Alissa ist 15 und lebt in einem behüteten Elternhaus. Eigentlich hat sie vier Geschwister, und doch wächst sie alleine auf, da die älteren Kinder der Familie aus dem Gröbsten raus sind, als Alissa auf die Welt kommt. Allerdings werden ihr ihre Geschwister ständig als Vorbilder unter die Nase gerieben. Die Mutter passt auf, das Alissa sich anständig kleidet, ihr Vater holt sie nach der Schule ab und der Umgang mit Jungs wird Alissa auch so weit es geht verboten. Eigentlich kann sie sich für ihr Alter überhaupt nicht angemessen entfalten. Und so kommt es, dass Alissa beginnt zu rebellieren, als sie Tara kennenlernt, und aus dem bedrängendem Leben ihrer spießigen Eltern ausbricht. Mit Tara beginnt die beste Zeit ihres Lebens. Doch die richtigen Höhenflüge beginnen erst, als sie sich in Taras Drogengeschichte hineinziehen lässt. Dass diese Höhenflüge auch Bruchlandungen mit sich ziehen, hat Alissa nicht gedacht, und ehe sie sich versieht, steckt sie als 'Alice' in dem beschissensten Leben, dass sie sich je erträumt hätte, und verabschiedet sich von ihrem alten Ich. Denn sie für alles dafür tun, damit die Drogen nicht zwischen ihr und Tara stehen...
Im Prinzip ähnelt die Geschichte der von Christiane F. Und doch ist es wieder ganz anders. Dieses Buch beginnt sogleich mitreißend und man wird in die bedrohlich behütete heile Welt von Alissa eingeführt, die jedes Mädchen in diesem Alter strickt ablehnen würde. Alissa fühlt sich nicht zugehörig und bezeichnet sich selbst als Alien und wird von der Familie, insbesondere den geliebten Geschwistern irgendwie in den Schatten gestellt. Die Entwicklung, die Alissa in diesem Buch durchmacht ist unglaublich deutlich. Und trotz, dass man zu Anfang schon fast weiß, wie die Geschichte ausgehen wird, ändert das absolut nichts an dem Drang, dieses Buch zu lesen.
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und es ist sicher für jeden Leser mindestens ein Sympathieträger dabei. Ich persönlich habe Alissa oder Alice gerne durch die Geschichte begleitet und hab, so weit es mir als Außenstehender möglich war, mit ihr mitgefühlt. Tara ist eine Person gewesen, der ich Anfangs einerseits mit Respekt und andererseits mit Ablehnung begegnet war. Sie ist das komplette Gegenteil von Alissa und noch dazu war sie ziemlich frech. Mit der Zeit habe ich mich an ihre etwas grobe Art gewöhnt und auch sie wurde mir etwas sympathischer. Doch ein kleiner Teil meines Herzens gehörte einer ganz anderen Person dieses Buches, und zwar Leander. Leander ist ebenfalls ein mehr oder weniger wichtiger Charakter der Geschichte und hat eine gewisse Bindung zu Tara aufgebaut, weswegen er Alissa anfangs wirklich ablehnt. Um Leander zu verstehen und um ihn zu mögen braucht man während der Geschichte ein wenig Feingefühl, aber wenn man das bekommen hat, gewinnt man in ihm einen richtigen Freund. So war es jedenfalls bei mir.
Der Schreibstil ist anfangs unglaublich gewöhnungsbedürftig. Ich hatte nach den ersten 40 Seiten immer noch das Gefühl, dass dieses Buch mich nicht weiterbringt und wollte abbrechen. Diese dazwischengeworfenen englischen Begriffe haben mir einfach nur die Nerven geraubt und ich fragte mich, in welchem niveaulosen Ghetto ich mich eigentlich befinde. Doch sogleich auf den zehn weiterführenden Seiten war alles vergessen und ich war unglaublich erleichtert, dass ich weitergelesen habe. Der Stil wird so kräftig, die Atmosphäre so dicht, die Geschichte bedrückend. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass die Autorin mit diesem Buch wirklich beste Arbeit geleistet hat. Natürlich ist der Stil etwas jugendlich gehalten, eben auch durch die englischen Begriffe. Aber man gewöhnt sich recht schnell daran und am Ende ist man froh darüber, dass kann ich versprechen. Das einzige, was den Lesern eventuell Probleme bereiten könnte, wäre die Tatsache, dass das Buch keine Kapitel hat. Es ist eine durchgehende Geschichte mit Absätzen, die das Jetzt kurz beschreiben, die Geschichte aber nicht in Einzelteile spalten.
Das einzige, was ich nach dem Lesen nun noch kritisieren kann, wäre die Umsetzung mancher Szenen. An sich war alles einfach perfekt gestaltet, allerdings hatte ich bis nach der Mitte des Buches das Gefühl, dass die Drogen ein richtig tolles Abenteuer sind. Mir fehlte wirklich dieser erhobene Finger, der immer wieder deutlich macht, dass Drogen einfach schlecht sind. Natürlich ist das Buch keineswegs positiv im Bezug auf Drogen beschrieben, aber ich empfand es einfach als zu euphorisch. Zeitweise habe ich mir da wirklich meine Gedanken gemacht, ob das so gut ist, wenn Kinder mit 14 Jahren dieses Buch lesen. Vielleicht würden sie sich dann auch ein solches Abenteuer wünschen. Weg von Zuhause, keine ätzenden Regeln mehr, die pure Freiheit leben, seine Grenzen austesten, mit Freunden um die Häuser ziehen und nicht mehr in die Schule gehen. Ich meine, wie schön klingt das im ersten Moment für Menschen in dem Alter? Doch Gott sei Dank hat sich dieses Gefühl wieder gewandelt und ich konnte das Buch beruhigt zu Ende lesen und mit gutem Gewissen abschließen und auch hier vorstellen. Wenn von euch das Buch jemand gelesen hat, könnte er mir seine Meinung darüber gerne mitteilen, denn es interessiert mich wirklich sehr, ob nur ich das so sah, oder ob andere diese Angst ebenfalls hatten, dass junge Menschen, das ganze etwas falsch auffassen können.
Ansonsten war das Buch wirklich klasse. In diesen 222 Seiten steckt so viel Leben, so viel Gefühl, so viel Tragik und soviel Ableben. Ableben in dem Sinne, weil ich einfach kein besseres Wort finde, für das, was dort vor sich geht. Immer wieder ist es schockierend zu lesen oder auch zu sehen, wie Menschen sich mit Drogen kaputt machen und wie gefährlich sie wirklich sind. Es ist garantiert kein Thema worüber man scherzen sollte, oder was man auf die leichte Schulter nehmen dürfte. In dem Alter, in dem Alissa ist, plus die rosarote Brille, die sie trägt, ist man einfach noch nicht fähig, die Grenzen zu kennen. Aufzuhören, bevor es zu spät ist. Es ist ein wahnsinniger Unterschied zwischen einmal einen Joint rauchen und jeden Tag H drücken. Und doch führt alles zum selben Ende, wenn man nicht aufpasst. Alissa hat ihre Grenzen freiwillig überschritten und sich dem Elend ausgesetzt. Aus Gründen, die niemals dafür zuständig sein sollten. Und wenn man sich in der Welt umschaut, sieht man, dass es viel zu vielen Menschen so ergeht.
Kurzbeschreibung: Alles begann mit Tara. Der wilden, huskyblauäugigen, verlockenden Tara, in die sich die unscheinbare Alissa Hals über Kopf verliebt. Um mit Tara zusammen zu sein, beginnt Alissa heimlich ein Doppelleben, irrlichtert zwischen Sein und Schein, belügt ihre Eltern und - nimmt Drogen. Sie erlebt ungeahnte Höhenflüge, ist verzaubert, berauscht, fühlt sich unsterblich. Es scheint, als sei Alissas Sehnsucht endlich gestillt. Da zeigen sich tiefe Risse in Taras schillernder Welt...
Zur Autorin: Anna Kuschnarowa, geboren 1975 in Würzburg, studierte Ägyptologie, Prähistorische Archäologie und Germanistik in Leipzig, Halle/Saale und Bremen. Sie unterrichtet Mittelägyptisch an der Universität Leipzig, seilt sich aber regelmäßig aus dem Elfenbeinturm ab und arbeitet dann als freiberufliche Autorin und Fotografin. Bei Beltz & Gelberg erschienen von ihr bereits die Romane Spielverderber und Schattensommer.
Rezension: Die 15-jährige Alissa ist jüngstes Kind einer sehr frommen Familie. Die Eltern sind mit Leib und Seele Mitglieder einer Freikirche und leben nach strengen Reglements, denen sich auch Alissa unterwerfen muss. Diese fühlt sich schon lange als das schwarze Schaf dieser ach so Heile-Welt-Familie und immer mehr stört sie, dass sie nichts frei entscheiden darf, sondern alles, sogar die Auswahl an Kleidung, vorgeschrieben bekommt.
Dann lernt sie Tara kennen, zwei Jahre älter als sie, neu an der Schule und das genaue Gegenteil von Alissa: Tara trägt provozierend kurze Klamotten, ist gepierct und geschminkt, ein Gothic-Girl wie es im Buche steht. Alissa ist vom ersten Augenblick an fasziniert von diesem geheimnisvollen Mädchen und das beruht auch bei Tara auf Gegenseitigkeit. Aus ihnen wird ein Paar, doch etwas wird immer zwischen ihnen stehen: die Drogen. Bald schon rutschen beide immer tiefer hinab in die Drogenhölle mit allem was dazugehört, und das kann einfach nicht gut enden...
In jüngeren Jahren habe ich einige Literatur über Drogen(geschichten) gelesen, am häufigsten wohl das berühmteste Werk seiner Art, "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" und auch den gleichnamigen Film habe ich mehrere Male gesehen. Mag dieses Buch heutzutage etwas angestaubt erscheinen, da es bereits Anfang der 1980er Jahre erschien, kann man "Junkgirl" doch durchaus damit vergleichen.
Alissa, die sich später als Drogenbraut Alice nennt, und Tara erinnerten mich stark an das Paar Christiane und Detlef. Anfangs durch ihre Liebe vereint, stehen die Drogen später deutlich im Vordergrund und auch zwischen ihnen. Alissa rutscht durch Tara immer mehr ab, denn sie möchte wie ihre Freundin auf dem gleichen Level sein, was den Rausch anbelangt.
Der Leser erlebt am eigenen Leib die Verwandlung von Alissa zu Alice mit. In bildhafter Sprache beschreibt Anna Kuschnarowa den Abstieg dieses Mädchens, erzählt von einem noch nie dagewesenen Rausch, den die Drogen mit sich bringen bis hin zum schrecklichen "Cold Turkey" - dem Kalten Entzug, den Alissa und Tara mehrere Male machen, um die Sucht hinter sich zu lassen.
Ob Alissa ihre Sucht jedoch für immer beenden kann und wird, wird am Ende offengelassen. In ihrem Kopf spukt ab und zu noch die Stimme von Alice herum, ihrer dunklen Seite, die sich anhand von fettgedruckten Passagen häufiger in die Geschichte miteinbringt. "Junkgirl" beschönigt nichts, denn die Wortwahl von Anna Kuschnarowa ist in kurzen knappen Sätzen drastisch, ohne etwas ausschmücken zu wollen. Ich kann den Roman für interessierte Leser nur weiterempfehlen und raten, auch weiterführend "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" zu lesen. Auch wenn dieses Buch schon etwas "antiquiert" erscheinen mag, ist es doch der Grundstein dieser Art von Literatur und weiß immer noch zu erschüttern.
Zur Gestaltung des Buchs: Das Cover ist sehr psychedelisch angehaucht, Muster in verschiedenen bunten Farben machen auf das Grundthema aufmerksam.
Fazit: "Junkgirl" bietet eine moderne Erzählung des "Christiane F."-Stoffes - und schockiert und erschüttert genauso wie sein (etwas in die Jahre gekommener) Vorgänger.
Direkt zu Beginn serviert die Autorin dem Leser erst einmal das Ende der Geschichte, um die Geschichte dann rückblickend zu erzählen. Eigentlich mag ich dies nicht sonderlich, da es häufig einiges an Spannung aus dem Geschehen nimmt. Im Falle von „Junkgirl“ war dies jedoch anders, denn hier hat es mich nicht so sehr gestört wie sonst. Die Autorin schafft es von Anfang an einen Spannungsbogen aufzubauen und ihn auch zu halten. Und obwohl mir einerseits völlig klar war, was passiert, war ich andererseits einfach neugierig und gespannt darauf, was Alissa erleben wird.
Alissas familiäre Situation wird sehr gut beschrieben, und man erhält ein gutes Bild von ihrem Leben. Einem Leben im goldenen Käfig, welches ich selbst nicht leben wollen würde. Nachdem Alissa Tara kennenlernt, beginnt sie sich zu verändern und sie beginnt auch zu rebellieren und die Gitter des goldenen Käfigs geraten gehörig ins wackeln. Diese Veränderung und die inneren Prozesse, welche in Alissa vorgehen, hat die Autorin sehr gut beschrieben. Nachvollziehbar beschreibt die Autorin auch, wie Alissa mit den Drogen in Verbindung kommt und was sie daran reizt, sie auszuprobieren. Obwohl ich selbst Drogen nichts abgewinnen kann und die Neugierde darauf nie verspürt habe, konnte ich nachvollziehen, wie Alissa in den Bann der Drogen und der schillernden Pseudorealität gezogen wurde. Und gerade dieser Punkt macht Alissas Geschichte für mich zu einer sehr authentischen Geschichte.
Der Schreibstil von Anna Kuschnarowa lässt sich gut lesen. Sie verwendet kurze und prägnante Sätze und verliert sich nicht in langen Beschreibungen. Zu Beginn habe ich dies als etwas gefühlskalt empfunden, finde es jedoch inzwischen als Stilmittel sehr gelungen. Die kurzen, manchmal abgehackt wirkenden Sätze verdeutlichen einfach, wie gefühlsreduziert Alissa durch die Drogen bzw. im Rausch ist.
Und auch wenn man zu Beginn der Geschichte schon weiß, wie sie enden wird, fand ich das eigentliche Ende des Romans durchaus gelungen. Allerdings kam es mir etwas zu plötzlich und ich hätte mir einige Seiten mehr gewünscht um einen Einblick zu erhalten, was zwischen dem Ende von Taras und Alissas Geschichte und dem Ende des Romans passiert ist.
Fazit:
„Junkgirl“ von Anna Kuschnarowa ist modern geschrieben und behandelt eine zeitlose Thematik. Mir hat der Schreibstil der Autorin gut gefallen, denn er verleiht dem Buch zusätzliche Tiefe und macht die Geschichte authentischer. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen und beim Lesen kam ich mir manchmal selbst vor, wie in einem bunten, verzogenen Farbrausch. Insgesamt hat mir das Buch sehr gut gefallen. Ein Minuspunkt war für mich jedoch das plötzliche Ende.