Nun ist Nies schon über dreißig, aber manchmal wirkt er noch alles andere als erwachsen. Er wirft lieber Eier und Tomaten an Hauswände, als wie sein Bruder in einer Bank zu arbeiten. Und dass seine Eltern ihn als Kind ziemlich früh allein gelassen haben, taugt auch nicht ewig zur Entschuldigung, selbst wenn Nies an seinem trotzigen Spitznamen aus jener Zeit eisern festhält. Er ist ein Beobachter, ein Spieler, der sich auf alles einen eigenen Reim macht. Eher durch Zufall findet er plötzlich doch noch einen Job: in einem Bestattungsinstitut. Die Begegnung mit dem Tod verlangt ihm einiges ab, gerade auch weil Verantwortungsgefühl bislang nicht eben zu seinen herausragenden Fähigkeiten zählte. Mit Improvisationstalent kann er einiges wettmachen, und im Grunde ist er ja auch ein grundanständiger Typ. Was auch immer für Klischees existieren mögen - Bestattungshelfer ist ein hochabwechslungsreicher Beruf. Und die Würde des Menschen endet nicht mit seinem Tod. Kai Weyand ist ein Erzähler mit Sinn für Absurdes und das Ineinanderübergehen von Ernst und Spaß.
Was diesen Roman ausmacht, sind schwarzer Humor und ganz schön schräge Logik. NCs autistische Denkweise hat etwas philosophisches. So glaubt er nicht an Freundschaft, weil das Wort mit F anfängt. F sei ein wackeliger Buchstabe, sozusagen ein defektes E, dem der letzte Strich abhanden gekommen sei und darum müsse es jetzt eigentlich umfallen. Dergleichen Gedankengänge gibt es öfter und sie sind recht unterhaltsam. NC will nicht gedanken- oder pietätlos sein, aber so verrückt, wie er seine Gedanken formuliert, bekommt man einen neuen Blick auf die Dinge.
Mit „Applaus für Bronikowski“ schaffte es Kai Weyand 2015 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises und obwohl ich mich immer sehr für diesen interessiere, ist dieser Titel (leider) an mir vorübergegangen. Das sollte sich mit Erscheinen der Taschenbuchausgabe aber schleunigst ändern, klingt der Inhalt doch unglaublich vielversprechend!
Nies ist gerade mal dreizehn, als seine Eltern beschließen nach Kanada auszuwandern und die Verantwortung für Nies von nun an auf seinen großen Bruder übertragen – oder vielmehr auf Nies selbst. Da ist der Punkt erreicht, von dem an Nies trotzig beschließt nicht mehr länger Nies zu sein, sondern „NC“, No Canadian. Während Bernd, NC’s großer Bruder, von Jahr zu Jahr erfolgreicher wird, versucht sich NC mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten und scheint auch mit dreißig kaum ein Stück erwachsener geworden zu sein. Er überlässt sein Leben lieber dem Zufall und den Empfehlungen von Frau März, die ihm nicht nur Streusel, sondern auch die Holpenstraße ans Herz legt, in der er seine neue Arbeitsstelle gefunden zu haben scheint: ein Bestattungsunternehmen! NC arbeitet von nun an als Bestattungshelfer und lernt, dass jeder Tote seine ganz eigene Geschichte und eine individuelle, würdevolle Behandlung verdient. Doch NC wäre nicht NC, wenn er auch dort nicht für Aufsehen sorgen würde…
Dieses knapp 187 Seiten dünne Büchlein beinhaltet eine bitterzarte und tragischkomische Geschichte, die ans Herz geht, ohne dabei zu schwer zu sein. Kai Weyand schafft es mit klugem Wortwitz, viel trockenem Humor und einer leichten, neutralen, aber brillanten Sprache einen herzensguten Außenseiter, eine Art verschrobenen Antihelden bildhaft auferstehen zu lassen. NC, für den Freundschaften schon allein deswegen unmöglich erscheinen, weil das Wort „Freundschaft“ mit einem „F“ beginnt und er: „Wörtern, die mit F beginnen grundsätzlich nicht trau[t]. Vom Buchstaben E aus gesehen, fehlt dem F ein Stück, und zwar die Basis, vom G aus gesehen, fehlt ihm der Schwung, und insgesamt betrachtet, ist der Buchstabe nicht ausbalanciert.“ ist ein herrliches Unikat. Es macht Spaß an seinen Gedanken teilhaben zu dürfen: „Es kam ihm vor, als wären die Wörter auch nichts anderes als Zahlen, formbar wie Schlangen. So wie man im Handumdrehen aus einer 6 eine 9 machen konnte, so stellten auch Wörter Dinge auf den Kopf, wenn man nicht aufpasste.“ Auch wenn man seine Denkweise nicht immer nachvollziehen kann, weil sie teilweise doch ein wenig verrückt anmutet, macht ihn das nur umso sympathischer und authentischer. Nach und nach verdichtet sich die Geschichte und man kommt sowohl der Covergestaltung (ich sage nur: dreibeiniger November) als auch dem Titel auf die Schliche. „Applaus für Bronikowski“ ist ein Buch, das einen nachdenklich und beschwingt zugleich zurücklässt und damit ganz nach meinem Geschmack, ich kann es nur weiterempfehlen!
Obwohl in dieser tragisch-komischen Groteske vom ersten bis zum letzten Satz alles stimmt & insofern der gesetzte Schlußpunkt nicht runder sein könnte: man wüßte schon gerne, wie die Geschichte mit Nies, dem Bestattungshelfer, Frau März, der Bäckereifachverkäuferin, und November, dem dreibeinigen Hund, weitergehen könnte – vielleicht erhört uns ja der Autor..? Großes Vergnügen !
4 Sterne für den Einstieg, geradezu grandios gut gefiel mir Nies' Reaktion auf die Ankündigung seiner Eltern. Im letzten Viertel kippt das Buch für meinen Geschmack leider zu sehr ins Klamaukige. Das ist ein hartes Wort an dieser Stelle, aber im Vergleich zum Rest wirkt es spätestens als Bronikowski ins Spiel kommt, so. Schade, denn NC und seine (Wort-)Überlegungen hätten es nicht nötig gehabt, eine solche inhaltliche "Spannung" aufzubauen.
This is a surprising book, difficult to describe without spoiling the plot. It seems the more I like a book the harder it is for me to review it. I can recommend this to anyone who reads German (for the rest of, it'll be worth waiting for a translation)!