Maren Urner studierte Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, Kanada und den Niederlanden und wurde am University College London promoviert. 2016 gründete sie Perspective Daily mit, das erste werbefreie Online-Magazin für Konstruktiven Journalismus, leitete die Redaktion bis März 2019 als Chefredakteurin und war Geschäftsführerin. 2019 wurde sie zur Professorin für Medienpsychologie an der HMKW berufen. Ihr erstes Buch "Schluss mit dem täglichen Weltuntergang" (2019) ist ein SPIEGEL-Bestseller. Ihr zweites Buch "Raus aus der ewigen Dauerkrise" ist im Mai 2021 erschienen
Ok, die Bewertung fällt mir schwer. Das Buch ist nicht schlecht, aber der Titel hat in mir Erwartungen geweckt, die dann nur teilweise erfüllt wurden. Das Buch präsentiert Lösungsvorschläge, wie Journalismus vielleicht zielführender sein kann (und was an Perspective Daily so toll ist) und verbindet sie mit neurowissenschaftlichen Erklärungen, warum die Nachrichtenflut uns so mitnimmt. Soweit so gut. Es zeigt meiner Meinung nach aber nicht bzw. kaum, wie wir uns persönlich gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren können. Also abgesehen von einer Perspective Daily-Mitgliedschaft.
Gefallen hat mir, dass Dr. Maren Urner verständlich schreibt und viele wissenschaftliche Konzepte kurz erklärt, sodass ich als Leserin gut nachvollziehen konnte, was es mit diesen Konzepten auf sich hat, inwiefern sie für ihre Argumentation eine Rolle spielen und wie sich das womöglich auch in meinem Leben bemerkbar macht. Da mich das Thema "Nachrichtenüberflutung und Faktenbewertung" an sich allerdings schon länger interessiert, waren mir die meisten Konzepte und zitierten Studien nicht neu. Wer z.B. "Factfulness" von Hans Rosling gelesen hat, wird die Fragen zu Beginn wiedererkennen und auch manche Elemente der Argumentationskette.
Neu war für mich der Ansatz des lösungsorientierten Journalismus als Unterkategorie des konstruktiven Journalismus. Während ich den Ansatz sehr spannend fand, waren es für meinen Geschmack aber zu viele "bei Perspective Daily machen wir das so und so" Einschübe. Dass Dr. Urner als Neurowissenschaftlerin und Mitbegründerin eines Medienunternehmens schreibt und nicht nur theoretische Ansätze vertritt, sondern diese auch praktisch anwendet, finde ich toll. Wegen dieser Doppelkompetenz habe ich das Buch gekauft und es ist gut, dass sie hinter ihrem Unternehmenskonzept steht. Dennoch hätte ich mir hier einen Fokus auf die zugrundeliegenden Prinzipien gewünscht bzw. statt einer reinen Liste von "so machen wir es" gerne auch die Erfahrungen: "So haben wir es versucht oder geändert" bzw. so gehen wir und die ähnlichen Konzepte in anderen Ländern damit um. So empfand ich die Einschübe eher als Werbung und ziemlich störend.
Außerdem bleiben manche Erklärungen sehr einseitig und haben bei mir mehr Fragen als Aha-Momente hervorgerufen. Z.B. heißt es auf Seite 163: "Wir sind also geneigt zu denken, dass ein großer Teil der Menschen so denkt wie wir." Nun gibt es aber Studien, die zeigen, dass Menschen in bestimmten Situationen z.B. bei Unfällern eher helfen, wenn niemand weiter da ist, weil sie sonst glauben, dass sie weiterfahren können, weil schon jemand anderes helfen wird, sich also anders entscheiden wird als sie (bekannt als Bystander-Effekt, wenn ich das richtig verstanden habe). Ich bin weder Neurowissenschaftlerin noch Psychologin, also kann es natürlich sein, dass diese Phänomene nichts miteinander zu tun haben. Aber diese und ähnliche uneingeschränkte Thesen im Buch wecken bei mir den Eindruck, dass vielleicht an der falschen Stelle Seiten gespart wurden. Eine differenzierte Analyse und Einbettung in den Kontext (wie Dr. Urner sie auch für den Journalismus fordert) hätte ich an dieser Stelle sehr begrüßt.
Fazit: Manches war mir zu langatmig, weil ich es schon kannte, an anderen Stellen hätte ich mir mehr Facetten/Perspektiven gewünscht. Das heißt aber nicht, dass das Buch schlecht ist, sondern vielmehr, dass ich den Titel irreführend finde.
_____ PS: Ich finde es ironisch, dass auf der Webseite von Perspective Daily mit dem "Hol dir jetzt die Kontrolle zurück!"-Slogan geworben wird, obwohl Dr. Urner den in ihrem Buch für nicht ideal bzw. am Thema vorbei formuliert hält...
Auch wenn ich nicht erwartet hatte, dass es in diesem Buch in weiten Teilen um Journalismus geht, fand ich die Lektüre sehr anregend! Ich habe viele Dinge über das Gehirn gelernt und in welcher Form es arbeitet und wie mich dies im Alltag beeinflusst. Besonders die Selbst-Tests waren sehr gelungen, auch wenn ich eigentlich kein Mensch bin, der gerne solche Tests in Büchern durchführt. Möglicherweise hat mir das Buch auch deshalb so gut gefallen, weil ich bereits sehr zu kritischem und selbstreflektierendem Denken neige, sicherlich begünstigt dies die Annahme vieler Fakten...
…wäre da nicht Kapitel 3. Ein Werbetext, welcher sich über 94 Seiten zieht. Bei einem Buch mit 207 Seiten ein beachtlicher Anteil. In diesem Kapitel wird detailreich über das von Maren Urner mitbegründete Medienunternehmen berichtet. So interessant und einblickend diese 94 Seiten auch sind, es ist und bleibt ein Text, der als Werbe-Pitch anmutet. Kurz vor Ende des dritten Kapitels war ich bereits sicher, dem Buch nur 1-2 Sterne geben zu können. Denn eine Kaufempfehlung möchte ich diesem Buch nicht aussprechen.
Das vierte Kapitel hat das ganze dann doch noch etwas gerettet. Jedoch würde ich weiterhin von einem Kauf abraten. Vielleicht lassen sich Kapitel 1, 2 und 4 ja in einer Bücherei lesen.
Wäre die Gewichtung der Kapitel ausbalancierter, hätte die Eigenwerbung vielleicht weniger negative Emotionen beim Lesen hinterlassen. Aber bei einem 207 Seiten Buch fast 50% Werbung lesen zu müssen und dafür auch noch 16,99€ zu zahlen, hinterlässt leider einen faden Nachgeschmack.
Schade, dass das Buch auf Bücher-Ankauf Seiten nur für 1,25€ gehandelt wird… gerne hätte ich für das Lesen von fast 100 Seiten Werbung etwas Geld wiederbekommen.
Mich hat der Titel sofort angesprochen, da ich beim Lesen der Nachrichten tatsächlich oft das Gefühl eines "täglichen Weltuntergangs" verspüre. Vor lauter schlechter Nachrichten vergeht da teilweise die Motivation, sich überhaupt noch mit den News zu beschäftigen.
Die Autorin erläutert basierend auf neuropsychologischen Erkenntnissen wie sowohl die Medien und Journalisten als auch wir selbst uns dagegen wehren können. Das Konzept des konstruktiven Journalismus fand ich sehr interessant. Auch die Tipps, mein eigenes Gehirn zu "überlisten" um die Welt ein bisschen realistischer wahrzunehmen, haben mir gut gefallen.
Allerdings war mir Kapitel 3 ein bisschen zu viel Eigenwerbung für "daily perspective". Das Projekt finde ich zwar durchaus interessant, mich hat es im Rahmen des sonst recht wissenschaftlichen Buch jedoch gestört. Es hat sich wie "Sponsored Content" angefühlt, der von der Autorin selbst bemängelt wird.
Alles in allem jedoch ein sehr interessantes Buch über ein Thema, das uns alle betrifft aber kaum diskutiert wird. Ich hoffe, in Zukunft begegnen uns mehr Lösungen als Probleme in den Nachrichten. Und mein Gehirn kann diese etwas besser einordnen...