Eine philosophische Terrororganisation im Kampf gegen fake news und alternative Fakten
Die Aktivistengruppe Aletheia kämpft für die absolute Wahrheit, denn Verschwörungstheorien, Fehlinformationen und alternative Wahrheiten sind die größten Probleme unserer Zeit. Durch künstlerische Interventionen will die Gruppe die Öffentlichkeit bekehren. Aber wozu eine Sprengstoffexpertin in der Gruppe haben, wenn man nie Sprengstoff nutzt? Der neue Roman von Raphaela Edelbauer erzählt von den Bedingungen unserer Gegenwart und den Grundlagen unseres Denkens.
Als Byproxy mit zwei Koffern, Laptop und Rollstuhl aus dem betreuten Wohnen für junge Erwachsene entlassen wird, übernachtet sie in offengelassenen Markständen und verbringt die Tage in den Kaffeehäusern Wiens. Dort erregen vier lebhaft über Philosophie streitende Leute ihre Sie sind Aletheia. Byproxy überzeugt sie davon, sie in das besetzte Haus mitzunehmen, das den vier Hauptquartier und Kommune ist. In harten Probemonaten, während derer sie tagsüber die Toiletten putzt und sich abends durch den philosophischen Kanon gräbt, erarbeitet sie sich das Vertrauen der Gruppe. Doch während sich Aletheia auf die große Aktion vorbereitet, wachsen die Zweifel an Byproxy. Welche Schuld treibt sie dazu, jede Woche die Mutter eines bei ihrem Unfall umgekommenen Mädchens zu besuchen? Wenn hier jemand dem Anspruch nach absoluter Wahrheit nicht nachkommt, dann ist es Byproxy, dann ist es die Erzählerin selbst.
Eine der großen Freuden daran, heute ein*e Leser*in deutschsprachiger Literatur zu sein, ist es, die Genese des Werks der österreichischen Schriftstellerin Raphaela Edelbauer zu verfolgen. Neben mittlerweile schon zwei Poetiken und Erzählungen bilden den Kern die Romane, deren vierter soeben erschienen ist. Mit diesem hat sich die junge Wienerin selbst übertroffen. Ich schreibe hier als Fan – DAVE, Edelbauers zweiter Roman, hat mich ähnlich umgehauen wie Die Jakobsbücher von Olga Tokarczuk. Auch Das flüssige Land und Die Inkommensurablen habe ich mit großer Begeisterung gelesen. Insofern stürzte ich mich mit hohen Erwartungen auf Die echtere Wirklichkeit, das neue Buch – und trotzdem einer gehörigen Portion Skepsis, die dem Klappentext geschuldet war: Eine „philosophische Terrororganisation im Kampf gegen fake news“ verspricht dieser, und das klang mir eigentlich zu albern. Dann begann ich zu lesen und mit jedem Kapitel stieg meine Begeisterung, bis sie jetzt, nach Beendigung der Lektüre, so angewachsen ist, dass sie übertrifft, was DAVE in mir ausgelöst hat. Denn in Die echtere Wirklichkeit zeigt sich Edelbauer auf einem (vorläufigen?) Höhepunkt ihres Könnens: Über mindestens drei Ebenen verhandelt sie das Thema Wahrheit. Da ist zum einen eine Satire um eine Terrorzelle von Philosoph*innen, auf die die Ich-Erzählerin Byproxy stößt, deren Vergangenheit die zweite Ebene des Buches darstellt. Diese Ebene ist keine Satire, sondern ein Thriller, so unheimlich und verstörend wie Hitchcocks Psycho, in dem es um eine Freundschaft geht, die in die Ko-Abhängigkeit kippt. Die dritte Ebene ist nichts Geringeres als die Geschichte des Lebens auf der Erde, und hier beweist Edelbauer, dass sie wie niemand sonst nature writing mit Naturwissenschaft zusammenbringen kann, um daraus poetischste Prosa zu fertigen. Byproxy als Erzählerin ist dabei eigentlich unausstehlich: Sie ist eine besserwisserisches Narzisstin und Lügnerin. Dass man ihr trotzdem gern folgt, liegt an ihrem Witz: Sie ist spöttisch, zynisch, lakonisch und unglaublich schlau. Sie zieht über die Landbevölkerung Österreichs ebenso her wie über die Kronenzeitung, dieses Schmierblatt, charakterisiert die anderen Mitglieder der Terrorzelle genau und gemein, hat eine solch andere Perspektive auf die Welt als ein gesunder Mensch, dass man fasziniert folgen muss. Die 440 Seiten der Echteren Wirklichkeit, die voller philosophischer Abhandlungen, Diskussionen und naturwissenschaftlicher Exkurse sind, vergehen dank ihr wie im Flug. So viel Witz und Intelligenz wird selten geboten. Raphaela Edelbauer hält nicht nur das Niveau ihrer drei vorangegangenen Romane; sie steigert es. Das hätte nicht mal ich für möglich gehalten.
Ein sehr gutes Buch – ich mochte es nicht. Das mag widersprüchlich klingen, aber besser kann ich es nicht beschreiben. Die echtere Wirklichkeit ist ein sehr ambitioniertes Buch – inhaltlich, sprachlich, erzählerisch. Leider lag genau darin das Problem für mich: Dieser Roman will zu vieles sein, und für mich persönlich geht das im Ganzen nicht auf. Einerseits ist der Roman ungemein intellektuell; stellenweise musste ich mich sehr konzentrieren, um die theoretisch-philosophischen Einschübe zu verstehen. Dann driftet er wieder ins nahezu Klamaukige ab, und in diesen Teilen war mir die Sprache wiederum zu gestelzt. Dass wir es als Leser:innen außerdem mit einer unzuverlässigen Erzählerin zu tun haben, die darüber hinaus leider keinerlei Sympathie auslöst, machte es mir schwer, emotional an der Geschichte dranzubleiben. Und trotzdem: Sie ist so clever konstruiert und hat so einige richtig gute Einfälle, dass ich drangeblieben bin. Ja, es hat sich am Ende ein bisschen als Rohrkrepierer herausgestellt – aber keiner, der mich wütend gemacht hat. Es hat sich nicht verschwendet angefühlt, dieses Buch zu lesen, im Gegenteil. Kann ich es vorbehaltlos weiterempfehlen? Nein. Aber ich glaube, es gibt eine spezifische Zielgruppe (nennen wir sie Akademiker:innen mit linkem, theoretischem Background, von dem sie sich aus welchen Gründen auch immer entfremdet haben), die dieses Buch sehr genießen wird. Meine Assoziationen waren übrigens Chuck Palahniuk's Fight Club und Infinite Jest von David Foster Wallace.
Raffaela Edelbauer schreibt zweifellos virtuos: komplexe, präzise gearbeitete Prosa, die technisches Können beweist. Doch genau darin liegt für mich das Problem. Die strukturellen Experimente – Zeitsprünge, Perspektivwechsel, narrative Brüche – wirken weniger wie organische Erweiterungen der Geschichte, sondern wie literarische Pflichtübungen. Sie sollen beeindrucken, schwächen aber die erzählerische Kraft.
Was dem Roman fehlt, ist ein erzählerischer Antrieb. Es gibt keine Frage, die einen durch die Seiten zieht, keine emotionale Notwendigkeit, weiterzulesen. Die Figuren bleiben kühl, typologisch, ohne Resonanz. Sicher ist diese Distanzierung bewusst gesetzt – aber Absicht allein macht das Lesen nicht fesselnder.
Problematisch ist zudem die inhaltliche Dimension. Der Roman wird als Kommentar zu Fakenews und Wahrheitssuche vermarktet, doch tatsächlich taucht das Thema nur am Rand auf – vor allem in den philosophischen Diskussionen einer Gruppe, weniger in der eigentlichen Handlung. Auch die implizite Kritik am Konstruktivismus greift zu kurz: Nicht die Wissenschaft oder Philosophie erzeugen „alternative Wahrheiten“, sondern sie beschreiben, warum diese in der Gesellschaft funktionieren. Die Vermengung von Ursache und Analyse schwächt die argumentative Basis und hinterlässt ein schiefes Bild.
So entsteht der Eindruck einer strukturellen Überinszenierung, die zudem inhaltlich ins Leere läuft: Die Form schiebt sich vor den Inhalt, die Technik verdeckt, dass die Geschichte selbst erstaunlich wenig trägt. Für manche Leser*innen mag gerade die Reflexion über Sprache und Wirklichkeit den Reiz ausmachen; für mich bleibt es ein intellektuelles Kunststück ohne Herz.
Am Ende habe ich mich gefragt, ob dieser Stoff nicht besser in einem Essay aufgehoben gewesen wäre – und meine Antwort ist eindeutig: Ja. In der hier gewählten Romanform verliert er an Prägnanz, statt zu gewinnen.
Ein Roman, der brillant gebaut ist, aber leer wirkt – mehr ein Schaufenster literarischer Raffinesse als ein erzählerisches Erlebnis.
Ich hatte mich auf dieses Buch sehr gefreut, denn ich mochte "Die Inkommensurablen" vor zwei Jahren gern und fand das Thema dieses neuen Romans spannend. Es geht um eine Aktivistengruppe, die sich den Kampf um die Wahrheit auf die Fahnen geschrieben hat. Durch philosophische Entwicklungen wie Konstruktivismus und Dekonstruktivismus habe sich die Annahme verfestigt, so etwas wie eine Wahrheit gebe es gar nicht. Das befördere fake news, Verschwörungstheorien und ermöglicht sowohl rechte wie links-woke Leugnungen der Wirklichkeit.
Eigentlich ein interessantes und aktuelles Thema. Leider jedoch war die Umsetzung nun überhaupt nicht mein Fall. Die Erzählerin mit dem merkwürdigen Namen Byproxy hat einen äußerst unangenehm rotzigen Ton, der gesamte Stil ist eine Mischung aus aufgeblasen und vulgär (ich nehme an, es soll irgendwie ironisch sein, war für mich aber auf jeder Seite ein Ärgernis), die Figuren höchst seltsam, die Dialoge schlecht, alles garniert mit philosophischen Texten und Brocken.
Die Philosophie hätte mich durchaus interessiert, aber in dieser Verpackung war es für mich ungenießbar. Nach 125 Seiten habe ich abgebrochen.
Raphaela Edelbauers Romane stellen stets eine Herausforderung dar und erfordern eine intensive und gründliche Lektüre. So auch hier. Offen bleibt die Frage, welche die echtere Wirklichkeit ist: Doros Geschichte, die unter dem Decknamen Byproxy (= In Vertretung, Im Auftrag) Petras Identität übernimmt und sich einer aktivistischen philosophischen Terrorgruppe anschließt. Oder ist es umgekehrt? Und ist der letzte Grund, auf den alles zurückzuführen ist, das Nichts, der Nihilismus? Oder gibt es nur eine (zufällige) Chronologie, aber keine Kausalität? Und was hat die Postmoderne mit der Auflösung und Aufsplitterung des Wahrheitsbegriffes zu tun? Wen solche Fragen interessieren, ohne immer eine schlüssige Antwort zu erwarten, und auch eine anspruchsvollere literarische Sprache liebt, ist mit "Die echtere Wirklichkeit" gut bedient. Ansonsten sollte man lieber zu einem anderen Buch greifen.
Hätte ich die letzten Seiten vorher gekannt, wäre ich am Anfang aufmerksamer gewesen. Phasenweise anstrengend, aber das hat nicht abgeschreckt. Spannend, wie es der Autorin gelingt, mehrere Geschichten parallel zueinander zu erzählen. Habe wieder (wie bei den Inkomensurablen) viele neue Wörter gelernt!
Ein schweres Stück Literatur. Die Autorin ist zweifelsohne klüger, wortgewandter & belesener als ich & der Ansatz, aus Philosoph*innen eine Terrorgruppe zu machen, hat mich initial fasziniert.
Ich würde meine Leseerfahrung mit diesem Roman in drei Phasen unterteilen:
Erst habe ich darum gekämpft, in die Welt & die Charaktere hereinzukommen, weil sie allesamt unleidlich sind, vor allem, wie sie mtieinander umgehen.
Als Byproxy, unsere Protagonistin, ihre Vorgeschichte in Rückblenden offenbart - die stark mit den Themen Wahrheit & dem systematischen Einimpfen von Falschinformationen resonniert - & dazu noch in der Erzählgegenwart Initiativen ergreift, war ich gebannt & habe das Buch verschlungen.
Schließlich aber ließ mich der Gipfel der Erzählung ernüchtert zurück, weil viele Fragen für mich offen blieben & viele Erzählstränge ins Leere laufen, deren Saiten vorher immer wieder angespielt wurden. Allen voran stellt sich mir die Frage, was denn nun der Punkt gewesen sein soll. Das wird mich wohl noch ein paar Tage beschäftigen.
Insgesamt weiß ich nicht so viel dazu zu sagen. Es steckte mehr Potential in dem Buch, als ich letztenedlich ausgeschöpft gesehen habe.
Die Schwerbehinderte Byproxy wird aus dem betreuten Wohnen geworfen und sucht eine Unterkunft. Sie trifft auf vier Menschen, die sich Aletheia nennt und sich mit philosophischen Texten beschäftigt, um ihre eigene Wirklichkeit zu erschaffen. Diese Gruppe hat aber auch Aktionen im Portfolio, um die Gesellschaft aufmerksam zu machen auf Dinge, die in ihrer Wirklichkeit falsch laufen. Byproxy, die eigentlich Petra heißt, hat aber auch noch am Tod ihrer ehemals besten Freundin zu knacken. Bei einem Unfall ist sie um Leben gekommen und Petra war ab der Zeit querschnittsgelähmt. „Die echtere Wirklichkeit“ von Raphaela Edelbauer ist ein philosophischer Roman mit terroristischen Aspekten. Das es hier um die philosophische Betrachtung der Wirklichkeit geht schiebt die Autorin immer wieder in einige Kapitel zu Beginn ein. Auch die Kapitel sind ganz in philosophischer Tradition mit griechischen Buchstaben gekennzeichnet. Die Hauptpersonen dieses Romans sind sehr speziell. Die Chirurgin, die das Word führt, Bernward, der Professor ist, Brigitte, die ihre eigene Sicht auf die Problematik hat und Paul der schon mit der Polizei in Berührung gekommen ist. Und dann natürlich auch noch Byproxy mit ihrer eigenen Background Story. Es kommt mir alles ein bisschen durcheinander und chaotisch vor, die sich auch in der gesamten Story widerspiegelt. Die Ausrichtung der Gruppe wird als sehr aggressiv dargestellt. Das wird auch immer wieder untereinander deutlich. Zum Ende wird dann auch deutlich, wohin die Gruppe möchte. Ich hatte mir unter dem Titel etwas anderes vorgestellt und deshalb ist es mir sehr schwer gefallen in die Thematik des Buches einzutauchen. Die Intention ist mir soweit verständlich brauchte aber eine Zeit, bis sie bei mir angekommen ist. Ich denke es gibt eine interessierte Community für dieses Buch, ich gehöre da nicht zu.
Der Roman hat mich insofern bereichert, als dass ich dieses diffuse Gefühl des angegrabenen Fundaments, des Abhandenkommens einer Einigung auf eine Wahrheit in seiner Tragweite nun besser greifen kann. Es ist immer schön, wenn ich merke, dass meine Perspektive sich durch einen Roman verändert hat. Ich empfinde jedoch die Handlung als zäh, teils werden angeteaserte Handlungsstränge nicht aufgelöst. Obwohl die Grundidee dafür super ist, bleibt der Eindruck, dass die Story nur als Vehikel gebraucht wurde, um den Punkt zu vermitteln. Das war dann doch leider anstrengend, schade.
Also, ich hab's nicht verstanden. Den Plot nicht, die Struktur nicht (warum fehlen jetzt die Kapitel Theta und Psi? warum ist das Manifest unvollständig?) und das (politische? poetische?) Anliegen nicht. Ist das eine Farce über Außenseitertum? Eine Kritik an der Philosophie? Ausdruck einer poetischen Hilflosigkeit angesichts einer nicht sinnvoll erklärbaren Welt, in der alles zum Spandrel und einer Just-So-Story wird? Leider motiviert mich das Buch mit seinen Charakteren auch nicht wirklich, weiter darüber nachzudenken...
Für Byproxi ist es ein glücklicher Zufall. Kurz nachdem sie aus dem Heim für betreutes Wohnen geflogen ist - weil sie das Atemgerät eines Mitbewohners abgestellt hat -, beobachtet sie sich betont unauffällig verhaltende Menschen und folgt ihnen. Es stellt sich heraus: Sie sind Teil der Gruppe Aletheia, die sich der Wahrheit verschrieben hat, sich für absolut radikal hält und um all ihr Tun ein großes Geheimnis macht.
"Aletheia - das bedeutet auf Altgriechisch Wahrheit, es ist auch der Name einer mythologischen Person, der Göttin der Wirklichkeit, der Tochter des Zeus. Dieser Name ist Programm. Wir sind eine Gruppe, der der Verlust der Wahrheit in der Gesellschaft, der das Zeitalter der Post-truth, wie man heute sagt, ein Dorn im Auge ist." (Seite 103)
Die Truppe lebt in einem besetzen Haus und besteht aus Menschen mit verschiedenen Hintergründen: Eine reiche Erbin ist unter anderem dabei, ein vorbestrafter Philosoph. Was genau die Pläne sind, scheinen sie selbst nicht zu wissen. Zur Sicherheit werden Sprengkörper gebastelt - doch vor allem wird philosophiert. Auch Byproxi muss sich, um aufgenommen zu werden, erstmal die Grundlagen der Philosophietheorie erarbeiten. Doch sie scheint ihre eigenen Ziele zu verfolgen und ohne, dass sie es merken, lässt sie ihre Ideen zu den Ideen der anderen werden und radikalisiert die Gruppe jeden Tag ein Stückchen mehr - bis alles eskaliert.
Raphaela Edelbauer hat mit "Die echtere Wirklichkeit" einen Geniestreich von Roman verfasst, der so nah am Zeitgeist ist, dass er eigentlich Pflichtlektüre sein sollte. Zugegeben: Auch ich brauchte etwas, um in den Erzählrhythmus hineinzufinden, um zu erkennen, dass der Roman ein Puzzle ist, dessen Teile sich erst nach und nach zu einem Gesamtbild formen. Hat man das jedoch einmal erkennt, lässt einen der Sog dieses Buches nicht mehr los, das gleichzeitig Satire, Psychothriller und Lehrstück ist.
Es ist herrlich, wie Edelbauer die angebliche Terorgruppe auseinandernimmt. Wie sie diese Menschen vorführt, die unbedingt etwas anders machen möchten, um sich dann doch nur in intellektuellen Worthülsen zu verheddern und sich über unwichtige Details in die Haare zu bekommen.
"Seid ihr beide wahnsinnig geworden?", fragte Bernward. "Eine Geiselnahme? Glaubt ihr, wir wollen RAF spielen? Wir sind eine philosophische Gruppe." "Eine philosophische Terrorgrupe." "Eine philosophisch-aktionistische Gruppe!", schrie Bernward. "Same-same. Vielleicht ist Terror einfach ein Wort, das man für wirksamen Aktionismus verwendet. Byproxi fällt, gerade weil sie neu ist, eben auf, was hier ohnehin die ganze Zeit falsch läuft." (Seite 213)
Meisterhaft langsam dröselt sie Byproxis Geschichte auf. Byproxi, die über sich selbst sagt, dass sie wasserfeste Geschichten erfinden kann, die Computerspiele entwickelt, in denen man Fälle in der "Think-Backwards-Strategie" lösen muss und die seit einem schweren Unfall mit mysteriöser Ursache, bei dem ihre beste Freundin starb, querschnittsgelähmt ist. Sie ist eine grandios unsympathische, sperrige Protagonistin, die gleichzeitig auch sehr witzig ist - und mit der man sich nicht anlegen sollte.
Außerdem führt uns Edelbauer ein in Evolutionsgeschichte, in Philosophiegeschichte, fordert uns immer wieder auf, uns mit dem Wahrheitsbegriff, mit den wirklichen Sehen auseinanderzusetzten. Auch wenn sch das gerade zu Beginn ein wenig wie Uni-Vorlesungen anfühlt, fügen sich auch diese Theoriepuzzleteile klug in die Gesamtgeschichte ein. Denn am Ende geht es genau darum: Sehen wir genau hin? Was sehen wir nicht? Wer möchte, dass wir bestimmte Dinge nicht sehen? Und denkt immer daran: "Chronologie ist etwas anderes als Kausalität." (seite 400)
"Die echtere Wirklichkeit" ist ein genialer Roman, der einen herausfordert und den Finger in brennende Wunden legt. Er ist aber auch eine unglaublich spanndende Geschichte über eine junge Frau und deren Psyche. Ein Highlightbuch, eine absolute Leseempfehlung!
Es klingt in der Tat wie ein Widerspruch. Eine philosophische Terrororganisation namens Aletheia. Dies ist das altgriechische Wort für „Wahrheit“. Aletheia ist aber auch ein zentraler Begriff in der Philosophie von Martin Heidegger, der ihn als „Unverborgenheit“ oder „Enthüllung“ des Seienden verstand. Dies zeigt schon, dass sich Raphaela Edelbauer in dem Buch sehr mit der Philosophie auseinandersetzt.
Das Buch ist in einem österreichischen Dialekt geschrieben, bzw. es gibt in Österreich andere Wörter und Formulierungen. So ist z.B. eine Stiege eine Treppe und der Invalide der Schwerbehinderte. Selbstredend bleibt das Buch verständlich, als Leser bin ich nur hier und da über die ein oder andere Formulierung gestolpert.
Ich finde es gut, dass Raphaela Edelbauer eine Rollstuhlfahrerin zur Hauptfigur ihres Romans machte. Allerdings kommt es hier und da zu der ein oder anderen Ungereimtheit. So beschreibt sie diese manchmal als hilflos, dann aber doch wieder sehr selbstbestimmt. Allerdings sind dies Details, die nur einem Rollstuhlfahrer auffallen.
Zurück zum Inhalt, in dem besagte Rollstuhlfahrerin mehr oder minder spontan sich eine Aktivistengruppe anschließt, eben besagte philosophische Terrororganisation. Sie wird mit Misstrauen empfangen, kann sich aber dann doch in der Gruppe behaupten. Innerhalb der Gruppe gibt es immer wieder zahlreiche philosophische Diskussionen, weshalb der Leser selbiger zugeneigt sein muss. Das auch, weil die Autorin hier und da recht tief in die Materie einsteigt.
Das macht das Buch zu einer Mischung aus ganz unterschiedlichen Themenbereichen. Zum einen die Suche nach der Wahrheit in Zeiten der Fake-News und der Autokraten. Zum anderen ganz praktische Themen wie die Inklusion, die auch in Österreich an mancher Stelle nicht gelebt wird. Und immer wieder sehr anspruchsvolle Textpassagen, die zum Nachdenken anregen.
An mancher Stelle wurde es mir in der Tat etwas zu philosophisch, weshalb ich die ein oder andere Passage quergelesen habe. Ich denke zwar gern auch über philosophische Themen nach, aber eben nur in Grenzen. Allerdings ist der Roman dann wieder spannend genug, um dranzubleiben, denn es gilt in Erfahrung zu bringen, mit welchen Aktionen eine philosophische Terrororganisation die Aufmerksamkeit erzeugen kann, die sie benötigt, um ihre Thesen bzw. Themen publik zu machen.
Rezension zu " Die echtere Wirklichkeit" von Edelbauer Raphaela
Es macht sehr nachdenklich - realitätsnah ❤️❤️❤️❤️❤️
Byproxy wird nur mit wenig Gepäck, einem Laptop und Rollstuhl aus dem betreuten Wohnen entlassen. Da sie nun ihren Individuellen Weg gehen soll, der sie weiterbringen soll. Sie ist sehr gespannt darauf. Zunächst hat sie keine feste Bleibe, übernachtet zuerst auf etwas unsicheren Marktplätzen. Die Gruppe Aletic spricht sie auf dem Marktplatz an. Und Byproxy wird von ihnen im gemeinsamen Haus erstmal aufgenommen. Sie hilft dort mit. Nach einiger Zeit zweifelt sie an dieser Gruppe.
Wird sie dort bleiben? Wie wird ihre Zukunft dort sein?
Auf mich wirkt der Roman wirklich sehr nachdenklich. Und dabei spielt er auch gleichzeitig die Realität im Leben wieder. Das merkt man hierbei auch sehr deutlich zwischen den Zeilen. Am AlltagsLeben darin. Ein Marktplatz ist ja manchmal wirklich unsicher, da können durchaus mal Vorkommnisse im Alltag lauern , die nicht unbedingt schön und gut sind. Die Gruppe Aletic fand ich schon interessant, was sie machen. Vor allen Dingen ihr Haus mit den vielen Büchern. Die habe ich alle einmal virtuell umarmt und geküsst. Da ich Bücher ja über alles liebe und Mag .❤️❤️❤️❤️❤️
Das braucht ein Buch ja auch mal schliesslich zwischendurch. Ist ganz wichtig in der Richtung, finde ich. Auch ist es ein besonderer Roman, der ewig im Gedächtnis bleibt.
Auch ist ein Roman, der einen dabei wirklich auch zum Nachsinnen bringt im Leben. Und ich freue mich wirklich sehr, wenn ihr Euch individuell die Zeit dafür nimmt, ihn zu lesen. Sie wartet schon tiefstsehnsüchtig auf euch.😀
Ich hatte mich eigentlich wirklich auf dieses Buch gefreut, da ich das Thema der alternativen Fakten sehr spannend finde und den Grundgedanken dieses Buches wirklich interessant fand. Die Umsetzung war aber nicht so gut. Ich bin mit dem Schreibstil wirklich nicht zurechtgekommen. Es war anstrengend zu lesen, für mich zu philosophisch und in sich verstrickt, sodass ich mich mehr durch das Buch gequält habe als dass ich Spaß daran hatte. Die Sprache war teilweise auch ziemlich vulgär und meiner Ansicht nach auch unnötig vulgär. Das hat sich auch nicht durch das komplette Buch gezogen, sondern ist nur phasenweise aufgetreten, aber wenn, dann war es für mich als Leserin sehr unangenehm. Es kam mir so vor, wie wenn es viele einzelne Fäden in diesem Buch gibt, aber keinen wirklich zusammenhängenden Strang. Am Ende bin ich mit mehr offenen Fragen aus diesem Buch herausgekommen als ich am Anfang hatte. Meiner Ansicht nach trifft der Klappentext auch nicht wirklich das, was in dem Buch geschrieben wird, denn ich finde, dass wir über den Klappentext nicht wirklich hinausgekommen sind. Leider wurde ich ziemlich enttäuscht und meine doch hohen Erwartungen nach Lesen des Klappentextes wurden nicht erfüllt.
„Vielleicht ist Terror einfach ein Wort, das man für wirksamen Aktionismus verwendet.“ (S. 213) ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀ Byproxy, Spieleentwicklerin und schwerbehindert, tritt der Aktivistengruppe Aletheia bei. Diese kämpft für die absolute Wahrheit und will die Öffentlichkeit in Österreich bekehren, ist sich dabei aber nicht ganz eins. In welchem Umfang soll Aktivismus betrieben werden? Wie wäre es mit einem Terroranschlag? Aletheia ist eine Ansammlung von Philosoph*innen, die der Frage nachgehen, was verdammt nochmal Wahrheit ist. ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀ Ich habe kaum die passenden Worte, um dieses Buch zu beschreiben. Raphaela Edelbauer schafft mit diesem Roman eine Welt, die wirkt, wie ein bloßes Beiwerk der Protagonistin Byproxy. Ist sie eine zuverlässige Erzählerin? Oder berichtet sie nur von ihrer eigenen, subjektiven Wahrheit? ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀ Es ist schon ein sehr anspruchsvolles Werk, und zugegeben, bei den philosophischen Ausführungen bin ich öfter mal nicht richtig mitgekommen. Ich würde auch sagen, dass es doch einige Längen hatte. Für mich war jedoch die Protagonistin diejenige, die meine Aufmerksamkeit in der Geschichte gehalten hat. Ich fand sie spannend und kalkulierend, unbeugsam und doch irgendwie auch ein wenig menschlich. ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀ Begeistert hat mich auch der Humor, der gerade in den Kammerspiel-Szenen der Gruppe durchscheint. Mein liebster Ausdruck war definitiv „Lektür mich am Arsch“, ich hoffe, den kann ich irgendwann mal im wahren Leben einbringen! ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀ 3,75/5 ⭐️
Dieses Buch begann für mich mit einem Versprechen, das eine Rezension im Feuilleton der Zeit geweckt hatte: dem Gewinn neuer Erkenntnisse.
In der Tat gab es einige – wenn auch wenige – davon. Besonders die Passagen zum Phänomen der „alternativen Fakten“, etwa bei Trump und anderen Faschisten (in Deutschland der AfD), empfand ich als tiefgründig und bereichernd.
Aber: Die Erzählung ist für meinen Geschmack zu langatmig, ermüdend, unnötig kompliziert und verkopft – und dadurch letztlich langweilig. Bis zuletzt hatte ich gehofft, durch einen interessanten oder überraschenden Schluss belohnt zu werden. Leider Fehlanzeige.
Die Autorin hat sichtbar große Freude am ausgiebigen Kreisen um philosophische Fragestellungen. Für philosophisch interessierte und entsprechend vorgebildete Leserinnen und Leser mag das anregend sein.
Bei mir jedoch bleibt am Ende vor allem ein Gefühl verlorener Zeit zurück.
Ich bin wirklich sehr positiv überrascht. Ich will mehr von Raphaela Edelbauer lesen! "Die echtere Wirklichkeit" spielt mit der deutschen Sprache so gekonnt, dass das Lesen wirklich ein fantastisches Erlebnis war. Das Buch ist leider nicht für jedermann gedacht, man muss philosophische Gedankengänge und komische Chaoten als Charaktere mögen um wahrscheinlich Gefallen an dem Buch zu finden. Auch hatte ich etwas anderes erwartet als ich die Kurzbeschreibung gelesen habe, aber trotzdem war es ein Genuss diese Geschichte zu lesen. Es ist spannend erzählt und die Story geht auch zügig voran, ohne dass es langweilig wird. Über mehrere Ebenen wird hier ein Konstrukt aufgebaut, was auch den Leser herausfordern kann. Was ist denn schließlich wirklich die echtere Wirklichkeit und die wirkliche Wahrheit gewesen?
** Dieses Buch wurde mir über NetGalley als E-Book zur Verfügung gestellt **
Das Buch hat mich irgendwo in der Mitte verloren, zuviel philosophisches Seminar, zuwenig Entwicklung,, schon gar keine Spannung, wenngleich mitunter sehr amüsante Beobachtungen Byproxys und einige witzige Dialoge. Hab auf der Buch Wien die großartige Besprechung des Buches durch Klaus Kastberger und Shirin Sojitrawalla - und auch auf anderer Bühne ein Interview mit Edelbauer selbst - miterlebt …. Und werde es nun vielleicht zu Ende lesen, da es offenbar im zweiten Teil noch einige Überraschungen gibt (besonders gespannt bin ich auf den Besuch in der Kronen Zeitung, wofür sich Raphaela Edelbauer - wie sie in besagtem Interview erzählte - höchstpersönlich auf fact finding mission begeben hat).
Ein Knall. Eine philosophische Untergrundgruppe, die mit lächerlichen Mitteln einen Windmühlenkampf um die Erhaltung einer letzten, ontologischen Wahrheit kämpft, die den falsch verstandenen Relativitäts-Diskursen entgegengesetzt werden könnte. Bis Biproxy sich unter die kuriose Gruppe mischt und neue Projekte aufs Papier bringt.
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Spannender Roman mit skurrilen Figuren und grotesken Szenen um eine philosophisch ausgerichtete Terrorzelle, die gegen Verschwörungsmythen und Wissenschaftsfeindlichkeit in analogen und medialen Welten kämpft. Wie Don Quichotte gegen die KI... Virtuos erzählt, setzt aber Interesse an philosophischen Debatten voraus.