Ob auf unserer Zunge oder in unserem Darm, ob kilometertief unter dem Meeresboden oder hoch oben in der Troposphäre: Bakterien, Viren und andere Mikroben sind unangefochten die vorherrschende Lebensform auf Erden. Erst in den letzten Jahren erkennen Forscher im Zuge verbesserter DNA-Analysen, wie schwindelerregend hoch ihre Zahl und Vielfalt und wie groß ihre Bedeutung tatsächlich ist. In ›Die Herrscher der Welt‹ erzählt Bernhard Kegel kenntnisreich und höchst anschaulich von diesen revolutionären Entdeckungen. Welchen Einfluss hatten die Winzlinge auf die Evolution? Welchen üben sie noch heute aus – und wie kann man die neuen Erkenntnisse in der Medizin nutzen? Und vor allem: Welche Bedeutung haben sie für die Menschen, Tiere und Pflanzen, die sie bewohnen? Was hinter dem von der modernen Forschung gelüfteten Vorhang sichtbar wird, ist nichts Geringeres als ein atemberaubend neues Bild von der Welt, in der wir leben.
geboren am 23. Dezember 1953 in Berlin wohnhaft in Berlin und Brandenburg Studium der Chemie und Biologie an der Freien Universität Berlin, Diplombiologe, Forschungstätigkeit, Arbeit als ökologischer Gutachter und Lehrbeauftragter
1986-1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biologie der TU Berlin, Arbeitsschwerpunkte Zoologie (Insekten, Käfer) und Ökologie, Lehrtätigkeit
1991 Promotion zum Dr. rer. nat. mit einer agrarökologischen Arbeit über Nebenwirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Bodentiere, zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen
1992-1995 Koordinator und Bearbeiter einer zoologischen Bestandsaufnahme („Monitoring“) aller Naturschutzgebiete von (West-)Berlin im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz Seit Mitte der Siebziger Jahre Gitarrist in diversen Berliner Jazzbands, u.a. Riff, Acoustic Guitar Orchestra Berlin, Elefanten, UTE KA Band, Animato, Sitarstudium bei Ustad Imrath Khan, produzierte 5 LPs/CDs 1993 erschien als erste Buchveröffentlichung der Roman Wenzels Pilz, danach weitere Romane und Sachbücher, mehrere Preise, seit 1996 freier Autor und Wissenschaftspublizist
Welche Gemeinsamkeit haben die steigende Kaiserschnittrate in Industriestaaten und die Symbiose von Steinkorallen mit einzelligen Algen auf Korallenriffen? In beiden Fällen geht es um eine spezielle für sie überlebenswichtige Symbiose von Lebewesen.
Bei Neugeborenen findet nach einer Entbindung durch Kaiserschnitt eine Besiedlung durch die Bakterien der Mutter nur eingeschränkt statt, mit fatalen Folgen für das Immunsystem des kleinen Erdenbürgers. Korallenriffe sind ein Lehrstück über die Symbiose zwischen dem Korallenpolypen, Alge und Bakterium, aber auch für die Verletzbarkeit der Zweckgemeinschaft durch menschliche Eingriffe, wie Überfischung oder Wasserverschmutzung. Das Zusammenwirken dieses Trios fordert vom beobachtenden Menschen ein Umdenken; denn bisher haben wir Lebewesen als Individuen betrachtet. Riffbewohnende Schwämme könnten sich für die Pharmaforschung als Schatztruhe antibiotisch wirksamer Substanzen erweisen, da sie als Filtrierer nicht vor Feinden fliehen können, sondern sie allein mit chemischen Veränderungen abwehren müssen. Unser Interesse an Symbiosen war meist ein kommerzielles, wie im Fall von Hülsenfrüchten oder Zuckerrohr, die von einem stickstofffixierenden Bakterium profitieren. Die Entdeckung von Bakterien im Darm von Insekten weckte den Wunsch, auf diesem Weg evtl. den Übertragungsweg von Krankheiten zu blockieren (Malaria, Denguefieber).
Wie leicht ich als völliger Laie Kegels Sicht des Biologen auf diese Prozesse folgen kann, hängt stark von der Art des beschriebenen Lebewesens ab. Während ich mir die Motive einer Ameise problemlos vorstellen kann, fällt mir das bei Bakterien erheblich schwerer. Der Autor ist sich dessen bewusst und erklärt den Grund: Im Gegensatz zu ihm habe ich in Gedanken kein Bild des Bakteriums als Eselsbrücke vor mir. Darum hält er es in den meisten Fällen für sinnlos, die Mikroben beim Namen zu nennen, von denen er berichtet. Kegels kritischer Auseinandersetzung mit der Mikroben-Besiedlung des modernen Menschen ist dagegen problemlos zu folgen. Durch Antibiotika-Missbrauch, Desinfektionswahn und die zitierte Rate von Kaiserschnitten ähnele unsere Ausstattung mit nützlichen Helfern inzwischen nur noch einem gemähten Zierrasen, so Kegel. Für das per Kaiserschnitt geborene Neugeborene birgt die Verarmung seiner Darmschleimhaut ein erhöhtes Risiko, später einmal unter Allergien, Übergewicht, Depressionen oder Diabetes zu leiden.
Bernhard Kegels Thema ist Kooperation, konkret die Zusammenarbeit mit Bakterien und der Nutzen, den Wirt und Symbiont aus dem Zusammenleben ziehen. Der Autor regt auf mehreren Ebenen zum Umdenken an und macht uns unsere eingeschränkte Sicht auf die belebte Welt bewusst. Er will erreichen, dass seine Leser sich nach der Lektüre nicht mehr fragen, wie sie ein Bakterium loswerden können, sondern wie sie gemeinsam damit existieren können. Am Beispiel steigender Quoten von Wunschkaiserschnitten verdeutlicht er auch biologischen Laien, wie wenig wir bisher über das Ökosystem Mensch wissen und welche Risiken wir durch unser Unwissen eingehen.
Wie immer beschreibt Kegel komplizierte biologische Zusammenhänge gut lesbar und anschaulich. Einen Auszug für alles rund um den Menschen gibt es auch: "Was Bakterien für unseren Körper tun und wie wir sie dabei unterstützen".
"Ihre Antwort: Zurückhaltung bei Antibiotika, besonders bei Kindern, daheim keine übertriebene Sauberkeit und die Aufforderung an die lieben Kleinen, draußen und mit Tieren zu spielen, sowie last but not least eine Ernährung, die weitgehend auf industrielle Fertigprodukte verzichtet. Klingt eigentlich nicht so, als seien für diese Erkenntnisse zehn Jahre intensiver Mikrobiomforschung nötig gewesen." (S. 241)
"Wenn man so will, haben Organismen eine Art Willkommenskultur für Mikroben entwickelt. Nicht ein sofortiger Abwehrreflex ist die Regel, nicht die Frage: Wie kann ich dich loswerden, abwehren oder zerstören? Sondern: Wie können wir zusammenleben." (S. 313)