„Der unvollendete Satz“ ist das Rèsumée einer Zeit der sozialen Gegensätze und Spannungen, die zum revolutionären Konflikt drängen, ein Buch also, dessen dichtes Handlungsgewebe aufs engste verknüpft ist mit der politischen Geschichte Ungarns in den zwanziger und dreißiger Jahren, und gleichzeitig ein Roman der subtilen Vergegenwärtigung und Erinnerung, in deren prismatischem Sensorium sich vergangenes Leben mit seinem unwiderstehlichen Zauber, seiner Düsternis und Trauer gebrochen fängt, um in Farben von dichterischer Schönheit aufzuleuchten. Die mediterrane Pracht der dalmatinischen Küste, ein reichgedeckter Tisch in einer Laube, der Oleanderstrauch vor dem Fenster und andererseits die graue Armut einer Budapester Mietskaserne, der säuerliche Geruch der Stube, eine Kartoffelschale au der Treppe - das alles sind Details ein und derselben Realität, und wie in einem die Dimensionen der Zeit umspannenden, von der des Raumes abstrahierenden Gemälde sind sie in diesem Roman vereinigt. Der gleiche simultane Blick umfasst die Charaktere und schließt sie zu kaleidoskopartiger Totalität zusammen: Industriearbeiter und Angehörige der Budapester Bourgeoisie, die neunzigjährige Julia Parcen-Nagy in ihrer greisenhaften Anmut, den Bel-Ami und Arbeitermörder Vidovics, den egoistischen Parvenu Professor Wawra, das Proletarierehepaar Ròzsa, das selbstlos der kommunistischen Doktrin dient. Während in den Budapester Salons der Familie Parcen-Nagy und in dem mondänen Badeort Dubrovnik eine Gesellschaft ihren Glanz entfaltet, deren Exponenten fast ausnahmslos das Janusgesicht von Noblesse und Niedertracht zeigen, während eine Finanzkrise die Budapester Industrie zwingt, ihre Fabriken zu schließen, formiert sich in den Elendsvierteln der Stadt, in Hinterhöfen, Fabrikhallen und auf der Straße der Widerstand der Unterdrückten gegen die Ungerechtigkeit des Systems. Doch die entscheidende Auseinandersetzung zwischen bürgerlichem Denken und jenem instinkthaften, elastischen Selbstbewusstsein des Proletariats, welches sich in der „apollinischen“ Erscheinung des zwölfjährigen Peter auf vollkommene Weise verkörpert, findet in der Stille statt, dort, wo Sympathie dem Einzelnen gebietet, den Schritt ins Niemandsland zwischen den starren gesellschaftlichen Fronten zu wagen.
Ungeachtet seiner bürgerlichen Herkunft tritt Lörinc Parcen-Nagy, der Held des Romans, nach dem Selbstmord seines Vaters mit der Arbeiterfamilie Rozsa in Verbindung. Er fasst eine innige Zuneigung zu dem Sohn Peter und nimmt ihn nach der Verhaftung der Eltern in seine Obhut. In Lörincs Tagebuch, dem Mittelstück des Buches, spiegelt sich das verhaltene Drama seiner Liebe zu dem Jungen, dessen spröder Faszination er erliegt. Unvollendet bleibt nicht nur der letzte Satz des Romans, fragmentarisch in jenem hohen Sinne, in welchem man vom metaphysischem des Fragments hat sprechen können, ist seine innerste Struktur. Das Scheitern revolutionärer Hoffnungen, der Tod Peters, der für Lörinc etwas wie die Verheißung schuld- und widerspruchslosen Lebens bedeutete, Lörincs unglückliche Liebe zu der Tänzerin und begeisterten Kommunistin Evi Krausz - an Ereignissen dieser Art erweist sich die Unmöglichkeit, den angefangenen Satz zu Ende zu sprechen. Was ihn transzendiert, ist einzig „der Gedanke, der noch im Hinschwinden an seine Auferstehung glaubt.“
TIBOR DÉRY 1894 in Budapest geboren, veröffentlichte 1919 seine ersten Gedichte und Erzählungen in ungarischen Zeitschriften. Nachdem er 15 Jahre in Deutschland, Frankreich, Österreich und Jugoslawien gelebt hatte, kehrte er 1934 nach Ungarn zurück, übersetzte André Gides Reisebericht über die UdSSR und wurde deswegen vom Horthy-Regime verhaftet. Nach dem ungarischen Volksaufstand von 1956 wurde Déry begnadigt und freigelassen. „Der unvollendete Satz ist zwischen 1933 und 1937 entstanden; erst 1946 konnte der Roman in Ungarn veröffentlicht werden.
Tibor Déry was a Hungarian writer, born in Budapest in 1894. In his early years he was a supporter of communism, but after being excluded from the ranks of the Hungarian Communist Party in 1953 he started writing satire on the communist regime in Hungary.
Georg Lukács praised Dery as being 'the greatest depicter of human beings of our time'.
In 1918, Déry became an active party member in the liberal republic under Mihály Károlyi. Less than a year later however, Béla Kun and his Communist Party rose to power, proclaiming the Hungarian Soviet Republic and exiling Déry. He only returned to Hungary in 1934, having lived in Austria, France and Germany in the meantime. Nevertheless, during the right wing Horthy regime he was imprisoned several times, once because he translated André Gide's Retour de L'U.R.S.S.. In this period, he wrote his greatest novel, The Unfinished Sentence, a 1200-page epic story about the life of the young aristocrat Lorinc Parcen-Nagy who gets into contact with the working classes in Budapest during a period of strike.
In 1953, Déry was expelled from the Communist Party during a 'cleansing' of Hungarian literature. In 1956 he was a spokesman during the uprising, alongside Georg Lukács and Gyula Háy. In the same year, he wrote Niki: The Story of a Dog, a fable about the arbitrary restrictions on human life in Stalinist Hungary. Because of his part in the uprising, he was sentenced to prison for 9 years, but released in 1960. He died in 1977.
He translated Rudyard Kipling's Naulahka and The Lord of the Flies by William Goldinginto Hungarian.