Von den 68er-Müttern im Aufbruch hat eine Töchtergeneration den Auftrag erhalten, die Welt zu verbessern – das Waldsterben und die Aufrüstung zu stoppen, ein Zimmer für sich allein zu haben, gemeinsam stark zu sein –, und diesen Auftrag kann Sandra nicht vergessen. Mit vierzig Jahren und als Mutter zweier Kinder ist aus ihr eine Art Kassandra vom Prenzlauer Berg geworden. Sie sieht, dass die Ideale der Elterngeneration im Alltag verloren gehen, auf dem Spielplatz versanden, im Plenum der Hausgemeinschaft ad absurdum geführt werden. Alles auszusprechen, ist offenbar keine Lösung, weggehen kann sie jedoch auch nicht, außerdem genießt sie ihre Privi legien. Sie feiert die Kindergeburtstage wie früher, wie Pippi Langstrumpf, doch der Kern der Utopie ist nicht mehr da. Und die bodentiefen Fenster machen den Alltag allzu durchsichtig. Am Ende von Anke Stellings Roman, der in schöner Sprache Bitterböses erzählt, geht es ins Müttergenesungswerk: »Damit Mama wieder lacht.« Bodentiefe Fenster – bodenlose Gegenwart.
Ich kann die Existenzweise verstehen, aber das kommt mir vor wie Anderen-ins-Gesicht-Niesen in öffentlichen Verkehrsmitteln, nur halt mit Depressionen statt mit Schnupfen, und der Erkenntnis- oder Formulierungswert wiegt die Ansteckung nicht auf.
Update 2023: Ich bin schon lange unzufrieden mit diesem Kommentar und würde das nicht mehr schreiben aus zwei Gründen: Erstens impliziert es, dass man Depressionen für sich behalten und nicht drüber reden sollte, was falsch und gefährlich ist. Zweitens gibt es viele Bücher, in denen jemand darauf hinweist, dass in irgendeiner Angelegenheit nicht alles rosig ist, und Leute wie mich, die sich dann dagegen wehren und "seid doch nicht so schlechtgelaunt!" rufen, und es sind meistens nicht die Leute wie ich, die dabei recht haben. Ich vermute, dass ich dieses Buch trotzdem immer noch nicht mögen würde, will es jetzt aber nicht noch mal lesen, um das rauszufinden.
Und zwar deshalb, weil es erschreckend deutlich zeigt, wie gut es der Gesellschaft heutzutage geht:
In "Bodentiefe Fenster" geht es um Sandra, die, gute vierzig, zweifache Mutter und in einer Beziehung lebend, in eine schlimme Depression rutscht, weil sie sich komplett überfordert fühlt und ihre Mitmenschen mit ihren jeweiligen kaputten Leben langsam aber sicher nicht mehr erträgt. Sie wohnt in einem Wohnprojekt, einem Haus mit mehreren Parteien, in dem das Miteinander gelebt werden soll, ohne Status oder Herkunft. Man besucht sich gegenseitig, es gibt alle zwei Wochen eine Versammlung im Gemeinschaftsraum, in dem aktuelle Probleme und/oder Themen besprochen werden, der Garten ist für alle da.
Die Geschichte ist in der Ich-Form geschrieben und lässt sich flüssig lesen. Auch die Dialoge sind gut gesetzt. Man ist also schnell durch damit.
Was mich so erschreckt hat, an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass es abertausenden von Eltern so geht wie Sandra. Die nicht aus noch ein wissen, weil das Gedanken- und Grübelkarussell niemals stillsteht: wenn sich nicht sämtliche Überlegungen um das eigene Kind drehen, so dann doch um die der Schwester, oder der besten Freundin, oder der Nachbarn. Die eigene Beziehung wird von vorne bis hinten durchanalysiert, und dann auch gleich noch die der Verwandten und Bekannten. Nahrungsaufnahme ist ohnehin eine Wissenschaft für sich, denn schließlich muss ja alles BIO sein, Probleme werden bis zum Erbrechen ausdiskutiert, und wo das nicht möglich ist, entwickelt sich aus den unterdrückten Lösungswünschen Geschwüre, die über kurz oder lang alle Gedanken zuwuchern. Alles muss perfekt sein, alles muss perfekt laufen, innerlich wie äusserlich - und an diesem ganzen Summs scheitert Sandra schlussendlich. Sie lebt in einer einigermaßen harmonischen Beziehung, ist nicht obdachlos und/oder arbeitslos, hat zwei gesunde Kinder und ist selbst eigentlich eine selbstbewusste, normale Frau. Doch die zig-millionen Gedanken, mit denen sie ihr tägliches Dasein verstopft, lassen sie wie in einem Hamsterrad immer schneller und schneller rotieren, und irgendwann kollabiert sie schlussendlich.
Vielleicht lag es daran, dass ich zufällig an dem Tag, als ich dieses Buch ausgelesen habe, mit meiner Mutter über meine Kindheit geredet habe, wie sie mich und meine Zwillingsschwester ohne jegliche fremde Hilfe (mein Vater war arbeitstechnisch viel zu viel eingespannt) aufs Leben vorbereitet hat. Nach "Bodentiefe Fenster" frage ich mich schon, wie sie das geschafft, nein: überlebt hat. Wie gut muss es einer Sandra-Generation gehen, die sich in Problemen, wie in "Bodentiefe Fenster" beschrieben, ihr eigenes Grab schaufeln? Die dermaßen fixiert sind auf Kinder, auf Partner, auf ihre ganze Lebensweise, dass sich dabei irgendwann die Katze selber in den Schwanz beißt.
Natürlich wird hinterfragt, und natürlich läuft nicht immer alles glatt. Es gibt Zeiten, da sind die Batterien einfach leer, und natürlich macht man sich über dies und das Gedanken. Das ist auch richtig und gesund. Aber im Buch von Anke Stelling hätte ich Sandra gerne selbst von ihrer Dachgeschosswohung in den Gemeinschaftsgarten gestossen, damit sie es endlich hinter sich hat!
Ich fand den Roman sehr gut geschrieben, die Not der Ich-Erzählerin nachvollziehbar. Die Beschreibung des Alltags im Mehrgenerationenhaus und in welchen ständigen Konflikten die Hauptperson Sandra darin lebt, sind nicht mit Wertungen verbunden (die ich anfangs meinte finden zu müssen). Menschen sind halt so, Sandra kann den Hintergrund und die Motivation von jedem und jeder nachvollziehen. Ihre Biografie entspricht dem Westberlin-Klischee meiner Generation: Kinderladenkind, ihre Mutter ist die beste Freundin der Kinderladen-Betreiberin. Sandra wächst auf mit Liedern und Spielen, die eine gerechtere Gesellschaft zum Ziel haben, die alle Kinder zu freien, solidarischen und engagierten Menschen machen wollen und fest davon ausgehen, alle gleich zu behandeln. Doch sie merkt mit ihrer angeborenen besonders großen Empathie von klein auf, dass auch in dieser Gesellschaft Menschen ausgeschlossen werden, dass Glück, Veranlagung und Zeitgeist den einen bevorzugen, die andere hängen lassen. Und sie leidet darunter, auch als Erwachsene, weil sie einerseits keine Lösung dagegen hat, sich aber dazu verpflichtet fühlt (Kinderladen-Erziehung), etwas zu tun. Ebenso wenig wird uns Leserinnen am Ende eine Lösung geboten, so ist das Leben, so sind die Menschen halt. Da muss man durch, selig diejenigen, die sich ihre Illusionen erhalten.
Die unlösbare Aufgabe, eigenverantwortlich das Richtige im Falschen zu tun und die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft, die es nicht gibt. Anke Stelling spielt am Beispiel von Sandra (Freie Redakteurin mit 2 Kindern, Mann, Wohnprojekt) die letztlich selbstzerstörerische Sisyphusaufgabe durch, es in einer kapitalistischen Gesellschaft ohne verwirklichte Gleichberechtigung der Geschlechter und mit all dem anderen etablierten Scheiß "richtig" , oder zumindest besser zu machen. Linker Idealismus der 70er, unmoderiert durch eine Kapitalismuskritik, die die eigenen und vor allem gesellschaftlichen Grenzen zur Veränderung deutlicht machen würde, verkehrt sich ganz neoliberal in persönliche Eigenverantwortung zur Veränderung - für das gemeinsame Gute, das doch irgendwie nie gemeinsam ist - und reibt Sandra letztlich auf, die sich als Mutter auch noch die Veranwortung für ihre Kinder und deren Zukunft aufbürdet und diese Bürde voll zu spüren bekommt. Innere und äußere Erwartungen und Ansprüche münden in ewigem Scheitern und täglicher Tragik. Das Ideal der alternativen Gesellschaft kehr sich in ihr zerstörerisches Gegenteil: neurotische Vereinzelung.
“Bodentiefe Fenster” hat als ein Buch begonnen und als ein ganz anderes geendet. Und vielleicht war das Absicht - wahrscheinlich sogar - der ironisch-witzige Blick auf Eltern mit Weltverbesserungsanspruch, eine Idylle mit Abgrund, in den die Protagonistin unaufhaltsam abrutscht. Sandra trauert um ihre tote Mutter, um ihre schwierige Beziehung zu ihrer Schwester, die eingeschlafene Beziehung zu ihrem Mann. Dabei umgibt sie sich mit so vielen Menschen - ihre Nachbarinnen und Nachbarn im Mehrgeberationenhaus und deren Kinder, Freundinnen aus allen Lebensphasen, Geister von Betreuerinnen, Verwandten und Familienfreundinnen aus ihrer Kindheit - dass sie sich selbst in der Menge verliert, vor lauter Sorge darüber, was sie wohl alle denken. In der Mitte hätte ich das Buch beinahe aufgegeben, zu wenig passiert ausserhalb von Sandras Kopf und zu lange zieht sich ihr Selbstmitleid hin. Und nachdem die Geschichte gegen Schluss wieder an Fahrt aufnimmt, endet sie abrupt und ohne wirkliche Entwicklung oder Erkenntnis.
Flotte, moderne (lebensechte?) Sprache, die schicke Zeitgeistformeln ebenso in den Fleischwolf der Überforderung einer Mutter eindreht wie permanentes Kindergebrüll und die Weltanschauungen linksalternativer Reformpädagogen. Stelling eröffnete mir mit diesem Buch einen Blick auf das mit Sicherheit unfassbar anstrengende Muttersein und zeigt auf furiose Weise die zahlreichen Zerreißproben zwischen den Generationen und Wertesystemen.
Interessantes Buch. Das zeigt einem wie man später NICHT werden will. Simple und absolut zeitgemäße Thematik in der heutigen Zeit. Ein Stern Abzug für zu wenig Spannung.
Wer "Schäfchen im Trockenen" mochte, wird das hier auch mögen. Allerdings gilt auch, wer "Schäfchen im Trockenen" schon kennt, wird hier nicht viel Neues erfahren.
Aus einer privilegierten Position heraus wird hier auf hohem Niveau gejammert, selten hab ich mich so ertappt gefühlt. Mutterschaft in ihrem ganzen alltäglichen Wahnsinn und auch Trübsinn auf den Punkt gebracht. Leider ohne Hoffnungsschimmer oder Licht am Ende des Tunnels, die muss man dann wohl selber finden.
Ich würde das Buch nicht unbedingt als Lesevergnügen bezeichnen, eher als Spiegel meiner dunkelsten Tage, aber manchmal ist es auch genau das, was man braucht.
Bodentiefe Fenster liest sich leider wie ein erster Entwurf von Schäfchen im Trockenen. Die Themen decken sich großteils: Beide behandeln Mutterschaft, Generationenkonflikte, Wohnprojekte, Scham. Nur ist Sandra in Bodentiefe Fenster direkt im Projekt beteiligt, während Schäfchen im Trockenens Resi eine Außenstehende ist und das Ganze mit ein bisschen mehr Zynismus kommentiert. Bodentiefe Fenster versucht, zu viele Geschichten auf einmal zu erzählen, und geht dabei unbeholfen vor, bis man die unterschiedlichen Geschichten und Gesichter kaum noch auseinanderhalten kann und das Geschehen geradezu überspitzt erscheint. Versteht mich nicht falsch: Auch hier trifft Anke Stelling oftmals einen Nerv, und an diesem Buch sieht man m.E., wie sie drei Jahre später etwas so Großartiges wie Schäfchen im Trockenen publizieren konnte. Im Großen und Ganzen bleibt allerdings leider nicht allzu viel von dem Buch hängen, denn durch die verschiedenen Herde, auf denen es kocht, brennt das Gericht wahlweise an oder wird gar nicht erst gar.
„Bodentiefe Fenster“ liest sich flüssig. Mir gefiel der Stil der Erzählung, außerdem die komplexen Figuren, die sehr genauen, manchmal gnadenlosen Beobachtungen. Der beschriebene Teil der Gesellschaft - idealistische Akademiker, selbst Kinder der 68er-Generation mit eigenen Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter - ist, soweit ich das beurteilen kann - gut getroffen. Ich kann es allerdings nicht besonders gut beurteilen, weil ich mit dieser Generation praktisch keine Berührungspunkte habe - zu jung, um meine Eltern oder deren Freunde zu sein und zu alt um zu meinem näheren Umfeld zu gehören. Streckenweise kamen mir die Sorgen, Nöte und Denkmuster der Protagonistin bekannt vor, gerade im ersten Drittel habe ich mich oft ertappt gefühlt. In den lächerlich hohen Ansprüchen an sich selbst, dem ständigen Drang gefallen und alles richtig machen zu wollen und der Erkenntnis, dass man dabei die ganze Zeit an wahren first world problems verzweifelt, habe ich mich mehrmals wiedergefunden. Wahrscheinlich hat mich das Buch deshalb bis zum Schluss gefesselt, obwohl es mich am Ende so ratlos zurückgelassen hat, wie ich es nach den ersten 100 Seiten geahnt habe. Am Ende ist für mich nichts geblieben, keine einprägsamen Charaktere, kein Ergebnis, kein Trost und gar keine Erkenntnis - nichtmal eine wenig zuversichtliche; damit wäre ich durchaus auch klargekommen. Aber irgendwie hört das Buch einfach auf. Das fühlt sich unbefriedigend an. Insgesamt hat es mich nicht überzeugt und - so merkwürdig das klingen mag - teilweise beim Lesen richtig übel gestresst. Vielleicht ist das auch Kunst. Dann aber leider nicht die Art, mit der ich etwas anfangen kann. Fazit: Nicht schlecht, für mich aber weder ein Genuss noch besonders gehaltvoll. Vielleicht muss man der Generation angehören, aus deren Perspektive es geschrieben ist. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es dann eine ganz andere Wirkung hat.
Ich fand das Buch toll. Es wird von der Perspektive eine Frau (und Mutter) erzählt, die in eine Wohngemeinschaft wohnt und sehr viel Glaube daran hat, dass wir zusammen starker sind. Aber durch das, was sie sehr genau beobachtet, wird ihre Glaube langsam immer mehr in Frage gestellt. Die Nachbarn, die ihre Türen doch zu haben. Die Konkurrenz, dass es unterschwellig zwischen ihnen gibt. Die Angstmütter, die gelähmt gegenüber ihren eigenen Kindern stehen. Und keine können es zugeben außer Sandra. Wir sehen zu, wie sie langsam aber sicher zusammenbricht.
Ich fand dieses Buch hat eine Krankheit unserer Gesellschaft sehr genau und nachvollziehbar beschrieben, in eine witzige aber etwas erschreckende Weise. Sandra hat einen sehr scharfsinnigen Blick für die Problem und Leiden von anderen, aber irgendwo ging ihre eigenen Bedürfnisse verloren. Letztendlich hat man sehr wenig Kontrolle über die anderen. Und ich habe die Lektion genommen, dass wir auf einander, aber vor allem auf uns selber aufpassen müssen.
Vielen Dank an Nina für das Ausleihen dieses Schatzes!
Bodentiefe Fenster hat mich ganz schön eingesogen, und auch irgendwie durchgekaut.
Alle Charaktere sind auf eine irgendwie ein bisschen liebenswerte und gleichzeitig erschreckende und trotzdem nachvollziehbare Art meschugge. Alle Eltern haben auf ihre eigenen, unterschiedlichen Arten einen Hau weg, der sich in der Erziehung ihrer Kinder zeigt, inklusive Sandra, die Protagonistin, die definitiv keinen Burnout hat, bis sie dann eben doch an einem krachen geht. Was sie am Ende, als sie aus dem Mutterkurhaus abhaut, ganz genau tut, bleibt offen, aber der Weg dahin ist auf eine unfassbar scharfsinnige Art gezeichnet.
Das schöne an Bodentiefen Fenstern ist, dass es nicht nur ein Charakterporträt ist, sondern auch das eines Milieus und einer Zeit und vor allem ein Gesellschaftsporträt über Mutter und den Blick auf sie, der alles von ihnen abverlangt und sie in konstante Konkurrenz zueinander setzt und trotzdem unkritische Solidarität untereinander von ihnen erwartet, denn sonst haben sie ja niemanden.
Ich mochte es sehr.
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Das Buch ist nicht ganz frei von Längen und die Geschichte ist in einem mir eher fernen Milieu angesiedelt (heterosexuelle Paare Ende 30/Anfang 40 mit Kindern in einem Gemeinschaftshaus), aber der Ton ist sehr überzeugend. Als chronische*r (Ver-)Zweifler*in mit immerwährendem Einordnungs- und Bewertungszwang allen Mitmenschen gegenüber findet man sich hier jedenfalls wieder. Es geht um Lebensentwürfe, die den eigenen Ansprüchen nicht standhalten (können), um das Tradieren von hehren Idealen und dem eigenen Scheitern, um Depression und die Unmöglichkeit eines vorbehaltlosen Miteinanders. Stelling schreibt flüssig und dabei oft sehr intelligent, sie vermeidet unnötige Sentimentalität. Mit etwas Abstand werde ich dann sicher gerne zu einem weiteren Titel der Autorin greifen.
Was wie eine Satire auf das Alternativleben in der Berliner Großstadt beginnt, die Idylle des Wohnprojektlebens aufs Korn nimmt, endet im psychischen Zusammenbruch einer Frau, die versucht, den Ansprüchen eines sogenannten alternativen Lebensentwurfes zu entsprechen, der immer liebevollen und verständnisvollen Zuwendung zu den immer fordernderen Kindern, der alles zu Ende diskutieren wollenden Gruppe. Die ich-Erzählerin erlebt in Rückblenden und anekdotischen Ausschnitten aus dem täglichen Leben aber auch in Alpträumen nicht nur das unglückliche Leben ihrer Muttergeneration sondern auch ihrer Freundinnen. Was bleibt ist die unerfüllte Sehnsucht nach einem gelingenden Lebensentwurf.
Ich verstehe schon, worum es hier geht und es mag vielleicht sehr geschickt geschrieben sein, wie auch viele der Rezensionen betonen. Allerdings taugt es für mich persönlich nicht als Geschichte. Es ist der Bericht einer Zeitzeugin, der von den erwachsenen Kindern in nochmal 40 Jahren sicherlich ganz spannend zu lesen sein wird. Heutzutage reicht es mir, einmal durch eine Großstadt spazieren zu gehen und ich sehe all diese Menschen überall, von denen hier die Rede ist. Vielleicht sollte ich ja lieber ihnen das Buch empfehlen.
Hat mich sehr an Juli Zeh erinnert! Ohne viel Geschnörksel geschrieben und dadurch so treffend auf den Punkt gebracht. Das Gefühl immer zwischen den Stühlen zu stehen, immer zwischen der Mutterrolle und dem eigenen Individuum zu schwanken. Teil einer Gesellschaft sein zu wollen, die man eigentlich verachtet... Das war mein erstes Buch von Anke Stelling - sicher nicht mein letztes!
Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, nur nicht so lustig. Selbstaufopferung ist wie Selbstfürsorge, klappt aber nicht. Implizite Generationenverträge werden im Generationenhaus verstärkt, nicht aufgelöst.
Endloses und fortschreitendes Seelenleid, rein im Kopf der Protagonistin, das zu keiner rechten Auflösung führt. Und trotzdem gut zu lesen und gespickt mit knackig-tollen Beobachtungen.
Einfach nur gut. Habe es so schnell weggelesen, begeistert von Sprache und Genauigkeit der Beobachtung von Elternschaft, insbesondere Mutterschaft, in privilegierten deutschen Prenzlauer Berg Haushalten. Dieser Gedanke: ich werde nie so wie meine eigenen Eltern und dann genauso werden, hervorragend in einen Roman gegossen.
Mir war das alles zu düster und negativ geschildert. Als Person die seit vielen Jahren in einem Hausprojekt wohnt, kann und will ich die Sichtweise nicht teilen. Wenig überzeugend. Trotzdem gab es witzige Momente im Buch.
Irgendwann wird man des Buches überdrüssig - zumindest ich. Perfekte Milieubeschreibung auf den Punkt, aber der Schreibstil, die vielen Fragen und Abschweifungen, ich hab’s dann gelassen.
Was für eine traurige Lektüre! Fast 250 Seiten Gedanken, Berichte, Selbstgespräche einer der scheinbar typischen Prenzlauer-Berg-Mütter - doch hier liest man nichts von fröhlichen Latte-Macchiato-Gesprächen unter ihresgleichen oder der erfolgreichen Selbstverwirklichung im kreativen Bereich. Ganz im Gegenteil. Sandra, die Hauptfigur dieses Romans, scheint zwar nach außen voll und ganz dem Klischee zu entsprechen, doch tatsächlich zermürbt sie sich selbst mit ihren ständigen Zweifeln und Selbstvorwürfen. Was ist aus den Idealen geworden, die man ihr daheim und im Kinderladen so eingetrichtert hat, dass sie mittlerweile davon überzeugt ist, dass es ihre eigenen sind? Die absolute Liebe zu den Kindern; dass Gemeinschaft das Wichtigste ist; dass Alle gleich sind und man Alle zu lieben hat und selbst geliebt wird. Doch ihre Frustration über sich, ihr vergebliches Mühen sowie die Anderen, die ganz und gar nicht so leben wie es sein sollte, wird immer stärker und lässt ihre Schuldgefühle und Ängste noch größer werden. Noch nie habe ich ein so eindringliches (wenn auch indirektes) Plädoyer für einen gesunden Egoismus gelesen wie in diesem Buch. Auf jeder Seite hätte ich Sandra am liebsten geschüttelt (ebenso wie die meisten der zahlreichen Frauen, die in diesem Buch auftauchen) und entgegengehalten: 'Was interessiert Dich, was Deine Nachbarn denken? Sag was Du denkst oder fühlst. Du musst es auch aushalten können, wenn Dich jemand nicht mag.' Und so weiter. Ist dies wirklich das Erbe der 68er Generation, wie es der Umschlagtext behauptet? Wurden die Kinder, insbesondere die Mädchen, zu solch wenig sich selbst bewussten Menschen und stattdessen zu Erfüllungsgehilfen der Utopien ihrer Mütter herangezogen? Ich will und kann das nicht glauben, auch wenn diese Geschichte mir den Eindruck vermittelt. Wenn wenigstens ein Fünkchen Hoffnung am Horizont aufleuchten würde, doch das scheint Sandra offenbar nicht vergönnt. Sogar als ihre ständige Selbstzermürbung zum vollständigen Zusammenbruch führt, scheint auch hier keine Lösung in Sicht. Mut macht dieses Buch nicht, auf mich wirkt es mehr wie eine Bestandsaufnahme eines Menschen, der stets um sich und seine Ideale kreist, die nicht zu erreichen sind und daran krankt, schwer krankt - ohne große Hoffnung auf Besserung. Doch dafür hätte es keine 250 Seiten gebraucht, denn letzten Endes ist das Thema immer das gleiche. Alles in allem eine gelungene Innenansicht einer überforderten Mutter und Ehefrau aus der Prenzlauer-Berg-Bewohnerschaft, die jedoch meiner Meinung nach um einiges kürzer hätte ausfallen dürfen.
Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2015.