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Lichter als der Tag

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Raimund Merz kennt Moritz und Floriane von Kindheit an. Ihr Lebensmittelpunkt ist ein wilder Garten am Dorfrand. Als Inger zu ihnen stößt, die Tochter eines dänischen Künstlers, bilden die vier eine verschworene Gemeinschaft, bis sich beide Jungen in das Mädchen verlieben. Inger ent­scheidet sich für Moritz, Raimund und die ehrgeizige Floriane werden ebenfalls ein Paar. Jahre später kreuzen sich die Wege der vier erneut – für Raimund die Chance, sich der Leere seines Lebens ohne Inger zu vergegenwärtigen. Ver­zweifelt sucht er nach einem Weg zurück zu sich selbst und zu einer Aussöhnung mit der Vergangenheit. In einem furio­sen Finale bricht er auf nach Lyon zu einem Gemälde, das ihn in Bann zieht wie in der Kindheit der wilde Garten. Mirko Bonnés großer Liebesroman überträgt das Wahlverwandtschaften-­Thema in die heutige Zeit. Er fragt nach Gründen von Entzweiung und Entfremdung und zeichnet dabei das ergreifende Porträt eines Mannes, der die Kraft findet, aus dem Schatten über seinem Dasein hinauszutreten.

336 pages, Hardcover

Published July 18, 2017

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About the author

Mirko Bonné

43 books7 followers
Mirko Bonné wurde am 9. Juni 1965 im oberbayrischen Tegernsee geboren und zog 1975 nach Hamburg, wo er seither lebt. Er besuchte das Hansa-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf und machte 1986 Abitur am Otto-Hahn-Gymnasium in Geesthacht, ehe er Zivildienst auf einer Krebsstation leistete, als Buchhandelsgehilfe, Altenpflegehelfer und Taxifahrer arbeitete und fast zwanzig Jahre lang Teilzeitredaktionsangestellter mit poetischem Geheimauftrag bei einem Yellow-Press- und TV-Zeitschriftenkonzern war.
Seit Beginn der Neunzigerjahre ist Mirko Bonné als Autor und Übersetzer tätig.

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Displaying 1 - 14 of 14 reviews
Profile Image for Steffi.
1,121 reviews270 followers
August 21, 2017
Ein schön geschriebener Roman mit einem über weite Strecken hinweg banalen Plot und kaum überzeugenden Charakteren.

Schon die Ankündigung von Verlag und Kritikern als moderne Variante von Goethes Die Wahlverwandtschaften ließ mich müde gähnen. Dieses Liebes- und Beziehungshin- und her ist doch oft so wahr wie banal und erinnert an Operettenstoffe. Wie uns hier die Hauptfigur Merz sein Herz- und Lebensleid unter die Nase reibt, macht ihn von Seite zu Seite unsympathischer. Nichts kriegt er hin, nichts führt er zu Ende, für nichts kämpft er. Und fühlt sich dann von allen vernachlässigt und ungeliebt. Seine ehrgeizige und pragmatische Ehefrau scheint eher gefühlskalt, außer in Momenten, in denen sie ihren Rachegelüsten freien Lauf lässt.

Kein Wunder, dass Merz sich in Erinnerungen an die Jugendfreunde verliert: Den Freund, den er verlor und das geliebte Mädchen, das er nicht haben konnte.

Lichtblicke in diesem Roman sind in der Tat die Beschreibungen von Lichtstimmungen sowie die Beobachtung von Insekten. Insbesondere Wespen gilt Merz‘ ganze Aufmerksamkeit und so liest man von Schwirrfliegen, die Wespen vortäuschen, von der Waldkuckuckswespe, die sich einfach in Leben und „Familien“ anderer Wespenarten einschleicht und von Grabwespen. Da tut sich ein ganzes Spektrum von Verhaltensweisen auf, das menschliches Tun nur allzu gut widerspiegelt.

Die literarischen Anspielungen sind deutlich, aber wenig überzeugend: Was hat es mit Andreas Gryphius auf sich, dem berühmten Barock-Dichter, der immer wieder zitiert wird: Im Titel, im Motto, als Slogan während eines Flashmobs, als Namensgeber einer Schule? Ist es das Leiden an der Welt, das der Dichter oft beschrieb, das hier die Parallele bilden soll? Mich überzeugt das nicht, denn Gryphius war nicht nur von persönlichem Leid inspiriert, sondern nicht unwesentlich auch von den politischen Umstürzen seiner Zeit, von Religionskrieg, Zerstörung und Elend. Ganz im Gegensatz zu Merz, der kaum etwas um sich herum wahrnimmt, immer nur um sich selbst kreist.

Zum Ende hin taucht dann mal ganz kurz und scheinbar ohne jeden Grund ein Stieglitz (aka Distelfink) auf. Ich stutzte, denn Merz liefert sonst doch nur Wespen-, bzw höchstens mal Insekten-Analogien. Vorbereitet wird hier in der Tat das Finale, das sehr an Donna Tartts Der Distelfink denken lässt.

Alles in allem: Schade, dass der Autor sein Talent an eine so wenig überzeugende und noch weniger originelle Geschichte verschwendet hat. Da mir sprachlich aber das ein oder andere gefiel, gibt es drei Sterne und werde ich sicher ein weiteres Buch von Bonné lesen.
Profile Image for Booklunatic.
1,116 reviews
November 14, 2017
2,5 Sterne

Tja nun...

Ich hatte mich beim Reinlesen im Laden ein wenig in das Cover und die ersten Zeilen verliebt. Also habe ich es mir angeschafft.

Dann - landete der Titel auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2017. Und da, Freunde, hätte ich wohl gewarnt sein müssen. Denn es ist seit Jahr und Tag dasselbe, der Buchpreis und ich, wir können einfach nicht miteinander. In den letzten Jahren fand ich die nominierten Romane einen schlimmer als den anderen. Traurig, aber wahr.

Nun war der Bonné aber schon auf dem SuB und, naja, ich hatte noch so eine winzig kleine Hoffnung.

Fangen wir mit dem Positiven an: Der Mann kann schreiben. Seine Beschreibungen von Licht, Stimmungen, Natur... fand ich sehr schön und habe sie genossen. Und auch die Ausgangslage der Geschichte und die Konstellation der Figuren war eigentlich vielversprechend.

Jetzt kommt leider schon das ABER: Meine Güte, die Figuren machen sich zu großen Teilen dermaßen unnötig das Leben schwer. Die Verbitterung schlägt einem so extrem aus dem Buch entgegen, dass es wahrlich keine (Lese-)Freude ist. Und vor allem Protagonist Raimund handelt teilweise dermaßen absurd, dass ich mich letztendlich noch in jeden Krimi-Serienmörder besser hineinversetzen konnte als in ihn.

Und so schlug die anfängliche Faszination bei mir leider bald in Ernüchterung und im letzten Teil dann regelrecht in Genervtheit um. Schade! Der Buchpreis-Fluch hat wohl wieder zugeschlagen.

Zweieinhalb gnädige Sterne gibt es dennoch, weil mich das Buch immerhin bis zum Ende bei der Stange gehalten hat. Aber ich wollte es so gern mehr mögen...
Profile Image for Matt.
752 reviews625 followers
August 20, 2017
Bin ich tatsächlich der erste, der etwas zu diesem Buch an dieser Stelle schreibt? Ich dachte ich hinke hier total hinterher. Immerhin ist das Buch doch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet. Auf solche Bücher stürzen sich doch die Leute normalerweise wie die Wespen auf den Pflaumenkuchen. Naja, möglicherweise auch nicht.

Dies soll ein moderner Liebesroman in der Tradition von Goethes Wahlverwandschaften sein. Das sagt zumindest der spoilerbehaftete Klappentext.

Zwei Paare kennen sich bereits seit der Kindheit, sind zusammen in einem Dorf aufgewachsen und haben sich dort in einem verwilderten Garten amüsiert. Später haben sie es geschafft sich jeweils den falschen Partner zu wählen und dies ein Leben lang zu bereuen. Insbesondere Raimund leidet unter seiner Frau Floriane und wäre lieber mit der gebürtigen Dänin Inger zusammen, die aber wiederum mit Moritz verheiratet ist. Zu dieser emotionalen Gemengelage addieren wir noch drei Teenager-Töchter, die, jede für sich, ein wenig seltsam erscheinen, sowie Freund Bruno, der, nach letzter Zählung, Beziehungen zu mindestens drei Frauen gleichzeitig unterhält. Spontan fällt mir dazu das Gedicht Der Garten des Herrn Ming ein, in dem es am Ende heißt:

Man liebt sich sanft und leise, / doch keiner liebt zurück. / Und niemand in dem Kreise / hat in der Liebe Glück.
Sie leben und sie warten, / sind traurig und verliebt, / in diesem kleinen Garten, / von dem es viele gibt.


Ich habe ein wenig grübeln müssen, um zu entscheiden, ob ich das Buch nun mag oder nicht, und bin am Ende dazu gekommen, dass dem nicht so ist. Zu viele Dinge, insbesondere im ersten und zweiten Teil des Buches, haben mich gestört (um nicht zu sagen genervt). Da sind zum Beispiel zahlreiche Ausdrücke aus der Umgangssprache in das Narrativ geflossen, die ich als unpassend erachte, und die ich in einem solchen Buch auch nicht erwartet hätte. „Gedonnere“ für „Gewitter“, „kacheln“ statt „fahren“, oder auch „holterdiepolter“ haben für mich in einem Roman nichts zu suchen, der, laut Klappentext, das „ergreifende Porträt eines Mannes, der die Kraft findet, aus dem Schatten über seinem Dasein hinauszutreten“ beschreibt. Dann gibt es auffallend viele Wortneuschöpfungsversuche, die zu einer unangenehmen Leseflussunterbrechung führten, Wörter wie „Nachrichtenredakteurbewusstsein“, „Waldkuckuckswespenkönigin“ oder „Bierkneipengitarrensologeschrammel“. Was soll das? Haben wir es am Ende mit einem Satireversuch zu tun? Dafür würde sprechen, dass fast alle Figuren sehr überzeichnet sind: Der „weeping wino“ Raimund, die „bitch“ Floriane, der „womanizer“ Bruno; sie alle wirken doch sehr schablonenhaft auf mich und würde sich in einer Satire auch durchaus gut ausnehmen. Gegen eine Satire sprechen allerdings die ernsthaften Momente, die durchaus auch zu finden sind, insbesondere im abschließenden dritten Teil, und die ich als Lichtblicke dieses Romans anerkenne. Sie sind aber zu rar um den Gesamteindruck zu verbessern.

Insgesamt wirkt das Werk auf mich zu unausgegoren und – wenn ich ehrlich bin – halte ich die Midlife-Crisis des Protagonisten für reichlich banal. Ich darf das sagen, denn ich bin gleichen Geschlechts und im etwa gleichen Alter wie Raimund. Statt sich von Bruce Springsteens song Atlantic City und dem „Everything dies, baby, that's a fact....“ runterziehen zu lassen sollte er es vielleicht mal mit dem pragmatischen Ansatz von Stephen Stills versuchen:
If you can’t be with the one you love, Love the one you’re with


Creative Commons License
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 3.0 Unported License.
Profile Image for Michael.
1,609 reviews209 followers
September 12, 2017
Raimund Merz geht auf die 50 zu und fühlt sich in seinem Leben unbehaust. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter (eigentlich drei, doch davon später), ist aber nicht wirklich angekommen in „seines Lebens Mitte“. Es gibt da dieses Grundgefühl der Unwirklichkeit, des Schicksalhaften: Raimund lebt nicht sein Leben, sondern es wird gelebt. Melancholie, Passivität, Alkohol, eine Flucht in die kleinen Dinge, auch wenn sie Stachel haben; sein Interesse an Wespen und die nie vergehende Freude an einem bestimmten Licht, das seinem Leben kurzfristig etwas Erhabenes zu verleihen vermag, ein Licht, wie man es von Gemälden kennt, dies sind die Endpunkte der kleinen Fluchten, die ihn durch die Jahrzehnte tragen.

LICHTER ALS DER TAG ist beides: das Protokoll des albtraumhaften Versinkens in einen Alltag, der fremd und unpersönlich geworden ist, und die märchenhafte Erlösung daraus, die schließlich, als Merz seine anhaltende Erstarrung überwinden kann, doch noch möglich scheint.
Wespen lähmen ihre Opfer mit dem Gift des Stachels. Wie konnte sich das Leben von Merz zu einem solchen Fiasko entwickeln , welches Gift hat ihn gelähmt? Warum hat Merz nicht mehr aus seinem Leben gemacht?

Mirko Bonné erzählt die Geschichte einer fatalen Fixierung, der Fixierung Raimunds auf seine große Jugendliebe Inger, die aber seinen besten Freund Moritz heiratet. Die von Moritz sitzengelassene Flori heiratet im Gegenzug Raimund. Diese Paarungen wirken insofern "schicksalhaft", weil sie durch verweigerte Entscheidungen zustande kommen und von Beginn an falsch wirken. Moritz Unfähigkeit, sich zwischen Flori und Inger zu entscheiden, ist ein erster Moment des Nicht-Handelns, der sich auf Raimunds künftiges Leben überträgt.
Dass es Raimund nicht gelingt, Inger zu vergessen, oder, weniger romantisch ausgedrückt, sich bewusst für eine andere Beziehung, für ein anderes Leben zu entscheiden, hat neben der Fixierung auf Inger, die bei Jugendlieben gar nicht so selten ist, noch weitere Gründe. Wie sollte sich eine Wunde schließen, solange die Verletzungen andauern? Nachdem die Paare einige Zeit getrennte Wege gegangen sind, trifft man sich zu viert wieder in Berlin und verbringt dort Zeit miteinander.

Zu den etwas eigenwilligeren Konstruktion des Romans zählt für mich, dass Inger sich von Merz ein Kind wünscht und auch bekommt, um so ihre kinderlose Ehe mit Moritz zu festigen.
Noch ungewöhnlicher ist das Ende des Romans, das fast schon märchenhaft wirkt und vielleicht etwas arg süßlich sein mag. Zugleich liest es sich aber auch als ein bedingungsloses Plädoyer für die Macht der Kunst, als eine Allegorie darauf, wie Kunst unser Leben zu bereichern, es sogar zu retten vermag; einer Naivität, der ich mich gerne hingebe, an die ich glaube!

Diese Utopie und die poetischen Qualitäten des Romans machen es mir leicht, über die nicht wenigen Eigenheiten, die zumindest im ersten Lektüredurchgang etwas befremdlich wirken, hinwegzusehen.
Profile Image for Gavin Armour.
612 reviews127 followers
September 4, 2017
Nun also steht es auf der Liste für den Deutschen Buchpreis und hat gute Chancen, der diesjährige Preisträger zu werden: Mirko Bonnés LICHTER ALS DER TAG. Und was für Vergleichen es standzuhalten hat! Goethes WAHLVERWANDTSCHAFTEN werden bemüht und manche Schwarte des 20. Jahrhunderts herangezogen, um diese Geschichte aus dem deutschen Mittelstand des beginnenden 21. Jahrhunderts einzuordnen. Ein Fehler, wie meist, wenn man Bücher an Werke der Weltliteratur kettet und sie dann frei flottierend anhand dieser Vergleiche untergehen lässt. Denn wer kann schon ernsthaft dem Vergleich mit Deutschlands Dichterfürsten und Fürstendichter par excellence standhalten?

Also sollte man das alles eine Etage niedriger hängen, die Jubelplakate einrollen, das Buch zur Hand nehmen und lesen. Unvoreingenommen und dem Werke zugetan. Und so lesen wir die Geschichte von Raimund Merz, einem Mittvierziger, der sich in einem moderaten Leben eingerichtet zu haben scheint und doch eines Tages durch die zufällige Begegnung mit einer alten Freundin aus seiner Lethargie herausgerissen und von Erinnerungen geflutet wird. Er, sein bester Freund Moritz und dessen Freundin Flori – das Dreigestirn in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein in den 70er Jahren; wie die Dänin Inger dazu stieß, allein, eine Waise, die gerade die Eltern bei einem furchtbaren Unfall verloren hat und nun das fragil austarierte Gleichgewicht der Freunde zu stören droht; die sich mit Raimund, dann mit Moritz zusammentut; schließlich ein Urlaub an einem kleinen See bei Berlin - mittlerweile sind die vier Freunde Studenten und die Beziehungen nicht mehr ganz so fragil – der dazu führt, daß sich das Kleeblatt teilt und für nahezu 14 Jahre aus den Augen verliert. Und nun erfährt Raimund, mittlerweile mit der ehrgeizigen Flori verheiratet und Vater zweier Töchter, die ältere eine Kleptomanin, daß er in Wirklichkeit auch der Vater von Ingers Tochter, daß sein einstiger Freund Moritz lange tot und begraben ist und nichts von alldem, was ihn die vergangenen Jahre so gelähmt hat, der Wirklichkeit entspricht. Also macht er sich auf, gemeinsam mit seinem Freund Bruno, und nutzt eine Dienstreise in den Stuttgarter Raum, um sich seine Tochter zu schnappen, gen Frankreich abzuhauen und dort einen Coup zu verwirklichen, der sein gesamtes Leben ändern und ihn die späten Jahre seines Lebens in hoffentlich größerer Klarheit verbringen lassen wird.

Das alles beginnt wie ein weiterer Roman über die Befindlichkeit bundesrepublikanischer Männer in den mittleren Jahren – gemeinhin ‚midlife crisis‘ genannt – und entwickelt dann doch einen gewissen Sog, der den Leser zwar nicht fesselt, aber doch genug Spannung erzeugt, um ihn zu binden und Raimunds Weg in die innerer Befreiung begleiten zu lassen. Was also zunächst wirkt, als könne es sich zwischen Peter Henning und Stephan Thome einreihen, entwickelt sich dann doch zu etwas anderem, Tiefgreifenderen. Hier werden nicht die Angst der Mittelklase vor dem Abstieg oder eine diffuse Furcht thematisiert, hier wird ein Mann beschrieben, der sich – und somit uns – sukzessive eingestehen muß, wie sehr sein Leben einerseits erstarrt, ihm andererseits aber auch entglitten ist. Und gerade in den ersten beiden Teilen, die Merz´ Geschichte beleuchten, seinen Werdegang und die Geschehnisse des fernen, lang vergangenen Sommers erhellen, muß nicht nur der Protagonist, nein es muß auch der Leser schmerzhaft begreifen, daß diese Entwicklung möglicherweise immer schon in diesem Mann angelegt war, der das Schweigen der Rede vorzieht, der sich Stunden mit der Betrachtung des Lichts, von Insekten und eines Himmels voller Wolken und dem was sich in ihnen tut, beschäftigen kann und darin sogar so etwas wie Glück zu finden in der Lage ist. Wie nebenbei entpuppt sich Merz aber nicht nur als Lügner in der Not, sondern wir lernen, daß das Lügen ihm innewohnt, ein Teil seiner Natur ist. Und hinzu kommt noch sein übermäßiger Alkoholkonsum, der ihn ebenfalls schon sein halbes Leben lang begleitet. Dieser Raimund Merz ist ein Gefallener, der mitten im Fall hängen geblieben scheint.

Bonné erzählt das in einer meist nüchternen Sprache, schnörkellos und vergleichsweise direkt. Mit Raimunds Liebe zu Wespen und anderen geflügelten Insekten findet er eine annehmbare Metapher für das erstarrte Leben des Antihelden Merz. Viel berichtet uns dieser über das Camouflageverhalten, wie sich die eine Wespenart gegen die andere absetzt, wie sich solche Insekten, die eigentlich Fliegen sind, als Wespen tarnen etc. Bonné erlaubt sich aber keine allzu weitschweifige Allegorien. Wir folgen Merz und seiner Tochter im letzten Teil des Romans (der insgesamt drei Teile umfasst) nach Frankreich und dort begreifen wir nach und nach das ganze Ausmaß der Lähmung, die diese Familie ergriffen hat und noch besser verstehen wir die Kleptomanie der ältesten Tochter, die wohl keine andere Möglichkeit mehr hat, die Oberflächen des Lügennetzes dieser Familie aufzubrechen. Also verstrickt Raimund Merz sie in einen weitaus größeren Diebstahl, als sie sich je hätte träumen lassen und findet in ihr – unwahrscheinlich? Ja, aber deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Erzählstruktur des Romans – eine ihm an Kaltblütigkeit weit überlegene Mittäterin. Allerdings begreift sie erstmals, daß Verbrechen sich lohnen muß, ideell, nicht materiell. Den Kontrapunkt der Erzählung stellt Bruno dar, dieser Freund von Raimund und ein Freund der Frauen, der sehr genau weiß, was er will, daß er sich bspw. nicht einbinden lassen will in gängige Beziehungsmuster, und der doch begreifen muß, daß sich sogar sein Leben ändern kann.

Mirko Bonné ist ein durchaus spannender, zuweilen ergreifender, nie langweiliger Roman gelungen, der den Leser auf eine Reise quer durch (West)Europa und tief ins Innere seines Hauptprotagonisten entführt, wo wir den Beschädigungen der Zeit, die wir bereits hinter uns haben, beiwohnen dürfen, die wir alle kennen und die vor Augen geführt zu bekommen der Literatur wahrscheinlich höchstes Gut ist. Ob es zudem ein preiswürdiges Meisterwerk ist, sollen andere entscheiden, doch sollten wir uns auch immer vor Augen halten, daß die bedeutendsten Schriftsteller und ihre Werke meist ohne Preise auskommen mussten. Und es ihnen nicht schlecht bekommen ist.
Profile Image for Buchdoktor.
2,363 reviews188 followers
August 26, 2017
Die Freunde trafen sich als Kinder in einem verwilderten Garten in einem Dorf bei Berlin, der inzwischen längst unter dem Asphalt eines Parkplatzes verborgen ist; Raimund, Moritz und Floriane. Später kam nach dem Tod ihrer Eltern aus Dänemark Inger ins Dorf, die besonders Floriane unter ihre Fittiche nahm. Raimund ist heute mit der erfolgreichen Kieferorthopädin Floriane verheiratet, die immer schon darauf achtete, was später einen guten Eindruck im Lebenslauf machen würde. Obwohl Raimund damals Inger liebte, hat er seit Jahren nichts von ihr gehört. Während Floriane zielgerichtet auf ihrem von der Familie vorgegebenen Weg marschierte und dazu auch ein Studium in England auf sich nahm, ist Raimund Entscheidungen möglichst aus dem Weg gegangen. Weder mit seinem ungewöhnlichen Blick für Gemälde und Lichtverhältnisse noch mit seiner Liebe zur Biologie scheint Raimund irgendetwas erreicht oder seinen Platz im Leben gefunden haben. Seine Tätigkeit für ein Hamburger Magazin ließ für mich jedenfalls mehr Fragen offen, als sie über Mirko Bonnés Hauptfigur verriet. Intensiv kann man als Leser der Freundschaft zwischen Raimund und seinem Kollegen Bruno DeWitt folgen, auch diese Freundschaft zeigt, dass Raimund schwer erkennen kann, wer ihn schätzt und welche Beziehungen gut für ihn sind.

Nachdem im ersten Teil das aktuelle Verhältnis der vier Jugend-Freunde als ungefähr 50-Jährige beschrieben wurde, folgt im mittleren Teil die Analyse des Konflikts durch einen Rückblick auf die offenbar falsche Partnerwahl in ihren Ehen. Warum seit langer Zeit Funkstille zwischen den Paaren herrscht, fand ich teils vorhersehbar, teils genügte es mir nicht als Mittelteil eines Romans, der auf der Longlist zum deutschen Buchpreis vertreten ist. Mir fehlte, was die Zahnärztin, den Redaktionsmitarbeiter, den Architekten und die Künstlerin ausmacht und was es bedeutet, mit 50 Jahren auf Fehleinschätzungen und falsche Entscheidungen zurückzublicken.

Raimunds Sich-Treiben-Lassen im Windschatten einer erfolgreichen Frau aus bürgerlicher Familie fand ich im ersten Drittel ausgesprochen öde, weil sich bis zu diesem Punkt seine Ziele und seine Talente im Unscharfen verlieren und seine Frau allenfalls als Kulisse dient. Misslungen fand ich die Darstellung von Kindern im Roman. Beide Paare haben zusammen 3 Töchter, die um die 11 Jahre alt sind, sich selbst als Jugendliche sehen, aber dargestellt werden, als wären sie 8. Erst im dritten Teil nahm die Handlung für meinen Geschmack Fahrt auf, als Raimund Hamburg verlässt und zu seinem Lebensthema zurückkehrt, der Bedeutung des Lichts in der Malerei. Nachdem man mehr als die Hälfte des Romans überstanden hat, werden die Handlungsfäden sorgfältig entwirrt und Szenen fügen sich nachträglich harmonisch und sinnvoll zu einem Ganzen, die man bis dahin für unfertig gehalten haben könnte. Stilistisch fand ich meinen ersten Roman von Mirko Bonné lesenswert. Mit dem Motiv der Wahlverwandtschaften für das Buch zu werben, finde ich nicht unbedingt glücklich. Man sollte sich besser auf die Lektüre einlassen, ohne vorher zu viel darüber gelesen zu haben.
Profile Image for MaggyGray.
673 reviews31 followers
September 11, 2017
Die Stimmung, die man durch eine bestimmte Lichtsituation bekommt, kenne ich, mir geht es kurz vor heftigen Sommergewittern so. Auf der einen Seite die golden bestrahlten Gebäude und/oder Landschaften, während gleichzeitig der Himmel langsam hinter knallschwarzen Wolken verschwindet. Ich habe oft versucht, diese Stimmung auf Fotos einzufangen, aber tatsächlich bekommt man sowas wohl nur durch eine Malerei hin.

Also, wir haben hier: Raimund, Moritz und Flori, die bereits als Kinder ein Dreiergespann bilden, dass zunächst ergänzt, danach entzweit wird von Inger, eine Waise aus dem Norden Europas. Schnell wird klar, dass Raimund und Inger für einander bestimmt sind, aber auch Moritz verliebt sich in sie, während Flori Moritz favorisiert. Obwohl jedem diese Konstellationen klar sind, werden Raimund und Flori, und Moritz und Inger ein Paar. Flori/Raimund haben zwei Töchter, Inger/Moritz eine.

Bonné setzt an einem beliebigen Zeitpunkt im mittleren Erwachsenenleben von Raimund ein, und schon auf den ersten paar Seiten wird die lähmende Aussichtslosigkeit deutlich, in die sich die Protagonisten verwickelt haben. Die Begegnung von Raimund und Inger, die nach Jahren alte Wunden aufreisst, und zwar bei allen - bis auf Moritz, der im Sterben liegt und im aktuellen Geschehen - zumindest aktiv - keine Rolle mehr spielt. Das Geheimnis, das sich um die Töchter rankt, wird ebenso schnell kar, wie die Tatsache, dass sich Raimund über kurz oder lang zu einer Kurzschlusshandlung hinreissen lässt.

Obwohl Bonné stellenweise poetisch schreibt, war für mich dieses Buch wie die Stimmung vor einem Gewitter: alles ist gelähmt, alles ist festgefahren, alles hält den Atem an, bevor dann der erlösende Sturm losbricht. Dabei war ich von sämtlichen Figuren, die der Autor entwirft genervt: von den vier Freunden generell, weil sie trotz anderer Prioritäten allesamt die falsche Entscheidung bezüglich der Partnerwahl treffen und dann in Leere und Resignation stagnieren. Das Leben ist kein Hollywood-Film, Friede, Freude, Eierkuchen etc. pp., sich aber so dermaßen selbstverschuldet in die Misere manövrieren und sich dann in Selbstgeisselung zu ergehen... Ach. Da hilft auch der dicke unansehnliche Frauenmagnet (ja klar) nicht, der als Freund unterstützend tätig ist, oder die lästige ältere Tochter Raimunds, die ihre Sätze mit völlig sinnfreien Englisch-Brocken durchsetzt. Leider zieht Bonné das gleiche mit der jüngeren Tochter ebenfalls durch, nur dann in Französisch. Inger hat eigentlich nur die Funktion hübsch zu sein und diese Riesenzwist irgendwie zu verursachen, und Flori? Flori war mir von allen Charakteren noch die symphatischste, auch wenn ich sie nicht unbedingt als Mitbewohnerin würde haben wollen. Während alle anderen vor sich hindümpeln, zieht sie ihre Karriere durch und durchläuft eine Entwicklung. Zwar ist diese vor allem durch ihre tyrannische Großmutter und die fordernde Mutter begründet, aber immerhin kann sie auf etwas verweisen. Raimunds Verrat, den sie schon sehr früh mitbekommt, lässt sie im Laufe der Zeit immer mehr Wut ansammeln, die dann wiederrum in ihrem gipfelt.

Und der Schluss? Ein bisschen sehr an den Haaren herbeigezogen und kitschig, aber zumindest hier scheint Bonné aus seiner Lethargie aufzuwachen. Vielleicht hat er sich für seine Geschichte auch den falschen Plot ausgesucht - das Thema "Zwei Personen streiten um eine Dritte und alles geht in die Brüche" wurde halt leider schon gefühlt eine Trillion mal ausgeschlachtet. Und auch wenn 99,9% aller Romane die Liebe und das daraus resultierende Drama zum Thema hat, hätte man mehr aus der Geschichte machen können. So bleiben, zumindest für mich, die Personen nervig in ihrer selbstverschuldeten Dummheit, nervig in ihren gestelzten Dialogen und nervig in ihrer Unfähigkeit, etwas an ihrer Situation zu ändern.

Deshalb eigentlich 2,5 Sterne.
Profile Image for yexxo.
906 reviews27 followers
June 26, 2019
Raimund Merz, um die 50, Familienvater, Ehemann und lustloser Angestellter einer Wochenzeitung, sieht eines Tages überraschend von Weitem seine Jugendliebe Inger. Dies löst Ereignisse mit ungeahnten Konsequenzen aus, die Raimunds Leben vollständig auf den Kopf stellen. Nichts scheint mehr Bestand zu haben und nach einem intensiven Abtauchen in die Vergangenheit fasst er einen radikalen Entschluss.
Was mich an diesem Buch wirklich begeistert hat, ist die wunderbare Sprache des Autors. Ja, stellenweise klingt sie etwas gestelzt und bemüht, doch das ist nicht allzu häufig wie ich finde. Meist fand ich seinen Stil herrlich poetisch und die Bilder, die er heraufbeschwört, sehr aussagekräftig (zum Beispiel "... war er überzeugter gewesen, dass was er aus den Flaschen so lange weltvergessen in sich hineingoss, bis es wieder aus ihm herausfloss, gar nicht Wein war, sondern in Wahrheit Tränen."). Wenn jetzt noch die Geschichte gestimmt hätte, wäre dies ein grandioses Buch.
Aber mich haben fast alle der Mitwirkenden schlicht genervt. Dass Menschen eine falsche Entscheidung treffen und in dieser aus den unterschiedlichsten Gründen verharren - keine Frage, das ist garantiert keine Seltenheit. Aber was hier an den unterschiedlichsten Personen dargestellt wird, ist doch wirklich kaum glaubwürdig. Praktisch heiraten Alle in vollem Bewusstsein den falschen Menschen, den sie entweder nicht lieben oder genau wissen, dass er jemand andern sein Herz geschenkt hat. Der Protagonist harrt über Jahrzehnte in endloser Lethargie aus und ergeht sich in Selbstmitleid, seine Ehefrau holt sich ihre Befriedigung in der Karriere und züchtet ihre Wut; die wahre Liebe des 'Helden' ist traumatisiert und weiß deshalb nicht so recht, was sie will; und deren Ehemann muss das haben was er will, damit es kein Anderer bekommt. Wunderbar - und dann macht man noch einen auf Friede Freude Eierkuchen und gute Freundschaft. Was für ein Blödsinn! Aber immerhin alles in einer wirklich schönen Sprache.
Tja, damit ist es ein bisschen besser als der Durchschnitt (guter Stil ist nicht so häufig wie eine gute Geschichte, finde ich ;-)), aber nicht wirklich des Lesens wert.
Profile Image for Елвира .
463 reviews81 followers
September 11, 2021
Страхотна история, страхотен избор на любимото ми издателство „Атлантис - КЛ“ (в чийто превод на български я има на нашия пазар).
Макар и (дори за чоевек като мен) да изглежда фантастично колко травмирани и объркани са хората от романа, в действителност всичко изглежда и е напълно възможно и случващо се и в реалността. Същевременно я има и онази малка художествена измислица, която всички ние ценим в една до��ра книга. Въпреки че светът е безбрежен и кой може да каже какви хора живеят в него и какви лудости правят те?
Много поетично измислен и разказан роман, чието действие се развива в наши дни. Сякаш всеки образ е изграден от наслояване на преживявания и чувства на множество отделни хора - доста са наситени и крайни. Ужасно е човек да живее в страх от щастието и в себезаблуждения, уви, това се случва много често!
Profile Image for Britt Suits.
418 reviews5 followers
November 26, 2019
Raamat kuulub „Nüüdisromaanide“ hulka. Olen alates viimasest kujunduse uuendusest lugenud läbi kõik viis raamatut. Ainult üks neist pole mulle istunud. Aga ülejäänutest olen saanud väga häid lugemiselamusi.
Raimund, Moritz ja Floriane on lapsepõlvesõbrad. Noorukieas saab Moritzist ja Florianest paar. Peagi ühineb nende seltskonnaga Inger, kes jääb silma mõlemale poisile. Inger soovib südamest Raimundit, kuid valib Moritza, mispeale saab paar ka „hüljatutest“ ehk Raimundist ja Ingerist. Paaride vahel katkeb suhtlus aastateks, kuid ühel hetkel ristuvad nende teed taas.
Kõlab nagu seebiooper, kuid tegelikult ei tekkinud lugedes sellist tunnet kordagi. Kuna eelmiste „Nüüdisromaani“ raamatute tegevus toimus kaugemas minevikus, siis eeldasin, et ka siin on tegemist kunagiste aegadega, aga tegelikult osutus täiesti tänapäevaseks looks. Isegi nii moodsaid asju oli sisse toodud, et ma polnud sellistest kuulnudki :)
Kui ma nüüd meenutan, siis tegelikult on kõik need „Nüüdisromaanide“ raamatud olnud nukrad. Mitte küll üdini kurvad või julmad, aga nukra tooniga. Ka selles raamatus oli õnnetuid, kes teinud elus vale valiku. Sellest hoolimata nautisin ma lugemist.
Profile Image for Mae Lender.
Author 25 books156 followers
May 29, 2019
Kuidagi... tuim. Ei haara kaasa, ei pane samastuma tegelastega, nagu ühtegi konksu ei ole, mille külge end haakida.
Profile Image for Esther.
411 reviews29 followers
January 6, 2018
Die Handlung war okay (nicht fehlerfrei und zuweilen ein wenig banal, aber okay), die Charaktere auch (ebenso mangelhaft und banal, manchmal unnachvollziehbar, aber okay).

Sprache und Stil: schön und attraktiv.

Profile Image for Tuti.
462 reviews47 followers
February 16, 2019
(read in german) 4.5 stars for this literary contemporary german novel about raimund merz, a fifty year old man living in hamburg with his wife, a dentist and two young daughters. he works at a newspaper, where he feels more or less redundant, and his life feels empty, because it is build on lies. he never finished his biology study in birmingham, and he married his wife not because he loved her but because inger, his real love, left him for his friend moritz. when he accidentaly comes across inger, with whom he had lost contact, his life basculates. the character is somewhat placid, and i could not understand many of his decisions, but i appreciated the intelligent and multilayered writing and the fact that it is set in contemporary germany. obsession with light and a painting by camille corot lead to an ending between metaphore and reality.
Profile Image for Krista Esta.
280 reviews3 followers
January 18, 2025
Sisututvustuse poolest tundus nagu minu raamat. Nelja sõbra teed, kelle elud olid kord seotud, aga armunelinurga tõttu aastaid tagasi eri suundadesse läinud, ristuvad taas. Pea viiekümnesed peavad tegelema tagajärgedega, mille toonased valikud kaasa tõid. Lugu, mis võiks olla suurem kui elu ise, on tuim ja emotsioonitu nagu saepuru.
Displaying 1 - 14 of 14 reviews

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