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Neoliberalismus zur Einführung

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Zu Beginn der Finanzkrise 2008 prognostizierte Jürgen Habermas das Ende des Neoliberalismus. Einige Jahre und mehrere Krisen später kann davon kaum mehr die Rede sein. Doch worum handelt es sich, wenn von Neoliberalismus die Rede ist? Wenige Begriffe sind derart schillernd wie umstritten. Die vorliegende Einführung nimmt ihren Ausgang bei einer Analyse der wichtigsten Vertreter neoliberalen Denkens von Walter Eucken über Friedrich August von Hayek bis zu Milton Friedman und James Buchanan, analysiert im Weiteren Neoliberalisierungsprozesse in den USA, Großbritannien und Deutschland während der 1980er und 1990er Jahre und thematisiert schließlich die Frage neoliberalen Regierens aus der Perspektive von Governance-Theorien sowie der von Michel Foucault inspirierten Gouvernementalitätstheorie.

243 pages, Paperback

Published January 1, 2015

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Thomas Biebricher

13 books6 followers

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Profile Image for Schedex.
54 reviews17 followers
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July 20, 2024
Der Siegeszug des Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass jegliche Kritik an ihm - sofern diese überhaupt noch formuliert wird - im Keim erstickt und seine Ideologie nicht mal mehr als kontingent erscheint, sondern als naturalisierter Ist-Zustand. Es verhält sich daher, Biebricher zufolge, wie mit Keyzer Sozes bekannter Baudelaire-Anspielung in The Usual Suspects, wenn dieser meint: "Der größte Trick, den der Teufel je gebracht hat, war die Welt glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht."

In der weiterhin existenten - wenngleich auch wegrationalisierten - Spannung zwischen akut realen Verhältnissen und Hoffnung auf alternative Lebensumstände geriert sodann ein mit immenser Eigenverantwortung beladenes neoliberales Individuum, welches permanent dazu angehalten wird, seine Konflikte lediglich innersubjektivistisch auszutragen. (Re-)Produziert sich dadurch auch ein nicht enden wollendes Reservoir an Dauergästen für die Couch des Psychoanalytikers, der die Ursachenforschung von Alltagspathologien wie Depressionen aller Art längst ins Private 'outgesourced' hat, bleibt die Frage nach der systemischen Alternative doch stets tabuisiert. Wie auch Mark Fisher dahingehend - womöglich nicht zuletzt aufgrund seines eigenen persönlich-suizidalen Leidensweges - im Sinne seines Konzepts des Capitalist Realism herausarbeitete, ist so zumindest ein melancholischer Fatalismus als Grundstimmung die neue unausgesprochene Norm, dessen grundlegende Tilgung jedoch ganz in die Responsibilität des Einzelnen gelegt wird. Angesichts einer sukzessiven Privatisierung grundlegender öffentlicher Versorgung und Güter und einem simultanen Kaputtsparen des Staatshaushaltes, der plötzlich dem BWLer-Wahnbild der schwäbischen Hausmagd genügen muss, herrscht nämlich das (biopolitische) Dogma von der permanenten Prävention und (Selbst-)Optimierung vor, hinsichtlich der das Subjekt gegenüber einer lediglich ominös bleibenden 'Allgemeinheit' in Vorleistung zu gehen habe, obgleich deren eigentliche Präsenz als sozialistisches Solidaritätsprinzip schon längst nicht mehr ausgemacht werden kann.


Die wesentlichen Merkmale einer solchen global dominierenden Gesellschaftsordnung werden von Biebricher ebenfalls ausführlich herausgearbeitet und lassen sich überblicksmäßig folgendermaßen darlegen:

- Eine allgemeine Privatisierung einst öffentlicher Dienstleistungen oder Güter bzw. das zumindest partielle Infiltrieren staatlicher Unternehmen mittels fragwürdiger Werkzeuge wie 'Effizienzstrategien' und anderen Managementpraktiken, was nicht zuletzt, vor allem in Russland, den raschen Aufstieg einiger Oligarchen bedingte, die relativ billig Unternehmen und/oder ganze Industriezweige aufkaufen konnten.

- Die globale, sich immer weiter ausdehnende Einflussnahme der USA, insbesondere mit der Durchsetzung ihres Konzepts des Washington Consensus, welcher im Verbund mit den 'Chicago-Boys'-Ökonomen gerade in südamerikanischen und osteuropäischen Ländern eine regelrechte Shock-Therapie forcierte, die gezielt die kritische Wirtschaftslage postkommunistischer Nationen ausnutzte, um so das Anwenden und Übernehmen eigener Strategeme noch zu beschleunigen.

- Die allgemeine Implementierung neoliberaler Paradigmen lässt sich dabei grob in zwei Phasen aufgliedern:
1. Roll-Back: Dem Aufbrechen einer etablierten sozioökonomischen Ordnung.
2. Roll-Out: Das Etablieren eines neuen Konsens bzw. einer neuen Ordnung, die primär einen 'schlankeren' Staat avisiert.

- Der Abbau des Sozialstaates im Sinne einer schuldenminimierenden, sich selbst rigide Sparmechanismen auferlegenden Odysseus-Strategie und der Idee, den Staat wie ein Unternehmen zu führen - oder auch Starving-the-Beast-Strategie genannt, was ein sukzessives 'Aushungern' des Sozialstaates meint.

- Die allgemeine Flexibilisierung von Arbeitsgesetzen und Arbeitsmarkt zuungunsten der Arbeitnehmer: Das Prinzip des 'Fördern und Forderns', welches vor allem der Unterschicht ein permanentes Schuldgefühl auferlegt und das Beziehen von Sozialleistugen als Schmarotzertum moralisiert. In diesem Zusammenhang kommt dem Staat auch gerne eine paternalistische Funktion zu, indem er vor allem einen Mangel an Disziplin und Kompetenz anprangert und zumindest in Form kleinerer Nudges sanktioniert.

- Als Folgeerscheinung lässt sich sodann eine dramatische Zunahme von ökonomischen Ungleichheiten konstatieren, die in diesem Ausmaß seit dem 2. WK nicht mehr existiert hatten, wobei an der Spitze das sogenannte 'eine Prozent' steht, das eine massive Steigerung an Einkommen und Vermögen für sich deklarieren konnte, indem es vor allem von der Liberalisierung der Finanzmärkte profitierte.


Obgleich also der Neoliberalismus in der Regel Hand in Hand mit einem globalen internationalen Welthandel einhergeht (in erster Instanz eben eng verknüpft mit einem deregulierten Finanzkapitalismus), der möglichst wenig Intervention auf nationaler Ebene vorsieht, ist es gar nicht so unrealistisch, dass seine grundsätzliche Ideologie auch in Zukunft und angesichts sich abzeichnender rechtspolitischer Bestrebungen in diversen westlichen Ländern in seiner opaken Dominanz bestehen bleiben könnte. Mögen Trump und Konsorten zwar grundsätzlich mit einem stärkeren Protektionismus eigenstaatlicher Interessen und einer isolatorischen Hinwendung zur Innenpolitik kokettieren, ist es auf der anderen Seite gerade die Möglichkeit eines stärker autoritär ausgerichteten Staatsapparats, der vermittels seiner neugewonnenen Hegemonie letztlich internationale Marktströmungen umso ungehemmter fließen lassen und etwaige Agenden zur Ausdehnung von vermeintlich meritokratischen Prinzipien sowie der endgültigen (Aus-)Schlachtung von entkollektivierter Unter- bzw. Mittelschicht noch rücksichtsloser durchsetzen könnte. In diesem Zusammenhang erscheint nicht zuletzt auch die neoliberale Unterform des Ordoliberalismus, die sich bereits in der Vergangenheit gerne für ein antiparlamentarisches Carl-Schmitt-Ideal des Souveräns ausgesprochen hat, als möglicher Vorbote einer noch invasiveren Kommodifizierung aller Lebensbereiche.

Das, was wir erleben, ist also womöglich nicht das Ende des Neoliberalismus, sondern erst sein Anfang im richtig verstandenen Sinne, nämlich als autoritäter Neoliberalismus.
Profile Image for Luisa.
36 reviews1 follower
December 17, 2025
Das Buch bietet einen ganz guten Überblick, weist aber aus meiner Sicht auch einige wichtige Leerstellen auf. Es beginnt mit einer Einführung in die ordoliberalen und neoliberalen Gründungsfiguren in Antwort auf die Krise des Liberalismus. Es führt anschließend in die globalpolitischen Neoliberalisierungsprozesse ein, beginnend mit Chile und den Ideen der Chicago Boys, die dort militärdiktatorisch umgesetzt wurden. Besonderes Augenmerk kommt außerdem der Rolle des IWF zu. Dann geht es weiter mit der Politik von Margaret Thatcher und Ronald Reagan in den 80er Jahren sowie mit der Politik von Tony Blair und Bill Clinton. Außerdem folgt ein kleiner Exkurs zur Nachwendezeit in Deutschland, den damit einhergehenden Privatisierungen und Leasing-Verträgen mit amerikanischen Unternehmen sowie einigem neoliberalen Gedankengut, das insbesondere die rotgrüne Regierung unter Schröder verfestigte.

Danach folgen die üblichen Verdächtigen als theoretische Ergänzung: Foucault, Bröckling, Alain Ehrenberg, Chiapello und Boltanski, (Stichworte: Biopolitik, Gouvernementalität, governance, Regierungstechnologien, Technologien des Selbst, unternehmerisches Selbst). Da ich alle Bücher mindestens auszugsweise gelesen habe, war hier nicht viel Neues für mich dabei. Foucaults Vorlesungen zur Gouvernementalität würde ich empfehlen im O-Ton lesen, seine Beschreibungen, wie sich der Neoliberalismus in der Gesellschaft festgesetzt hat und seine Ausführungen zu den Differenzen zwischen Ordo- und Neoliberalismus fand ich einfach ein bisschen stärker und eindrücklicher und da es sich hier um ein Vorlesungsformat handelte, ist der Stoff auch recht zugänglich formuliert.

Das Buch endet mit Bemerkungen zur Schuldenkrise und stellt insbesondere die Positionen von Jürgen Habermas und Wolfgang Streeck gegenüber. Es erklärt das Schuldengefälle zwischen den europäischen Staaten aus der Eurowährung selbst und wirft das Problem auf, dass den einzelnen Staaten durch das Währungsbündnis die finanzpolitischen Instrumente (Zinspolitik, etc.) genommen werden, um ihre individuellen Probleme zu lösen. Dorthin scheint zumindest auch die Meinung des Autors zu deuten.

Was mir fehlte und was ich daher als Lektüreempfehlungen hintenanstellen würde, war die Verknüpfung zwischen (insbesondere US-amerikanischem) Neoliberalismus, Rassismus und Religion, das zum Beispiel Lester K. Spence in "Knocking the Hustle" aufgearbeitet hat. Dieses Buch hat mir einen etwas überhastet geschriebenen Eindruck hinterlassen, hangelt sich aber an der interessanten Frage entlang, wie der Begriff der Hustle Culture weg von einem Übervorteilen und Betrügen hin zu einem positiv besetzten Anstrengungs- und Arbeitsbegriff mutieren konnte. Er verortet den Beginn der politischen Umsetzung des Neoliberalismus daher nicht in den 80er Jahren, sondern bereits in den 70er Jahren unter Richard Nixon und seiner Kriminalitäts- und Drogenbekämpfung: "Racial politics perform work here, as white attitudes about labor, work, crime and taxes are fused to attitudes about black men and women and, through them, to other non-white populations. (...) Under neoliberalism people increasingly support spending resources on imprisoning (black) criminals, on border protection against (Latino/a) immigrants, and on protecting our infrastructure from (Middle Eastern) terrorists." (S. 22)

Wie ein roter Faden durchzieht "Knocking the Hustle" außerdem die Frage, wie es sein kann, dass die Bevölkerungsgruppen, die am meisten unter den neoliberalen Maßnahmen zu leiden hatten, diese nicht ablehnen, sondern verinnerlichen. Recht Weberianisch findet Spence eine Antwort in der Religion, in diversen Kirchen und afroamerikanischen Predigern (bspw. Creflo Dollar), in welchem die neoliberale Ideologie in anderem Gewande wiederauftaucht.
Profile Image for Konstanze Plica.
72 reviews1 follower
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June 9, 2025
mit sicherheit stehen schlaue sachen drinnen, aber es ist extrem schwer zugänglich für solche, die nicht schon ein gewisses vorwissen haben und damit nicht verständlich. schade
Profile Image for Benjamin Garelly.
29 reviews
April 5, 2025
Ein Buch, wie ich es mir als Laien in wirtschaftswissenschaftlichen Fragen vorgestellt habe: Es werden die wichtigsten Strömungen und Denker neoliberaler Theorien vorgestellt und unterschieden (Eucken, Rüstow, Röpke, Hayek, Friedman, Buchanan), im Anschluss sowohl die ersten neoliberalen "Schocktherapien" in Südamerika und Asien (mit der Rolle des IWF und des Washington Consensus), wie auch längerfristige neoliberale Umsetzungen (Reaganismus, Thatcherismus, sowie später Clinton, Blair und Schröder) mit all ihren Ansätzen, Unterschieden und Auswirkungen besprochen, sowie im Abschluss über die Wirtschaft hinausgehende gesellschaftliche Ansichten des Neoliberalismus aufgezeigt, dabei wird auch nicht an Mängeln und Kritikpunkten gespart.
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