"Hysteria" erzählt die Geschichte von Bergheim, der auf einem Biomarkt merkwürdig unnatürliche Himbeeren entdeckt. Auf der Suche nach dem Rätsel ihrer Beschaffenheit und Herkunft gerät er immer tiefer in eine kulinarische Dystopie, in der das Natürliche nur noch als absolutes Kunstprodukt existiert, weil das Künstliche längst alle Natur ersetzt hat. Aber keiner weiß davon. Nur seine Hypersensibilisierung befähigt Bergheim, die unheimliche Veränderung wahrzunehmen und ihr nachzugehen. Alle Fäden laufen im Kulinarischen Institut zusammen, wo er Charlotte wiedertrifft, seine Studienfreundin und ehemalige Geliebte, die nun als Leiterin an der Spitze der Bewegung des "Spurenlosen Lebens" steht. Allein mit Ansgar, dem dritten im Bunde des ehemaligen Uni-Triumvirats, wird es Bergheim gelingen, etwas dagegen zu tun.
Eckhart Nickel, geboren 1966 in Frankfurt/M., studierte Kunstgeschichte und Literatur in Heidelberg und New York. Er gehörte zum popliterarischen Quintett „Tristesse Royale“ (1999) und debütierte 2000 mit dem Erzählband „Was ich davon halte“. Nickel leitete mit Christian Kracht die Literaturzeitschrift „Der Freund“ in Kathmandu. Heute schreibt er u.a. für die FAS, die SZ und die ZEIT. Bei Piper erschien u.a. die „Gebrauchsanweisung für Portugal“ und die Reiseerzählungen „Von unterwegs“ (2021). Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2017 wurde er für den Beginn von „Hysteria“ mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet und war auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Im Jahr 2019 stand er auf der Shortlist des Franz-Hessel-Preises und erhielt den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis der Stadt Bad Homburg. 2022 wurde er von der Stadt Baden-Baden mit dem Baldreit-Stipendium ausgezeichnet. Sein hochgelobter neuer Roman „Spitzweg“ (2022) schaffte es direkt auf Platz 1 der SWR Bestenliste Juli/August 2022.
Bergheim ist ein vorsichtiger Mensch, der Elektrogeräten misstraut und sich Gedanken über deren mögliche Strahlung macht. Beim Einkaufen auf dem Markt entdeckt er Himbeeren, die viel zu dunkel aussehen und sich falsch anfühlen. Jenseitig, findet Bergheim und macht sich auf den Weg in die Kooperative, die diese verdächtigen Himbeeren erzeugt. Wir befinden uns in einer ökologischen Diktatur der nahen Zukunft. Die Erde hat nach einer gewaltigen Klimakatastrophe versucht, ihre gierigen Bewohner abzuschütteln, die wiederum nach Gegenmaßnahmen suchten. So konnte eine Initiative „Spurenloses Leben“ Einfluss gewinnen, die schon entstand zu Bergheims Studienzeiten als Fachkraft für Kulinarik. Gemeinsam mit dem Kulinarischen Institut als Teil des Ernährungsministeriums werden 10 neue Geboten verkündet, nach denen u. a. Menschen nur noch als Nomaden über ihren Planeten ziehen dürfen. Der Natur darf nichts mehr entnommen werden, das nicht sowieso von der Pflanze abfällt oder eines natürlichen Todes stirbt. Geleitet wird das kulinarische Institut zu Bergheims Verblüffung von Charlotte, seiner Liebe aus der Studienzeit. Gemeinsam mit Ansgar bildeten die drei im Studium eine verschworene Clique. Rückblenden zeigen, wie bereits damals erfinderische Leute Genussmittel komplett ersetzten, indem sie sensorische Reize künstlich erzeugten. Bergheim zeigte schon da eine gewisse olfaktorische Besessenheit und einen Kontrollzwang, den Zweierbeziehungen auf die Dauer nicht aushalten.
Aus der nahen Zukunft blickt Eckhart Nickel zurück in Bergheims Jugend, als - von seinem Helden vermutlich unbemerkt - das Fundament der heutigen Öko-Diktatur gelegt wurde. Ein Handlungsstrang dreht sich um einen Copy-Shop-Inhaber, der früher Buchhändler war und sich inzwischen völlig neu erfunden hat – auch er in gewisser Weise eine Konstruktion.
Bergheim und die verdächtige Himbeere – diese beeindruckende Szene behielt ich den gesamten Roman über im Hinterkopf. Wie muss sich eine normale Himbeere anfühlen und wer möchte eigentlich künstliche Früchte schmecken, fragte ich mich. Interessanter wäre Nickels Utopie, wenn sie sich nicht nur um die Theoretiker des Systems drehen würde, sondern auch Figuren zeigen würde, die sich beim Erzeugen der sensorischen Illusionen irgendwo die Hände schmutzig machen müssten. Ein schon vor der Buchveröffentlichung gelobter und preisgekrönter Blick in die Zukunft, der unser Konsumverhalten weiterdenkt. In der nächsten Generation könnten Himbeeren evtl. nur noch ein Sinnesreiz aus dem Aromazerstäuber sein ...
Nickels Romane sind hier auf goodreads IMHO eindeutig unterbewertet. Auch dieser, sein Erstling, war auf der Longlist des deutschen Buchpreises (2018), den Anfang hat er beim Bachmannpreis 2017 vorgetragen (https://bachmannpreis.orf.at/v2/stori...).
Wie in "Spitzweg" ist auch hier Künstlichkeit ein Thema, treten Figuren auf, deren Verhalten man dandyhaft bezeichnen könnte. Die Sprache ist geschliffen und ein Genuss zu Lesen. Die Gegensätze zwischen Natürlichkeit & Künstlichkeit werden genüsslich auf die Spitze getrieben. Oft muss man ein wenig schmunzeln, da sich die Grenzen zwischen den beiden Gegenpolen auflösen, oder teilweise sogar umkehren.
Nachdem mir "Spitzweg" bereits gut gefallen hat, war ich ganz glücklich, seinen ersten Roman einige Wochen später als Mängelexemplar gesehen und natürlich erworben zu haben. Ein amüsanter, unterhaltsamer und trotzdem sehr geistreicher Lesespaß.
Ein Trip durch das unter einem totalitären Umweltregime entstandene »Kulinarische Institut«, das sehr unangenehme Machenschaften zu verbergen hat.
Diesen Titel entdeckte ich in der Piper Herbstvorschau und nicht nur das wahnsinnig hübsche Cover (zudem: kein Schutzumschlag! Liebe!), sondern auch der verdammt interessante Klappentext lockten mich so schließlich zu Eckhart Nickels „Hysteria“. Es geht um Bergheim, der auf dem Markt nicht nur seltsame Himbeeren entdeckt, sondern auch ein Kalb, das sich sehr merkwürdig verhält, sich selbst Wunden zufügt, aber kein Blut zutage tritt, sondern scheinbar nur eine weitere Schicht Fleisch. Als er den Blick des Marktverkäufers auffängt, schrillen beim hypersensiblen Bergheim alle Alarmglocken und seine Paranoia erwacht. Er lässt sich am Stand erklären, wie das „Kulinarische Institut“ das Monopol für Lebensmittel hält und erhält einen kleinen Überblick über die Arbeit, die dort verrichtet wird, seine Neugier ist dadurch aber nicht befriedigt. Für eine Führung am Institut begibt Bergheim sich durch einen Wald, der ihm zunehmend bedrohlich erscheint. Irgendwas stimmt nicht, das hat er im Gefühl – und, einmal im Institut angekommen, bestärkt sich dieses Gefühl. Eine alte Geliebte (Charlotte ihr Name) scheint dort zu arbeiten und als weiterer Teilnehmer der Führung hat sich ausgerechnet sein ältester Freund Ansgar ebenfalls angemeldet. Zufälle häufen sich (wieso zeigt man ihm überhaupt so freigiebig das Institut?), und als Bergheim während der Führung, die von seltsamen Schreien begleitet wird, verloren geht, widerfährt ihm etwas Verstörendes. Ob er dem Geheimnis des Instituts noch auf die Schliche kommen kann? Und was hat es mit diesem nicht blutenden Tier auf sich?
"Die Natur, die wir in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen wollten, war gerade dabei, sich selbst aufzulösen."
Eckhart Nickels Roman spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft, in der das Umweltministerium über die Zeit immer mehr Gesetze gegen den Fleischkonsum und die Ausbeutung unserer Erde erlässt (gut so!), sich allerdings zum totalitären Regime ausbreitet, in dem der Genuss von Alkohol, Drogen, ja sogar Koffein und Teein untersagt ist. Den „Kick“ findet man legal nur noch in sogenannten Aroma-Bars, in denen mit Kräutern angereicherte Säfte und Duftreisen verkauft werden. Auslöser für diese Bewegung waren tatsächlich satirische Arbeiten von Bergheim, Ansgar und Charlotte selbst, die allerdings ernsthafte Anhänger gefunden haben und durch diese den Zugang zur Regierung ermöglicht wurde.
Mit „Hysteria“ zeichnet Eckhart Nickel eine ziemlich unangenehme, bedrückende Dystopie – ohne, dass der Leser zu Beginn wüsste, warum sich alles überhaupt so seltsam anfühlt. Er nimmt uns mit in die Vergangenheit Bergheims und seiner zwei besten Freunde, Ansgar und Charlotte, die während ihrer Studienzeit viel gemeinsam erlebt haben und sich Vorlesungen zu Themen wie dem „spurenlosen Leben“ anhörten. Was zunächst spannend klingt – denn wie könnte man als Mensch jemals wirklich spurenlos leben? – entwickelt sich schnell zum Alptraum, wenn der Leser erfährt, was das Kulinarische Institut dafür für ethische Probleme aufwirft. Doch nicht nur die Thematik von „Hysteria“ ist spannend, sondern auch der Charakter Bergheims an sich: So fürchtet er sich beispielsweise vor der Strahlung des heimischen Stromnetzwerks, stellt sich selbst aber als der „Normale“ hin, denn schließlich gebe es Menschen, die keine Steckdose im Haus unverbunden lassen konnten vor lauer Panik, was aus den „offenen“ Steckdosen alles entweichen konnte. Bergheim legt zudem eine ausgeprägte Paranoia an den Tag, die erschreckende Maße annimmt, nachdem er auf dem Markt das verstörte Kalb sah. Von diesem Zeitpunkt an ist er höchst verunsichert und seine Hypersensibilität nimmt dadurch noch weiter zu. Der Leser kann Bergheim als Erzähler nur eingeschränkt trauen, denn er erzählt von durch seine Hypersensibilität ausgelösten Halluzinationen, einem höchst verstörenden Experiment, wo ihm seine Sinne wieder einen Streich zu spielen scheinen, oder anderen kuriosen Gegebenheiten. Nach und nach ergeben sich jedoch Dinge innerhalb des Instituts, die Bergheim nicht mehr auf seine Kondition schieben kann – und hier beginnt „Hysteria“, nachhaltig zu verstören.
Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht so genau, was ich über das Buch sagen soll. Ich weiß nicht, ob es am Buch liegt oder an mir, dass ich keinen Zugang dazu gefunden habe. Das Gefühl, das beim Lesen vor allem vorherrschte, war Hetze. Wahrscheinlich bin ich aus dem Grund durch das Buch gehechelt. Nach 50 % habe ich dann abgebrochen und bin jetzt genauso schlau wie vorher. Schade, der Inhalt klang wirklich gut.
Mir wurde vom Verlag ein elektronisches Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Bergheim, ein hypersensibler Zeitgenosse und Studienabgänger der Kulinarik, entdeckt seltsame und komisch gefärbte Himbeeren auf dem Markt. Verwundert, macht er sich auf Spurensuche und besucht die Genossenschaft, die sich für die Himbeeren verantwortlich zeichnet. Bei dieser Genossenschaft trifft er auf das mythenumrankte Kulinarische Institut und trifft dort zwei seiner alten Kommilitonen wieder. Doch hier fängt die Verwirrung erst an.
Und diese Verwirrung, sie zieht sich nicht nur durch die Geschichte selbst, auch dem Leser bleibt sie meist treu. Hysteria ist etwas wirr, im Aufbau wie auch in der Erzählung und leider löst sich diese Wirrheit zum Ende nicht ganz auf. Aber vermutlich geht das gar nicht anders, denn Bergheim ist ein komischer Kauz. Mit übertriebenem Geruchssinn und Geschmacksnerven gesegnet, geht er den meisten Menschen gehörig auf den Zeiger. Bergheim als Protagonist macht Spass und zwar so richtig. Das fängt ja bereits beim Namen an und geht weiter wenn er eigentlich ein Hypersensibler Mensch ist und immer mit den Menschen mitfühlt, aber immer auch wieder ein gehöriger Trampel ist, der nicht weiss wie er sich verhalten soll.
Nickel schreibt in amüsantem Duktus, der immer wieder zwischen dem Ton des Erstsemesters der sich durch aufgeblasene Sprache zu profilieren meint und dem Ton der Satire oszilliert. Das ist durchwegs amüsant, aber manchmal etwas gar viel, stellenweise verliert sich da dann der Roman, wenn nur noch geschwollen Dahingeredet wird, aber nichts mehr passiert. So passiert es dann auch, dass der Roman stellenweise etwas gar zäh ist. Es passiert dann einfach zu wenig und als Leser hat man keine Lust die Spannung selbst aufrechtzuerhalten.
Hysteria ist dann am besten, wenn wirklich erzählt wird, dies ist meist in den Rückblenden der Fall, die von Bergheims Studienzeit mit seinen besten Freunden Charlotte und Ansgar erzählen. Diese Episoden sind auch immer wieder gespickt von pseudowissenschaftlichem Blödsinn, dass es eine wahre Freude ist. Da gibt es etwas die Aromabar, die Charlotte und Bergheim in einer Rückblende aufsuchen, in der alleine durch bestimmte Gerüche rauschartige Zustände ausgelöst werden können. In den schlechteren Momenten werfen sich gebildete Leute schwachsinnige Kulturtheorien an den Kopf. Man fühlt sich da wie als Kind, das hinausgeschickt worden ist, weil jetzt die Erwachsenen reden.
Der vorliegende Roman ist eine wilde Mixtur. Mal ist der Roman Satire, mal Gesellschaftskritik, mal Dystopie und mal Liebesroman. Nicht, dass sich diese Dinge per se ausschliessen würden, aber wenn der Roman selbst nicht weiss wo er hin will, wie soll dann der Leser wissen, wo er hin soll? Gerade im zweiten Teil, sobald sich Bergheim im Kulinarischen Institut wiederfindet tauchen vermehrt Elemente der Dystopie auf. Immer wie mehr zeichnet der Roman hier eine Welt, die sich auf die Natur besinnen möchte und von der Kultur wieder entfremden und entfernen soll. Dies ist auch das eigentliche, das grosse Thema des Romans, was bedeuten Natur und Kultur für den Menschen? Es ist natürlich nicht weit hergeholt da an die philosophische Anthropologie (vorwiegend) deutscher Prägung zu denken. Ich musste sofort an Arnold Gehlen und seinen Begriff des Mängelwesens denken. Hysteria erörtert hier durchaus interessante Themen wie, was bedeutet Natur für den Menschen? und die neue Bewegung des “Spurenlosen Lebens„ entlarvt sich hier ja gerade dadurch, dass es die Natur so gar nicht mehr geben kann. Leider verliert sich hier der Roman ab und an wieder selbst, ist es nun Kulturpamphlet, philosophische Abhandlung oder einfach pseudowissenschaftlicher Blödsinn? Man weiss es nicht so genau. Es ist zwar auch durchaus gut, bezieht hier der Roman keine Stellung, aber ein bisschen mehr Klarheit hätte trotz allem nicht geschadet.
Mein Gesamturteil zu Hysteria bleibt ein gemischtes. Ist der Roman lesenswert? Ja, auf jeden Fall. Es macht Spass und ist durchaus unterhaltsame Lektüre. Aber, Hysteria scheint mir immer wieder am eigenen Anspruch zu scheitern. Der Umgang mit dem eigentlichen Hauptthema, was heissen Natur und Kultur für den Menschen, ist stellenweise etwas ungeschickt, weil zum Teil zu klar Stellung bezogen wird, zum Teil aber auch zu vieles schwammig bleibt. Hier hätten für mich die Motive meist etwas klarer herausgearbeitet werden sollen. Trotzdem, Hysteria ist lesenswert. Der gewählte Themenkomplex macht Freude und bietet viel Platz für eigene Überlegungen zum Thema. Von daher: Lesen. Und dann dürft ihr mir dann auch gerne wütende Emails und Tweets zusenden, weshalb ich damit falschliege.
- 2,5*: Gute Ansätze & viel verschenktes Potenzial: Habe von einer kulinarischen Dystopie mehr erwartet -
* Spoilerfreie Rezension! *
Inhalt
Bei diesem Buch handelt es sich um etwas ganz Ungewöhnliches: nämlich um eine "kulinarische Dystopie", in der das Künstliche das Natürliche bereits ersetzt hat. Und die ganze Geschichte beginnt mit ungewöhnlichen Himbeeren. Die fallen Bergheim nämlich beim Einkauf auf, als er sie genauer betrachtet. Sofort beschließt er, dem Rätsel nachzugehen und landet schließlich im Kulinarischen Institut. Eine fieberhafte Suche nach der Wahrheit beginnt…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband Verlag: Piper Seitenzahl: 240 Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum Perspektive: männliche Perspektive (Bergheim) Kapitellänge: kurz bis lang Tiere im Buch: + An sich lautet das Ziel der Gesellschaft im Buch, sich möglichst wenig in die Natur einzumischen. Zusätzlich gibt es an mehreren Tagen der Woche ein Fleischverbot – hier entwickelt sich ohne Frage einiges in die richtige Richtung. Auch handelt es sich bei den „Nutztieren“ teilweise nicht mehr um „echte Tiere“ (mehr kann ich nicht verraten, ohne zu spoilern). Bergheim fordert jedoch, dass die Jagd verherrlicht und der Mensch dem Tier wieder gleichgesetzt wird. Zudem verletzt sich ein Tier selbst.
Warum dieses Buch?
Dieses Buch war im letzten Jahr für den „Deutschen Buchpreis“ nominiert, was natürlich sofort mein Interesse geweckt hat. Zudem liebe ich Dystopien – und eine kulinarische Dystopie kannte ich bisher noch nicht. Ich erwartete also etwas Erfrischendes, Neuartiges – und wollte deshalb das Buch unbedingt lesen.
Meine Meinung
Einstieg (+)
"Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht." E-Book, Position 31
Die Geschichte beginnt sehr mysteriös und rätselhaft, wodurch sofort meine Neugier geweckt wurde. Dennoch fiel es mir schwer, nach den ersten, interessanten Kapiteln wirklich in die Geschichte zu finden und ganz darin einzutauchen.
Schreibstil (+/-)
Hier bin ich zwiegespalten. Einerseits schätze ich Nickels anspruchsvollen, ästhetischen Schreibstil und mochte den gelegentlichen satirischen Unterton, andererseits erschien er mir auch oft (vor allem bei den Dialogen) etwas angestaubt, altmodisch, zu umständlich oder sogar prätentiös. Das lag daran, dass es der Autor an manchen Stellen meiner Meinung nach mit den langen Schachtelsätzen übertrieben hat. Teilweise gibt es Einschübe an seltsamen Stellen, so dass ich aus dem Lesefluss geraten bin und manche Abschnitte noch einmal lesen musste. Zudem wirkte es manchmal auch ein wenig gewollt, als hätte der Autor unbedingt zeigen wollen, wie anspruchsvoll er schreiben kann – auch wenn das durch die Verwendung von manchem Fachausdruck, der nicht erklärt wurde, zulasten des Verständnisses geht. Die Beschreibungen waren manchmal sehr gut gelungen und anschaulich, an anderen Stellen musste ich mir das Geschriebene bewusst und mit Mühe vorstellen.
Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)
„Bergheim kam der Verdacht, dass sie gar keine wirklichen Wanderer seien, sondern eine als getarnt arbeitende Spezialeinheit der Tierzüchter vom Markt, die auf der Suche nach ihm war, weil er zufällig etwas gesehen hatte, das niemand jemals zu Gesicht bekommen hätte sollen.“ E-Book, Position 221
Insgesamt hat mich „Hysteria“ leider enttäuscht, da ich mir von einer kulinarischen Dystopie einfach mehr erhofft habe – mehr Innovation, mehr Spannung, mehr Hintergrundwissen, mehr Tiefe, mehr Worldbuilding und ein erschreckenderes Zukunftsszenario. Die Geschichte hat sehr spannend und mysteriös begonnen, verliert sich dann aber streckenweise leider in zahlreichen Rückblenden (die einen aus dem Lesefluss reißen), hölzernen, uninteressanten Dialogen und in langatmigen Beschreibungen von alltäglichen Begebenheiten.
Es gibt zwar durchaus einige sehr interessante Informationen, die eingewoben werden, gute Ansätze (Kritik an der Lebensmittelindustrie, an allem Künstlichen) und gelungene Passagen, aber insgesamt ist der Inhalt dünn. Der rote Faden ging leider (wie viele andere RezensentInnen schon geschrieben haben) in der Mitte des Buches ein wenig verloren, die Handlung wirkte oft verworren und undurchsichtig. Zwischendurch fragte ich mich sogar, warum eine Szene nun wichtig war, worauf der Autor überhaupt hinauswill, was seine Botschaft und sein Inhalt sind. Insgesamt blieb mir einfach zu viel offen, es gab viele gute Ansätze, aber bei der Umsetzung wurde leider viel Potential verschenkt. Nach dem gruseligen Ende ließ mich das Buch leider mit vielen Fragezeichen und eher unbefriedigt zurück - meiner Meinung nach lohnt es sich nicht wirklich, sich „durchzuquälen“ – denn das musste ich abschnittsweise leider tun. „Hysteria“ war für den Deutschen Buchpreis 2018 nominiert, aber ich kann damit nur wenig anfangen. Darum kann ich es euch leider nicht weiterempfehlen.
Protagonist (+/-)
Bergheim war mir zwar in gewisser Weise sympathisch, und er erschien mir auch mit seinen zahlreichen Ängste und seiner Hochsensibilität gut ausgearbeitet, dennoch blieb immer eine gewisse Distanz zu ihm. Ich habe keinen Zugang zu ihm gefunden; ich konnte nicht richtig mitfühlen und mitfiebern, sein Schicksal berührte mich nicht.
Figuren (-!)
Die anderen Figuren fand ich hingegen, bis auf Charlotte aus der Vergangenheit, sehr farblos und blass. Man erfährt fast nichts über sie, sie bleiben absolut ungreifbar und austauschbar. Hier konnte mich der Autor leider gar nicht überzeugen.
Spannung & Atmosphäre (+/-)
Auch wenn die Spannung leider über weite Teile der Geschichte nicht vorhanden war und sie sich für mich vor allem im Mittelteil sehr gezogen hat, gab es auch einige Dinge, die mir sehr gut gefallen haben: Großartig fand ich die Horror-Elemente und die unheimliche, kafkaeske Grundstimmung der Geschichte. Ständig liegt so eine herrlich ungreifbare Bedrohung über allem. Nie weiß man, ob der Protagonist nur paranoid ist, oder ob er wirklich einer Verschwörung auf der Spur ist. Überhaupt fand ich die Handlung in der Gegenwart im kulinarischen Institut sehr atmosphärisch, spannend und gelungen. Ich wollte dieses seltsame, kunstvolle, faszinierende und kalte Gebäude erforschen und mehr über seine dunklen Geheimnisse erfahren! Leider wurde mir das verwehrt, weil die Handlung in der Vergangenheit so viel Raum einnimmt.
Feministischer Blickwinkel (+)
Hier ist mir nichts Negatives aufgefallen. Charlotte und auch Kirsten sind starke weibliche Figuren, und da Bergheim sehr sensibel ist, bricht er mit Stereotypen und repräsentiert keine toxische Maskulinität. Den Bechdel-Test besteht das Buch trotzdem nicht, da niemals zwei weibliche Figuren über etwas anderes sprechen als einen Mann.
Mein Fazit
„Hysteria“ ist ein Buch, das mich insgesamt leider enttäuscht hat, da ich mir von einer kulinarischen Dystopie einfach mehr erwartet habe – mehr Innovation, mehr Tiefe, mehr Spannung, mehr Hintergrundwissen und ein erschreckenderes Zukunftsszenario. Was den Schreibstil betrifft, bin ich zwiegespalten: Einerseits schätze ich Nickels anspruchsvollen, ästhetischen Schreibstil, andererseits erschien er mir manchmal auch etwas angestaubt, altmodisch, zu umständlich, zu gewollt oder sogar prätentiös. Während mir Bergheim mit seinen Ängsten und seiner Hochsensibilität durchaus sympathisch war und gut ausgearbeitet wurde, blieb trotzdem immer eine gewisse Distanz zu ihm. Die anderen Figuren fand ich großteils sehr farblos, ungreifbar und austauschbar. Der Einstieg war noch sehr mysteriös und spannend, doch danach wurde die Geschichte verworren und verlor ihren roten Faden. Sie verlor sich dann streckenweise leider in zahlreichen Rückblenden (die einen aus dem Lesefluss reißen), hölzernen, künstlichen, uninteressanten Dialogen und in langatmigen Beschreibungen von alltäglichen Begebenheiten. Es gibt zwar durchaus einige sehr gelungene Passagen und gute Ansätze, aber insgesamt ist der Inhalt dünn, viel Potenzial wird verschenkt. Zwischendurch fragte ich mich sogar, worauf das Buch überhaupt hinauswill, was seine Botschaft ist. Auch wenn die Spannung leider über weite Teile der Geschichte nicht vorhanden war und sie sich für mich vor allem im Mittelteil sehr gezogen hat, gab es auch etwas, das mir sehr gut gefallen hat: Großartig fand ich die Horror-Elemente und die unheimliche, kafkaeske Grundstimmung der Geschichte. Ständig liegt so eine herrlich ungreifbare Bedrohung über allem. Nie weiß man, ob der Protagonist nur paranoid ist, oder ob er wirklich einer Verschwörung auf der Spur ist. Nach dem gruseligen Ende ließ mich das Buch jedoch leider mit vielen Fragezeichen und eher unbefriedigt zurück - meiner Meinung nach lohnt es sich nicht, sich durchzuquälen – denn das musste ich abschnittsweise leider tun. „Hysteria“ war für den deutschen Buchpreis nominiert, aber ich konnte damit nur wenig anfangen. Darum kann ich es euch leider nicht weiterempfehlen.
,,[...] Aber vielleicht war das nur eine dieser optischen Täuschungen, die entstanden, weil das menschliche Auge selbst im größten Chaos noch Strukturen zu sehen versuchte, um nicht über die völlige Abwesenheit von Logik und Ordnung wahnsinnig zu werden. [...]'' - S. 159
Auch wenn ich nicht viele nominierten Bücher der vergangenen Long- und Shortlists des Deutschen Buchpreises gelesen habe, so langsam kristallisiert sich ein Muster heraus, welche Arten von belletristischen Büchern diese Ehre bekommen. Und sie sind, teilweise trotz derselben Stilmittel, ein Hit or Miss für mich. Im Falle von Hysteria trifft leider letzteres zu, und das obwohl die Prämisse durchaus etwas ist, was sehr interessant und mal nach etwas anderem klingt.
Denn im Gegensatz zu vielen anderen Geschichten des DBP, in dem Einzelschicksale und zwischenmenschliche problematische Beziehungen im Vordergrund stehen, geht es in Nickels Buch um eine dystopische Zukunft nicht weit von unserer Gegenwart. Denn der Protagonist, Bergheim, entdeckt mehr oder weniger durch Zufall kleine Ungereimtheiten an Lebensmitteln und Tieren, die ihm Anfang des Buches begegnen. Die Himbeeren fühlen sich komisch an, manches Vieh scheint an einigen Stellen zu verfaulen. Immer mehr steigert er sich in diese Kuriositäten hinein und trifft dabei auf zwei ehemalige Freunde von sich, mit denen er zu Studizeiten oft Zeit verbracht hat. Doch diese scheinen ihre Meinung zu einer Bewegung namens ,,Spurenloses Leben'' ihre Meinung um 180 Grad gedreht zu haben, und genau diese Bewegung scheint mit diesen Veränderungen zusammenzuhängen.
Wäre dieses Buch diese spannende, in Deutschland spielende Dystopie mit einer mehr oder weniger mysteriös verpackten Umweltthematik gewesen, dann hätte es mit Sicherheit eine höhere Wertung von mir bekommen. Dieser Teil der Geschichte ist auch für sich der interessanteste, da der Autor durch Flashbacks und Unterhaltungen zwischen den Charakteren viel World-Building betreibt und viele Inspirationen für seine Ideen sich schon heute en masse auffinden lassen. Sowohl das Misstrauen gegenüber Elektrogeräten als auch genetisch modifiziertes Essen, die Dämonisierung des Menschen als das schlimmste Raubtier von allen sowie die Widersprüchlichkeit vom Schutz der Natürlichkeit durch das Erschaffen unnatürlicher Lebensmitteln sind Themengebiete, die heute schon besprochen werden, und die vom Autor auch authentisch und ausführlich dargelegt werden. Teilweise liest es sich auch wie Satire auf einige Aspekte unserer heutigen Zeit, was einem das ein oder andere Schmunzeln entlocken kann.
Auch die Art und Weise, durch welch kleine Details der Protagonist merkt, dass sich widernatürliche Lebensmittel in seinen Alltag schleichen, ist sehr gut beschrieben. Man hat regelrecht das Gefühl, man wäre in einem Äquivalent von der Truman Show, in dem ein Scheinwerfer vom Himmel fällt und der titelgebende Protagonist beginnt, feine Risse in seiner sonst so heilen Welt wahrzunehmen. Dadurch bekommt man anfangs den Eindruck, Bergheim könne paranoid oder schizophren sein, sodass man nicht weiß, ob er sich in manche Dinge nur hineinsteigert oder ob sie wirklich so merkwürdig sind, wie er sie wahrnimmt. Auch das, der unreliable narrator ist etwas, was viele Titel des DBP benutzen, um etwas Abwechslung in die Struktur und die Erzählweise ihrer Geschichte zu bringen.
Doch leider ist dies im Falle von Hysteria nicht unbedingt passend für die Geschichte bzw. erschließt sich nicht ganz, warum Bergheim so zerstreut und merkwürdig ist und teilweise psychologisch wirklich fragwürdige Momente hat. Im Klappentext wird zwar angesprochen, dass er hypersensibel sein soll, allerdings lasen sich seine Gedankengänge und Handlungen eher wie Psychosen, so überzeichnet waren sie teilweise. Es nervt auch einfach, wenn sich in belletristischen Romanen zunehmend solch unzuverlässigen Erzähler finden, das Ganze aber nicht wirklich einen Sinn hat. Bei einem anderen Nominierten des DBP aus den vergangenen Jahren, Triceratops, war es beispielsweise viel passender, da der Hauptcharakter von Anfang an aus sehr instabilen Verhältnissen kommt, er auch oft von sich selbst als ,,wir'' spricht und daher die mögliche Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung naheliegt, die auch die fragmentarische Erzählweise rechtfertig. In Hysteria wiederum hat es nur den Grund, die Geschichte durch merkwürdige Ereignisse in die Länge zu ziehen und sorgt weder für eine Vertiefung der Botschaften der Geschichte noch lernt man dadurch den Hauptcharakter eher kennen. Es scheint eher ein Gimmick zu sein, um sich neben den Büchern alá ,,Deutscher Buchpreis'' bzw. ,,intellektuell fordernde Bücher'' einreihen zu können.
Auch die Charaktere sind eher nur Pappaufsteller für verschiedene Meinungen innerhalb der Geschichte und für sich genommen kaum erinnerungswürdig. Bis auf Bergheim ist mir auch keiner der anderen Namen in Erinnerung geblieben, und bis auf ihre teilweise sehr nebulösen Meinungen in diesem Buch werden sie auch kaum charakterisiert. Manche Aspekte ihrer Beziehungen schienen auch sehr suspekt und gar nicht ins Buch zu passen.
Ebenso kann das Ende einen nicht ganz zufriedenstellen, da es zwar schon zu einem erheblichen Spannungsaufbau kommt, allerdings das Pay-off dafür nicht groß genug war. Es endet sehr abrupt und bietet einem zwar ein, zwei Möglichkeiten zur Interpretation, aber besonders angesichts all der Fragezeichen, die die Geschichte aufwirft, wären etwas mehr Antworten schön gewesen.
Ein Buch mit einer tollen Prämisse, das genau dann am stärksten ist, wenn es dieser nachgeht. Die Probleme, die der Autor anspricht, werden teilweise mit einem Augenzwinkern kommentiert und in dieser Geschichte ad absurdum geführt. Darin zeigt der Autor auch das ganze Ausmaß seiner Schreibkunst. Allerdings hat die fehlende, eher fragmentarische Struktur rund um die Erzählstruktur sowie das unnötige Nutzen des unreliable narrators dafür gesorgt, dass das Buch von seinen Hauptthemen abgelenkt hat und dadurch mehr Durcheinander auftrat, als die Geschichte für ihre Botschaft nötig hätte. Daher hätte das Buch gut daran getan, eher zu seinem Konzept zu stehen als sich in die Art von belletristischen Büchern einzureihen, die denkt, sie wäre intellektuell fordernder und besonderer, nur weil sie einen Protagonisten hat, der nicht alles in der richtigen Reihenfolge erzählt und sehr gefühlvoll ist. Viel Potential, aber stilistisch leider nicht ansprechend umgesetzt und abseits der Message wenig zu bieten.
Wie immer geht Bergheim auf den Biomarkt. Beim Inspizieren der Himbeeren fällt ihm deren Farbe und Beschaffenheit auf, die seltsam unnatürlich anmuten. Auch ein Jungtier wirkt verstörend seltsam, er will der Sache auf den Grund gehen und landet direkt im Kulinarischen Institut, wo seine Ex-Freundin Charlotte, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat, eine Leitungsstelle innehat. Bergheims Hypersensibilität erlaubt es, dass er Veränderungen wahrnehmen kann, die andere entgehen und bald schon befindet er sich in dem Institut, das in den Händen der sogenannten „Spurenloses Leben“ Bewegung ist, gefangen in einer unheimlichen Dystopie. Die Natur existiert nicht mehr, sie wurde durch eine neue Künstlichkeit ersetzt, die mit normaler Wahrnehmung kaum zu erkennen ist.
Eckhart Nickels Roman, der auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2018 steht, ist eine Herausforderung. Zunächst fasziniert der Text durch Bergheims sensorische Empfindungen, die en détail wiedergegeben werden und den Leser in ungeahnte Höhen der Sensorik führen. Textur, Farbe und Geschmack von alltäglichen Lebensmitteln und Dingen werden mit einer Intensität beschrieben, die man selten gelesen geschweige denn selbst wahrgenommen hat. Von Weinbeschreibungen ist man dergleichen gewohnt, bei Himbeeren überrascht dies.
Der Protagonist Bergheim – ich frage mich rückblickend, ob dieser überhaupt über einen Vornamen verfügt – ist schon arg schräg, seine Ordnungsliebe mutet etwas autistisch an, sein Verhältnis zu Charlotte geradezu obsessiv. Da passt die Hypersensibilität, die ihn etwas pedantisch wirken lässt. Ausgerechnet dieser Sonderling kommt einer unheimlichen Verschwörung auf die Spur. Viele Aspekte der Anhänger des „Spurenlosen Lebens“ sind auch in unserer Realität allgegenwärtig: Umweltschutz, nachhaltiges Leben, Achtung vor Flora und Fauna – aber sie werden hier auf die Spitze getrieben und geradezu ad absurdum geführt. Koffein und Nikotin sind verboten, aber durchaus auf dem Schwarzmarkt gegen Altgeld noch beschaffbar, Ersatzdrogen waren ebenso schnell gefunden wie die alten verboten waren – die Menschheit ist halt doch begrenzt in ihrer Evolutionsfähigkeit und kreativ im Finden von Schlupflöchern.
Der Roman verirrt sich für mein Empfinden irgendwann etwas in Absurdität und ist in der Handlung nur noch schwer zu folgen. Vieles an der Dystopie ist eine berechtigte Warnung, aber mit einem ansprechenderen Protagonisten wäre die Message vermutlich überzeugender dargeboten worden. Auch das Ende fand ich eher als etwas verunglückter Horrorschocker denn als überzeugender Abschluss.
In einer vermutlich nicht allzu fernen Zukunft hat in Deutschland (?) eine Form von Gesundheits-/Ökodiktatur Einzug gehalten incl. einer Gesundheitspolizei. Rausch- und Genussmittel wie Alkohol, Nikotin, Koffein, Tein usw. sind verboten, wurden jedoch durch scheinbar gesunde, natürlich Kräuter und Ähnliches ersetzt. Eine Gruppierung stellt die Maximalforderungen auf, nur noch Produkte zu nutzen, die die Natur 'freiwillig' zur Verfügung stellt (beispielsweise Fallobst), sämtliche Eingriffe der Zivilisationen rückgängig zu machen und in letzter Konsequenz, dass die Menschen verschwinden. In diesem Klima entwickelt sich eine Gesellschaft, die als größtes Ziel eine nachhaltige und natürliche Lebensweise hat. Bergheim, hypersensibel, entdeckt auf einem Biomarkt allerdings Merkwürdiges, die ihn an der Natürlichkeit zweifeln lassen. Er sucht einen der Produzenten auf, der ihn an das mysteriöse Kulinarische Institut verweist, wo er bereits erwartet wird. Es ist wohl nur ein Tag, an dem wir als Lesende den Protagonisten Bergheim begleiten. Doch die Geschichte nimmt immer wieder abrupte Wendungen, mit denen man (nicht nur) Bergheims Lebensentwicklung folgt. Trotz der stetigen Handlungssprünge entsteht eine immer düster werdende Atmophäre, in der im Hintergrund etwas Unheimliches zu lauern scheint. Hysteria ist ein Buch, das man sehr aufmerksam lesen muss, da Traum, Vergangenes und Gegenwart immer wieder ineinander übergehen und man so leicht die Orientierung verlieren kann. Hinzu kommt die Neigung des Autors zu langen Sätzen und seiner Liebe zum Detail, die aber vermutlich das Wissen fast aller Lesenden vergrößern wird. Oder wieviele Menschen kannten zuvor die Eigenschaften des Fadenwurms caenorhabditis elegans? Oder dass Käse aus Eselsmilch der teuerste der Welt ist? Eckhart Nickel bindet immer wieder solche Informationen ein, die derart absurd klingen, dass man sie für Produkte seiner überbordenden Phantasie halten könnte. Doch tatsächlich entsprechen sie den Tatsachen, wie beispielsweise auch der interessante Exkurs über die Papaya. Bemerkenswert sind ebenso seine exakten, bildhaften Beschreibungen wie beispielsweise gleich zu Beginn das Essen einer Himbeere: "Der kitzelnde Flaum, der sich beim Zerdrücken der Frucht im Mund wie ein Pelz auf die Zunge legte, widerte ihn an. ... Die Härchen, die wild zwischen einzelnen Waben herausragten, schienen sich noch dazu zu bewegen, und über den zellenartigen Fruchtbällen formte sich gräulicher Schimmer, der sie fast staubig aussehen ließ, wie ein dünnhäutiger Bovist." Eine ungewöhnliche, anspruchsvolle und lesenswerte Lektüre mit düsteren Aussichten, die sich leider schon in Reichweite befinden.
Diesen Roman fand ich enttäuschend, in vielerlei Hinsicht. In der zweiten Hälfte musste ich mich motivieren, das Lesen überhaupt fortzusetzen. Nach 3/4 ging es nur schleppend voran. Beiseitegelegt, paar andere Bücher gelesen, dann doch noch zu Ende geschafft. Welch eine Erleichterung. Allem voran waren mir der Ausdruck und die Art der Stoffdarbietung die schlimmsten Stolpersteine. Die Schreibe verschwurbelt bis zum dort hinaus: oft gibt es verschachtelte Sätze, zu oft trifft man Allgemeinplätze als vermeintliche „Weisheiten“ getarnt, zudem eine geradezu peinliche Häufung von Hilfsverben von „war“ und „hatte“, die ich sonst bei blutigen Anfängern vermuten würde. Die Beschreibungen ergaben oft verschwommene Bilder. Der Aufbau des Ganzen erfolgte nach einem sehr bekannten Muster. Zu oft kamen mir „Was für ein vergeistigter Dünnsch…!“ und „Warum lese ich das überhaupt?“ in den Sinn. Das wohl bekannte Foto von M. Reich-Ranicki, auf dem er mit verzogenem Gesicht abgebildet ist, als ob er etwas stark missbilligt, gesellte sich vor meinem geistigen Auge gleich dazu.
Der Roman ist eine Dystopie, die eine seltsame, aber nicht sonderlich originelle Geschichte erzählt. Gut die Hälfte spielt in der Vergangenheit der Hauptfigur namens Bergheim. Seine Studienzeit, die paar Freunde, noch paar andere Leute, wie die junge Frau aus der Buchhandlung wurden vorgestellt. Zum Schluss trifft Bergheim sie in einer merkwürdigen Institution nach vielen Jahren wieder. Und will nur eins: sich aus diesem Irrenhaus retten.
Die Figuren, insb. die weiblichen, kamen mir hölzern vor, die Emotionen bloß behauptet, kaum gelebt. Im gesamten Verlauf blieb eine unüberbrückbare Distanz zu den Figuren und zum Geschehen insgesamt.
Die Art zu erzählen hat mir, wie gesagt, keine Freudenrufe entlocken können, zudem gab es einen überlangen Monolog am Ende, der gar nicht enden wollte. Das eine Art Märchen zum Schluss hat die Geschichte allerdings etwas aufgewertet.
Gut, man kann, wenn man möchte, da eine Art Moral in dem Ganzen entdecken, eine Art Warnung, dass das Natürliche, v.a. der Geschmack und die Aromen, eines Tages durch Kunststoffe ersetzt werden würden. Die Idee ist aber auch nicht neu. Das gab es schon früher, viel besser erzählt.
„Schlichtheit. Hier ist ganz offenbar ein Künstler am Werk.“ liest man auf S. 161. Und genau das hat diesem Roman gefehlt: Schlichtheit. Hier war mMn ein hochmutiger Möchte-gerne-Künstler am Werk. 3 Sterne mit viel Wohlwollen. Und ganz ehrlich: Es gibt besseren Lesestoff für die knappe, kostbare Lesezeit.
Beim routinierten Besuch des Biomarktes fallen Bergheim plötzlich unnatürlich wirkende Himbeeren auf. Um dieser seltsamen Sache nachzugehen, findet er den Weg ins das Kulinarische Institut, in dem er seine ehemalige Studienfreundin und Ex-Freundin Charlotte trifft, die damals plötzlich aus seinem Leben verschwunden ist und jetzt Leiterin des Instituts ist. Im Institut existiert keine Natur mehr, weil sie künstlich erschaffen wurde und normal kaum wahrnehmbar wäre. Doch Bergeheims Hypersensibilität erlaubt es ihm, kleinste Veränderungen wahrzunehmen und schon bald bemerkt er, dass etwas mit dem Institut nicht stimmt.
Der für den Deutschen Buchpreis 2018 nominierte Roman von Eckhart Nickels war für mich anfangs eine Herausforderung. Beginnend mit umfassenden, detailreichen Beschreibungen alltäglicher Dinge, die sich über Seiten hinweg zogen, machten mir das Lesen anfangs sehr schwer, da ich immer wieder mit meinen Gedanken abgeschweift bin. Doch endlich im Institut angekommen – hier kommt die Geschichte dann richtig ins Rollen – wird eine gewisse Spannung aufgebaut, die zum Weiterlesen verleitet. Der Protagonist Bergheim weist autistische Züge auf, sein Verhalten ist nahezu pedantisch. Sein Charakter ist absurd und für den Leser schwer nachvollziehbar. Der Charakter von Charlotte ist sehr gelungen und facettenreich dargestellt: von der Studentin, die mehr Liebe und Zuneigung von ihrem Freund fordert, bis zur selbstbewussten, überzeugten Frau mit unglaublichem Wissen. Trotz allem ist der Schreibstil sehr ansprechend und flüssig; die kurzen Kapitel sind angenehm zu lesen.
Insgesamt verirrt sich diese Dystopie im Laufe des Romans durch Gedankensprünge, zu umfassenden Beschreibungen und verschiedenen Handlungszweigen, sodass mir die eigentliche Handlung und Intention ein bisschen verloren gehen. Das Ende wurde für mich nicht gut aufgelöst, da es mehr einem unglücklichen Horrorszenario als einem guten Abschluss glich.
Auch wenn ich die Absicht des Autors erkennen kann und die Anspielungen auf Umweltschutz, nachhaltiges Leben, Respekt vor der Natur verstehe, finde ich die Umsetzung dieser Ideen in Form der Geschichte nicht gelungen.
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Hysteria ist einer der Romane, die auf der Longlist zum deutschen Buchpreis 2018 stehen. Den Anfang kennt man auch schon durch den Auszug den Eckhart Nickel beim Bachmann-Wettbewerb 2017 in Klagenfurt las und mit dem er sogar den Kelag-Preis gewann.
Ich mag Romane gerne, in denen die Figuren ungewöhnliche Menschen sind. Richtige Typen oder auch Unglücksvögel, den meist ist es interessant zu erfahren, wie sie dazu wurden und es macht Spaß, ihren skurrilen Gedanken zu folgen. Der Protagonist Bergheim gehört aufgrund seiner Nervösität und Hypersensibilität dazu. Sein Blick auf die Umgebung nimmt er erschreckend war. Aber wenn wirklich genau hinsieht, schaut manches alltägliches bedrohlicher aus als man erwarten würde.Manches zu ausführlich für meinen Geschmack.
Bergheim trauert auch noch seiner großen Liebe Charlotte nach, obwohl die ihn schon vor vielen Jahren verlassen hat und sie trifft er jetzt wieder. Eckhart Nickel schreibt genau und präzise, sprachlich wirklich ein Fest. Er ist offenbar einen weiten Weg gegangen seit er in seinen Anfängen der Popliteratur zugeordnet wurde. Die positiven Aspekte dieses Genres hat er behalten, sich aber literarisch weiterentwickelt. Obwohl es kein explizit spannendes Buch ist, findet man einige originelle Passagen.
Ich muss sagen, dass es gedauert bis ich mich mit diesem Roman vereinbaren konnte. Es ist auf den ersten Blick alles sehr abstrakt und man braucht, bis man langsam erahnt auf was für eine Öko Dystopie angespielt wird. Man rätselt genauso wie Bergheim, was Realität ist und was nicht. So ganz kann ich nicht in Worte fassen wie ich diesen Roman finden soll. Es war irgendwie interessant zu lesen und es gibt viele Aspekte wie das Nutzen von Farben, Intertexten und auch der Kulinarische Aspekt, besonders von Früchten, sind irgendwie anziehend. Zudem ist das Buch nicht schwer zu lesen, was auch gut ist, da ich es bis morgen für die Uni fertig gelesen haben sollte. Jedoch war ich ein großteils des Romans eher etwas am rätseln und verwirrt, es hat sich aber nach und nach zum Glück etwas kristallisieren lassen. Grundsätzlich finde ich Hysteria nicht schlecht, es sind auf jeden Fall interessante Aspekte zu finden aber dennoch war es nicht ganz meins.
Nickels Protagnist Bergheim bemerkt auf den ersten Seiten, dass etwas mit den Himbeeren auf einem Wochenmarkt nicht stimmt. Er ist sehr sensibel und beobachtet die zunehmende Künstlichkeit in der Natur und der Nahrung. Auf der Suche nach dem Grund dafür gerät er an das "Kulinarische Institut", wo er durch Zufall auf zwei alte Studienfreunde trifft und der Leser in Form von Rückblenden langsam erfährt, wie es zu diesem Artifizialismus in der Welt kommen konnte.
Ein dystopisch anmutender Roman über Biowahn, Klimawandel und unsere Gesellschaft, der leider insgesamt etwas unrund ist. Man hätte noch mehr aus den Charakteren und der Story rausholen können. Mir hat das Lesen trotzdem Spaß gemacht.
Ich bin ganz ehrlich, ich habe 50 Seiten gelesen und dann habe ich Floppy aus dem Regal geholt. es gibt absolut nichts was mich motiviert mich durch den Text zu kämpfen . Dieses Buch handelt von dem Einzug der Künstlichkeit in unser Leben und von Bergheim, der auf der Suche nach der Ursache ist. Schon die ersten Sätze waren so lang und kompliziert, dass mein Kopf schwirrte. Dann sprang der Autor von Gedanke zu Gedanke, weg von der eigenen Handlung. Ihm kamen vergangene Situation in den Sinn, die nicht wirklich etwas mit dem Platz zu tun hatten, und er verlor sich manchmal darin. Und es machte überhaupt keinen Spaß. Ich hatte das vorher schon irgendwie im Gefühl
Zu viele Wörter, zu viele Beschreibungen und zu viele Situationen, die vielleicht Metaphern und Allegorien sein wollten, aber ich bin nicht sicher. Es war nicht eindeutig der Roman für mich..
Troppe parole, troppe descrizioni e troppe situazioni che forse volevano essere metafore ed allegorie, ma non sono sicura. Non é stato chiaramente il romanzo per me.
Eine utopische Umweltanalyse. Wie wir das Künstliche in unser Leben einlassen und wie es von uns Besitz nimmt. Am Beispiel des Kulinarischen Instituts - einem Labor zur Erzeugung künstlicher Lebensmittel, durchexerziert, mit ein wenig Krimispannung aufpoliert.
Interessante Thematik, für mich nicht super umgesetzt. Etwas arg symbolisch für meinen Geschmack und daher irgendwie unplausibel. Kein schlechtes Buch, aber für mich auch kein großer Hit.
Darüber muss ich jetzt erst einmal schlafen. Das Buch hat mir auf eine Art unglaublich gut gefallen, nahezu kafkaesk mit einem Schauerfaktor. Aber viele Dinge waren dann doch sehr schwer nachvollziehbar und abstrakt. Keine leichte Entscheidung.
Dieser Roman lässt mich einerseits etwas ratlos irritiert zurück und zugleich auch nachdenklich. Entdeckt habe ich den Roman Hysteria von Eckhart Nickel auf der LongList des Deutsche Buchpreises 2018. Thema klang außerordentlich interessant und los ging es. Der Roman spielt in der nicht allzu fernen Zukunft, in der die Gesundheitspolizei bei Konsum von gefährlichen Substanzen wie Koffein, Alkohol und Nikotin eingreift. Hier wird der heutige Trend der gesunden und sportlichen Lebensweise fortgeschrieben und überspitzt. Auch gibt es eine neue Bewegung, der Ursprung dieser sich gesundenden Gesellschaft: das spurlose Leben. Diese Bewegung möchte den Eingriff des Menschen in die Welt eliminieren und seine Spuren verschwinden lassen. Auch gibt es immer wieder neue Vorstöße der Kontrolle, dass beispielsweise nur an Tagen die ein N enthalten Fleisch gegessen werden darf. An sich eine gute Idee. Dann kommt die eigentliche Geschichte dazu, ein paranoider hypersensibler Protagonist, der eine Beere auf dem Markt findet und sich über die Konsistenz zu wundern beginnt. Fortwährend hatte ich beim Lesen das Gefühl, entweder ich folge hier einem alten senilen Mann oder er ist auf dem Weg eine bedeutende Entdeckung zu machen, die uns fassungslos zurück lässt. Auch Zeitsprünge in die Vergangenheit passieren, die zwar deutlich herausgearbeitet werden, aber mich persönlich trotzdem verwirrten. Der Text ist wohl ausformuliert und wirklich gut geschrieben. Eckhard Nickel hatte eine gute Idee und einen phantastischen Schreibstil, aber in der Kombination mit einer erzählten Geschichte nicht ganz gelungen.
Fazit: Hinterfragen von dogmatischen Vertretern einer Richtung ist immer sinnvoll - nicht hörig alles glauben! Ein hervorragender Schreibstil mit toller Idee, aber leider nicht zufriedenstellend umgesetzt.