Die Frankfurter Allgemeine Zeitung prägt seit jeher die großen politischen Debatten der Republik, angefangen von den Auseinandersetzungen um das Erbe der nationalsozialistischen Vergangenheit, in den Jahren der Blockbildung oder die Fragen der Gegenwart betreffend wie die Zukunft Europas, die Rolle des Islam oder der digitale Wandel. Die Zeitung wurde dabei bestimmt von einer steten Auseinandersetzung um die richtige Linie – konservativ oder liberal, avantgardistisch oder traditionsbewusst –, ausgetragen von herausragenden Persönlichkeiten wie Joachim Fest, Marcel Reich-Ranicki oder Frank Schirrmacher. Der renommierte Historiker Peter Hoeres lässt uns teilhaben am unmittelbaren Entstehen einer maßgeblichen publizistischen Stimme. Gleichzeitig zeigt er auf anschauliche Weise, wie diese auf die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehnisse der deutschen Geschichte eingewirkt hat.
Eine spannend geschriebene Darstellung der Geschichte der FAZ durch den Medienhistoriker Hoeres. Ihm gelingt es, die internen Veränderungsprozesse und die Außenwahrnehmung der Zeitung seit ihrer Gründung 1949 anhand zahlreicher zeitgeschichtlicher Debatten und deren Rezeption in der FAZ darzustellen. Dabei betont Hoeres, dass die FAZ nie eine homogen konservativ-liberale Tageszeitung gewesen sei, sondern publizistisch stets in einem Spannungsverhältnis zwischen einem konservativen Politik- bzw. ordoliberal geprägten Wirtschaftsteil und einem tendenziell linken Feuilleton agiert habe. Diese Prägungen der einzelnen Ressorts haben sich im Laufe der Zeit verfestigt, etwa durch die unterschiedliche Bewertung der in Frankfurt stattfindenden Proteste von 1968. Diese These des Binnenpluralismus wird durch zahlreiche Protokolle aus Herausgeberkonferenzen und internen Vermerken aus dem Archiv der FAZ untermauert, das dem Autor als erstem Wissenschaftler überhaupt zugänglich gemacht wurde.
So entstehen Hintergrundgeschichten, etwa über die Entstehung des Historikerstreits, der durch den Gastbeitrag Ernst Noltes in der FAZ 1986 ausgelöst wurde und den daraus resultierenden scharfen Bruch zwischen dem Herausgeber Joachim Fest und Literaturchef Marcel Reich-Ranicki, die bis dahin engste Vertraute gewesen waren. Sie zeigen aber auch, wie sehr ein Frank Schirrmacher mit der Position des Herausgebers überfordert war und seine charakterlichen Defizite durch einen autoritären, teilweise erratischen Führungsstil wiederholt offenbarte. Auch (versuchte) Einflussnahme auf die Berichterstattung der Zeitung durch die Regierungen Adenauer, Brandt oder Kohl wird ausführlich behandelt. Dargestellt werden zudem die Umbrüche im Zeitungswesen von den wirtschaftlich goldenen Zeiten Ende der 1980er Jahre bis hin zur Zeitungskrise Anfang der 2000er Jahre mit dem Wegfall des üppigen Stellenmarktes und dem Einstieg in das digitale Zeitungsgeschäft, den die strukturkonservative FAZ zunächst sträflich vernachlässigte.
Entstanden ist ein aus meiner Sicht äußerst lesenswertes Porträt einer der auflagenstärksten Tageszeitungen im Wandel der Zeit. Wer sich für bundesrepublikanische (Medien-) Geschichte interessiert, dem sei dieses Buch empfohlen. Man muss dafür kein regelmäßiger Leser der FAZ sein.