Zugegeben, nicht jeder Zeitungsleser ist so fanatisch wie Thomas Bernhard: Als er dringend einen Artikel in der NZZ lesen wollte, diese aber im heimischen Ohlsdorf nicht zu haben war, machte er sich auf nach Salzburg; aber da gab es die Zeitung auch nicht. Also ging es nach Bad Reichenhall, dann nach Bad Hall, dann nach Steyr und am Ende waren 350 Kilometer zurückgelegt auf der Suche nach dem Suchtstoff. Manchen geht es nicht unähnlich, wenn keine Zeitung zur Hand ist. Doch egal wie stark die Sucht gar nicht so weniger auch sein mag – die Vielfalt der deutschsprachigen Zeitungslandschaft, ja die Tageszeitung an sich, wird wohl nicht zu retten sein. Da geht etwas verloren.
Michael Angele (der u. a. Chefredakteur der ersten deutschen Internetzeitung war und alles andere als neuerungsfeindlich ist) lässt mit wehmutsvoll wachem Blick Revue passieren, was alles verschwindet: nicht nur eine Nachrichtendarreichungsform, nein – eine Kulturleistung, ja eine Lebensform.
Das fängt bei der Umgebung an, in der man seine Zeitung zu lesen pflegt, dem Ritual, welchen Teil wann. Und geht weiter bei der durch das Blatt in Gang gesetzten (oder verhinderten) Kommunikation am Frühstückstisch – manche Ehe wäre ohne Zeitung ganz anders verlaufen. Und wie soll sich das Gefühl kosmopolitischer Weltläufigkeit einstellen, wenn man in einer New Yorker Hotellobby am Handy Spiegel Online statt die New York Times liest?
Wenn es beim Zeitunglesen auch darum geht sich aufzuregen, kann nur ein Literat Pate stehen. Genau, Thomas Bernhard. Und so geht dieser amüsante, parteiische Text über eine (vielleicht) aussterbende Passion von Bernhard aus und kehrt immer wieder zu ihm zurück. Weiterhin finden Erwähnung: Claus Peymann, Peter Handke, Harald Schmidt...
Freude haben mir auch die Berlin-Reminiszensen gemacht - der Autor lebt hier -, Erwähnungen von Cafés, insbesondere dem atmosphärefreien, neuen "Romanischen Café".
Loben muss man unbedingt auch Layout und Satz. Das Cover ist hier ja sichtbar, aber auch der Satzspiegel ist sehr großzügig und überschreitet nicht die Größe einer kleinen Randmeldung.
Dieser essayistische Text ist sicher keine erschöpfende Behandlung des Themas, aber eine wunderbare Kurzlektüre für zwischendurch.
Zugegeben, ich bin keine Zeitungsleserin und damit gehöre ich wohl bald der Mehrheit an. Wenn Zeitung heutzutage, dann wohl digital. Ich lese Zeitung nicht einmal digital...
Aber wie wohl jedes Medium hat auch in der heutigen Zeit die Zeitung noch ihre leidenschaftlichen Anhänger. Michael Angele ist einer von ihnen und in seinem kleinen Werk hat er es sich zur Aufgabe gemacht, diese Liebe weiterzugeben und zu vertiefen.
So macht er sich auf die Suche nach anderen Zeitungsfanatikern, berühmten und weniger berühmten, und macht Versuche am lebendigen Zeitungsleser. Dabei fragt er sich auch, was genau einen Zeitungsleser ausmacht und worin genau die Faszination der Zeitung liegt.
In kurzen, gut lesbaren Texten widmet sich Angele seiner Aufgabe und bricht dabei die Lanze für die Lektüre der traditionellen Papierzeitung. Auch noch, oder gerade, im technologischen 21. Jahrhundert.
Der letzte Zeitungsleser ist ein Essay über die Zeitung und ihren Leser. Es werden zum Beispiel verschiedene Zeitungstypen und politische Ausrichtungen erwähnt, dazu dann auch die klischeehaften Lesertypen und Leseorte, ohne aber ins pietätlose oder platte abzurutschen. Michael Angele schreibt auch über berühmte Zeitungsleser und ihre Gewohnheiten, allen voran und besonders ausführlich über Thomas Bernhard, und es fallen viele amüsante, lockere Anekdoten.
Dabei ist Der letzte Zeitungsleser kein Sachbuch; es ist überaus subjektiv! Aber es macht verdammt viel Spaß zu lesen. Es fördert auf jeden Fall den Drang, sofort selber Zeitungen konsumieren zu wollen, und dieses Buch allen Menschen zu schenken, die gerne Zeitung lesen!
Auch die Gestaltung unterstreicht, wie viel Herzblut in diesem Buch steckt: Die Stege sind enorm groß, wie in einer Zeitung; und seht euch nur einmal dieses grandiose Cover an! Voll und ganz ein wunderschönes kleines Büchlein.
Ich habe dieses kleine Büchlein schon mehrmals mit großen Vergnügen gelesen. Angeles Schilderung der Lebensform des Zeitungslesers ist nicht weltbewegend und auch bestimmt nicht in allem neu (natürlich geht es um Thomas Bernhard), aber trotzdem entwickelt es einen leichten, vergnüglichen Sog, dem ich mich nicht entziehen kann und dem ich immer wieder erlegen bin. Die Anekdoten sind nett erzählt und es bleibt nach der Lektüre mehr Zeitung zu lesen und vor allem anders Zeitung zu lesen. Ganz besonders ist auch der Druck: So ist der Text auf den einzelnen Seiten mit sehr Rand gesetzt, sodass der Eindruck einer einzelnen Spalte in einer Zeitung entsteht. Das ist natürlich (ökonomisch) vollkommen unvernünftig und ich las auch schon mehrfach Kritik an dieser "Platzverschwendung", aber gerade dieses verschwenderische Platzlassen gefällt mir in diesem Zusammenhang unglaublich gut.