Die Art, wie wir über Migration, Geflüchtete und Integration reden, zeigt: Wir haben ein Wahrnehmungsproblem. Wir tun so, als könnten wir ernsthaft entscheiden, ob wir Migranten im Land haben wollen oder nicht, und wenn ja, wie viele wir davon vertragen. Das ist Blödsinn. Sie sind längst da – und ein Teil des »wir«. Die Vorstellung von einer »weißen« Aufnahmegesellschaft, in die Migranten reinkommen, ist eine Art deutsche Lebenslüge, sagt Ferda Ataman. Wie viele andere Deutsche, die mit einem ausländischen Namen aufgewachsen sind, reißt ihr langsam der Geduldsfaden. Sie hat es satt, dauernd erklären zu müssen, wo sie eigentlich herkommt, wie sie zu Erdogan steht oder was sie vom Kopftuch hält. Nur wegen ihres Namens oder des Geburtslandes ihrer Eltern. In ihrer pointierten Streitschrift stellt Ataman fest: »Wir haben ein Demokratieproblem, kein Migrationsproblem. ABER: Wir sind weltoffener, als wir denken. Also Schluss mit Apokalypse.«
CN für Buch und Review: Besprechung von Rassismus (und damit Nennung von verschiedenen Begriffen, aber nicht N-Wort), Saneistische Sprache
Eine Streitschrift zur Rolle von Migration in Deutschland, zu Begriffen wie "Menschen mit Migrationshintergrund" und zu debatten um völkische Heimat und "echte Deutsche". Und Rassismus. Dabei ist es aus Sicht einer Deutschen geschrieben, deren Eltern eingewandert sind.
Zielgruppe dieses Buch sind keine Akademiker*innen, was das Buch für Menschen ohne viel Bildungshintergrund deutlich mehr accessible macht und dadurch auch mehr auf Augenhöhe wirkt. Dadurch kann ich mir z.B. vorstellen, dass meine Eltern es verstehen und sogar nachvollziehen können. Argumente von rechts, insbesondere die aus Talkshows bekannten, werden zerlegt und genau betrachtet, diesmal ohne Unterbrechung. Die Trennung von Deutschen und "Bindestrich-Deutschen" wird hinterfragt, und überhaupt das Konzept einer solchen Einteilung. Auch wenn ich selbst eigentlich auf akademischen Niveau all das weiß: Es in dieser Sprache gelesen zu haben wird mir Diskussionen erleichtern. Dafür würde ich vier Sterne vergeben.
Und während z.B. der Genderstern genutzt wird und größtenteils Rücksichtsvoll mit den meisten anderen Minderheiten umgegangen wird (bis auf einen gelegentlichen cissexistischen Ausrutscher), kommt leider sehr, sehr viel saneistische Sprache zum Einsatz (verrückt, schiezophren in falscher Verwendung, usw) - dabei immer bezogen auf die weiße Mehrheitsgesellschaft, die sich in Diskussionen in Fehlannahmen und Unverständnis verirrt und die eigentlichen Punkte übersieht. Während das als Stilmittel bei genau dem oben genannten Zielpublikum vermutlich sogar eine stärkere Wirkung erzielen wird als wenn es nicht stattfinden würde, und es auch einfach den Sprachgebrauch dieser Zielgruppe reproduziert, so will ich dem Buch mit diesem Sprachgebrauch jedoch keine 4 Sterne geben, denn ein Stilmittel rechtfertigt keine Diskriminierung.
Das Buch hatte leider für mich nicht besonders viele, bzw. überhaupt neue Ideen. Ich würde es Menschen empfehlen, die sich noch gar nicht oder sehr wenig mit Rassismus in Deutschland befasst haben, dafür kann es einen guten Überblick geben. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Autorin wollte gleichzeitig zu viel und zu wenig, ein paar mehr Seiten hätten dem Buch für den roten Faden gut getan. Was mir gut gefallen hat, waren die Leseempfehlungen am Ende.
Weniger Anekdoten, mehr Analyse und Erklärungsversuche was hier alles so schief läuft. Warum Integration gefühlt nie abgeschlossen, sondern immer nur auf Probe ist, warum Medienberichte über Nicht-Biodeutsche (Migranten, Neue Deutsche) meist verzerrt und ohne den korrekten Kontext verbreitet werden, oder warum es immer einfacher ist, mit Populismus an Menschen heranzukommen, als mit wissenschaftlichen Fakten. Sehr gut zu lesen, auch als jemand, der nicht viel mit Politik am Hut hat. 4,5*