Nach seinem erfolgreichen Roman ›Fremde Seele, dunkler Wald‹, der auf der Shortlist des deutschen Buchpreises stand, schreibt Reinhard Kaiser-Mühlecker über die Umbrüche unserer Gegenwart. Nach Jahren auf Reisen kehrt ein Journalist in den Ort seiner Kindheit zurück, an dem er nie heimisch war. Er schreibt für das kriselnde Lokalblatt, er beginnt eine Affäre und arbeitet auf dem Hof eines Mastbauern, dessen Land enteignet wurde. Rätselhaft und faszinierend sind sie, Ines, Hemma, Flor, und sie ziehen ihn hinein in die Kämpfe um ihr Leben, das ihnen weggenommen wird. Ein existentieller und aufwühlender Roman darüber, wie diese Welt im Umbruch unsere Gefühle und Beziehungen verändert. Reinhard Kaiser-Mühlecker erzählt von einer Zeit tiefer Verunsicherung – er erzählt von unserer Gegenwart.
is an Austrian writer who grew up in Hallwang, Eberstalzell, Upper Austria. From 2003 to 2007 he studied agriculture, history and international development in Vienna. In 2007 his debut novel Der lange Gang über die Stationen came out. The same here he received the literary award from the Jürgen-Ponto-Stiftung and a stipend from the Edenkoben estate. In 2009 he was a juror at the German-language Slovakian Prešover short story competition.
*Rezensentin winkt in Richtung Jury des Deutschen Buchpreises* Dieser Liebes- und Wirtschaftsroman nimmt eine Engführung zwischen der Krise des Journalismus und der Krise der Landwirtschaft vor und spielt gleichzeitig die Dynamiken von Macht, Eitelkeit und Abhängigkeit im komplexen Beziehungsgeflecht zwischen vier Personen durch - das Ganze bleibt in vielerlei Hinsicht so ambivalent, dass gerade daraus der Sog der Geschichte entsteht (mal ganz abgesehen vom überraschenden Ende). Erzähler und Protagonist ist Jan, der früher für große Zeitungen schrieb und sich mittlerweile bei einem mittelgroßen Blatt verdingt. Sein Boss Parker sieht sich vor dem Hintergrund der Printkrise gar gezwungen, sich mit der Rechtspartei der Fünfzigtausend-Einwohner-Stadt zu arrangieren - und das ist erst der Anfang dieses Teils der Abstiegsgeschichte. Jan selbst wohnt wieder im Kaff seiner Kindheit, wo er ein Haus geerbt hat. Als er sich dort in Ines, eine enigmatische Lehrerin, die nicht viel redet, aber dafür umso mehr trinkt, verliebt, findet er kurz darauf heraus, dass diese nebenbei ein Verhältnis mit Flor, einem ortsansässigen Bauern, hat - einem Impuls folgend, heuert Jan in dessen Schweinemastbetrieb an, wo er auch Bauersfrau Hemma kennenlernt...
Während es mit Parker und seiner Zeitung bergab geht, kämpfen auch Flor und Hemma um und mit ihrem Betrieb: Die Darstellung des Mastbetriebs ist schonungslos, Schweine schreien in einem fort, und die Bauersleute arbeiten von früh bis spät. Ein rätselhafter Gemeindemitarbeiter namens Beham versucht, den Neubau zur Ausweitung des Betriebes, der wirtschaftlich notwendig ist, zu verhindern und ein Teil des Landes wird enteignet, um Windräder zu bauen, obwohl dort gar kein Wind weht. Was führt Beham im Schilde, und vor allem warum?
Die Frage nach der Motivation der Figuren treibt die Geschichte voran, denn auch Ines, Flor und Hemma haben Geheimnisse, die Kaiser-Mühlecker im Laufe der Geschichte entschlüsselt. Am interessantesten ist aber die Hauptfigur Jan selbst: Ein Journalist, der von sich selbst sagt, er sei nie sonderlich neugierig gewesen, aber im Laufe des Romans jede Menge Recherche in eigener Sache betreibt, und der sagt: "Wie oft schon hatte ich darüber gestaunt, wie tief Menschen empfinden können; das war eine Fähigkeit, die mir abging (...)", aber gleichzeitig von seinem Gefühl verleitet wird, wochenlang im Schweinestall zu schuften und noch ein paar andere zweifelhafte Entscheidungen zu treffen. Es scheint, dass Jan häufig selbst nicht genau weiß, was ihn antreibt und wie er sich angesichts der eigenen Krisenerfahrung verhalten soll - eine faszinierende Figur.
Jan beobachtet, wie die wirtschaftlichen Umstände den Menschen um ihn herum zusetzen: "Mir war, als sei ich zusehends nur noch von Wesen umgeben, aus denen, ohne dass sie es bemerkten, auf die eine oder andere Art und Weise das Leben wich." Kann Jan sich retten? Dieses Buch ist vielleicht nichts für Plausibilitätsfetischisten, aber es glänzt durch seine smarte Komposition, zurückgenommene Sprache und komplexen Figuren.
2,5 / 5.0 "Ein sprachgewaltiger Roman" (Denis Scheck)? Wirklich? Durch seinen großartigen Roman "Fremde Seele, dunkler Wald" wurde ich auf den Autor aufmerksam. Sein neuestes Buch ist einfach schrecklich enttäuschend. /: Aber wer beginnt auf dem Land nicht aus Langeweile wahllose Affären und erniedrigt sich dann in einem Job, den er nie gelernt hat? Dieser Protagonist kündigt ja an, wie belanglos alles für ihn ist, aber seine Handlungen sind nicht einmal sprachlich wenigstens einigermaßen erträglich oder interessant. Da fehlte mir irgendwie der Charme, den Tschechows Langeweile-geplagte Figuren in sich tragen oder die völlige Handlúngsunfähigkeit eines "Oblomow". Einziger Lichtblick: der Kater und der Versuch, aktuellen Themen Raum zu geben (Zwangsenteignungen, Zeitschriften-Krise, Reichsbürger-Bewegung, etc.)
Ein Journalist von Mitte 40 kehrt nach Jahren im Ausland in die Kleinstadt und in das Haus zurück, in dem er als Kind bei seiner Tante aufwuchs. Sein Leben und seine Beziehungen liegen in der Vergangenheit, seine Gegenwart findet auf Facebook statt. Die berufliche Zukunft des Mannes bei der Lokalzeitung ist ungewiss, denn wer abonniert heute noch eine Zeitung? Erwartet wird von ihm, dass er das Dorf in seinen Berichten geschickt vermarktet und dem wirtschaftlichen Niedergang etwas entgegensetzt. Die Lokalzeitung befindet sich trotz Sparmaßnahmen in der Krise. Chefredakteur und Erzähler wirken wie die Letzten auf einem sinkenden Schiff. Auch eine Gruppierung im Ort, die den Staat für überflüssig hält, markiert die allgemeine Sinnkrise.
Im drückend heißen Sommer ist ein betagter Landwirt tödlich verunglückt. Der Icherzähler wird für „Die Rundschau“ an den Unfallort geschickt. Der Sohn und Erbe des Toten scheint ihn nicht wiederzuerkennen. Der Altbauer war in der Kindheit des Erzählers als Ökobauer Außenseiter im Dorf. Statt der wirtschaftlich nötigen Erweiterung droht dem Hof aktuell Enteignung von Flächen für einen geplanten Windpark. Der Journalist beginnt, noch immer unerkannt, ein Praktikum in Flors Schweinezucht. Zaghaft hatte er zuvor eine Beziehung mit einer alleinerziehenden Mutter aufgenommen, mit der auch der verheiratete Flor eine Affäre hat. Die Paare scheinen sich gegenseitig zu belauern, bis einer der Beteiligten Schwäche zeigt.
Landwirtschaft und Journalismus zeigt Kaiser-Mühlecker als Branchen im Abstieg und als beinahe reine Männerwelt. Der namenlose Icherzähler irrt in dieser Welt umher, unfähig zur Entscheidung oder zur Kommunikation. Die männlichen Figuren scheinen große Schweiger zu sein, darauf wartend, dass ihnen Entscheidungen abgenommen werden. So wie es auf Flors Hof keinen überflüssigen Gegenstand gibt, scheint selbst Sprache ein überflüssiger Luxus zu sein. Die Unentschlossenheit des namenlosen Icherzählers in der Mitte seines Lebens hat auf mich absolut überzeugend gewirkt. Enteignet wird jede der Figuren, die Arbeit, Vermögen, Partner, Gesundheit und Identität verlieren. Eine Geschichte wie ein klarer Föhntag, die mit wenigen Sätzen die Ereignisse näher an den Betrachter heranholt.
Jan ist Journalist. Er hat für namenhafte Zeitungen geschrieben, war in der Welt unterwegs. Jetzt ist er in seinen Heimatort zurückgekehrt, schreibt für das zerfallende Lokalblatt und lässt sich treiben. Dann begegnet er Ines, beginnt eine Affäre mit ihr und alles verändert sich. Nicht der Liebe wegen und eigentlich doch nur der Liebe wegen. Allerdings ist es nicht Jans Liebe, die hier die treibende Kraft ist. Bis er das selbst herausfindet, ist er schon mitten drin in den Geschichten von Mastlandwirten und Lokalpolitikern, in einer Welt, in die Jan nicht so recht passen will. Der österreichische Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker schreibt all das in einer unverschnörkelten und doch poetischen Sprache. In einem so leichten Ton, dass die Schwere der Themen seines Romans "Enteignung" einfach so an einem vorbeiziehen. Überhaupt fliegen die Seiten nur so beim Lesen über einen hinweg und sind voller Sätze, die bleiben. Eine dringende Leseempfehlung!
Reinhard Kaiser-Mühlecker macht es den Leser nicht leicht mit seinem passiven, emotionslos wirkenden Protagonisten. Als Icherzähler prägt er den Roman stark. Hinzu kommt eine leichte Melancholie, welche die trägemachende, alles niederdrückende Hitze beim Erzähler ausgelöst hat.
Andererseits macht diese Form den Roman auch reizvoll. Als Leser hat man auch gedanklich mitzuarbeiten.
Als Journalist einer Provinzzeitung ist unser Held nicht besonders motiviert. Abwechslung bringt ihm die Begegnung mit einer provozierenden Frau. Sie heißt Ines und ist alleinerziehende Mutter, und sie hat ein Verhältnis zum verheirateten Landwirt Flor. Um ihr näherzukommen beginnt er sogar als Praktikant in der Landwirtschaft bei Flor. Komplizierter wird es, als er mit Flors Frau Hemma etwas anfängt. Das dieses Beziehungsgeflecht keinen guten Ausgang nehmen wird, kann man sich denken.
Kein schlechtes Buch, aber richtig begeistert hat es mich aufgrund der verhaltenen Erzählweise auch nicht.
Ich bin etwas enttäuscht, dabei habe ich Kaiser-Mühlecker an sich sehr gern. Die Geschichte ist düster, ok, die Figuren alle unsympathisch, auch ok, nur fehlte mir der Sinn vom Ganzen, ich konnte irgendwie nichts nachvollziehen und wenig mit dieser depressiven Stimmung anfangen. Nur dass es gut geschrieben ist, reicht nicht unbedingt.