Das Besondere ist Trumpf, das Einzigartige wird prämiert, eher reizlos ist das Allgemeine und Standardisierte. Der Durchschnittsmensch mit seinem Durchschnittsleben steht unter Konformitätsverdacht. Das neue Maß der Dinge sind die authentischen Subjekte mit originellen Interessen und kuratierter Biografie, aber auch die unverwechselbaren Güter und Events, Communities und Städte. Spätmoderne Gesellschaften feiern das Singuläre.
Ausgehend von dieser Diagnose, untersucht Andreas Reckwitz den Prozess der Singularisierung, wie er sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Ökonomie, Arbeitswelt, digitaler Technologie, Lebensstilen und Politik abspielt. Mit dem Anspruch einer Theorie der Moderne zeigt er, wie eng dieser Prozess mit der Kulturalisierung des Sozialen verwoben ist, welch widersprüchliche Dynamik er aufweist und worin seine Kehrseite besteht. Die Gesellschaft der Singularitäten kennt nämlich nicht nur strahlende Sieger. Sie produziert auch ihre ganz eigenen Ungleichheiten, Paradoxien und Verlierer. Ein wegweisendes Buch.
Andreas Reckwitz is a German sociologist and cultural theorist. He is professor at the institute of social sciences at Humboldt University Berlin.
Reckwitz studied sociology, Political science and philosophy in Bonn, Hamburg and Cambridge. He graduated 1994 in Cambridge, overseen by Anthony Giddens. He achieved his Dr. phil. in 1999 at Hamburg University. From 2001 to 2005 he worked there as assistant professor at the sociological faculty. In 2005 he became professor for sociology and sociology of culture at Konstanz University, 2010 professor for sociology of culture at the Viadrina European University in Frankfurt (Oder). In 2020 Reckwitz became professor for sociology and sociology of culture at Humboldt University in Berlin.
Reckwitz is a prominent proponent of social practice theory and contributed to its development as an encompassing social and cultural theory. This serves as basis for his works on subjectivation, creativity and singularization of the social life.
In 2017 he published his work on the structure of the current late modern society ,Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, which was published in English in 2020 as The Society of Singularities. In this book he analyses how economy, work, information technlogy, lifestyle, classes and politics follow a system which values singularity and devalues non-sigularity.
Reckwitz wrote several articles for the newspaper Die Zeit and appeared as an interview partner on the German national radio Deutschlandfunk Kultur discussing current socio-cultural and political trends and issues in western societies.
In 2019 Reckwitz was awarded the Gottfried Wilhelm Leibniz Prize of the German Research Foundation.
English translation: Society of Singularities This is great stuff: Famous sociologist Reckwitz looks into our postmodern obsession with distinction and individuality. This work, first published in 2017, is already a classic in the social sciences.
Hatten wir doch alles schon und die letzte wirklich "schicke" und "coole" Gesellschaftstheorie kam doch von Marx. Und trotzdem gelingt es Reckwitz über die Gesellschaft der Spätmoderne zu schreiben, ohne zu langweilen. Dabei schließt er Kulturwissenschaft, Soziologie, Geschichts- und andere Geisteswissenschaften ein und der Leser bekommt mehr und mehr den Eindruck, das große Ganze zu verstehen - die Strukturen und Sinnhaftigkeiten dahinter. Dabei wirft er mit vielen Begriffen um sich: Kulturalisierung, Valorisierung, Singularisierung. Und was soll das? Für ihn stehen im Fokus der Gesellschaft nicht mehr die Arbeit des Menschen (wie vielleicht in der Moderne), sondern seine kulturellen Leistungen, gerade zu sein "Alleinstellungsmerkmal", mit dem er sich eben bewusst singularisiert, individualisiert, was auch immer. Reckwitz zeichnet ein Bild von einer Gesellschaft, in der Kultur, Kreativität und Individualität immer wichtiger werden, besonders bedingt durch den Aufschwung des Computers. Schließlich ist so eine Plattform wie Instagram ja der Selbstdarstellung dienlich wie nichts Gutes ;). Er bildet oft Exkurse zu Wirtschaft und Politik, wie hier die Singularisierung greift, und seine Beispiele sind dabei recht anschaulich. Besonders interessant fand ich seine Darstellung über bestimmte communities, das jetzt jeder einer kleinen Gemeinschaft zugehören will, wie zB dem empowerment-Movement oder LGBT+-Gruppen. Müsste man aber selbst lesen, weil ich es nicht so cool erklären kann wie er. Auch Amokläufe und Terror scheinen für ihn eine Antwort auf die Singularisierungsprozesse der Spätmoderne zu sein: Wer ausgeschlossen ist von der positivistischen Anerkennung, greift zu demonstrativer Gewalt.
Der Leseprozess an sich war leider mehr als quälend, besonders, weil ich manche Absätze doppelt und dreifach lesen musste, um sie zu begreifen. Daher eine Wertung, die genau im Mittelfeld liegt: Fremdwortnutzung war manchmal gar unerträglich, aber Argumentation und Struktur so wunderbar, dass sich jeder, der einen wissenschaftlichen Text schreibt, was von Reckwitz abschauen kann.
Reckwitz Analyse der Transformation spätmoderner Gesellschaft von der "Logik des Allgemeinen" zu einer "Logik des Besonderen" muss 5 Jahre nach Erscheinen als ein moderner Klassiker der Soziologie angesehen werden.
Es hat mich etwas Überwindung gekostet, fünf Sterne zu geben. Das Buch ist sperrig geschrieben, repetitiv und es fehlen anschauliche Beispiele und konkrete Zahlen. Dennoch habe ich viele Alltagssituationen und auch mich selbst in der Beschreibungen wiedererkannt. Mit Reckwitz Theorie lassen sich unzählige Phänomen der spätmodernen Gesellschaft gut erklären.
Für Nicht-Soziologen (wie mich) mag dieses Buch auf den ersten Blick und über die ersten fünfzig Seiten abschreckend wirken. Sehr viel Jargon, sehr "verkopft" - aber sobald man sich eingelesen hat, taucht man in faszinierende Diskussionen zu höchst relevanten Themen ein: - Warum wird alles schnelllebiger? - Was ersetzt Werte? - Woher rührt die Spaltung in arm und reich? - Wie passen Religion, Trump und Instagram zueinander?
Das Buch bietet ein Framework für diese Fragen, um die nächsten Jahre zu verfolgen und einzuordnen. Andreas Reckwitz bietet nicht nur Fragen, sondern durchaus Antworten. Dabei wagt er es auch zu spekulieren, wie die Zukunft seine Modelle verändern oder über den Haufen werfen könnte.
Einfach zu lesen war es nicht, aber sehr ergiebig und sehr lohnenswert. Soziologisches oder philosophisches Hintergrundwissen ist übrigens nicht erforderlich.
Soziologie auf höchstem (theoretischen) Niveau. Jenseits von Statistiken oder Klassengedöns analysiert Reckwitz, was wirklich vor sich geht in der hipster comunity und leitet daraus ab, wie es dazu kam und was los ist in unserer Gesellschaft. Wer wissen will, wie die "creatives" ticken und wie der Kapitalismus sie ins System ein- (und damit das System wieder einmal um-) baut, für den ist Reckwitz ein Muss. Der hier beschriebene Abschied von der Industrie- Moderne mündet nicht in die Beschreibung (kultureller Vorgänge) der Postmoderne, sondern sucht deren Produktivität für die ökonomische "Basis" der sich wandelnden Gesellschaft auf. So wird das Buch auch zum Handbuch für all jene, die nicht genau wissen, welches Studienfach sie ihren Kindern empfehlen sollen. Natürlich NICHT INFORMATIKER- vielleicht eher was im Freizeitbereich und auf keinen Fall BWLer. Nicht, weil die von der Welt, in der sie agieren, nichts verstehen, sondern weil es dieses Berufsbild (wegen KI und so) in ein paar Jahren schlicht nicht mehr geben wird. Da wird Wissenschaft sogar praktisch und gibt Lebenshilfe. Was will man mehr?
Mit der Idee der "Singularitäten" schafft Reckwitz die Grundlage für ein grundlegendes Verständnis dessen, was unsere Zeit auszeichnet, und auch für die aktuellen politischen Umbrüche. Komplex, aber spannend.
Mit einem anfangs etwas zähen und stark theoretischen Einstieg baut Reckwitz nach und nach eine anregende Gesellschaftsanalyse auf. Mit universellem Anspruch werden Phänomene wie der weltweit erstarkende Rechtspopulismus, die Erosion traditioneller Volksparteien, sowie die Vereinzelung der Gesellschaft in sich feindlich gesinnte Milieugruppierungen mit einem nach Reckwitz eng verknüpften Feld der Gesellschaft erklärt: Der Kultur.
Kurz gesagt geht sein Argument wie folgt: In der postmodernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts speise sich gesellschaftliche Anerkennung nicht länger aus Kategorien der Leistung und Konformität mit Gesellschaftsidealen wie sicherer und gut bezahlter Arbeit, Zusammenhalt in der Familie, Aufbau eines Eigenheims etc.. Stattdessen würden heute jegliche Arten der Singularität, d.h. des Besonderen im Individuum, besonders anerkannt. Ehemals gesellschaftlich als "gut" betrachtete und auch gut bezahlte Arbeit wie etwa in der Autoindustrie gilt so heute als monoton und nicht erstrebenswert. Dafür gelten akademische Lebensläufe mit individuellen Ausbildungswegen, Praktika, Auslandsaufenthalten etc. heute als attraktiv. Kulturell auf Plattformen wie Instagram oder LinkedIn zur Schau gestellt, arbeite so heute ein Großteil der neuen akademischen Mittelschicht an seiner eigenen Singularität, mit dem Ziel der gesellschaftlichen Anerkennung als möglichst besonderes/singuläres Individuum.
In der Kehrseite erfahren Teile der ehemaligen traditionellen Mittelschicht eine kulturelle Abwertung, da ihr Lebensstil und nicht-akademische, heimatverbundenere und weniger kosmopolitische Lebenswege nicht länger Anerkennung erfahren. Das Gefühl der Abwertung und nicht-Teilnahme am unter anderem auf Social Media propagierten liberalen und internationalen Lebensstil resultiere in einer reflexiv noch stärkerer Identifikation dieser Gruppe mit nationalen Werten und nationaler Traditionen sowie einer starken, emotionalen Ablehung der neuen akademischen Mittelschicht. Dies würden Rechtspopulisten dann nutzen, wenn sie gegen die Grünen und das städtische, lebensfremde Milieu propagieren und damit gleichzeitig das diffuse Gefühl der Abwertung hin zu einer Selbstaufwertung mit dem Rückgriff auf z.B. christliche/traditionelle Werte etc. nutzen. Konsequent wird ein starkes Gruppenzugehörigkeitsgefühl mit dem eigenen Milieu auf Social Media verstetigt und gestützt. Dass die Liberalisierung der letzten Jahrzehnte zudem nicht nur gesellschaftlich (Schlagwort Frauenrechte/queere Rechte), sondern auch wirtschaftlich geschah und damit die finanzielle Ungleichheit verfestigte (Schlagwort Neoliberalismus), führe zu zusätzlicher Systemskepsis, die in starker politisch-wirtschaftlicher Unzufriedenheit münde.
Ungefähr so - nur deutlich komplexer und vielschichtiger - argumentiert Reckwitz im Kern und analysiert neben den angesprochenene Milieus auch die Rolle der tatsächlichen, mit hohen finanziellen Mitteln ausgestatteten Elite einerseits sowie der prekären Unterschicht andererseits. Seine Denkanstöße sind anregend, gerade weil sie sich nicht auf einige wenige Konfliktlinien beziehen, sondern die politisch-gesellschaftlichen Phänomene multifaktoriell erklären und den Anspruch haben, die Gesellschaft und ihre Konflikte als Ganzes zu erklären - insbesondere mit dem Rückgriff auf kulturelle Entwicklungen nach der 68er-Bewegung. Soziologie-Interessierte werden - zumindest nach etwa 100 Seiten - viel mitnehmen aus diesem Buch. Mir zumindest blieben viele Erkenntnisse langfristig erhalten.
Basically the continuation of Jameson’s and Bauman’s critique to postmodernity.
The obsession to the singular is, without a doubt, a symptom of the acceleration and intensification of the productive forces. The whole economic structure still dictates the cultural manifestation just as Marx predicted.
Also, isn’t the obsession to the singularity an indication of the void we all suffer?
Indeed, postmodernity is nothing but a dead carcass of capital.
Hat Leif Randt dieses Buch gelesen? So oder so, in jedem Fall hat er den Inhalt begriffen.
Andreas Reckwitz entwickelt in der "Gesellschaft der Singularitäten" eine schlüssige Theorie der dominanten gesellschaftlichen Prozesse unserer Zeit und hat mir persönlich einen neuen Blick auf die Gegenwart und mich selbst eröffnet. Klingt nach Selbsthilfe-Bla-Bla, damit hat dieses Buch natürlich nichts zu tun. Kurz zusammengefasst sieht Reckwitz in der Spätmoderne eine gesellschaftliche Hinwendung weg von einer Logik des Allgemeinen (Massentourismus, Wal-Mart, middle management) zu einer Logik des Besonderen (Influencer, Geheimtipps, elaboriert gestaltete Altbauwohnungen eingerichtet im nordic style, in denen der im Original gelesene Dostoiewsky für jeden Besucher gut sichtbar ausgestellt wird). Diese Wahrnehmung als solches ist sicherlich noch keine besondere Leistung und vielen Leser laufen Gefahr, das Buch mit einem "puh, offensichtlich" aus der Hand zu legen. Das wäre meiner Meinung nach ein grober Fehler. Reckwitz entfaltet auf etwas mehr als 400 Seiten ein umfassendes Porträt unserer westlichen Gesellschaften und der offensichtlichen, aber auch vor allem weniger offensichtlichen Auswirkungen, die eine gesamtgesellschaftliche Orientierung am affektiv aufgeladenen und besonderen für Individuum und Gemeinschaft hat.
"Die neue Mittelklasse kann nicht nur auf berufliche Anerkennung zählen, sondern entfaltet eine kulturorientierte kuratierte Lebensführung, in der sie in allen Bereichen- von der Gesundheit bis zum Kosmopolitismus, von der Bildung und Erziehung bis zum Wohnumfeld- am hohen (ethischen und ästhetischen) Wert arbeitet und als Trägerin eines wertvollen "guten Lebens" erscheint. Demgegenüber erfährt die neuen Unterklasse eine Entwertung ihrer Arbeit, die mit einer Entwertung ihres gesamten Lebensstils einhergeht. Im Ergebnis scheint ein beträchtliches Segment der Gesellschaft von Fortschrittshoffnungen abgekoppelt."
[Meine Bewertung liegt irgendwo zwischen 4 und 4.5 Sternen]
Für mich als Laie definitiv ein lesenswertes Buch. Was ich nicht einschätzen kann, ist, wie stark sich Reckwitz Blickwinkel von dem anderen AutorInnen unterscheidet oder ob sich das Framing der Logik des Allgemeinen und der des Besonderen sich doch nur leicht von anderen Analysen in der Literatur unterscheidet.
Im ersten Teil des Buches definiert er seine Grundbegriffe, um dann im Hauptteil des Buches die verschiedensten Bereichen des Lebens in der westlichen Gesellschaft in seinen Begriffen zu reformulieren. Einerseits klingt das meiste davon schlüssig, und es gibt immer mal wieder Aha,-Momente anderseits bleiben seine Fallbeispiele auf der Ebene, dass sie mit Idealtypen spielen, (auf der Ebene von: "..man denke an den durch soziale Medien berühmt gewordenen Superstar.."). Da hätte ich mir vielleicht doch weniger Anwendungsbereiche, dafür aber ein paar tiefere Analysen gewünscht. Das ist aber wohl Geschmackssache. Gezeigt, dass tiefere Analysen möglich sind, hat er dann im letzten Teil des Buches. Dort hat er nicht nur Probleme westlicher Demokratien, sondern auch Überlegungen zu deren Befriedung in seine Sprache übersetzt und eigene Ideen skizziert, was analytisch definitiv über den Rest des Buchs hinausging.
Kann das Buch an alle, die in ihrer akademischen Großstadtbubble etwas Unwohlsein verspüren, nur empfehlen:)
Excellent analysis of contemporary society as a new class society that is fixated upon originality, authenticity or 'singularity'. I have derived many insights of Reckwitz for my master's thesis. Strong: a theory of society which is fairly original, not-so-strong: when even this book is singular, how does one escape a morale of newness and singularity? Reckwitz seemingly avoids a normative stance on how we should live in the future.
Wenn man sich durch die etwas hochgestochene soziologische Fachsprache kämpft ein äußerst gelungenes Buch, das unsere heutige Gesellschaft gut von vielen Seiten beleuchtet.