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Ein Sportstück

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Bruch. Heimatflucht. Partielle Emigration. Als Elfriede Jelinek, die femme fatale der österreichischen Gegenwartsliteratur, vor zwei Jahren erklärte, ihre Stücke seien künftig nur noch außerhalb der Alpenrepublik zu sehen, klang das wie der medienheischende Spleen einer, die Angst vor dem Vergessenwerden hat. "Feigheit und Müdigkeit" im Kampf gegen die "verkommene österreichische Presse", deren "Gegeifere" sie nicht mehr ertragen konnte, gab die stets umstrittene, gelegentlich "Wegbereiterin linken Terrors" genannte Autorin als Motivation an. Als Zeichen der Kapitulation vor den Entwicklungen in ihrem Heimatland wurde sie ihre eigene Rattenfängerin.

Ihr Drama "Stecken, Stab und Stangl", ein Stück über den Mord an vier Roma im Burgenland und die Serie von Briefbombenattentaten, ist damals in Hamburg uraufgeführt worden, und Theater heute wählte es zum Stück des Jahres 1996. Die alliterierten Begriffe im Titel stehen für ein konservatives Plebiszit -- etwas, das Sigrid Löffler als "Verhausmeisterung" Österreichs beschrieben hat. Stangl war Kommandant von Treblinka, Staberl heißt ein Kommentator der Wiener Kronen-Zeitung -- in Jelineks Augen einer derjenigen, die das "Regime des Pöbels" in Österreich vorangetrieben haben. Jeder ist Stab, Stab ist der deutsche Alltag. In dieser Konsequenz sind die Jelinekschen Figuren sich selbst Marionette und einander Abziehbild.

Die Autorin macht sie zu Akteuren in einer Metzgerei, welche zum Zeichen für die Pathologisierung von Vergangenheitsbewältigung wird. In dieser Arena sind die Kunden die Empfänger dessen, was der Fleischer propagiert. Dieser, in seiner Tendenz zur Relativierung vergangener Verbrechen, ist gewissermaßen der Stab der Stäbe -- und als Figur der Spiegel des Kommentators der Kronen-Zeitung.

Alles in dieser Metzgerei wird von den Akteuren allmählich mit rosafarbenem Häkelwerk überzogen. Man strickt sich ruhig, permanent und akribisch. Faden und Maschen sind der Mantel, den man über die Geschichte zieht. Die Häkelmetapher macht deutlich: Vergessen ist schon nicht mehr nur Selbstschutz, sondern gerät zur Manie. Der Imperativ des Heineschen "wir weben" ist von der unauslöschlichen Kampfansage zur triebhaften Verdrängung degeneriert. Nur der Gedenkstein muß noch überwacht werden, sagen die Kunden im Fleischerladen.

Qui parle? Wer führt eigentlich welches Wort? Jelinek schreibt Wortstücke, bei ihr regiert die kontrollierte Konglomerierung -- Phrasen und Sprachhülsen greifen ineinander. Ich will ein "kontrapunktisches Sprachgeflecht" erzeugen, nennt sie das, und so mischen sich Biederkeiten mit Celanschen Lyrikfetzen, Jelinek mit Heidegger zu einem großen allegorischen Zynismus.

Der Text ist unruhig, manchmal fast schon zu dicht, um nicht zu sagen: übertrieben moralisierend gewichtet. Einzelne Passagen verunsichern dann so, daß man nicht weiß, ob man lachen soll, weil man den Bezug kennt, oder weil man damit überrascht wurde. Letzten Endes lacht man inmitten des Gewirrs der lakonischen Konterkarikaturen gar nicht. Die Story, die uns im Drama erzählt werden soll, ist das Drama der Beiläufigkeit in der Welt. Eine Welt, die den Tod zum Smalltalk-Thema macht.

"Ich bin im Grunde ständig tobsüchtig über die Verharmlosung", meint die Jelinek in einem Interview. "Stecken, Stab und Stangl" ist konsequenterweise als Anschlag auf die Zeremonisierung von Trauer gemeint, durch die man sich zu beruhigen sucht. Die von ihrem "Stück-Fleischer" als "doppeltkohlensaure Gletscherspalte" angegriffene Autorin konstruiert eine Scheinwelt -- als Parabel auf eine Welt mit schönem Schein, die sie allerorts wittert.

"Für die, die sprachlos sind oder deren Sprache wir nicht verstehen, zu sprechen, das war mir sehr wichtig." Wenn der Text dann teilweise trivialkabarettistisch gerät, dann drückt man schon mal ein Auge zu -- das moralische Tremolo muß stimmen. Das Trauma wird als Kopf eines deutschen Schäferhundes mit Zeitung in der Schnauze am Ende noch bebildert, und die Didaktik wird beinahe unbeschwert, als der Konservativgeist Fleischer (Die Welt ist ein Rubbellos!) mephistophelisch süffisant droht: "[W]o immer man reibt, kommt der Fleischer zum Vorschein". Nichts wird gut, aber wie es besser wird, weiß auch eine Jelinek nicht. --Ron Winkler

187 pages, Hardcover

First published January 1, 1998

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About the author

Elfriede Jelinek

163 books1,099 followers
Elfriede Jelinek is an Austrian playwright and novelist, best known for her novel, The Piano Teacher.

She was awarded the Nobel Prize in Literature in 2004 for her "musical flow of voices and counter-voices in novels and plays that, with extraordinary linguistic zeal, reveal the absurdity of society's clichés and their subjugating power."

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Displaying 1 - 6 of 6 reviews
Profile Image for Dridge.
170 reviews1 follower
April 3, 2015
Kennt ihr solche Leute? Es gab doch sicher auf jeder Schule irgendwelche „Dichter“, die sich viel auf ihren achso avantgardistischen Geschmack einbilden, weil sie Jazz anstatt Rock hören, Wein statt Cola(-Bier) trinken und in irgendwelchen abgehalfterten Kneipen eigenhändige „Lesungen“ organisieren, auf denen sie ihre seltsamen Texte vorlesen. Dabei handelt es sich natürlich meistens um „Gedichte“ ohne Reime, Versbau oder Metrik (das System dahinter verstehen sie überhaupt nicht), „aber ist ja auch egal“; Im Mittelpunkt stehen geschwurbelte, unzusammenhängende Aussagen, Bilder und Metaphern hinter denen natürlich eine ganz profunde Bedeutung steckt, für die die aber der ungeschulte Gemeinleser natürlich bloß zu dämlich ist, um sie zu finden. (Insgeheim überlassen sie aber einfach selber dem Leser/Hörer die Arbeit, eine Botschaft zu erzeugen.) Kennt ihr solche Leute?
Ich müsste also eigentlich Elfriede Jelinek aufs Abgrundtiefste hassen, machen ihre Texte doch genau den gleichen Eindruck wie die eben von mir beschriebene „Literatur“. Mit dem einzigen, aber sehr bedeutenden Unterschied: Jelineks Texte sind tatsächlich schlau.
Das macht das Lesen natürlich trotzdem nicht spaßig, ganz und gar nicht. Die Frage bei der Bewertung sollte also sein, zeigen 3 Sterne an „Ich mag es“ oder „Ich mochte es“? Denn gemocht habe ich es überhaupt nicht, der Leseprozess ist anstrengend, nervig und unerfreulich. Im Darübernachdenken kommt man aber irgendwie nicht an den Worten „genial“ herum.
Denn hier steckt wirklich viel drin, das muss man ihr einfach lassen. Vieles ist mir sicherlich auch einfach entgangen, weil ich zu dumm war, nicht aufmerksam genug, mich nicht ausreichend mit den referenzierten Tatsachen auskenne etc. Aber das ist nun einmal der Unterschied - Hier wurde sich tatsächlich etwas dabei gedacht und das merkt man ständig. Man merkt auch, dass sie tatsächlich ihr Genre mag, gerne Texte wie „Die Hamletmaschine“ liest und nicht einfach nur irgendwas hinschwurbelt. Und noch dazu ist „Ein Sportstück“ sprachlich teilweise richtig, richtig gut. Außerdem sind einige Stellen tatsächlich sogar ganz schön witzig, was durch die bedrückende, konfuse und mental geschädigte Stimmung aber gerne mal untergeht.
Auch wenn mir ihre Texte ästhetisch überhaupt nicht zusagen, muss ich einfach davor Respekt haben, dass sie schon seit zig Jahren ihr Ding macht, die Leser in eine Welt schickt, die absolut einzigartig und geisteskrank ist, zudem bewusst an ihrer Scheinbiographie und Selbstinzenierung arbeitet, die sie auch noch in ihre eigenen Werke einschreibt, und dazu auch noch Texte verfasst, gegen die Kafka und Heiner Müller ein Spaziergang sind. Man merkt ihr auch immer durchaus an, dass sie sich mit Literaturtheorie befasst und explizit versucht, Grenzen auszureizen; Nicht nur von der Gattung Drama, sondern auch von Literatur und vielleicht sogar von Sprache im Allgemeinen.
Ein verdienter Nobelpreis für diese herrliche Beklopptheit.
Profile Image for Salvatore.
1,146 reviews57 followers
January 19, 2018
The most straightforward of the Jelinek plays I've read. Interesting imagery of sport and war - and even philosophy - all being compared to one another, all so focused on the individual, all so focused on objectification (of men and women). How sport can start and calm war. How philosophy is distant and yet immediate. It almost reads more like an ancient Greek work than a modern piece - well we all know Elfriede loves Euripides.

Perhaps my favourite thing to come from this is something one of Jelinek's directors (at least I think it was a director) said about the text of the author's plays: They're like sourdough starters - some you use, some you give to friends, and some you throw away.

One day I'd like to see a staging.
10 reviews2 followers
August 13, 2025
Groß, gewalttätig, wichtig, wahr. Aber auch ein Wuttanz, der auf der Stelle tritt. Das ist zum einen anstrengend, zum anderen aber künstlerischer Inhalt: keine Entwicklung oder höhere Aussage, nur Wut.
Profile Image for MacK.
670 reviews223 followers
August 17, 2024
The concept of a post-dramatic play that aims to capture both the beauty of human achievement through sports, and the inanity of our obsession with sports is compelling. In the hands of an excellent and visceral writer like Elfriede Jelinek it has tremendous promise.

It's also just absurdly tough to understand.

In full confession, post-dramatic drama has never really made sense to me: it's prose poey, read aloud with tremendous feeling and intention, balanced by background imagery or foreground action that suggests a theme...but never approaches character or story. A critic I read alongside this play called it "a mass of text shoveled together".

That can provide some curious moments, some penetrating insights, and arouse genuine curiosity...but it's not exactly a rollicking good time. So while I will never come back to this, I can acknowledge it has many intriguing suggestions...if you can figure them out.
Profile Image for binaliest.
66 reviews9 followers
November 24, 2020
nur einzelne teile davon gelesen, ist aber sehr unterhaltsam und smart geschrieben!
auch die „sport als krieg“-idee fand ich sehr ansprechend.
Displaying 1 - 6 of 6 reviews

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