Die gesammelten Familiengeschichten des großen Erzählers Maxim Biller.
Was hat das Heute mit dem Gestern zu tun? Warum wollen wir oft nichts von unserer Vergangenheit wissen, ohne die wir gar nicht die wären, die wir sind? Und wer waren unsere Eltern und Großeltern wirklich? Wer Maxim Billers Bücher kennt und liebt, weiß, dass ihm diese Fragen besonders wichtig sind, sie bilden den poetischen und auch sehr menschlichen Kern seiner Literatur. Dabei begegnen uns in seinem Werk bestimmte Figuren und Orte immer wieder in neuen, überraschenden Variationen: Gebrochene Väter, traurige Mütter und stolze Söhne genauso wie Stalins düsteres Moskau, das wilde Prag von 1968, das flirrende Berlin der Nachwendezeit, das stille, melancholische Hamburg und natürlich auch Tel Aviv, die weiße Stadt am Meer, in der man als Jude wenigstens manchmal vergessen kann, wie blutig die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts war, ohne ihr ganz entkommen zu können. Sogar noch weniger als seiner fröhlichen, lauten, traumatisierten, komplizierten Verwandtschaft. Dieser Band versammelt das erste Mal die besten Familiengeschichten des großen Erzählers Maxim Biller: eine Lektüre, die süchtig macht.
Maxim Biller schafft es über Familie, die Last der Vergangenheit, Herkunft und Identität zu schreiben, ohne dabei Betroffenheitskitsch zu produzieren. Das gefällt, davon gerne mehr. (PS: Die dreizehn Erzählungen sind kein neues Material, sondern eine Best-of-Compilation.)
Das Buch „Sieben Versuche zu Lieben“ von Maxim Biller ist eine Sammlung von dreizehn Familiengeschichten. Genau wie in seinem 2018 erschienen Roman „Sechs Koffer“ widmet sich dieser Band mit Erzählungen dem Thema Familie. Die Ereignisse in den verschiedene Erzählungen kreisen um persönliche wie politische Ereignisse, das tagespolitisches Geschehen und um die jüdische Geschichte. So erleben wir einen jungen Mann der durch Prag wandelt, auf der Suche nach dem letzten Film den sein Vater gedreht hat. Außerdem die Geschichte eines kleinen Jungen, der in einem Sanatorium ist oder die eines Journalisten, der mit seiner Mutter über das Essen für den Abend diskutiert, an dem ein berühmter Schriftsteller teilnehmen soll.
Wie in so vielen Erzählungen Billers geht es aber nicht nur um das Thema Familie oder das Leben als Jude in Deutschland, sondern auch um Heimat, die Sehnsucht nach einer Heimat, einem Ortswechsel und um die Fragen: Wo komme ich her? Gehöre ich hier her? Was hält mich hier?
Auf sprachlicher Ebene ist das Buch „Sieben Versuche zu Lieben“ ein Meisterwerk. Biller ist einer der besten Stilisten, den die deutsche Gegenwartsliteratur zu bieten hat und das wird in diesen Buch anhand seiner Erzählungen nochmals deutlich. Billers Beschreibungen sind auch ein Spiel mit dem Unverwertbaren. Der Text lenkt den Leser in eine Richtung, nur damit am Ende die Blase platzt und alles anders ist. Ich finde gerade die kurzen Erzählungen verdeutlichen das auf eine prägnante Art und Weise, somit kommt eigentlich keiner an Billers Büchern vorbei der sich für die deutsche Gegenwartsliteratur interessiert.
„Sieben Versuche zu Lieben“ versammelt leider keine neuen Erzählungen, doch sind auch die älteren Sachen von Biller immer noch sehr lesenswert und was noch viel wichtiger ist, immer noch aktuell. Somit ist es das perfekte Buch für alle, die in den Maxim Biller Kosmus einsteigen wollen und gleichzeitig auch für Biller-Kenner, denn es bietet die Familiengeschichten von Biller in einer nie dagewesenen Zusammenstellung. Wie bei jedem Buch von Maxim Biller bin ich der Meinung, dass eine einzige Lektüre nicht ausreicht um die Komplexität des Erzählten zu erfassen, deshalb ist es auch diesmal angeraten, die Erzählungen öfter als einmal zu lesen.
Erst kürzlich las ich Billers Roman "Sechs Koffer", der 2018 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis stand. Er gefiel mir sehr gut, so dass es sich anbot, den vorliegenden Erzählband zu lesen. Hier sind 13 Erzählungen, die allesamt schon veröffentlicht wurden, unter dem (Unter-)Titel "Familiengeschichten" zusammengefasst. Sie beschäftigen sich mit Themen, Konstellationen und Motiven, mit denen sich auch "Sechs Koffer" auseinandersetzt. Dies geschieht sehr facettenreich, so dass es nie langweilig wird, ganz im Gegenteil, aufgrund der thematischen Dichte und der wiederkehrenden Motive gerät der Gesamtblick dadurch sehr eindrucksvoll und einprägsam.
Letztendlich sind dies zwar fiktionale Geschichten, Biller verwebt hier jedoch autobiographisch gefärbte Stoffe, immer auch im Kontext ganz konkreter politischer, gesellschaftlicher oder kultureller Begebenheiten. So nimmt er oft auch Bezug zu anderen Schriftstellern oder Journalisten, wie Kafka, Ehrenburg, Zatewa, Schulz – Gerstein uva.
Im Kern geht es oft um Familiendynamiken. Die (jüdisch- russische) Familie besteht dabei zumeist aus Vater, Mutter und Sohn, wobei der Sohn häufig der Ich-Erzähler ist. Manchmal ist noch eine Schwester mit dabei, manchmal sind die Eltern getrennt, manchmal zusammen, manchmal schon verstorben. Der Sohn versucht Familiengeheimnisse zu lüften, geht verschwommenen Erinnerungen oder auch Lügen auf den Grund. Auf der Suche nach der einen "alles erklärenden" Wahrheit, nicht zuletzt auch deshalb, um sich selbst besser zu verstehen. Familienstreitigkeiten, Grenzüberschreitungen, Verrat, Kindheitserlebnisse und natürlich die Beziehungen untereinander spielen immer wieder eine Rolle. Es gibt Krisen, es gibt Brüche, Schwierigkeiten im Beruf und in der Liebe sowie Schwierigkeiten dabei, den eigenen Weg zu finden. Dies alles wird in einem historisch- politischen Kontext und immer auch aus einer jüdischen Perspektive betrachtet. So geht es um den Holocaust, um die Judenverfolgung in Russland/ Sowjetunion, es geht um den Prager Frühling, den Einmarsch der Russen, um eine erneute Flucht nach Deutschland. Der Verlust von Heimat, die Frage nach Herkunft, die Suche nach Wurzeln, das Ringen um Sprache und Kultur werden wiederkehrend thematsiert. "[...D]er Wahnsinn dieses ganzen Jahrhunderts und der Wahnsinn und Unsinn meines eigenen Lebens..." korrelieren miteinander. Zudem wird deutlich, wie prägend die Erlebnisse der Vorfahren sind und so politische Schrecknisse noch Jahrzehnte später Wirkkraft haben.
Ich mag Billers Schreibstil. Er beobachtet scharf und erzählt tiefgreifend. Die Erzählungen lesen sich komisch, lustig, liebenswürdig und weniger liebenswürdig, hart und provokant, aber auch weich und gefühlvoll. Die Erzählungen wirken ganz unterschiedlich, jede an sich ist aber lesenswert. Mal mit leiser Pointe, mal mit lauter Pointe; mal sehr intensiv, mal eher ruhig. Verdichtet oder auch ausschweifend, mal eher in Andeutungen, mal sehr direkt, zwingen sie in jedem Fall zur Auseinandersetzung. Sie berühren und hallen nach.
Maxim Billers Auftreten als fieser Literaturkritiker im Fernsehen, lässt ihn wenig sympathisch erscheinen, doch seine Kurzprosa hat Qualitäten. Person und Werk zu trennen ist in seinem Fall auch nicht so einfach. Manche Wurzeln seiner Geschichte sind persönlich. Es sind Geschichten, die schon erschienen waren und in diesem Band gesammelt wurden. Gemeinsam ist ihnen das Thema Familie und Beziehungen. Obwohl die Figuren in den Geschichten immer andere sind, haben sie Gemeinsamkeiten in Konstellation und Background, den sie manchmal mit Maxim Biller selbst teilen. Dadurch wirken die Geschichten in der Summe komplex zusammenhängend, obwohl sie zu den verschiedensten Zeitpunkten entstanden sind.