Das Panorama des Jugoslawienkriegs in Phantome spiegelt die Problematik der aktuellen Flüchtlingskrise
Robert Prosser schildert intensiv ein fast vergessenes Kapitel der jüngeren Geschichte: Der Jugoslawienkrieg, der die letzte große innereuropäische Flüchtlingswelle in den 1990ern auslöste, dessen drastische Verbrechen bis heute nicht aufgearbeitet sind und weit in die Generation der Kinder der Geflüchteten nachwirken.
Anisa flüchtet 1992 aus Sarajewo nach Wien. In den beginnenden ethnischen Säuberungen hat sie ihren Vater zurückgelassen – und wird ihn nie wiedersehen. Auch von ihrem Freund Jovan, einem bosnischen Serben, der zum Militärdienst eingezogen wurde, konnte sie sich nicht verabschieden. Jahrzehnte später reist Anisas Tochter Sara auf den Spuren ihrer Mutter nach Bosnien-Herzegowina.
2015, Wien. Sara und ihr Freund kennen die Geschichte von Saras Mutter Anisa nur aus deren Erzählungen. Die Flucht aus Bosnien, wegen des Krieges aus der Heimat vertrieben. Der Konflikt, der plötzlich Nachbarn zu Feinden machte und Familien auseinanderriss. Die beiden Jugendlichen machen sich auf nachzuforschen, vor Ort, im Süden, da wo einst ein Land war und was inzwischen in unzählige Kleinstaaten zersplittet ist. Schnell wird das Leben von damals wieder lebendig und der Leser befindet plötzlich im Jahr 1992 und auf der Flucht vor dem Krieg. Anisa, die als Flüchtling hofft in Sicherheit zu kommen und ihr Freund Jovan, der von der Armee eingezogen werden soll und zwischen die Fronten gerät. Anisa kann die schrecklichen Kriegserlebnisse auch im fernen Wien nicht hinter sich lassen, die Ungewissheit, was mit dem Freund und dem Vater ist, lähmt sie immer wieder. Doch sie muss auch nach vorne blicken, sich in der Fremde ein neues Leben aufbauen – doch wie?
Robert Prosser greift in seinem Roman, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreis 2017 stand, einen Konflikt auf, den man in Europa nur zu gerne verdrängt, weil es der erste Krieg auf europäischen Boden nach Ende des Zweiten Weltkrieges war. Dieser Konflikt hat jedoch auch unzählige Menschen gen Norden flüchten lassen und sie vor die schwierige Aufgabe gestellt, in der Fremde ein neues Leben beginnen zu müssen, obwohl das alte weder abgeschlossen war noch man dieses freiwillig aufgegeben hatte.
Die Schilderungen der Kriegserlebnisse von Anisa und ihrem jungen Freund sind grausam. Der Autor gibt sich nicht mit Andeutungen zufrieden, sondern schildert das, was sich in solchen Zeiten nun einmal zuträgt schonungslos und direkt. Auch das Leben im Flüchtlingsheim, wo man das Schlimmste eigentlich hinter sich gelassen hat, ist kein angenehmes und entspanntes Dasein. Andere Konflikte und Sorgen bestimmten den Alltag und soziale Gruppenprozesse, wie sie auch in jeder Dorfgemeinschaft zu finden sind, greifen auch dort und setzen den Bewohnern zusätzlich zu.
Im Rückblick etwas verwunderlich der Vorspann des Romans, der sehr auf den Graffiti sprayenden Freund von Anisas Tochter fokussiert und dessen nächtlichen illegalen Aktionen sehr ausufernd schildert. Ob es der Kontrast sein soll zwischen den beiden jungen Pärchen? Das eine, das den Nervenkitzel sucht, weil das Leben womöglich nicht genug zu bieten hat, das andere, das unmittelbare Kriegserfahrung machen muss – ich weiß es nicht, aber vom Ende an blickend ist dieser ganze Abschnitt eigentlich irrelevant.
Was jedoch auf jeden Fall gelungen ist, ist das Thema Balkan und die vielen ungelösten Fragen aufzugreifen und zu mahnen, dass man nicht nur die aktuellen Krisen im Blick haben sollte, sondern auch die vor unserer Haustür befindlichen, die auch 20 Jahre nach dem Friedensschluss noch immer nicht aufgearbeitet sind und liebsten offenbar vergessen wären. Aber viele der Betroffenen leben unter uns und sollten viel mehr daran erinnern.
Ein thematisch interessantes und sprachlich eindringliches Buch, das für mich nicht unbedingt durch besondere literarische Kniffe oder eine auffällige Sprache punkten kann, sondern das mit einer authentisch wirkenden Geschichte und politischer Relevanz überzeugt.
Weil es den übergeordneten Bogen nicht gab, tat ich mich schwer mit diesem Buch, das zwischen Erzählung und Reportage liegt.
Der Freund Saras, ist ein Sprayer, der Stippvisiten in den Untergrund Wiens macht, um Waggons des Öffentlichen Nahverkehrs mit seinem Logo zu „verschönern“. Man macht das wegen des Adrenalinkicks und um sich zu vergewissern, dass man existiert. Dies wird dem Sprayerjungen bewusst nach einer Reise nach Bosnien, dem Heimatland von Saras Mutter Anisa. Überall in Bosnien bemerken die beiden Spuren des Bosnischen Krieges.
Dieser Einstieg ist die etwas zusammenhanglose Überleitung zur Rückblende zu den Flüchtlingsschicksalen von Anisa und ihrem damaligen Freund Joran sowie anderer Menschen, die Anisa und Jovan gekannt haben.Anisa ist in einem Auffanglager in Wien, Jovan noch in Bosnien, wo er in der Armee einen Kampf kämpft, von dem er nicht weiß warum oder gegen wen er ausgeführt wird.
Das Nachwort, das der Autor schreibt, hätte ein Vorwort sein müssen. Man muss so in etwa wissen, was einen erwartet. Er hat Feldstudien betrieben. So sind die Geschichten, die er beschreibt, zwar fiktiv, aber der Wirklichkeit nachempfunden.
Natürlich ist jede einzelne Sentenz bedrückend und es ist Prossers Verdiest, das Geschehen des verheerenden Bürgerkriegs, das nach dem Zerfall der Jugoslawischen Republik sich ereignete, zu erzählen. Viele Romane haben sich dieser Thematik nicht angenommen.
Doch Prosser erklärt nichts und beschreibt lediglich und erstickt den Leser mit einer Fülle an Details. Er schildert, was in jedem Bürgerkrieg passiert: Das Aufgeliefertsein an fremde Mächte und Menschen, eventuell sogar an Menschen, die gestern noch Freunde waren, die Ratlosigkeit und Angst, weil es auf die Frage nach dem „warum“ keine Antworten gibt, jedenfalls nicht im gegenwärtigen Erlebnismoment, die Demütigungen, der Tod, die Folter, der Verrat, die Liebe, die verblasst, weil der Tod überhand nimmt.
Politische Erklärungen existieren jedoch durchaus, aber in diesem Roman, der in den Grenzen der Icherzählungen Anisas, Jovans und des unbekannten Sprayers verläuft, gibt es weder Erläuterungen zur Historie noch andere allgemeine Überlegungen, keinen Funken an Politik oder Geschichtsunterricht, so dass meine Konzentration bald nachlässt.
Dass Bürgerkrieg schrecklich ist, egal, wo er sich ereignet, ist eine ausgemachte Tatsache. Doch Prossers „Phantome“ macht leider gar nichts, ausser ein Detail ans andere zu reihen. Der Stil des Autors mit kurzen, hackenden Sätzen ist zudem recht anstrengend und verhindert einen leichten Lesefluss, die Personenbindung ist ebenfalls nur sehr schwach ausgeprägt. Prosser liegt mit dem Roman "Phantome" zwischen den Genres, es ist keine Erzählung, aber auch keine Reportage, könnte aber für beides gelten. Ich habe mich mit dem Reportageanteil schwer getan.
Auf die Longlist gelangt durch die Thematik? Sicher. Nicht ganz zu Unrecht. Denn natürlich bin ich der Meinung, dass Europa diesen, in der jüngsten Vergangenheit stattgefundenen Krieg nicht vergessen darf! Trotzdem, da beißt die Maus keinen Faden ab, habe ich mich, vornehmlich durch den Stil des Autors ausgelöst, gelangweilt und meine Betroffenheit hielt sich in Grenzen. Nicht eine Sekunde hat es mich wirklich interessiert, was passiert ist und was aus den Personen geworden ist, zu sprunghaft ist die Erzählung, vom Höxken zum Stöxken, es gibt keinen historischen oder politischen Bogen, keine Perspektive, keine Ein-, keine Aussichten.
Fazit: Die eigentlich sehr notwendige Erinnerung an den Bosnienkrieg erstickt an Detailfülle, krankt an schwacher Personenanbindung und lässt sich zudem schwer lesen. Reportagecharakter.
Kategorie: Antikriegsroman, Belletristik, Deutscher Buchpreis, Longlist 2017 Verlag: Ullstein, 2017
Das Buch Phantome hat mir sehr gut gefallen. Der erste Teil, der Monolog von einem Graffitisprayer, der im Buch keinen Namen hat, hat mich anfangs ein wenig ratlos zurückgelassen, ist aber irgendwie total witzig geschrieben. Es geht um illegales Sprayen im U-Bahn System und um die Reisen nach Bosnien, die der Ich-Erzähler mit seiner Freundin Sara unternimmt. Sara möchte das Heimatland ihrer Mutter kennenlernen und ihr Freund begleitet sie dabei. Letzterer entdeckt auf der Reise ins zu Beginn unbekannte Land immer mehr Spuren des vergangenen Krieges, die bis ins heutige Bosnien reichen.
Ich wusste nicht immer, wo ich mich in der Geschichte gerade befand, was mich störte. Irgendwann war ich dann aber drinnen im Lesen. Graffiti und Hip Hop spielen im ersten Teil eine wichtige Rolle - alles Bereiche, mit denen ich nichts zu tun habe, aber die gut beschrieben sind, wie z.B. dass nur Züge malt, wer Züge richtig liebt ;-) Gerade das macht das Buch interessant, man erfährt viel von Bosnien und von Jugendkultur. Und es gibt Stellen in diesem ersten Teil des Buches, die ich erschütternd fand, etwa die Gedenkfeier zum Genozid in Srebrenica. Diese Stellen zeigen, dass in diesem Land, das eigentlich so nahe und doch so weit weg ist, der Krieg noch lang nicht vorbei ist.
Total mitgerissen hat mich der zweite Teil, der im Vergleich zum ersten in einem klareren Ton geschrieben ist. 1992 wird die damals noch junge Anisa, eine Muslimin (und Saras Mutter), aus Bosnien vertrieben, ihr Vater gilt als verschollen. Die Handlungsstränge von Anisa und ihrem Freund Jovan (ein bosnischer Serbe) folgen recht schnell aufeinander und sie erzählen von ihren Kriegserlebnissen und ihrer Flucht. Trotz dieses Pingpongs verliert man nicht den Faden, es entwickelt sich dagegen eine interessante Geschichte. Und ein paar Cliffhanger sorgen dafür, dass sie ziemlich Spannung entwickelt. Phantome ist ein Roman, der mir viel über Bosnien enthüllt hat, und einfach eine mitreissende, oft auch traurige Erzählung.
Der dritte Teil spielt wie der erste im Jahr 2015 und ist auch ein Ich-Monolog, diesesmal von Jovan. Er bietet eine Art von Abschluss, aber kein richtiges Ende. Ich hätte gern ein klares Ende gehabt, aber es passt gut zum Roman, dass man im Ungewissen gelassen wird.
Mich hat das Buch auf jeden Fall berührt, es wirkt nach, vor allem wegen der Teile des Bosnienkriegs und der Flucht, die Anisa nach Österreich bringt. Ich hab zum Beispiel erstmals von Zvornik gelesen und davon, was dort damals geschehen ist, und dass ich jetzt mehr Ahnung habe, wie es ex-jugoslawischen Arbeitskollegen (oder deren Eltern) damals ergangen ist, das rechne ich dem Roman hoch an.
Durch dieses Buch hab ich zum ersten Mal wirklich realisiert, was zwischen 1990 und 2000 im ehemaligen Jugoslawien passiert ist. Ich bin immernoch schockiert, dass darüber nicht im Geschichtsunterricht gesprochen wird. Dieser Krieg, in dem alle Facetten des Nationalismus und die dunkelsten Schattierungen der menschlichen Seele zum Vorschein kommen, sollte vor dem Hintergrund der aktuellen globalen Entwicklung, als Warnung dienen.
Inhaltlich dreht sich das Buch um die Schicksale zweier Menschen, die den Bosnienkrieg aus unterschiedlichen Perspektiven erleben. Jovan, als Soldat der serbischen Armee und Anisa, als geflüchtete aus einem kleinen Dorf in Bosnien. Das Buch beginnt im Jahr 2015, aus der Perspektive eines jungen Mannes aus Wien, der "Schwiegersohn" von Anisa, der durch seine Beziehung mit Sarah, Anisas Tochter, ein Bosnien kennenlernt, in welches das Echo des Krieges nach 20 Jahren immernoch präsent ist. Part 2 des Buches wird dann aus den Augen von Anisa und Jovan erzählt und bildet den zentralen Erzählstrang des Buches im Jahr 1992. Part 3 bildet den Abschluss des Buches und spielt wieder im Jahr 2015.
Wer Lust hat das Buch zu lesen, dem empfehle ich die 3-teilige ZDF Dokumentation über den Jugoslawien Krieg anzuschauen, bevor man das Buch liest. Ansonsten kann es schwierig sein, den Überblick über Orte, Zeit und historische Persönlichkeiten zu behalten.
Ich bin dem Buch dankbar, mich über diese Wissenslücke aufgeklärt zu haben. 4/5.
Etwas anstrengend konstruierter, aus unterschiedlichen Perspektiven erzählter Roman, der es trotz des wichtigen Themas, über das man bei uns viel zu wenig weiß, bis zum Schluss nicht wirklich geschafft hat, mich zu packen, obwohl recht flüssig und lesbar geschrieben. Einzig der letzte Teil, eine Art Epilog, konnte für mich die Spannung genug halten, um ihn in einem Rutsch zu lesen. Insgesamt haben Thema, Story und Stil durchaus Potential, das in diesem Roman aber leider nicht ausgeschöpft wird.
Was mich persönlich beim Lesen am meisten gestört hat, war die konsequent im gesamten Text verwendete, fürs Standarddeutsche aber extrem untypische Kontraktion "übern" (= über den). Das werden einige sicher kleinlich finden, aber mich hat dieses Wort jedes Mal wieder aus der Narration geworfen, weil eindeutig umgangssprachlich konnotiert, während sich der Erzähler eigentlich eines doch recht literarischen Registers bedient. Ich weiß auch immer noch nicht, was mit diesem Registerbruch erreicht werden soll. Ist das eine im österreichischen Dialekt gebräuchliche Formulierung? Habe ich sonst noch nie irgendwo gelesen und bin ich mehr drüber gestolpert als über jedes "heuer", "Jänner" oder "auskommen" (statt entkommen). Da hat das Lektorat meiner Meinung nach gepennt.
Ein interessantes Buch, besonders hinsichtlich der Situation auf dem Balkan, die, obwohl ich nicht weit weg war, mir nie besonders klar war.
Libro interessante soprattutto per quanto riguarda la situazione dei balcani, che nonostante io fossi poco lontano, non mi é mai stata particolarmente chiara.
Told from a number of POVs and across two generations, this novel tackles the break-up of Yugoslavia, the horrors of the Balkan war that followed and the fates of its refugees then and now. Important themes, some gripping, harrowing scenes, but I didn't get on well with the writing style. The whole thing felt too disjointed, and the characters remained rather shallow.