Es wäre falsch, eine Geschichte der Sowjetunion nur als Geschichte der Schwäche, der Krise und des Scheiterns zu schreiben. Damit wäre kaum zu erklären, warum die Sowjetunion immerhin mehr als zwei Generationen Bestand hatte, warum sie Jahrzehnte wechselhafter Entwicklungen im Innern und nach Außen, den Bürgerkrieg und den Zweiten Weltkrieg überlebte; warum sie in ihrem Selbstverständnis wie in dem ihrer Gegner zur Weltmacht aufstieg, mit einem militärischen Potential, das der Westen noch vor wenigen Jahren als lebensbedrohend empfand. Wer die einzelnen Phasen der sowjetischen Geschichte verstehen will, findet in Altrichters Buch eine brillant geschriebene und vorzüglich dokumentierte Darstellung.
Super Buch, um auch etwas über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der UdSSR zu lernen. Viele Fotos, Karten und Statistiken. In der neuesten Auflage von 2022 steht auch viel über die Entwicklung unter Jelzin und Putin drin (Mediengesetze ab 2012, Verfolgung oppositioneller, Verhältnis zur Ukraine etc.).
Das Buch liefert einen soliden Überblick über die Geschichte der Sowjetunion, angefangen bei den revolutionären Unruhen im zaristischen Kaiserreich 1905, und abschließend mit den, auf die Auflösung der UdSSR im Jahr 1991 folgenden, wirtschaftlichen und politischen Reformen der Russischen Förderation unter Boris Jelzin, Putin und Medledew (hier endet die mir vorliegende 4. Auflage aus dem Jahr 2013). Da es sich hier um eine "kleine" Geschichte der Sowjetunion handelt ist der Autor entsprechend dazu genötigt die historische Entwicklung auf das Wesentliche herunterzubrechen. Trotzdem hat man nie den Eindruck nicht gründlich informiert zu werden oder einer übermäßigen Simplifizierung zum Opfer zu fallen. Einzig die am Anfang jedes Kapitels stehende kurze Zusammenfassung der im Anschluss daran ausführlicher dokumentierten Ereignisse wäre meiner Ansicht nach am Ende des jeweiligen Kapitels als ein abschließender Rückblick besser aufgehoben gewesen. Ebenfalls positiv herauszuheben ist, dass der Autor über die ganze Breite des Textes Wertfrei bleibt und es einerseits unterlässt unsinnige Vergleiche mit dem Nationalsozialismus anzustellen (Schwarzbuch des Kommunismus), noch die Geschichte romantisch zu verklären und die vielen Millionen Tode all derer zu verschweigen, die den Hungerkatastrophen, den Politischen, Militärischen und Wirtschaftlichen Säuberungen, der Zensur, der Verfolgung und Terrorisierung ganzer Nationalitäten sowie der Zwangskollektivierung zum Opfer gefallen sind. Die Geschichte der Sowjetunion nur "als eine Geschichte der Schwäche, der Krise und des Scheiterns zu schreiben" wäre aus Sicht des Autors falsch und ließe unerklärt warum ihre Geschichte, ihre Gründung, und die in ihr herrschenden Ideologien des Marxismus und darauf des Marxismus-Leninismus eine solche Anziehungskraft ausüben konnten. Stattdessen entsteht am Ende der Lektüre der Eindruck eines Staates voller Ambivalenzen der geprägt war durch eine unterentwickelte Industrie, eine Folge humanitärer Katastrophen, die Verletzung von Menschenrechten, sowie einer übermächtigen Einparteien-Herrschaft die mit einer "Diktatur des Proletariats" und einer Herrschaft der Selbstverwaltung genausowenig gemein hatte wie mit einem demokratischen Rechtsstaat.
Das Buch gibt einen differenzierten Ein- und Überblick der Geschichte der Sowjetunion. Es ist nicht ideologisch verklärend, weder romantisierend der vergangenen Gräuel, noch ideologisch abstrafend. Direkt am Anfang richtet der Autor sich gegen die damals geäußerte Ideologie von Fukuyama, dass die Überwindung der Sowjetunion, das "Ende der Geschichte" darstelle und versteht im Gegensatz zu Fukuyama Geschichte als einen dynamischen und nicht statischen Prozess. Gerade weil die "Sieger", Geschichte nach ihrem Vorteil erzählen, ist das Buch eine wissenschaftlicherer Rückblick auf die Zeit, als zum Beispiel das oftmals (zurecht!) kritisierte Schwarze Buch des Kommunismus. Sehr spannend fande ich vor allem zu lesen wie es zur Oktoberrevolution gekommen war, welche materiellen und politische Ausgangslage dazu geführt hatte und woran der noch nicht industrialisierte Staat gescheitert ist. Ich kann das Buch auch denjenigen empfehlen, die Leute wie Lenin oder Trotzky in Diskussionen mit Stalin gleichsetzen (erst vor nen Monat so eine uninformierte Debatte gehabt). Teilweise ist das Buch etwas langweilig zu lesen, aber ich glaube, das liegt eher an meiner Beziehung zu Geschichtsbüchern, da ich Fiktion diesen immer vorziehen würde.