Der neue Roman von Anke Stelling beschreibt das Leben der Berufstänzerin Nadja, die nach dem Ende ihrer Bühnenkarriere als Dozentin an einer Ballettschule arbeitet und dort ihre "Schäfchen" schindet. Nadja weiß nicht recht, wohin mit sich – trotz ihrer Beziehung und den aufwändigen Abendessen, die ihr Partner veranstaltet. Sie beschließt, erstmals nach vielen Jahren ihre Mutter zu besuchen, die sich seit seiner Geburt um Nadjas sechzehnjährigen Sohn Mario kümmert. Dieser definiert sich und kommuniziert wie seine Mutter ausschließlich über seinen Körper.
Zwischen Mutter und Sohn entwickelt sich – zum Entsetzen der beobachtenden, nicht unmittelbar in die Geschichte involvierten Erzählerin – ein heftiges amouröses Verhältnis. Ein Verhältnis, das niemand sonst zur Kenntnis nehmen will.
Mit "Fürsorge" hat Anke Stelling einen Roman verfasst, der die verstörende Einsamkeit in unserer Gesellschaft thematisiert und insbesondere auf das Verhältnis zwischen Müttern und Kindern eingeht, das uns nur aus Gewohnheit ganz einfach erscheint.
Diese Geschichte macht traurig. Dabei müsste das bestimmende Gefühl eigentlich Entsetzen sein, denn schließlich schläft eine Mutter mit ihrem 16-jährigen Sohn. Nur so einfach ist es dann eben doch nicht. Einsamkeit scheint das beherrschende Thema des Romans.
Nadja hat mit 19 Jahren einen Sohn bekommen, ihn aber gleich bei ihrer Mutter in der Leipziger Plattenbausiedlung, in der sie selbst auch aufwuchs, abgestellt. Denn sie war, seit sie 5 Jahre alt war, eine vielversprechende Ballett-Tänzerin und sie sollte weiter trainieren und erfolgreich sein. Jetzt ist sie 35 Jahre alt und am Ende, wenn auch äußerlich immer noch wunderschön. Die eisern befolgte Selbstdisziplin hat sie zu einer alten Frau gemacht. Tanzen kann sie aufgrund der Gelenkschäden nicht mehr und unterrichtet stattdessen; sie muss an einem Stock gehen und die Belastungen führten zu einer verfrühtem Menopause; ihr immer noch beneidenswert geringes Gewicht hält sie mittels Abführmittel und antrainierter Appetitlosigkeit; ihre Beziehung mit einem drogensüchtigen Komponisten ist mit kalt nur unzureichend beschrieben; ihren Sohn hat sie möglicherweise seit 15 Jahren nicht gesehen.
Als sie dann ihren 16-jährigen Sohn wiederseht, der ihr das spiegelt, was sie am meisten schätzt – einen makellosen, durchtrainierten, jungen Körper – beginnen die beide eine Affäre. Für den Menschen mag sie sich kaum interessieren, es ist eher eine Begegnung mit sich selbst, was sie sich wohl immer verweigert hat.
Auch die Rolle von Nadjas Mutter Hanna, die deren Sohn erzieht, deprimiert. Sie macht und tut, erhält am Leben, aber emotional ist da wenig zu erwarten. Selbst als sie die Affäre zwischen Mutter und Sohn beobachtet, sieht sie weg statt einzugreifen.
Interessant auch die Erzählperspektive: Die Ich-Erzählerin ist eine entfernte Bekannt von Nadja. Eine Frau, die Nadja um ihre Figur beneidet und gerade mit dem dritten Kind schwanger ist, verheiratet ist. Das absolute Gegenbild zu Nadja. Und die Dinge erzählt, die sie gar nicht wissen, sondern sich nur vorstellen kann.
Eine Mutter, Gesche, die gerade ihr drittes Kind bekommt, berichtet von der skandalösen Geschichte ihrer Bekannten, Nadja.
Diese war früher Ballerina, nach Beendigung ihrer Karriere mit Mitte 30 ist sie ein körperlich frühverschlissenes Wrack und besucht zum ersten Mal seit Jahren ihren Sohn Mario, mit dem sie sich rasch auf sexuelle Vereinnahmungen einlässt. Dass die beiden ihre Schäferstündchen in der engen Wohnung der "sorgeberechtigten" Oma bzw. Mutter ausleben und sich im alten/neuen Kinderzimmer von Nadja respektive Mario lautstark begatten, während Mutteroma auf dem Balkon Kette raucht, intensiviert den Tabubruch zusätzlich. Mario ist ein Fitness-Pumper, der seinen Körperfetisch ebenso wie die Mutti zum Beruf machen will und sein erstes sinnbefreites Praktikum über sich ergehen lässt. Übrigens spielt der Roman überwiegend in der Plattenbausiedlung von Grünau in Leipzig. Ein Ort, den ich gut kenne und dessen Aura-Gemisch aus realsozialistischem DDR-Pflichtoptimismus und gegenwärtigem Yakuza-Gesichtstattoo-Kettenraucher-Odem natürlich ein Romanthema für sich abgibt.
Die berichtende Gesche erzählt und kommentiert die Geschehnisse, wobei bis zum Ende nicht ganz klar ist, ob und wie weit sie diesen Inzest auch selbst erfindet oder ausschmückt. Ihre eingestreuten Reflexionen über das eigene Muttersein komplettieren jedenfalls den erzählerischen Bogen, der sich um die Frage nach der mütterlichen "Fürsorge" gegenüber den Kindern spannt. Gesche erkennt und benennt die identifikationsstiftende Kraft, die von eigenen Kindern ausgeht und gesteht deshalb, dass sie in ihrer Mutterrolle durchaus ebenfalls egoistische Triebe auslebt. In der selbsterwählten Rolle der "gebärenden Naturkraft, der Erhalterin des Lebens" kann sie Beziehungstristesse und die etwaige sonstige Lebensleere verdrängen.
Was ich an Stelling so enorm schätze ist die riesige Energie, das offenkundige Nicht-an-sich-halten-Können, mit der sie ihre Mutterschaftsthemen umkreist. Für manche Leser ergibt sich wohl der Eindruck von prätentiösem Willen zum Skandal, für mich ist das pure erzählerische Authentizität und auch eine besondere Sprachkraft. Ich kann mir die mütterliche Verbindung zum eigenen Kind natürlich kaum vorstellen, aber Stellings Prosa trägt mich auf kreischenden und stoßenden Adlerschwingen in dieses Erkenntnisland. Das ist alles andere als angenehm, oft wackelt das Gefährt, nicht jede Zuspitzung erscheint mir notwendig, nicht bei jeder Übertragung von gesellschaftstolerierter auf inzestuöse Kindesaneignung gehe ich mit. Aber insgesamt ist das einfach gute, wichtige, wuchtige Prosa.
Nadja ist eine ehemalige Primaballerina. Sie ist schön, sieht jünger aus als sie ist und lebt in einer schönen Berliner Wohnung. Vor allem aber ist Nadja einsam. Ihre Beziehung mit Daniel ist mehr ein Nebeneinanderherleben, das Verhältnis zu ihrer Mutter ist eher kalt. Ihren Körper zehrt sie aus, isst kaum, trainiert wie verrückt. Ihren Sohn Mario hat sie seit seiner Geburt nicht gesehen, er wächst bei der Großmutter auf. Auch ihr Verhältnis ist nicht unbedingt innig, Mario hat keine Freunde, dafür trainiert er seinen Körper wie verrückt - wie seine Mutter. Als die beiden sich nach 16 Jahren wiedertreffen, flüchten sie sich in eine körperliche Beziehung. Sex ist die einzige Kommunikation zwischen ihnen. Das ist verstörend, traurig und doch die einzig logische Verbindung zwischen diesen beiden Einsamen, die sich nie als Familie kennengelernt haben. Anke Stelling schreibt über all das angenehm nüchtern, in einer klaren, wundervollen Sprache, die mich von der ersten Seite an gefesselt hat. Sie schafft trotz ihrer Nüchternheit eine Intimität, eine schmerzende Sehnsucht nach Nähe, die tief unter die Haut geht. Für mich ein wahrer Leseschatz, ich bin gespannt auf weitere Werke von Anke Stelling.
Meine Lesereise war qualvoll und langwierig. Und das hat nichts damit zu tun, dass das Buch mich so berührt oder verwirrt oder irritiert hat. Tatsächlich war eher das Gegenteil der Fall. Obwohl der Text recht kurz ist, fühlte sich das Lesen endlos an.
Die Handlung des Buchs ist fad und eintönig. Die Grundmotive, unter anderem Einsamkeit, Mütterlichkeit, Körperlichkeit, sind schnell abgenutzt und gleichen einem Mantra, das immer wiederholt wird, ohne Mehrwert zu bieten. Meines Erachtens macht das Buch den Fehler, uns Leser*innen immer vorzugeben, wie wir uns fühlen sollen und was es zu erkennen gibt. Das Buch sagt frei heraus, es demonstriert nicht. Nichts bleibt subtil zwischen den Zeilen, alles steht durch die gewählte Erzählperspektive schwarz auf weiß dort, nichts bleibt ungesagt, nichts bleibt gefühlt. Stattdessen liest sich das Buch wie Geschichte samt Lektüreschlüssel, sodass jede*r weiß, dass es hier in Wahrheit um Einsamkeit geht. Eine Essstörung hat sie auch. Beide haben eine Fixierung auf ihren Körper. Haben wir alles schon gehört, alles schon gelesen. Bisschen wie Einsamkeit und Sex und Mitleid.
Ich verstehe die kreative Entscheidung, die Erzählperspektive betont unpersönlich zu wählen, distanziert, aus der Ferne. Dennoch irritiert die Erzählung, ging mir ehrlicher Weise bereits nach einigen Seiten ziemlich auf die Nerven und lieferte für mich keine Bereicherung. Gerade weil die Perspektive so fern ist, hätte ich mir Einblicke in das Intimste der Protagonistin und des Protagonisten gewünscht, die mir das Gefühl geben, eine Grenze zu überschreiten, zu tief drin zu sein im Privatleben eines anderen Menschen. Stattdessen blieb ich unberührt und musste mich durch reine Abarbeitungen über Körperlichkeit mühen. Ich war nicht geschockt. Nicht traurig. Fühlte nichts. Ich war ehrlich nur froh, als das Buch endlich vorbei war.
Nichtsdestotrotz möchte ich gern mehr von Stelling lesen. Habe einiges von ihr gehört und bin mir sicher, dass dieses Buch nur einfach kein Treffer war..
Gewichtheben mit deinem Penis. 16-jähriger Junge trifft abwesende Ballerina-Mutter. „Darf ich es anfassen?“ Junge fickt Ballerina-Mutter. Junge und heiße Ballerina-Mutter haben Affäre. Ficke die ganze Zeit. Mama kann nicht genug von seinem Penis bekommen. Oma nebenan. Junge verlässt Mutter für eine Weile wegen Hausaufgaben mit einem Klassenkameraden. Mama wird krank vor Mangel. Bringt Mama zum Bahnhof zurück nach Berlin. Mama macht mit ihrem Freund Schluss. Junge folgt Ballerina-Mama zurück nach Berlin. Viel mehr Mutter-Sohn-Ficken. Alle Löcher. Ein Baby mit deiner Mutter machen. Baby ist geboren. Das Ende. (Es wurde jetzt zu einem Film Grand Jete verarbeitet, der auf der diesjährigen Berlinale Premiere feiert). Unglaublich aber mit Schön Prosa.
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Ein wirklich gelungenes Buch, das in seinen besten Momenten an Jelineks Klavierspielerin erinnert. Wie so oft bei Stelling ein Text über die Facetten von Mutterschaft, und was auch immer das bedeuten mag. Erst durch die großartige Verfilmung “Grand Jeté” wurde ich auf die Autorin und dieses Werk aufmerksam, daher umbedingt beides sichten!