würde gerne viel mehr gute Worte über das Buch verlieren, aber am Ende waren es mir zu wenige Drachen und zu viel halbgarer Krimi, der eigentlich selbst keiner sein wollte. Richtig schade.
Profile Image for julia_julnein.
16 reviews1 follower
September 24, 2025
Martina Clavadetscher beschreibt, erzählt, gleitet so unkonventionell und doch treffend durch diese Geschichte, dass man gar nicht anders kann, als immer tiefer einzutauchen.

Große Empfehlung!

#NetGalleyDE
Profile Image for Rahel.
12 reviews
September 28, 2025
Eine fesselnde, sehr gut recherchierte Geschichte. Nur das Ende fand ich etwas zu aprupt und künstlich.
Profile Image for Bärbel.
142 reviews1 follower
August 23, 2025
Zumindest als Hörbuch echt schwierig
Das Cover ist ganz großartig gestaltet, wirklich sehr, sehr eindrucksvoll - aber es ist auch unglaublich brutal bis ins deutlichste Detail, obwohl es sich “nur” um einen Mord unter Tieren handelt.
Vielleicht verhält es sich mit dem Roman ganz genauso? Ich kann es nicht eindeutig sagen, da ich versucht habe, ihn als Audio zu hören. Und das ging nicht besonders lange gut. Hörbücher höre ich ganz überwiegend beim Autofahren. Und das muss dann gar nicht seicht und kitschig sein, aber ich glaube dieses hier ist sprachlich wirklich zu kompliziert und vor allem: zu martialisch. Eine Sprache so kalt wie das Eis, auf dem der Roman beginnt. Eine metallische Sprache, anstrengend. Ich lernte die Hauptfiguren kennen, aber ich kann das nicht weiterhören. Würde ich es lesen wollen? Vielleicht. Vielleicht irgendwann. Bin ich dieser Tage zu sehr auf dann doch Flüssigeres aus? Der Inhalt klingt spannend und wichtig - ist die Autorin so eine Art Schweizer Schwester von Elfriede Jelinek? Aber, so sehr mir Frau Jelinek imponiert, als Hörbuch wäre ihre Literatur auch nichts für mich.
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