Mehr als ein Leben

by Richard W. Sonnenfeldt

Biografien aus der NS-Zeit gibt es inzwischen unüberschaubar viele. Aber ein jüdischer Deutscher, der rückblickend froh ist, von Hitler aus seiner Heimat vertrieben worden zu sein, ist ungewöhnlich: "Mein Leben ist wesentlich besser verlaufen, als es jemals hätte sein können, wenn ich als arischer Junge in Gardelegen aufgewachsen wäre." In Gardelegen, einem kleinen Ort im Sachsen-Anhaltinischen, wird Richard als ältester Sohn einer angesehenen Arztfamilie geboren und merkt erst einige Jahre nach der Machtergreifung Hitlers, was es nun heißt, in dieser Gesellschaft als Jude zu leben. Seine Eltern planen rechtzeitig die Auswanderung nach Amerika. Während sie auf ein Visum warten, kommen Richard und sein jüngerer Bruder auf ein englisches Internat.

Mit dem Kriegsausbruch beginnt für den 16-Jährigen eine unfreiwillige Weltreise: Von den Briten interniert, wird er mit einem Gefängnisschiff, das nur sehr knapp deutschen U-Boot-Torpedos entgeht, nach Australien in ein Gefangenenlager in der Wüste geschickt, bald darauf aber freigelassen. Über Indien gelangt er schließlich in die USA, wo seine Eltern ihn erwarten. Als US-Soldat kehrt er kurz vor Kriegsende nach Deutschland zurück. Durch Zufall wird er Dolmetscher bei den Verhören vor den Nürnberger Prozessen und sitzt nun Nazigrößen wie Göring, Höß oder Heß Auge in Auge gegenüber.

Mehr als ein Leben erzählt von den verrückten Launen des Schicksals in einer schwierigen Zeit, aber auch davon, wie es Menschen mit Mut gelingt, sich in den unterschiedlichsten Situationen zurecht zu finden. Richard W. Sonnenfeldt erzählt sehr lebendig von seinem geglückten Emigranten-Leben, aber auch davon, wie er als alter Mann in sein Heimatdorf zurückkehrt, ohne Groll auf die Deutschen, weil er weiß: "Es ist so leicht zu behaupten, man hätte nicht in den vergifteten Apfel gebissen, wenn er einem nie angeboten worden ist." --Christian Stahl

288 pages, Hardcover

First published September 1, 2003

Reviews

[Kirsten · Rating 4 out of 5]

Richard wächst als älterer Sohn einer Arztfamilie in Gardelegen auf, einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt. Nicht nur der Beruf der Eltern hebt die Familie in dem Dorf heraus, sondern auch deren Einstellung. Sie erziehen ihre Kinder streng, aber liebevoll und sind sehr fortschrittlich. Ob es darum geht, eine beleuchtete Nachtglocke über der Praxistür anzubringen oder darum, die Kinder nicht von der Dorfhebamme Zuhause, sondern in einer modernen Klinik in Berlin zur Welt zu bringen- die Eltern setzen sich über Traditionen und Konventionen hinweg. Trotzdem lernen Richard und sein Bruder auch das einfache Leben kennen: ihre Eltern schicken sie regelmäßig in den Ferien zum Arbeiten auf Bauernhöfe in der Umgebung. Der jüdische Glaube spielt in der Familie nur eine untergeordnete Rolle. Das ändert sich mit der Machtergreifung Hitlers. Nach und nach beginnt Richards Familie die drohende Gefahr zu spüren. leben. Seine Eltern planen rechtzeitig die Auswanderung nach Amerika. Während sie auf ein Visum warten, kommen Richard und sein jüngerer Bruder auf ein englisches Internat. So entkommt Richard dem Terror in Deutschland um nach Ende des zweiten Weltkriegs wieder in das Land zurück zu kehren, das seine Heimat war. Nicht als Heimkehrer, sondern als Dolmetscher in den Nürnberger Prozessen.

Richard Sonnenfeldt hat Unglaubliches erlebt und großes Glück gehabt. Der Weg vom jüdischen Flüchtling zum Dolmetscher beim größten Prozeß des letzten Jahrhunderts ist lang und verwickelt.
Von den Briten interniert, wird er mit einem Gefängnisschiff, das nur sehr knapp deutschen U-Boot-Torpedos entgeht, nach Australien in ein Gefangenenlager in der Wüste geschickt, bald darauf aber freigelassen. Über Indien gelangt er schließlich in die USA, wo seine Eltern ihn erwarten. Als US-Soldat kehrt er kurz vor Kriegsende nach Deutschland zurück. Durch einen Zufall wird er zum Dolmetscher ernannt und ist der einzige Mann, mit und durch den Göhring sprechen möchte.

Beim Lesen kam mir ein paar Mal der Gedanke "Kann das wirklich nur einem Menschen passiert sein?". Es kann, aber manchmal hatte ich das Gefühl, als ob sich der Autor die gleiche Frage stellte. Man kann spüren, dass Richard Sonnenfeldt selbst erstaunt ist über das, was er gerade in jungen Jahren erlebt hat. Aber auch nach seiner Zeit in Nürnberg geht das bewegte Leben weiter und die Geschichte liest sich wie ein Abenteuerroman. Aber trotzdem bleibt immer noch der dunkle Hintergrund. Er ist nicht vergessen, aber Richard Sonnenfeldt lässt die schlimmen Erlebnisse nicht sein Leben bestimmen. Er nimmt sie hin als einen Teil des Wegs, was ihn sehr sympathisch macht.

[Liedzeit Liedzeit · Rating 5 out of 5]

Wer nur ein einziges Buch über die Nazizeit lesen will oder kann, der lese dieses. Sehr leicht und unprätentiös geschrieben, schildert es das Leben eines Arztsohnes, Jahrgang 23. Er ist fasziniert von Hitler und würde gern der Hitlerjugend beitreten. Und dann wenden sich seine Freunde gegen ihn. Sehr sachlich aber eindrucksvoll geschildert. Er schafft es 1938 in ein Internat nach England geschickt zu werden, da wird er interniert und schließlich, zusammen mit Nazis, nach Australien verschifft. Dann über Bombay, nach Amerika, wo er mit seiner Familie vereint, Elektriker wird. Im Krieg dann zum Chefdolmetscher der Nürnberger Prozesse berufen. Seine Schilderungen von Göring „Charisma“, Heß, Hass etc. hätten gern ausführlicher sein können, aber gerade die Knappheit hat seinen Reiz. Dann schildert er sehr ausführlich seinen weiteren Lebenslauf, ohne Highschool Studium, dann entwickelt er Farbfernsehen mit. Und wird Manager. (9/10)

[Frank · Rating 4 out of 5]

Historisch sehr interessant. Subjektiv- biografisch und doch ganz "bei der Sache", die Sonnenfeldts Leben veränderte.

[LiA · Rating 3 out of 5]

Very interesting biography of a Jewish emigré from Germany, who went to the USA (via Shanghai, like my uncle), and later became the chief interpreter at the Nuremberg Trials (1945/46). Moving life story.